Vortrag 46

Notwendigkeit der operativen Behandlung bei NEC? H. P. Hümmer 1, K. Mang2, P. Klein l , R. Schück J Abteilung der Chirurgischen Universitätsklinik und 2Kinderklinik der Universität Erlangen-Nürnberg

Zusammenfassung Anhand von 57 Fällen neonataler nekrotisierender Enterokolitis wird die Bedeutung verbesserter Diagnostik, insbesondere frühzeitiger illtraschalluntersuchung und intraoperativer Vitalitätsbestimmungen, für therapeutisches Vorgehen und Prognose diskutiert.

bei kritisch kranken Kindern diskutiert. Die besondere Chance rein konservativer Therapie sehen wir somit in Frühdiagnose und frühzeitiger Prävention der Verschlechterung, während bei Nachweis gastrointestinaler Perforation oder eindeutiger Unterbrechung der Darmpassage kein Zweifel an der Operationsindikation besteht. Offene Probleme sehen wir noch in der diagnostischen Entscheidung speziell bei atypischem oder fulminantem Verlauf, oft auch in der Wahl des Operationsverfahrens.

Schlüsselwörter Eigenes Krankengut NEC - Frühdiagnose - Remissionsphotometrie - Therapie - Prognose

Necessity ofSurgical Treatment in Necrotising Enterocolitis Based on the experience with 57 neonates with NEC, the significance of diagnostic methods (especially ultrasonography, paracentesis, intraoperative photometry) for treatment and results is discussed.

Keywords NEC - Ultrasonography - Photometry Management - Prognosis

Unsere eigenen Erfahrungen der letzten 10 Jahre (bis VIII/1988) beruhen auf 57 Kindern mit gesicherter nekrotisierender Enterokolitis (NEC), von denen zwei Drittel (65%) operiert wurden; Späteingriffe, z. B. wegen Striktur nach primär konservativer Therapie, sind hierbei nicht einbezogen. Die Geschlechtsrelation betrug nahezu 1: 1 (28 Jungen). Fast die Hälfte waren Früh- oder Mangelgeborene (47%). Das Gestationsalter lag bei durchschnittlich 34 (28-40) Wochen. Bei Diagnose waren die Kinder durchschnittlich 12 (2-41) Tage alt. In zwei Drittel der Fälle bestanden Auffälligkeiten in der Schwan ~ gerschaft, bei 26% war eine Schnittentbindung, bei 34% eine protrahierte Spontangeburt erfolgt. Da bei NEC mit Spätkomplikationen und Spättodesfällen zu rechnen ist, beschränken wir uns hier bei prognostischen Angaben auf 38 Kinder, deren Erkrankung mindestens 2 Jahre zurückliegt. Wir vergleichen dabei eine (a) konservativ mit einer (b) operativ behandelten Gruppe mit Überlebensraten von 53 % (a) bzw. 82 % (b).

Risikofaktoren Die Situation des Neugeborenen mit drohender Darmwandnekrose und Peritonitis läßt sich durch konservative Maßnahmen stabilisieren, die der Operationsvorbereitung, bei rechtzeitigem Einsatz der Verhütung des Eingriffes dienen. Zu den bekannten Möglichkeiten gehören 1. die künstliche Beatmung bei respiratorischer Insuffizienz verschiedenster Genese, 2. die Substitution exzessiver Flüssigkeits-, Salz- und Proteinverluste zur Aufrechterhaltung der Kreislauf- und Nierenfunktion, 3. Verhütung und Therapie disseminierter intravasaler Gerinnung, 4. Unterstützung der Immunabwehr, 5. medikamentöse Schocktherapie und 6. Antibiotikatherapie speziell der Anaerobierinfektion oder Superinfektion. Als semiinvasive Maßnahme wird schließlich die temporäre Peritonealdrainage

Mehr als die Hälfte der Kinder (52%) hatte ein Geburtsgewicht unter 1500g, 42% Apgar-Werte unter 6. Jedes 4. Kind (24 %) mußte primär intubiert werden. 40 % hatten einen offenen Ductus Botalli oder Herzfehler. Fast jedes 2. Kind litt vor Manifestation der NEC an einem Atemnotsyndrom oder rezidivierender Apnoe. Bei 13 % waren Nabelarterien- oder Venenkatheter, bei 6 von 57 Kindern Austauschtransfusionen vorausgegangen. 98 % der Kinder waren ganz oder teilweise enteral ernährt worden; 60% hatten Formula z. T. mit Glukosezusatz erhalten, fast zwei Drittel aus verschiedenen Gründen Antibiotika (53% Penicilline, 45% Aminoglykoside, 16% Cephalosporine), ehe die NEC auftrat. Gemeinsame Krankheitserreger wurden nicht nachgewiesen; nach Erkrankung ergaben bakteriologische Untersuchungen (Stuhl, Bauchhöhle, Blut) bevorzugt Pseudomonas, Enterobacter, KlebsielIen und Staphylococcus aureus. Viele Proben waren steril (Stuhl 26%, Bauchhöhle 8%, Blut 16%).

Befunde, Therapieentscheidung und Ergebnisse Eingegangen am 16. März 1989 Z Kinderchir 45 (1990) 46-49 © Hippokrates Verlag Stuttgart

Die Entscheidung zur konservativen oder operativen Behandlung stützte sich vorwiegend auf Lokalbefund und bildgebende Verfahren, daneben auf die klinische Dynamik der Entwicklung:

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1Kinderchirurgische

Notwendigkeit der operativen Behandlung bei NEC?

Z Kinderchir 45 (1990)

1. Allgemeinsymptome (Tab. 1)

4. Labordiagnostik

Unter diesen stachen Erbrechen und Fieber (74 %), im weiteren Verlauf respiratorische Verschlechterung (50 %), Oligurie bis Anurie (42%) hervor. Kam es zum Nierenversagen, so wurde die Prognose durch Laparotomie kaum mehr gebessert. Wurden Kinder mit den "Frühsymptomen Erbrechen und Fieber nicht operiert, so verschlechterte sich jedes zweite von ihnen und starb, während fast alle in dieser Phase operierten Kinder überlebten (Tab. 1), U

(n

Als relativ frühes und prognostisch signifikantes Zeichen gilt die Linksverschiebung im Blutbild. 17 % der operierten, 40 % der nur konservativ behandelten NEC- Kinder mit diesem Parameter starben. Auch bei den Befunden Leukopenie und Thrombopenie, die sich während des Krankheitsverlaufes einstellten, hatten operierte Kinder eine deutlich bessere Chance (Tab. 3). Verbrauchskoagulopathien als Spätsymptome entwickelten sich häufiger in der konservativen Gruppe und blieben dort meist therapiefraktär. Elektrolytprobleme beeinflußten die Prognose nicht erkennbar.

Allgemeinsymptome bei NEC / Prognose.

1%

= 38)

Respi ratorische Verschlechterung Oligurie, Anurie Erbrechen Fieber

50

42 74 74

Igesamt t 11/19 10/16 10/28 11/28

Ipostop. t

Tab. 3

Blutbildver~nderung

4/7

3/6 4/18 4/16

bei NEC / Prognose.

Leukopenie n Sterbl ichkeit - postoperativ - konservativ

Linksverschiebung

26

17

46%

24%

4/13 8/13

2/12 2/5

Thrombopenie

< 100000 i 27

37 % 3/14 7/13

2. Lokalbefund, klinisches Stadium Noch deutlicher läßt sich der Einfluß der Therapie an den Lokalsymptomen messen, die zum Zeitpunkt der Diagnose bestanden: Bauchspannung, Druckschmerz und Erythem waren bei konservativer Behandlung mit über 50 % Letalität, bei operativer mit nur 20 % verbunden. Orientiert man sich an der von Schweizer (1981 modifiziert nach Bell) u. a. angegebenen Stadieneinteilung, die auch Röntgen- und Labordaten einbezieht, so ergibt sich insgesamt ein Anstieg der Letalität von 9% (Stadium II bei Behandlungsbeginn) über 18 % (Stadium III) auf 37 % (Stadium IV), bedingt durch zunehmend schlechtere Erfolge rein konservativer Therapie, während 80 bis 90 % der mit Ileus (111) und Peritonitis (IV) operierten Kinder überleben (Tab. 2), adäquate intensivmedizinische Begleitmaßnahmen vorausgesetzt.

Tab. 2 (n = 38)

Lokalbefund bei NEC / Prognose.

1%

Igesamt t 12/38 10/31 11/29 3/12

Ipostop. t 4/21

3/17 4/15 1/9

Einfluß verschiedener Therapieverfahren Nach DiagnosesteIlung erhielten sämtliche - operativ wie konservativ behandelte - Kinder Antibiotika. Am häufigsten wurden Aminoglykoside und Cephalosporine zur Therapie eingesetzt, in den letzten Jahren durch Metronidazol (vereinzelt Vancomycin) ergänzt. Bei Fehlen spezifischer Erreger konnte keine dieser Stoffgruppen die Prognose signifikant verbessern. Auch Maßnahmen zur Besserung der Mikrozirkulation (Dextrane, Volumenersatz etc.) und zur Beherrschung einer Verbrauchskoagulopathie (Heparinisierung, Substitution der Gerinnungsfaktoren) ergaben für sich allein keine Änderung der Prognose: Jedes zweite der so behandelten, aber nicht operierten Kinder starb, während mehr als 80 % der "zusätzlich" operierten Kinder überlebten (Heparin: 920/0; Dextran: 87 0/ 0; Volumen: 76 %). Blutaustauschtransfusionen wurden bei 10 von 38 Kindern in fortgeschrittenem Erkrankungsstadium durchgeführt, insbesondere in der konservativen Gruppe, ohne deren Prognose zu verbessern (6/8 +). Das Einstellen enteraler Ernährung bereits bei Erkrankungsverdacht sahen wir in den letzten Jahren als obligat an. Diese Maßnahme scheint sich zu bewähren, definitive Zahlen aus dem eigenen Krankengut, die eine genaue zeitliche Zuordnung erlauben, fehlen uns jedoch.

Operationsindikation, Verfahren 3. Bildgebende Verfahren Als absolute Operationsindikation galten im Röntgenbefund freie Luft (21 %) und Luft in der Pfortader (30/0). Dagegen wurden mehrere (9/26) Kinder mit Pneumatosis intestini konservativ behandelt, freilich mit hoher Sterblichkeit (5/9 +). Von den operierten Kindern mit präoperativer Pneumatose überlebten 760/0 (13/17). Kinder mit deutlicher Spiegelbildung wurden immer operiert (14 % +), aber nur die Hälfte derer mit stehenden Schlingen (n = 24). Auch aus letzterer Gruppe hatten konservativ behandelte Kinder eine wesentlich schlechtere Prognose: 50 % starben im Vergleich zu 17 % postoperativ. Die mtraschalluntersuchung besitzt heute bei der Pneumatosis intestini und der intrahepatischen Pneumatose ein höheres Auflösungsvermögen als das Röntgenbild, Ferner gelingt zuverlässig der Nachweis freier Flüssigkeit. Alle bei uns behandelten Kinder, die neben sonstigen Symptomen der NEC "Aszites" entwickelten, wiesen eine freie Perforation oder Darmwandnekrose mit Penetrationsperitonitis auf. Zusätzliche diagnostische Punktionen wurden bei Aszites in wenigen Zweifelsfällen durchgeführt, ergaben aber keine Änderung der Operationsindikation.

Eine restriktive Stellung der Operationsindikation ist nur möglich durch frühere Diagnose und schnelleren Einsatz konservativer Möglichkeiten zur Verhütung der transmuralen Darmwandnekrose. Wird die Perfusion der Darmwand über Stunden unterbrochen, bleibt nur die Resektion des irreversibel geschädigten Abschnittes. Die retrospektive Betrachtung unseres Patientengutes zeigt: Die Operationsindikation wurde vereinzelt schon in Stadium 11 (Subileus; 2/11 bzw. 18 %) gestellt, sonst vorwiegend in Stadium III (llleus; 9/11 bm'. 82 0Al) und IV (Perforation, Peritonitis; 21/27 bm', 780/0). Andererseits kamen auch latente, erst post mortem diagnostizierte Perforationen vor (6/57; 11 % aller Patienten!). Auch diese Zahlen, vermeidbare (Stadium II?) wie versäumte Eingriffe, unterstreichen die Bedeutung der Diagnostik und der in vielen Fällen "fulminanten" Entwicklung von der Mukosaischämie bis zur Darmwandperforation. Die durchgeführten operativen ~\aßnahmen zeigt Tabelle 4. Das bevorzugte Verfahren war und ist die Hesektion mit Enterostomie. Primäranastomosen verbieten sich in der Regel. Einer der Gründe ist die unsichere Durchblutung in der Grenzzone. Auch die notwendige Ausdehnung der Resektion läßt sich schwer objektivieren. Erforderlich wäre eine exakte intraoperative Bestimmung der Vaskulari-

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Tab. 1

47

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[A need for surgical treatment in necrotizing enterocolitis?].

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