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Die Amalgamtätowierung — eine wichtige Differentialdiagnose zum malignen Melanom der Mundschleimhaut P. Tolsdorff, K. H. Schutzenberger

Fallbeschreibung

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Zusammenfassung der MundAmalgamtatowierungen schleimhaut, die bei etwa 8 % aller Patienten zu finden sind, sind aufgrund ihrer haufig multilokulãren Lokalisa-

tion an typischer Stelle in der Nähe amalgamgefullter Zãhne in der Regel einfach zu diagnostizieren. In bezug auf das maligne Melanom der Mundschleimhaut, das besonders häufig im Bereich der Gingiva auftritt und nach Bork, Hode und Korting eine Hàufigkeit von etwa 1,6% hat, kann es beim Fehien jeglicher amalgamhaltiger Füllungen zu differentialdiagnostischen Schwierigkeiten kommen. Der vorliegende Fall zeigt, daI in diesen Fallen eine sorgfaltige Anamnese und Befunderhebung in Kooperation mit dem zahnãrztlichen bzw. kieferchirurgischen Kollegen unter Umständen eine frühere retrograde Wurzelfullung mit Amalgam bei inzwischen extrahiertem Zahn als Ursache aufdecken kann. Amalgam Tattoo — An Important Differential Diagnosis to Malignant Melanoma of the Oral Mucosa ________ Amalgam tattoos develop as an amalgam deposit often as a result of continuous contact between an amalgam filling and the gingiva or amalgam fragments embedded in the oral tissue during dental filling or surgical operations. Sometimes fragments of amalgam restorations are broken off during extraction and embed in the adjacent soft tissue. In our case a small piece of amalgam had broken off during an extraction after retrograde filling up this tooth some years before following a resection of the dental root. Embedded in the depth of the bony resection cavity the piece of amalgam had produced the amalgam tattoo 13 years later.

Bläuliche bis schwarze, unrege1ma1ig begrenzte Flecken der Mundschleimhaut, insbesondere im Bereich der Gingiva, können zu erheblichen differentialdia-

gnostischen Schwierigkeiten führen. Neben einer Amalgam- oder Bismuthtätowierung muf in erster Linie das melanigne Melanom der Mundschleimhaut in Erwägung gezogen werden. Laryngo-Rhino-Otol. 70 (1991) 515—S17

Georg Thieme Verlag Stuttgart New York

Eine 48jahrige Kollegin kam in die Sprechstunde und berichtete, sic habe seit einigen Wochen eine blãulich-schwarze Verfärbung der Mundschleimhaut oberhaib des Zahnkammes in der

Umschlagfalte der Oberlippe bemerkt. Zuvor sei ihr dieser Fleck noch nie aufgefallen.

Bei der Untersuchung fand sich (Abb. 1) etwa dem Zahnfleischrand rechts oberhaib des ersten Schneidezahnes in der Mundvorhofumschlagfalte neben dcm Oberlippen1 cm

bãndchen eine unregelmäI?ig blãuliche bis schwiirzliche Schleimhautverfãrbung, die keine Erhabenheit aufwies. Auch bei genauer Befragung konnte sich die Patientin nicht erinnern, diesen Flecken bereits früher bemerkt zu haben. Unterhaib dieser Veranderungen fand sich einc ca. 4mm lange, querverlaufende alte Schleimhautnarbe. Weitere bläuliche Verfãrbungen, wie sic für Amalgamtätowierungen beim

Verstreuen von Amalgamsubstanz beim Abschleifvorgang typisch sind, fanden sich nicht. Es fanden sich auch keine Amalgamplombierungen. Die Frontzähne waren durch Uberkronung versorgt, der erSte obere Schneidezahn rechts war nach Angaben der Patientin vor 15 Jahren extrahiert wordcn. Die Zielaufnahme (Abb. 2) zeigte einen fehlenden ersten Schneidezahn. Im Bereich der ursprunglichen Wurzel fiel jedoch eine ca. pfefferkorngroi3e, einen deutlichen Röntgenkontrast gebende Stelle (—) auf. Bei genauer Exploration gab die Patientin dann an, da 18 Jahre zuvor am ersten Schneidezahn rechts oben eine Wurzelspitzenresektion durchgeführt worden sei, bevor der Zahn dann drei Jahre später extrahiert wurdc. Aufgrund dieses anamnestischen Hinweises wurde nunmehr das röntgenkontrastgebende Areal als vermutliche Amalgamablagerung nach Wurzelspitzenresektion mit Uberfüllung der Wurzelspitze interpretiert. Da aufgrund dieses Bcfundes die Chance für em malignes Melanom differentialdiagnostisch deutlich gesunken war, wurde in Ubereinstimmung mit dem betreuenden Hautarzt (P. D. Dr. Lange, Bonn) eine Stanzbiopsie zur weiteren Abklarung aus der Schleimhaut durchgeführt. Die histologische Untersuchung des Prãparates ergab innerhaib von Fibroblasten und Einzelmakrophagen schwarze feingranulierte Pigmentablagerungen, die aufgrund von Stufenschnitten und Spezialfãrbungen als diskrete Amalganiablagerungen eingestuft wurden (Befundung Pathologie Dr. Bollmann/Bonn). Melaninpigment wurde nicht gefunden (Abb. 3). Aufgrund dieses Befundes konnte der Kollegin, die sich aufgrund der pigmentierten Schleimhautveränderungen verständlicherweise erhebliche Sorgen gemacht hatte, von cinem weiteren operativen Vorgehen abgeraten werden. Es handelte sich urn eine isolierte Amalgamversprengung aus einer retrograden Wurzelfüllung nach Wurzelspitzenresektion, wobei das Material entwedcr bei der FOllung selbst oder erstJahrc später bei der Extraktion versprengt wurde und allmãhlich zu der jetzt sichtbaren Tatowierung gefuhrt hatte.

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Dr. Tolsdorff, Arzt fur HNO-Krankheiten und Plastische Operationen, Bad Honnef Dr. K. H. Schutzenberger, Zahnarzt, Oraichirurgie, Bad Honnef

P. Tolsdorff, K. H. Schutzenberger

516 Laryngo-RJino-Otol. 70 (1991)

Abb.4

Blaulich-schwarzliche Schleimhautverfarbung in der Oberkiefer-Mundschleimhautumschlagfalte rechts, GrOl3e Ca. 4x4 mm. Diagnose: AmaIgamttowierung. Abb. 1

Abb. 5 Schematische Darstellung einer genormten Silberstiftfullung bei gerader Wurzel und fast rundem Wurzelkanalquerschnitt. orthograde Fullung.

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zielaufnahme Region 1. Schneidezahn rechts oben

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Abb.2 Ronigen-

(her). Befund: Fehlender Schneidezahn. Winziges kontrastgebendes Konkrement im Bereich der ehemaligen Wurzelspitze (.)

Abb. 6 Schemati-

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Abb.7 Schematische Darstellung einer retrograden FUllung, wenn orthograde Aufbereitung

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Abb.3 Histologisches Bild der Probeexzision aus der Schleimhautveranderung in Abb. 1. Befund: Diskrete Amalgamablagerungen innerhalb von Fibroblasten und Einzelmakrophagen. Kein Melaninpigment.

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sche Darstellung einer WurzelfUllung mit nicht genormten Wurzelstiften bei gekriimmter Wurzel oder ovalem Wurzelquerschnitt. Orthograde FUllung.

riicht moglich. Praparation einer Kavititbt auf der Wurzelamputationsflbche und VerschluB des Wurzelkanals mit Silberamalgam.

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Schematische Darstellung des Zugangsweges bei einer Wurzelspitzenresektion.

Die Amalgamtatowierung beim malignen Melanonz der Mundschleinihaut

Amalgamtãtowierungen der Mundschleimhaut trcten auf als umschriebene, unrege1rnaig scharf begrenzte oder aber auch unscharf auslaufende, blauschwarze bis blaugraue Flecken, die im Bereich der gesamten Mundschleimhaut lokalisiert sein können. Haufig sind sie in der Nachbarschaft eines amalgamgefullten Zahnes, nicht selten jedoch auch in der Wangenschleimhaut lokalisiert (Norg, Hoede, Korting, 1984, Laskaris, 1988). Amalgamtatowierungen sind harmiose Nebenbefunde und treten bei 8% der Patienten auf. Es handelt sich dabei urn Silberamalgamablagerungen in der Schleimhaut. Das Silberamalgam geIangt dorthin vor allem beim Ausbohren von Amalgamfullungen, beim Herstellen von Amalgamfüllungen sowie bei Zahnextraktionen von amalgamgefullten Zähnen. Differentialdiagnostisch sind blaue Naevi, Naevuscellnaevi, Hãmatome, Angiome und vor allem maligne Melanome abzugrenzen. Nur gröere Amalgamtätowierungen lassen sich rontgenologisch darstellen.

Die Problematik bei unserer Patientin bestand darin, daE amalgamhaltige Zàhne seit 15 Jahren nicht mehr vorhanden waren, die blãuliche Schleimhauttàtowierung jedoch offensichtlich erst seit kurzer Zeit aufgetreten war. Der Hautarzt konnte nach dem klinischen Aspekt em malignes Melanom nicht ausschliegen, eine an sich einfache Probeexzision verbot sich deshaib vorerst. Eine Exzision des gesamten Prozesses unter dem Verdacht eines malighen Melanoms hätte eine umfangreiche primäre Resektion notwendig gemacht. Erst die diskrete Narbe neben der

Tãtowierung sowie das kleine rontgenkontrastgebende Areal im Bereich der ursprünglichen Wurzel führten auf die richtige Spur. Durch die Wurzelspitzenresektion Jahte zuvor solite eine apikale Paradontitis beseitigt werden. Wie war die Wurzelspitze des Zahnes operativ freigelegt worden (Abb. 4). Während bei einer geraden Wurzel und fast rundem Wurzelkanalquerschnitt eine genormte Silberstiftfül-

lung (Abb. 5), bei ovalem Wurzelquerschnitt oder ge-

krümmter Wurzel jedoch eine Wurzelfullung mit nicht ge-

normten Wurzelstiften vorgenommen worden ware (Abb. 6), mu bei der Patientin eine retrograde Füllung vorgenommen worden sein. Bei dieser wird nach Resektion der Wurzelspitze auf der Amputationsflàche eine prãparierte Kavität mit Silberamalgam verschlossen (Abb. 7). Bei diescm Fullungsvorgang, eher noch bei der späteren Resektion des wurzelgefullten Zahnes mu es zur Versprengung eines kleinen, jetzt noch rontgenkontrastgebenden Amalgamteils in die Knochenhöhle gekommen sein, der dann aufgrund der tiefen Lokalisation in der Knochen- und Narbennische der Wurzelresektionshöhle erst nach der relativ langen Latenzzeit von 13 Jahren zu der bläulich-schwarzen Schleimhautverfarbung gefUhrt hatte.

Literatur Borck, K., N. Hoede, G. W. Korting: Symptome und Krankheiten der Mundschleimhaut und der Periorairegion. Schattauer, Stuttgart, New York 1984 Laskaris, G.: Color atlas of oral diseases. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York 1988

Dr. Peter Tolsdorff Arzt für HNO-Krankheiten Plastische Operationen Hauptstra1e 20 W-5340 Bad Honnef

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Diskussion

Laiyngo-Rhino-Otol. 70(1991) 517

[Amalgam tattoo--an important differential diagnosis from malignant melanoma of the mouth mucosa].

Amalgam tattoos develop as an amalgam deposit often as a result of continuous contact between an amalgam filling and the gingiva or amalgam fragments ...
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