Schwerpunkt: Gerinnungsmedizin Internist 2014 · 55:514–520 DOI 10.1007/s00108-013-3421-6 Online publiziert: 10. April 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Schwerpunktherausgeber

S. Schellong, Dresden

In der internistischen Praxis wird man häufig mit Patienten konfrontiert, die über eine auffällige Blutungsneigung berichten. Die Manifestation reicht von einer leichten Hämatomneigung über Nachblutungen nach Verletzungen bis zu lebensbedrohlichen Blutungen. Bei jeder neu aufgetretenen Blutungsneigung sollte eine relevante Blutgerinnungsstörung abgeklärt werden. Während hereditäre Blutungsstörungen in der Regel bereits im Kindesalter diagnostiziert werden, kann eine erworbene Blutungsneigung in jedem Alter auftreten. Die entsprechenden diagnostischen Schritte werden in diesem Beitrag dargestellt. Blutungen, die spontan oder verstärkt im Rahmen einer Verletzung auftreten, können ihre Ursache in einer Gerinnungsstörung haben. Für eine funktionierende Blutgerinnung ist eine reibungslose Interaktion des Gefäßsystems, der Thrombozyten und der plasmatischen Gerinnungsfaktoren notwendig. Patienten, die über eine Blutungsneigung berichten, sollten zunächst einer ausführlichen Blutungsanamnese zu ihren Symptomen unterzogen werden. Ein standardisiertes Vorgehen ist sinnvoll; verschiedene Fragebogen sind in diesem Zusammenhang publiziert worden [15]. Dabei haben sich folgende Fragen zu einzelnen Symptomkomplexen einer Blutungsneigung als sinnvoll erwiesen: F Haben Sie häufig starkes Nasenbluten und wenn ja wie oft? Hatten Sie je-

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Abklärung einer erworbenen Blutungsneigung mals spontanes Nasenbluten, das länger andauerte und einer medizinischen Versorgung bedurfte? F Leiden Sie unter Zahnfleischbluten, ohne dass bei Ihnen eine Erkrankung des Zahnfleischs vorliegt? Kommt es beim Zähneputzen zu Schleimhautblutungen? F Bekommen sie leicht Hämatome? Haben sie oft Blutergüsse, auch wenn Sie sich nicht erinnern, sich gestoßen zu haben? Treten diese nicht nur an Armen und Beinen, sondern auch an ungewöhnlichen Stellen auf? F Bluten kleine Schnittwunden länger als 2–3 min nach? Dauert es bei Ihnen im Vergleich zu anderen länger, bis eine Blutung nach einer Verletzung aufhört? F Traten bei Ihnen nach operativen Eingriffen oder einer Zahnextraktion Nachblutungen auf? Mussten Sie wegen einer Nachblutung ein zwei-

tes Mal operiert werden bzw. war aufgrund einer starken Blutung eine Bluttransfusion notwendig? F Fragen an Frauen im gebärfähigen Alter: Dauert Ihre Regelblutung länger als 6 Tage? Ist Ihre Regelblutung besonders stark, sodass die Hygieneartikel häufiger als alle 4 h gewechselt werden müssen? Traten im Rahmen einer Entbindung unerwartet Blutungen auf? Alle Patienten mit einer neu aufgetretenen Blutungsneigung sollten nach Erkrankungen der Leber und Niere befragt werden, die mit einer erworbenen Blutgerinnungsstörung einhergehen können. Weiterhin sollte nach Blut im Urin oder Stuhl gefragt werden. Wird mehr als eine Frage mit ja beantwortet, ist eine weitere Evaluation des Patienten zur Klärung der Genese sinnvoll.

Tab. 1  Klinische Symptomatik verschiedener Ursachen einer Blutungsneigung  

Sichtbare Blutung Petechien Purpura Ekchymosen Hämatome Menorrhagie Verdeckte Blutung Gelenk/Muskel Zeitpunkt der Blutung

Thrombozytopenie oder -pathie (primäre Hämostasestörung)

Plasmatische   Gerinnungsstörung

Vasopathie

Häufig Häufig Häufig Selten Häufig

Nein Nein Selten Häufig Selten

Häufig Häufig Häufig Nein Nein

Nein Sofortblutung

Häufig Oft Spätblutung (nach Stunden)

Nein Keine Blutung

Klinische Blutungssymptome als erster Wegweiser zur Diagnose Die klinische Symptomatik und die Anamnese geben einen ersten Hinweis auf die mögliche Ursache der Blutungsneigung. Prinzipiell wird zwischen einer vaskulären Genese (erhöhte Gefäßfragilität, Vaskulitis), einer primären Hämostasestörung (Funktion und Interaktion der Thrombozyten) und einer plasmatischen Gerinnungsstörung unterschieden (. Tab. 1). Patienten mit einer Störung der Thrombozytenfunktion bzw. einer Verminderung der Thrombozytenzahl haben häufig petechiale Blutungen, die konfluieren können, und Schleimhautblutungen. Die Hämatome sind eher klein und flach im Hautniveau. Im Falle einer Verletzung oder Operation kommt es sofort zu einer verstärkten Blutung.

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Bei Thrombozytenfunktionsstörungen kommt es häufig zu petechialen Blutungen Im Gegensatz dazu führen die plasmatischen Gerinnungsstörungen häufig zu großflächigen, erhabenen Hämatomen und Blutungen in die Muskulatur. Bei Verletzungen und Operationen kommt es nach initialer Blutstillung zur erneuten Blutung bzw. zu einer Nachblutung. Bei schweren Gerinnungsstörungen kann es zu lebensgefährlichen Blutungen in das Abdomen und den Halsbereich sowie zu Hirnblutungen und Blutungen in kritische Organe kommen.

Grundlagen der Gerinnungsphysiologie Das Zusammenspiel des Gefäßsystems, der Thrombozyten und der plasmatischen Gerinnung einschließlich des Fibrinolysesystems ist für eine funktionierende Blutgerinnung notwendig. Diese Systeme sind eng miteinander verzahnt. Im Hinblick auf die unterschiedlichen klinischen Manifestationen ist es weiterhin sinnvoll von einer primären und sekundären Hämostase zu sprechen. Erstere bezeichnet die Interaktion der Thrombozyten mit dem von-Willebrand-Faktor (vWF), dem Endothel und untereinander, Letzte-

re ist die Aktivierung der Gerinnungskaskade mit dem Resultat der Thrombingenerierung und Entwicklung eines stabilen Fibringerinnsels unter Einbeziehung des Fibrinolysesystems. Dass die primäre und sekundäre Hämostase Hand in Hand gehen, illustriert das Modell der zellulären Hämostase in . Abb. 1. Wesentliche Aufgabe dieses komplexen Systems ist es, in kurzer Zeit große Mengen Thrombin (Faktor IIa), den sog. „thrombin burst“ zu generieren, damit ein stabiles Gerinnsel entsteht. An diesem Modell lassen sich hereditäre und erworbene Gerinnungsstörungen einfach erklären. Fehlt ein Mitspieler in diesem System, führt dies zu einer verminderten Thrombingenerierung, zu einem instabilen Fibringerinnsel und zu einer Blutungsneigung. Diese theoretischen Überlegungen haben in der Labordiagnostik zur Einführung funktioneller Tests wie dem Thrombingenerationstest [5] und der Thrombelastographie [4] geführt. Aufgrund der aufwendigen Präanalytik und personalintensiven Durchführung dieser Verfahren haben sie aber bisher keinen breiten Einzug in die klinische Routine gefunden.

Labordiagnostik bei Verdacht auf eine erworbene Blutungsneigung Nach ausführlicher Anamnese und klinischer Untersuchung des Patienten mit einer Blutungsneigung hilft die Labordiagnostik, eine Gerinnungsstörung differenzialdiagnostisch zu klären. Als erstes Screening werden in der Regel die Thrombozytenzahl und die Globaltests Quick und partielle Thromboplastinzeit (PTT) bestimmt [1]. Damit lässt sich allerdings keine Aussage über die primäre Hämostase, also die Funktion der Thrombozyten und Interaktion mit dem vWF, treffen. Diese kann man entweder mit der klassischen Blutungszeit oder automatisiert im Labor mit dem Platelet Function Analyser 100 (PFA-100, Siemens Healthcare) erfassen [2]. Die PFA-100-Analyse, auch als Messung der In-vitro-Blutungszeit bezeichnet, ist ein geeigneter Screening-Test für die primäre Hämostase, in dem die Thrombozytenadhäsion und -aggregati-

Schwerpunkt: Gerinnungsmedizin on sowie die Interaktion mit dem vWF gemessen wird. Dabei wird das mit Natriumcitrat antikoagulierte Vollblut bei hohen Scherkräften durch eine kollagenbeschichtete Membran geleitet, die entweder mit Adenosin-5-Diphosphat (ADP) oder mit Epinephrin beschichtet ist, um die Thrombozyten zu aktivieren. Es wird eine Verschlusszeit in Sekunden gemessen. Erhöhte Verschlusszeiten sprechen für eine gestörte primäre Hämostase und erfordern die weitere Diagnostik. Unauffällige Verschlusszeiten schließen eine relevante primäre Hämostasestörung mit großer Wahrscheinlichkeit aus [9]. Wichtige Voraussetzungen für die Messung sind eine Thrombozytenzahl >100 Gpt/l und ein Hämatokrit >30%. Die Globaltests Quick und PPT erlauben einen groben Überblick über die Funktion der plasmatischen Gerinnung. Pathologische Quick- und PPT-Werte können durch einen Mangel an einzelnen Gerinnungsfaktoren hervorgerufen werden (. Abb. 2), aber auch durch viele andere Störeinflüsse [1]. Bei Patienten mit normalem QuickWert, normaler PPT und einer klinischen Blutungsneigung ist eine primäre Hämostasestörung wahrscheinlich [9]. . Tab. 2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Kombinationen und mögliche Diagnosen einer erworbenen Blutungsneigung anhand der Globaltests. Zur Differenzialdiagnose schließt sich an die Globaltests die hämostaseologische Spezialanalytik an. In . Tab. 3 sind die relevanten Laborparameter zusammengefasst, die in Abhängigkeit von den Globaltests noch spezifisch erweitert werden können. Sind alle Parameter in Ordnung, ist eine relevante Blutgerinnungsstörung mit großer Sicherheit ausgeschlossen.

Differenzialdiagnosen bei erworbener Blutungsneigung Vaskuläre Blutungsneigung Am häufigsten ist die altersbedingt erhöhte Gefäßfragilität. Sie tritt insbesondere an den Unterarmen und Händen auf (. Abb. 3) und wird durch eine Steroidtherapie über längere Zeiträume verstärkt. Die Gerinnungsanalytik ist unauffällig. Ein erhöhtes Blutungsrisiko besteht nicht.

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Zusammenfassung · Abstract Internist 2014 · 55:514–520  DOI 10.1007/s00108-013-3421-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 R. Klamroth

Abklärung einer erworbenen Blutungsneigung Zusammenfassung Hintergrund.  Erworbene Blutungsneigungen sind eine häufige diagnostische Herausforderung für den Internisten. Fragestellung.  Welche diagnostischen Maßnahmen sind bei diesen Patienten notwendig und welche Parameter umfasst eine sinnvolle Gerinnungsanalytik? Material und Methoden.  Die Analyse und Darstellung der diagnostischen Schritte in der täglichen Praxis erfolgt anhand von Übersichtsarbeiten und klinischer Evidenz zu diesem Thema. Ergebnisse.  Erster Baustein der Diagnostik ist die ausführliche Blutungsanamnese. Die Blutungssymptomatik gibt Hinweise auf die mögliche Genese. Anhand der Globaltests Quick und partielle Thromboplastinzeit (PTT)

sowie der Thrombozytenzahl und -funktion ist eine erste Differenzierung der erworbenen Gerinnungsstörung möglich. Die spezielle Gerinnungsanalytik erlaubt es in der Regel, die Ursache der erworbenen Blutungsneigung exakt zu diagnostizieren. Schlussfolgerungen.  Patienten mit einer neu aufgetretenen Blutungsneigung sollten im Hinblick auf eine erworbene Gerinnungsstörung untersucht werden. Dabei führt die klinische Symptomatik in Verbindung mit der speziellen Gerinnungsanalytik zur Diagnose. Schlüsselwörter Hemmkörperhämophilie · Thrombozytopenie · Koagulopathien · Lebererkrankungen · Blutungsanamnese

Acquired bleeding disorders – diagnostic approach Abstract Background.  Patients with acquired bleeding disorders are often a diagnostic challenge in internal medicine. Objectives.  Which diagnostic work up is necessary in these patients and which coagulation tests are useful? Material and methods.  Analysis and diagnostic workup in the daily practice are discussed according to review publications in this field and existing clinical evidence. Results.  First important step is the bleeding history of the patient. The different signs of bleeding are important hints for the cause. The global assays Quick (PT) and PTT in combination with platelet count and function re-

Gleiches gilt für die Blutungsneigung auf dem Boden einer Vaskulitis (. Abb. 4), die häufig symmetrisch an den Beinen zu petechialen Blutungen führt. Eine gerinnungsaktive Therapie ist nicht notwendig.

Primäre Hämostasestörung Erworbene Thrombozytopenie

Klinische Leitsymptome der Thrombozytopenie sind petechiale Blutungen der Haut und bei ausgeprägter Thrombozytopenie Schleimhautblutungen. Die Thrombozytopenie fällt im Blutbild auf. Bei einer Thrombozytopenie ohne klinische Blutungsneigung sollte eine Pseudo-

veal a primary knowledge of the kind of the acquired bleeding disorder. In addition special coagulation tests normally lead to the exact diagnosis of the cause of bleeding. Conclusions.  Patients with newly developed bleeding symptoms should be examined for acquired coagulation disorders. The clinical sings in combination with the special coagulation tests allow the correct diagnosis. Keywords Hemophilia A, acquired · Thrombocytopenia · Blood coagulation disorders · Liver diseases · Bleeding history

thrombozytopenie, z. B. durch EDTA-induzierte Aggregatbildung der Thrombozyten, ausgeschlossen werden. Die Ursache einer Thrombozytopenie kann die gestörte Bildung der Thrombozyten im Knochenmark oder ein erhöhter Umsatz der Thrombozyten sein. Zum Ausschluss einer hämatologischen Erkrankung sollten bei jeder neu aufgetretenen Thrombozytopenie ein Differenzialblutbild und ein Blutausstrich erfolgen. Bei auffälligen Befunden ist eine weitergehende hämatologische Diagnostik ratsam. Häufigere Ursache einer erworbenen Thrombozytopenie ist der erhöhte Umsatz der Thrombozyten bei einer autoim-

X TF

X I

II

VIIa

Xa Va

VIIa

IIa

V

X

IXa

VIIIa

XI

VIII

Va Thrombozyt

II

TZ

Fibrinogen Xa

Va

aktivierter Thrombozyt

vWF

VII

IX

VIIIa

TF

Quick

XII

VIII/vWF

TF-tragende Zelle IX

PTT

XIa

IIa

Fibrin XIIIa Fibrin quervernetzt

X V II I

XIII

Abb. 2 8 Die Einzelfaktoren in den Globaltests der Gerinnung. PTT Partielle Thromboplastinzeit; TZ Thrombinzeit

Abb. 1 8 Modell der zellulären Hämostase. TF „tissue factor“ (Gewebefaktor); vWF von-WillebrandFaktor. (Adaptiert nach [6], mit freundl. Genehmigung von Lippincott Williams & Wilkins)

Abb. 4 9 Vaskuläre Blutungsneigung bei Vaskulitis

Abb. 5 8 Spontane Zungengrundblutung bei Phenprocoumon-Überdosierung

munen oder medikamenteninduzierten Immunthrombozytopenie oder bei Verlust (Massivblutungen) bzw. Verbrauch (Sepsis, selten thrombotisch-thrombozytopenische Purpura). Patienten mit einer Leberzirrhose haben häufig eine Thrombozytopenie im Rahmen einer komplexen Hämostasestörung.

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Patienten mit Leberzirrhose haben häufig eine Thrombozytopenie Die Therapie der Thrombozytopenie richtet sich in der Regel nach der Ursache und der daraus resultierenden Blutungs-

neigung und nicht nach der Thrombozytenzahl. Dabei ist anzumerken, dass die Blutungsneigung bei gleicher Thrombozytenzahl bei Patienten mit einer Produktionsstörung häufig deutlich stärker ausgeprägt ist als bei Patienten mit einem erhöhten Abbau der Thrombozyten. An dieser Stelle sei auf die heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II hingewiesen, eine immunologisch bedingte Thrombozytopenie, die im Zusammenhang mit der Gabe von Heparin innerhalb der ersten 2 Wochen auftreten kann. Sie führt allerdings aufgrund der deutlichen Aktivierung der Thrombozyten zu einer Thromboseneigung und selten zu Blutungen [7].

Erworbene Thrombozytopathie

Die klinische Symptomatik ist stark von der Ausprägung der Thrombozytopathie abhängig und entspricht der einer klassischen primären Hämostasestörung. Die häufigste Ursache einer erworbenen Blutungsneigung im Alter ist die Einnahme von Medikamenten, die zu einer Hemmung der Thrombozytenfunktion füh-

Abb. 3 8 Vaskuläre Blutungsneigung bei erhöhter Gefäßfragilität

ren. In der Gerinnungsanalytik sind die Globaltests und die Thrombozytenzahl normal. Nur Funktionstests wie PFA-100 und Thrombozytenaggregometrie liefern pathologische Werte. In erster Linie sollte an die typischen Thrombozytenfunktionshemmer wie Acetylsalicylsäure, Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor gedacht werden. Aber auch nichtsteroidale Antirheumatika, Prostazyklin, Dipyridamol und Cilostazol führen zu einer vorübergehenden Hemmung der Thrombozytenfunktion. Das gilt in geringerer Ausprägung für eine Vielzahl weiterer Medikamente, stellvertretend seien hier die βLaktam-Antibiotika erwähnt. Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz können eine urämische Thrombozytopathie aufweisen, die mithilfe der Blutungszeit, des PFA-100 oder der Thrombozytenaggregometrie erfasst werden kann. Unter dem Einsatz der Hämodialyse kommt es bei diesen Patienten häufig zu einer Verbesserung der Thrombozytenfunktion [12].

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Schwerpunkt: Gerinnungsmedizin Tab. 2  Erworbene Gerinnungsstörungen bei pathologischen Quick- und PTT-Werten Ergebnisse der Globaltests Quick und PTT normal

Quick vermindert, PTT normal

Quick normal, PTT verlängert

Quick vermindert, PTT verlängert

Differenzialdiagnose einer erworbenen Blutgerinnungsstörung Thrombozytopenie Erworbene Thrombozytopathie (in der Regel durch Medikamente wie Acetylsalicylsäure, Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor, nichtsteroidale Antirheumatika) Leichtes erworbenes von-Willebrand-Syndrom Niedermolekulares Heparin, Fondaparinux Leichter Vitamin-K-Mangel Vitamin-K-Antagonisten Lebersynthesedefizit Lupusantikoagulans (keine Blutungsneigung) Heparingabe Erworbene Hämophilie (Autoantikörper gegen Faktor VIII) Erworbenes von-Willebrand-Syndrom Antikörper gegen Faktor IX, Faktor IX Antikörper gegen Faktor XII (keine Blutungsneigung) Orale Antikoagulanzien (Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban) Vitamin-K-Antagonisten in hoher Dosis Schwerer Vitamin-K-Mangel Schwere Lebererkrankung Verlustkoagulopathie Disseminierte intravasale Gerinnung Hyperfibrinolyse mit Fibrinogenmangel Faktor-X-Mangel bei Amyloidose Antikörper gegen Faktor II, V oder X

PTT Partielle Thromboplastinzeit.

Tab. 3  Labordiagnostik bei Blutungsneigung Screening bei Blutungsneigung Quick, PTT, Fibrinogen Blutbild, Platelet Function Analyser 100            

Spezialanalytik bei Blutungsneigung Differenzialblutbild und Blutausstrich Faktor VIII Ristocetin-Kofaktor, von-Willebrand-Faktor Faktor IX Faktor XIII D-Dimere Thrombozytenaggregometrie Weitere Gerinnungseinzelfaktoren in Abhängigkeit von den Globaltests Quick und PTT

PTT Partielle Thromboplastinzeit.

Erworbenes von-Willebrand-Syndrom

Das erworbene von-Willebrand-Syndrom kann bei lympho- und myeloproliferativen Erkrankungen, bei kardiovaskulären Erkrankungen – häufig bei einer Aortenklappenstenose – und seltener bei malignen oder immunologischen Erkrankungen auftreten. In der Gerinnungsdiagnostik fällt primär ein pathologisches PFA100-Ergebnis und in Abhängigkeit der Schwere auch eine verlängerte PTT auf.

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Die weiterführende Diagnostik sollte den Faktor VIII, den Ristocetin-Kofaktor und das von-Willebrand-Antigen beinhalten. Die Analyse der von-Willebrand-Multimere auch in Abgrenzung zum hereditären von-Willebrand-Syndrom ist aufgrund charakteristischer Befunde häufig hilfreich [13, 14].

Abb. 6 8 Spontanes Flankenhämatom bei erworbenen Antikörpern gegen Faktor VIII (Hemmkörperhämophilie)

Plasmatische Gerinnungs-  störungen Erworbene Blutungsneigung durch Antikoagulanzien

Patienten, die Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon oder Warfarin einnehmen, können v. a. im Rahmen der Überdosierung eine ausgeprägte Blutungsneigung mit großflächigen Haut- und Muskelhämatomen haben (. Abb. 5). Dabei zeigt sich eine deutliche Korrelation zwischen den gemessenen Quick/INR-Werten und der Blutungsneigung. In erster Linie bei einer Überdosierung fällt in der Labordiagnostik neben dem verminderten Quick-Wert auch eine verlängerte PTT auf. In der Analyse der Einzelfaktoren sind die Faktoren II, VII, IX und X erniedrigt. Therapeutisch stehen Vitamin K oder Prothrombinkomplexpräparate zur Verfügung. Vitamin K bewirkt einen langsamen Anstieg des Quick-Werts über 12–24 h. Auch die neuen oralen Antikoagulanzien Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban erhöhen das Blutungsrisiko und können zu Symptomen einer erworbenen Gerinnungsstörung führen. Die Globaltests Quick und PTT verändern sich in Abhän-

gigkeit vom verwendeten Reagenz und dem Zeitpunkt der letzten Einnahme des Medikaments. Eine klare Korrelation der pathologischen Globaltests zur Ausprägung der Blutungsneigung besteht nicht. Spezifische Labortests stehen mit dem modifizierten Anti-Xa-Test für Rivaroxaban und Apixaban sowie mit der modifizierten Thrombinzeit für Dabigatran zur Verfügung [10]. Heparin führt in therapeutischen Dosierungen zu einer PTT-Verlängerung und einer Verlängerung der Thrombinzeit. Niedermolekulare Heparine, Heparinoide und Fondaparinux führen in der Regel nicht zu einer PTT-Verlängerung und können nur über den Anti-Xa-Test in ihrer Wirkung erfasst werden.

Lebererkrankungen

Patienten mit einer fortgeschrittenen Lebererkrankung und einer Leberzirrhose haben eine komplexe Hämostasestörung, da die Gerinnungsfaktoren und -inhibitoren hauptsächlich in der Leber synthetisiert werden. In der Gerinnungsanalytik fallen erniedrigte Quick-Werte auf, bei fortgeschrittener Erkrankung auch eine verlängerte PTT. Antithrombin ist in der Regel analog zum Quick-Wert vermindert. Die Einzelfaktoren sind bis auf den Faktor VIII und vWF, die häufig kompensatorisch erhöht sind, vermindert. Auch Fibrinogen ist bei fortgeschrittener Erkrankung erniedrigt. Es besteht ein Übergewicht der Fibrinolyse mit dem Nachweis erhöhter D-Dimere. In der Regel haben die Patienten aufgrund der portalen Hypertension und der Splenomegalie auch eine Thrombozytopenie. Trotzdem führen diese Veränderungen nicht immer zu einer Blutungsneigung, da sich das System aufgrund der ebenfalls verminderten Synthese der Gerinnungsinhibitoren auf einem niedrigeren Niveau einpendelt. Patienten mit einer Leberzirrhose können auch eine Thrombose bekommen [11].

Verlustkoagulopathie, Verbrauchskoagulopathie und Hyperfibrinolyse

Der Verlust von Gerinnungsfaktoren bei massiven Blutungen und der Verbrauch im Rahmen der disseminierten intravasalen Gerinnung mit oder ohne Hyperfibrinolyse führen zu einer schweren erwor-

benen Störung der Hämostase. Laboranalytisch ergeben sich pathologische Globaltests, ein Abfall von Fibrinogen und Thrombozyten sowie bei der Hyperfibrinolyse ein massiver Anstieg der D-Dimere. Die Dynamik der Laborwerte im Verlauf ist v. a. bei der disseminierten intravasalen Gerinnung ein wichtiges diagnostisches Kriterium und in der Abgrenzung zwischen Verlust, Verbrauch und Hyperfibrinolyse hilfreich [11].

Hemmkörperhämophilie

Die schwerste der erworbenen Gerinnungsstörungen ist die Hemmkörperhämophilie. Dabei werden inhibierende Autoantikörper gegen Gerinnungsfaktoren gebildet. Am häufigsten ist der Faktor VIII betroffen. Die Autoantikörper gegen Faktor VIII können spontan auftreten (in etwa 50% der Fälle), wurden aber auch postpartal und bei malignen oder Autoimmunerkrankungen beschrieben, dann in der Regel bei älteren Patienten. Die Patienten haben eine ausgeprägte Blutungsneigung mit häufig großflächigen spontanen Hautmuskelhämatomen (. Abb. 6). Bei allen Patienten mit einer neu aufgetretenen schweren Blutungsneigung sollte an eine Hemmkörperhämophilie gedacht werden [3].

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Die Hemmkörperhämophilie ist ein hämostaseologischer Notfall

Im Labor fällt primär die deutlich verlängerte PPT bei unauffälligem QuickWert auf. Faktor VIII ist deutlich vermindert und oft gar nicht mehr vorhanden. Eine Korrelation der Blutungsneigung zur Restaktivität des Faktors VIII besteht bei der erworbenen Hämophilie nicht. Die Abgrenzung zur hereditären Hämophilie gelingt über die Anamnese und laboranalytisch über einen Plasmamischversuch. Dabei wird Patientenplasma mit Normalplasma gemischt. Man findet eine Verlängerung der PTT von mehr als 5 s, d. h., eine Korrektur des Faktorendefizits im Patientenplasma durch das Normalplasma gelingt nur partiell. Zur Quantifizierung des Inhibitors wird eine Einzelfaktorenbestimmung in verschiedenen Verdünnungen mit zunehmender Inkuba-

Schwerpunkt: Gerinnungsmedizin tionszeit durchgeführt (Bethesda-Methode). Eine Besthesda-Einheit entspricht per Definition der Hemmkörperaktivität, die 50% des vorhandenen Faktor VIII inaktiviert [1]. Die Hemmkörperhämophilie ist ein hämostaseologischer Notfall, da die Patienten ausgesprochen blutungsgefährdet sind und die Therapie aufgrund des Autoantikörpers gegen den Gerinnungsfaktor komplex ist. Patienten mit einer Hemmkörperhämophilie sollten in ein Zentrum mit hämostaseologischer Expertise verlegt werden [8].

Fazit für die Praxis F Hinweise auf die Genese einer erworbenen Blutungsneigung geben in erste Linie die Anamnese und die klinische Symptomatik. F Die zunehmende Neigung zu oberflächlichen Hämatomen v. a. an den Unterarmen und Händen im Alter ist häufig vaskulärer Genese. F Die häufigste Ursache einer erworbenen Blutgerinnungsstörung ist die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente. F Petechiale Blutungen und kleine oberflächliche Hämatome sowie Sofortblutungen deuten in erster Linie auf eine primäre Hämostasestörung hin. F Großflächige Hämatome und Muskelhämatome sowie verzögerte Blutungen weisen auf eine plasmatische Gerinnungsstörung hin. F Die hämostaseologische Labordiagnostik erlaubt die Differenzialdiagnose einer erworbenen Blutungsneigung. Dabei geben die Globaltests Quick und PTT sowie die Thrombozytenzahl und -funktion erste diagnostische Hinweise. F Bei einer neu aufgetretenen schweren Blutungsneigung und einer verlängerten PTT sollte immer an eine erworbene Hämophilie (in der Regel mit Autoantikörpern gegen Faktor VIII) als potenziell lebensbedrohliche Gerinnungsstörung gedacht werden.

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Korrespondenzadresse Dr. R. Klamroth Klinik für Innere Medizin, Angiologie und Hämostaseologie/ Hämophiliezentrum, Vivantes – Klinikum im Friedrichshain Landsberger Allee 49, 10249 Berlin [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  R. Klamroth gibt an, das kein Interessenkonflikt besteht. Der Beitrag enthält keine Studien an Menschen oder Tieren.

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[Acquired bleeding disorders - diagnostic approach].

Patients with acquired bleeding disorders are often a diagnostic challenge in internal medicine...
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