Kasuistiken Unfallchirurg 2014 DOI 10.1007/s00113-014-2628-x © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

U. Mennenga1 · T. Mendel1, 2 · B.W. Ullrich1 · G.O. Hofmann1, 2 1 Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BG-Kliniken Bergmannstrost, Halle (Saale) 2 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Repositionshindernis des hinteren Volkmann-Dreiecks durch Interposition der Sehne des M. flexor digitorum longus

Anamnese Ein 52-jähriger Patient wurde bei Arbeiten an einem PKW unter einer 4-PunktHebebühne eingeklemmt. Nach 30-minütiger Rettungsdauer wurde der mehrfach verletzte Patient durch den Notarzt vor Ort erstversorgt. Aufgrund der Luxationsstellung im oberen Sprunggelenk rechts und livider Hautverfärbung des Vorfußes wurde die sofortige Reposition in Analgosedierung vorgenommen. Dadurch trat eine rasche Besserung der Durchblutungssituation ein. Anschließend erfolgte der luftgebundene Transport via Rettungshubschrauber in unser überregionales Traumazentrum.

Befund Der Patient war bei Übernahme in den Schockraum wach und kooperativ. Beim Bodycheck fielen bereits die klinische Instabilität und die Subluxation des rechten oberen Sprunggelenks auf. Inspektorisch fand sich eine Kontusionszone von ca. 5×2 cm über der anteromedialen Sprunggelenkregion. Nebenbefundlich bestanden rechts betonte Thoraxschmerzen bei knöcherner Stabilität und auskultatorisch seitengleicher Belüftung. Sonographisch fand sich kein Anhalt für intraabdominelle Verletzungen parenchymatöser Organe oder freie Flüssigkeit.

Diagnose Aufgrund des Hochenergietraumas mit unklarem Verletzungsmuster wurde dem

hausinternen Schockraumkonzept folgend die primäre Bildgebung mittels Polytraumaspiral-CT durch geführt, unter Verzicht auf die zeitraubende Erstellung planarer Röntgenaufnahmen. Die CT offenbarte neben weiteren Verletzungen eine komplexe Sprunggelenkfraktur rechts (Klassifikation der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen [AO]: 44C2.3) im Sinne einer Pronations-/Außenrotationsverletzung Stadium IV nach Lauge-Hansen (. Abb. 1a, b; [5]) im Einzelnen mit: F dislozierter Fraktur des Malleolus medialis, F suprasyndesmaler Fibulastückfraktur und F dislozierter Fraktur des hinteren Volkmann-Dreiecks. Die Frakturlinie des hinteren Kantendreiecks zog im axialen CT-Schnitt von lateral parallel zur Malleolenebene, verlief dann jedoch in untypischer Weise abgewinkelt in die dorsomediale Pilonregion (. Abb. 1a).

Therapie und Verlauf Im Rahmen der Erstversorgung, dem Damage-control-Konzept folgend, wurde am rechten Unterschenkel noch am Unfalltag ein das Sprunggelenk übergreifender Fixateur externe angelegt. Nach Konditionierung der initial geschwollenen und kontusionierten Weichteile wurde am 8. Tag nach dem Unfall die definitive Versorgung der Sprunggelenkfraktur durch offene Reposition und Osteosynthese

durchgeführt. Bei hochgradiger Instabilität der Sprunggelenkgabel mit nachweislicher Subluxation des Talus entschieden wir uns bei der vorgesehenen Versorgung bereits im Rahmen der präoperativen Planung zur Verschraubung des hinteren Volkmann-Dreiecks [7].

Operatives Vorgehen Zunächst wurde ein typischer, 10 cm langer lateraler Zugang über der distalen Fibula gewählt. Die mehrfragmentäre Fibulafraktur wurde anatomisch reponiert und mittels Drittelrohrplattenosteosynthese stabilisiert. Während sich das VolkmannFragment hiernach über Ligamentotaxis der hinteren tibiofibularen Syndesmose sowie der Gelenkkapsel zumeist spontan anatomisch einstellt, blieb es in diesem Fall auch bei endgradiger Dorsalextension im Sprunggelenk unverändert distrakt zum tibialen Gelenkblock. Über den lateralen Zugang erfolgte dann die direkte Exposition durch Eingehen zwischen den Mm. peroneus brevis und flexor hallucis longus (. Abb. 2a). Aber auch auf diese Weise waren wiederholte Repositionsversuche frustran. Das Fragment ließ sich zwar auf Gelenkniveau einstellen, jedoch bestand eine persistierende Distraktion. Ein Interponat im Gelenkspalt ließ sich hier bereits vermuten. Die nochmalige Analyse der CT im Knochenfenster gab nach wie vor keinen Hinweis auf ein etwaiges interponiertes Fragment. Erst jetzt wurde Augenmerk auf das CT-Weichteilfenster gelegt. Dies bestätigte die initial bereits im medialen Aspekt des FrakturDer Unfallchirurg 2014 

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Abb. 1 8 a, b Primäre CT-Akquise des Frakturmusters in (a) axialer und (b) sagittaler Darstellung im Knochenfenster

spalts eingeklemmte Sehne des M. flexor digitorum longus (FDL, . Abb. 2a, b). Jedoch gelang die Entfernung des Interponats über den lateralen Zugang nicht. Im Folgenden wurde ein zusätzlicher, 5 cm langer medialer Zugang gewählt, um einerseits die interponierte Sehne zu explorieren und andererseits später die Versorgung der Innenknöchelfraktur zu ermöglichen. Hierzu erfolgte nach Spaltung des Retinaculum flexorum zunächst die direkte Exploration der im Frakturspalt inkarzerierten FDL-Sehne medial der orthotop in ihrem Sulkus verlaufenden Tibialis-posterior-Sehne, wobei das neurovaskuläre Bündel dargestellt und nach dorsal hin weggehalten wurde (. Abb. 2d). Das Volkmann-Fragment konnte so problemlos anatomisch reponiert werden. Die Sehne war in ihrer Kontinuität erhalten. Danach war die Stabilisierung des Fragments durch indirekte, anteroposteriore Zugschraubenosteosynthese problemlos möglich. Die Versorgung wurde durch die Stabilisierung des Malleolus medialis, eine tibiofibulare Stellschraube und die Naht der rupturierten vorderen Syndesmose komplettiert (. Abb. 3a, b, c, d).

Postoperativer Verlauf Der postoperative Verlauf war durch die Entlastung des rechten Beins für 6 Wochen zum Schutz der Syndesmosennaht nach Einbringen der fibulotibialen Stellschraube bestimmt. Eine zusätzliche Ruhigstellung im Gips oder in einer Orthese war nicht erforderlich. Nach Entfernung der Stellschraube erfolgte der zügige Belastungsaufbau über weitere 3 Wochen. Die Wundheilung und der Rückgang der postoperativen Weichteilschwellung gestalteten sich zeitgerecht und ohne Komplikationen.

Diskussion Abb. 2 8 a Axialer und b sagittaler CT-Schnitt durch die Malleolengabel im Weichteilfenster mit Nachweis der interponierten M.-flexor-digitorum-longus-Sehne. c Graphische Darstellung der Frakturexposition über den lateralen Zugang sowie d Liberalisation der Sehne über den medialen Zugang. 1 M.-flexor-digitorum-longus-Sehne, 2 M.-tibialis-posterior-Sehne, 3 neurovaskuläres Bündel, 4 Achillessehne, 5 M.-peroneus-longus-Sehne, 6 M.-peroneus-brevis-Sehne, 7 M. flexor hallucis longus

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Das distale tibiale Hinterkantenfragment wird im deutschen Sprachgebrauch nach Richard von Volkmann (1830–1889) bezeichnet. Ihm wird zugeschrieben, dies erstmals 1875 benannt zu haben. Der Erstbeschreiber war jedoch Earle bereits im Jahr 1828. Volkmann hingegen beschrieb 1875 ein ventrales Kantendrei-

Zusammenfassung · Abstract eck der distalen Tibia im Rahmen einer Sprunggelenkluxationsfraktur eines 38jährigen Mannes [12]. In weiteren Veröffentlichungen berichtete er über verschiedene Formen von distalen Tibiakantenabbrüchen ventral und auch dorsal, wobei er dem Hinterkantendreieck damals jedoch geringe Bedeutung zumaß. Die Bezeichnung „Volkmann-Dreieck“ wurde erstmals in der Dissertationsarbeit von Hansen erwähnt [10]. Bei der operativen Behandlung von Sprunggelenkfrakturen haben sich verschiedene Empfehlungen zur Versorgung entwickelt [9, 11, 12]. Für die Indikationskriterien zur Refixierung des Hinterkantenfragments gibt es keine einheitlichen Angaben in der Literatur [3, 4, 11]. Zumeist ergeben sich diese aus einer Dislokation oder Stufenbildung in der Gelenkfläche von mehr als 2 mm oder bei Instabilität des Talus mit Dorsalverschiebung gegenüber der distalen Tibia [11]. Als Goldstandard für die Stabilisierung hinterer Tibiakantenfragmente im Rahmen von B- und C-Verletzungen der Sprunggelenkgabel wird die gedeckte indirekte anteroposteriore Zugschraubenosteosynthese postuliert [1, 8, 9]. Im Fall einer ungenügenden Reposition allein durch Ligamentotaxis reicht zumeist ein limitiertes offenes Zugehen auf den dorsolateralen Aspekt der distalen Tibia über den präformierten Fibulazugang. Der primäre dorsale Zugang lateral der Achillessehne wird in unserer Klinik lediglich zur Versorgung einer mehrfragmentären Gelenkflächenbeteiligung durchgeführt und ist nur sehr selten erforderlich. Aufgrund der oft nicht zufriedenstellenden Ergebnisse nach Versorgung von Sprunggelenkfrakturen mit tibialem Hinterkantenfragment und der kontroversen Therapieempfehlungen führten Haraguchi et al. [2] eine CT-Studie durch und beschrieben verschiedene Formen des Volkmann-Dreiecks. Die Autoren unterschieden 3 Verlaufsformen in der axialen Schnittbildebene auf Höhe der Malleolen: F Typ I („posterolateral-oblique“) bezeichnet ein keilförmiges Fragment unter Einbeziehung der posterolateralen Ecke der distalen Tibia;

F Typ II („transverse medial-extension“) verläuft von der fibularen Notch lateral zum Malleolus medialis; F unter Typ III werden schuppenförmige Abrisse der dorsalen Tibiakante („small-shell“) erfasst. Das Sprunggelenk wird von insgesamt 11 überspannenden Sehnen mit den dazugehörigen Muskeln geführt. Über etwaige Repositionshindernisse bei der Versorgung durch interponierte Weichteilstrukturen finden sich nur wenige Hinweise in der Literatur [6, 13]. Allgemein wird auf die Möglichkeit der Interposition von Weichgewebe verwiesen, vornehmlich auf die der Tibialis-posterior-Sehne im Bereich der Fraktur des Innenknöchels, gelegentlich auch mit deren Ruptur. In der hier vorgestellten Falldarstellung fand sich eine Einklemmung der FDL-Sehne als Repositionshindernis für das hintere Tibiakantenfragment. Bei bisher fehlender Beschreibung in der Literatur bleibt unklar, wie oft eine Interposition dieser Sehne ursächlich für eine nicht zufriedenstellende Reposition des hinteren Volkmann-Dreiecks ist. Letztere wird hingegen durchaus öfter gesehen. Das frühzeitige Erkennen der FDLSehne als eingeklemmtes Repositionshindernis hätte durch genaue Analyse der präoperativen CT-Bilder die im beschriebenen Fall erforderliche Operationsdauer wie auch die Röntgendosis deutlich reduziert. In Kenntnis dieses Befundes wäre die primäre Exploration der inkarzerierten Sehne z. B. über einen primär dorsolateral gewählten Zugang vorteilhafter gewesen. Der Verlauf der Frakturlinie war untypisch und lief dorsal in direkter Beziehung zur Sehne aus. Eine Einteilung entsprechend den von Haraguchi et al. beschriebenen Frakturtypen war nicht möglich.

Fazit Grundsätzlich zählt die Sehneninterposition bei der Versorgung der Sprunggelenkfraktur zu den selteneren Komplikationen, kann aber die Reposition erschweren oder gar unmöglich machen. Es empfiehlt sich daher, bei komplexeren Sprunggelenkfrakturen oder Vorliegen eines Volkmann-Dreiecks die präopera-

Unfallchirurg 2014 · [jvn]:[afp]–[alp] DOI 10.1007/s00113-014-2628-x © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 U. Mennenga · T. Mendel · B.W. Ullrich · G.O. Hofmann

Repositionshindernis des hinteren Volkmann-Dreiecks durch Interposition der Sehne des M. flexor digitorum longus Zusammenfassung Die Indikation zur Stabilisierung des hinteren Volkmann-Dreiecks bei Sprunggelenkfrakturen wird kontrovers diskutiert. Detaillierte Beschreibungen möglicher Repositionshindernisse finden sich kaum. Der beschriebene Fall berichtet über die erschwerte Reposition des hinteren Tibiakantendreiecks durch Interposition der Sehne des M. flexor digitorum longus in den Frakturspalt. Das Tibiakantenfragment wies eine atypische Form auf, wobei die Frakturlinie in direkter anatomischer Beziehung zur Sehne auslief. Die interponierte Sehne war schon in den präoperativ erstellten CT-Bildern im Weichteilfenster dokumentiert, wurde jedoch erst im Rahmen der Operation nach mehrfachen frustranen Repositionsversuchen erkannt. Schlüsselwörter Tibiakantendreieck · Interponat · Computertomographie · Zugschraubenosteosynthese · Sprunggelenkluxationsfraktur

Aggravated reduction of the posterior malleolar fracture due to incarceration of the flexor digitorum longus tendon Abstract The indications for stabilization of the posterior malleolus (Volkmann triangle) while fixing ankle fractures are controversially discussed. Detailed descriptions of possible obstacles to reduction are scarce. The following case describes the difficulty of reduction of the posterior malleolus caused by interposition of the flexor digitorum longus tendon. The fracture line of the posterior malleolus passed in an atypical manner vertically to the posterior-medial tibial margin with direct contact to the anatomical pathway of the tendon. The impaction of the tendon was already present in the computed tomography (CT) scan taken preoperatively but the tendon hindering malleolar reduction was first realized during surgery after several unsuccessful attempts at repositioning. Keywords Malleolus · Interponate · Computed tomography · Osteosynthesis, fracture · Ankle fracture Der Unfallchirurg 2014 

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Literatur   1. Hak DJ, Egol KA, Gardner MJ, Haskell A (2011) The „not so simple“ ankle fracture: avoiding problems and pitfalls to improve patient outcomes. Instr Course Lect 60:73–88   2. Haraguchi N, Haruyama H, Toga H, Kato F (2006) Pathoanatomy of posterior malleolar fractures of the ankle. J Bone Joint Surg [Am] 88-A(5):1085– 1092   3. Harper MC, Hardin G (1988) Posterior malleolar fractures of the ankle associated with external rotation-abduction injuries. Results with and without internal fixation. J Bone Joint Surg [Am] 70:1348–1356   4. Jaskulka RA, Ittner G, Schedl R (1989) Fractures oft he posterior tibial margin: their role in the prognosis of malleolar fractures. J Trauma 29:1565–1570   5. Lauge-Hansen N (1950) Fractures of the ankle II. Combined experimental-surgical and experimental-roentgenologic investigations. Arch Surg 60:957–985   6. Paccola CA (1984) Fracture-dislocation of the anke joint: case report of a rare irreducible dislocation. Injury 16:114–116   7. Raasch WG, Larkin JJ, Draganich LF (1992) Assessment of the posterior malleolus as a restraint to posterior subluxation of the ankle. J Bone Joint Surg 8:1201–1206   8. Rammelt S, Heim D, Hofbauer LC et al (2011) Probleme und Kontroversen in der Behandlung von Sprunggelenkfrakturen. Unfallchirurg 114:847– 860   9. Rammelt S, Zwipp H, Grass R (2008) Sprunggelenkfrakturen: operative Technik. Unfallchirurg 111:439–447 10. Serfling HJ, Brückner R, Flemming F (1966) Eine historische Studie zum Begriff des Volkmannschen Dreiecks. Zentralbl Chir 40:1457–1466 11. Streubel PN, MCCormick JJ, Gardner MJ (2011) The posterior malleolus: should it be fixed and why? Curr Orthop Pract 22:17–24 12. Volkmann R v (1875) Beiträge zur Chirurgie. Zbl Chirurgie 2:352 13. Walker RH (1981) Irreducible fracture-dislocations of the ankle associated with interposition of the tibialis posterior tendon. Clin Orthop Relat Res 160:212–216

Abb. 3 8 Intraoperative Bildwandlerbilder in a a.-p.- und b seitlicher Projektion, postoperative CT in c axialer und d sagittaler Schnittebene

tive CT-Analyse im Knochen- und Weichteilfenster, insbesondere bei atypischen Frakturformen wie im hier beschriebenen Fall. Bei intraoperativen Repositionsproblemen sollte zügig der mediale Zugang zur Inspektion des Frakturspalts geschaffen werden. Alternativ kann von vornherein die Adressierung des Volkmann-Fragments über einen dorsalen Zugang erfolgen.

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Korrespondenzadresse U. Mennenga Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BG-Kliniken Bergmannstrost Merseburger Str. 165, 06112 Halle (Saale) [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  U. Mennenga, T. Mendel, B.W. Ullrich, G.O. Hofmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.     Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

[Aggravated reduction of the posterior malleolar fracture due to incarceration of the flexor digitorum longus tendon].

The indications for stabilization of the posterior malleolus (Volkmann triangle) while fixing ankle fractures are controversially discussed. Detailed ...
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