Akutes Angioneurotisches Ödem auf ACE-Hemmer R Dobroschke, R Georgi, C. Krier Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin des Katharinenhospitals, Stuttgart (Ärztlicher Direktor: Priv. Doz. Dr. C. Krier)

Summary Acute angioneurotic edema due to angiotensin converting enzyrne (ACE) inhibitors usually develops shortly after therapy has been started. In this case, hypopharyngeal edema occurred with a delay of nine days. It required endotracheal intubation and could only be differentiated from an inflammatory process by examination under general anesthesia. The mechanism of action of ACE inhibitors, the pathogenesis of angioneurotic edema, its therapy outside as well as in the hospital, and the case described are being discussed. It is concluded that severe reactions induced by ACE inhibitors must be expected even after considerable time of therapy. Zusammenfassung Angioneurotische Ödeme irn Rahmen einer Therapie mit ACE-Hemmern treten meist rasch nach Therapiebeginn auf. Im vorliegenden Fall entwickelte sich nach neun Tagen ein intubationspflichtiges Hypopharynxödem, das erst durch die Untersuchung in Narkose von einem entzündlichen Geschehen unterschieden werden konnte. Diskutiert werden der Wirkrnechanismus der ACE-Hemmer, die Pathogenese des angioneurotischen Odems, seine Therapie sowohl irn aui3erklinischen Notfalldienst als auch in der Klinik sowie die beschriebene Kasuistik. Es wird gefolgert, daß auch nach längerer Behandlungszeit mit lebensbedrohlichen Reaktionen auf ACE-Hemmer zu rechnen ist.

Einleitung Treten angioneurotische Ödeme im Verlauf der Therapie mit Angiostensin I Converting EnzymeHemmstoffen auf, so geschieht das meist rasch nach Therapiebeginn. Vorherrschend sind Gesichts-, Lippen-, Zungen- und Rachenödeme. Besonders lebensbedrohliche Re-

Anästhesiol. Intensivmed. Notfailmed. Schmenther. 27 (1992) 510-512 O Georg Thieme Verlag Stuttgart . New York

aktionen mit Ausbildung eines Larynxödems manifestieren sich häufig innerhalb der ersten Stunden oder ersten Tage nach Therapiebeginn (11). Im vorliegenden Fall trat ein Hypopharynxödem mit neun Tagen Venögerung auf, wobei die kiinische Differenzierung von einer akuten entzündlichen Schwellung irn Halsbereich erst bei einer Untersuchung in Narkose erfolgen konnte. Fallbeschreibung Bei dem 30jährigen Patienten waren eine kompensierte Niereninsuffiiienz bei hereditären Zystennieren, eine arterielle Hypertonie, eine Hyperurikärnie sowie Alkoholabusus anamnestisch bekannt. Die stationäre Aufnahme in die kardiologische Abteilung erfolgte am 20.3.9 1 wegen zunehmender Symptome einer Heizinsuffizienz bei Verdacht auf Kardiomyopathie. Die Medikation bei Klinikeinweisung umfai3te Allopurinol, Nifedipin und Piretanid. Zur Beschwerdefreiheit fuhrte die zusätzliche Therapie mit Furosemid 2x40mg p. o. und Captopril 2 x 6,25 mg p. 0.. Der Patient wurde am 28.3.91 unter Beibehaltung der Therapie mit Allopurinol 1x300 mg p. o., Furosernid 2 ~ 4 0 m p. g o. und Nifedipin 2x 10mg p. o. entlassen. Wegen der längeren Halbwertszeit von Enalapril und seiner dadurch bedingten besseren Steuerbarkeit im ambulanten Bereich wurde Captopril auf Enalapril 1x5 mg p. o. umgesetzt.

Am 29.3.91 erfolgte die stationäre Wiederaufnahme in die kardiologische Abteilung. Der Patient litt unter zunächst geringer, später immer stärkerer Atemnot, hatte Schmerzen bei rasch zunehmender Schwellung im Halsbereich sowie eine Kieferklemme von 3 Cm. Die HNOärztliche Spiegeluntersuchung zeigte eine massive Vorwölbung des vorderen Gaumenbogens sowie ein ~vula-Ödem. Kehlkopf und Hypopharynx waren nicht einsehbar. Differentialdiagnostisch wurden ein Abszeß im Pharynxbereich sowie ein Quincke-Odem in Betracht gezogen. Die AbWärung wurde in Intubationsnarkose geplant. Aufgrund der massiven Schwellung im Halsbereich und der bestehenden Kieferklemme erfolgte die primäre nasale fiberoptische Intubation über das flexible Fiberbronchoskop in Spontanatmung beim wachen Patienten. Hierbei war eine reizlose Epiglottis und e h e reizlose Stimmbandebene zu sehen. Die HNO-äntliche Untersuchung zeigte ein grauglasiges Ödem des Oropharynx, bds., jedoch keinen Abszei3.

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Acute Angioneurotic Edema Induced by Angiotensin Converting Enzyme Lnhibitors

Akutes Angioneurotisches Odem auf ACE-Hemmer

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Der Patient wurde intubiert und beatmet auf die kardiologische Intensivstation verlegt, wo es zu einer massiven Zunahme des Ödems, besonders im Bereich der Zunge kam. Bei fehlenden Infektionszeichen im klinischen Befund sowie aufgrund der Anamnese, des Verlaufs und der bestehenden Medikation wurde die Verdachtsdiagnose eines angioneurotischen Odems auf ACE-Hemmer gestellt. Nach Absetzen von Enalapril erhielt der Patient am 29.3. sowie am 30.3.91 intravenös ieweils 500 I.E. Cl-Inaktivator. Am 31.3.91 konnte er nach vorheriger Hypopharynxinspektion unter fiberoptischer Kontrolle problemlos extubiert und am 8.4.91 nach Umstellung der Medikation auf Digoxin lx0,2mg p. o., Furosemid 1x40 mg p. o., Nife&pin 2x20 mg p. o. und Allopurinol 1x300 mg p. o. aus der Klinik entlassen werden.

In der Klinik kann unter kontrollierten Bedingungen eventuell primär fiberoptisch intubiert werden. Hier kann auch die erwähnte kausale Therapie mit Cl-Inaktivator eingeleitet werden. Unter der Vorstellung einer gesteigerten Aktivität des Kallikrein-Kinin-Systems im Fall des ACE-Hemmers Captopril behandelten Zech und Mitarb. (14) eine Patientin mit Zungenödem hochdosiert mit dem KailikreinInaktivator Aprotinin. Eine Prophylaxe weiterer Schübe bietet neben der Vermeidung der betreffenden Medikamentengruppe die Einnahme von Danazol(l0).

Ungewöhnlich im vorliegenden Fall waren die starken Halsschmerzen und die Kieferklemme, die bei Wiederaufnahme in die Klinik im Vordergrund standen und Angiotensin Converting Enzyme-Hemm- den Verdacht auf ein entzündliches Geschehen im Halsbestoffe greifen in das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System reich nahelegten. Die laryngoskopische Untersuchung lieein. Hierbei wird das Angiotensin I Converting Enzyme ferte keinen Anhalt für einen Infekt, so daß aufgrund der (Kininase 11) gehemmt, das Angiotensin I, welches durch Medikation mit ACE-Hemmern zunächst die Arbeitsdiadie Einwirkung von Renin aus Angiotensinogen gebildet gnose ,,Angioneurotisches Ödem auf ACE-Hemmer" gewird, in Angiotensin I1 umwandelt. Angiotensin I1 ist der stellt wurde. Die mit Verzögerung auftretende zungenstärkste endogene Vasokonstriktor. Durch dessen Konzen- schweilung konnte diesen Verdacht erhärten. Unter der trationsabfaii wird der periphere Gefaßwiderstand gesenkt. Therapie mit Cl-Inaktivator bildete sich die Schwellung Die Aldosteronkonzentration im Plasma fällt (3). Die Hem- innerhalb von 24 Stunden zurück. Auch Singer und Mac mung der Kininase I1 führt auch zu einer Hemmung des Gregor (8) berichteten über einen Patienten, bei dem im Abbaus von Bradykinin in inaktive Peptidfragmente (1).Es Rahmen eines angioneurotischen Ödems auf ACE-Hemmer kommt zu einer Akkumulation von Bradykinin, das eine Rachen- und Zungenschmerzen auftraten. Hier handelte es starke permeabilitätssteigernde Wirkung an den Gefägen sich allerdings -eine Zweitrnanifestation des angioneuroausübt. tischen Ödems zwölf Tage nach Wiederansetzen von Enalapril, nachdem dieses bereits drei Monate zuvor wegen MaFrühzeitig wurde beim erworbenen angio- nifestation eines angioneurotischen Ödems abgesetzt worneurotischen Ödem nach Gabe von ACE-Hemmern, das den war. Auch die gleichzeitige Lippenschwellung erleichmit einer Inzidenz zwischen 0,03 und 0,07 O/o zu verzeichnen terte hier die Diagnosestellung. Bei unserem Patienten kam ist ( l l ) , eine Parallele zum hereditären angioneurotischen es erst einen Tag nach Manifestationsbeginn zur ZungenÖdem vermutet (1,2,10,11). Einem hereditären angioneu- schwellung. Zech und Mitarb. (14) beschrieben zwei Fälle, rotischen Ödem liegt ein hereditärer autosomal-dominanter bei denen sich ein angioneurotisches Odem auf ACE-HemDefekt mit Mangel oder Funktionsuntüchtigkeit des Cl-In- mer lediglich in Form eines Zungenödems manifestierte. hibitors zugrunde. Folge ist eine Regulationsstörung der Über das Auftreten von Atemnot wurde hier nicht berichKallikrein-Bradykinin-Umwandlung mit vermehrter Bradyki- tet. In beiden Fällen hatte die Medikation mit ACE-Hemninbildung (1,5,6). Bei dem betroffenen Patientenkreis ist mem seit etwa drei Wochen bestanden. die Ausbildung eines angioneurotischen Ödems auf die GaAnioneurotische Ödeme können sich nach be von ACE-Hemmern wahrscheinlich (2, l l ) , was die probatorische Cl-Inaktivatorapplikation beim angioneuroti- ~ c ~ - ~ e r n m e r - G ainnerhalb bve weniger Stunden oder aber erst einige Monate nach Therapiebeginn entwickeln (4,9, schen Odem rechtfertigt (11). 11,12,13,14). Dabei treten lebensbedrohliche Reaktionen, Die Akuttherapie irn außerklinischen Not- die beispielsweise eine Intubation erforderlich machen, falldienst besteht in einer hochdosierten intravenösen Gabe meist innerhalb weniger Stunden auf (11). Unser Fall zeigt, von Glukokortikoiden und Antihistaminika (10,ll) sowie daß solche Reaktionen erst Tage nach Therapiebeginn aufin der Zufuhr von Sauerstoff. Die Indikation zur Intubation treten können, hier erst neun Tage nach Therapiebeginn, sollte außerhaib der Klinik mit groi3er Zurückhaltung ge- protrahiert über zwei Tage. stellt werden, da es durch Intubationsfehlversuche zu einer Ob ein Zusammenhang zwischen dem Aufweiteren Weichteilschwellung im Bereich der oberen Atemwege kommen kann. Möglicherweise auftretende Blutun- treten des Ödems und der Umstellung von Captopril auf gen können bei Schluckstörungen zur Aspiration fuhren. Enalapril besteht, 1 8 t sich nicht sagen. Ferner und Mitarb. Deshalb sollte man zunächst versuchen Sauerstoff über (2), die gesunden Probanden Captopril, bzw. Enalapril Maske zu verabreichen. Bleibt die akute Asphyxiegefahr nach vorheriger intradermaler Bradykinin-Applikation injidennoch bestehen, sollte trotz der genannten Vorbehalte zierten, fanden nur nach Enalapril-Gabe Hautreaktionen, die endotracheale Intubation erfolgen. Mißlingt sie, so muß nicht jedoch nach Captopnl-Gabe, was sie unter anderem eine Konio- oder Tracheotomie in Erwägung gezogen wer- auf die kurze Halbwertszeit von Captopril zurückführten. den.

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Diskussion

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Zu erwidmen bleibt, daß auch andere lebensbedrohliche Reaktionen im Rahmen einer Therapie mit ACE-Hemmern mit wochenlanger Verzögerung auftreten können. Suavez und Mitarb. (9) berichteten von einer Agranulozytose und tödlich verlaufender Septikamie vergesellschaftet mit einem angioneurotischen Odem acht We chen nach Therapiebeginn mit Captopril. Schlußfolgerung Auch nach längerfristiger Einnahme von ACE-Hemmern m d mit unerwartet auftretenden schwerwiegenden Nebenwirkungen gerechnet werden. Bei Sub stanzwechsel innerhalb der Gruppe der ACE-Hemmer ist Vorsicht geboten. Ebenso ist auf eine mögliche Potenzierung von unerwünschten Nebenwirkungen durch andere Pharmaka zu achten. Bei Symptomen, die an ein enaündliches Geschehen im Bereich des Rachens denken lassen sowie gleichzeitig bestehender Atemnot, sollte man unter Therapie mit ACE-Hemmern ein angioneurotisches Ödem frühzeitig in Erwägung ziehen. Da die Hauptmanifestation enoraie Strukturen betrifft, mui3 immer mit Intubationsproblemen gerechnet werden. Eine primäre fiberoptische Intubation erscheint deshalb unter klinischen Bedingungen indiziert. Die symptomatische Akuttherapie umfaßt die hochdosierte intravenöse Gabe von Glukokortikoiden und Antihistaminika sowie bei Atemnot die Freihaitung der oberen Luftwege und Sauerstoffgabe. In der Klinik ist der probatorische Einsatz von Cl-Inaktivator möglich.

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Klinlk fur Anästhesiologie und operative Intensivmedizin Katharinenhospital Kriegsbergstr. 60 7000 Stuttgart 10

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Eine Potenzierung Captopril-induzierter Reaktionen, vor d e m der Hautreaktionen, durch gleichzeitige Allopurinol-Einnahmewurde von Samanta und Burden beschrieben (7).Ein Zusammenhang zwischen Schweregrad des Ödems und Allopurinol-Medikation ist bei unserem Patienten also denkbar.

R Dobroschke und Mitarb.: Akutes Odem

[Acute angioneurotic edema due to ACE inhibitors].

Acute angioneurotic edema due to angiotensin converting enzyme (ACE) inhibitors usually develops shortly after therapy has been started. In this case,...
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