Einführung zum Thema Hautarzt 2014 · 65:768–769 DOI 10.1007/s00105-014-2780-9 Online publiziert: 10. September 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

B. Przybilla1 · A. Kapp2 1 Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie, AllergieZentrum,

Ludwig-Maximilians-Universität, München 2 Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Medizinische Hochschule Hannover, OE 6600, Hannover

Anaphylaxie auf Insektenstiche Die spezifische Immuntherapie (SIT) des Patienten mit Insektenstichanaphylaxie ist ein lehrreiches Beispiel dafür, wie grundlegende Irrtümer in der Medizin entstehen, wie sie über lange Zeit fortbestehen und wie sie korrigiert werden können. Als Benson und Seminov 1930 über einen Imker mit Rhinitis und Asthma aufgrund einer Bienenallergie berichteten, der erfolgreich mit einem Extrakt von Bienenkörperproteinen behandelt wurde [1], war dies der Startschuss für den Einsatz von Ganzkörperextrakten zur Hyposensibilisierung bei Bienen- und Wespenstichanaphylaxie. Retrospektiv ist natürlich klar, dass eine SIT mit Körperproteinen bei respiratorischen Beschwerden, die durch „Bienenabrieb“ ausgelöst sind, wirksam sein kann, dies aber nicht auf die durch Giftproteine verursachte Stichanaphylaxie übertragbar ist – das Allergenprofil ist grundsätzlich unterschiedlich. Dennoch wurde in einer ganzen Reihe von Publikationen über Erfolge mit dieser Therapie berichtet, sie war viele Jahrzehnte die Standardtherapie. Allerdings gab es auch immer wieder Berichte über ein Versagen dieser SIT, auch mit tödlichem Ausgang bei neuerlichen Stichen. Die kritische Nachuntersuchung einer größeren Patientengruppe zeigte schließlich, dass trotz SIT mit Ganzkörperextrakten systemische Stichreaktionen noch bei 65% der Patienten auftraten [2]. Anfang der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden die Ganzkörperextrakte dann rasch zugunsten der SIT mit Bienen- bzw. Wespengiftpräparationen aufgegeben, nachdem prospektive kontrollierte Studien ihre Überlegen-

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heit gezeigt hatten [3, 4] – die Wirksamkeit der SIT mit einem Ganzkörperextrakt entsprach derjenigen von Placebo [3]. Anzumerken ist, dass die Verwendung von Insektengift für die SIT auch während der Jahrzehnte, in denen Ganzkörperextrakte als Standardtherapie galten, immer wieder empfohlen wurde, sich jedoch nicht durchsetzte – eine frühe Publikation stammt aus dem Jahr 1939 [5].

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Patienten mit Bienen- oder Wespengiftanaphylaxie können zuverlässig mit Giftpräparationen hyposensibilisiert werden Seit nun mehr als 3 Jahrzehnten können wir Patienten mit Bienen- oder Wespengiftanaphylaxie – immerhin etwa 3% der Bevölkerung – zuverlässig und wirksam mit Giftpräparationen hyposensibilisieren. Seither hat sich diese Behandlung stetig weiterentwickelt: F Im Vergleich zu den „Pionierjahren“ verfügen wir heute über unterschiedliche Giftzubereitungen, und es gibt zahlreiche Therapieschemata für die Steigerungsphase. F Wir wissen, dass der Grad der Sensibilisierung keinen Hinweis auf die Notwendigkeit einer SIT gibt und sie, unabhängig vom Schweregrad, bei Allgemeinreaktionen vom Soforttyp mit wenigen Ausnahmen immer angezeigt ist. F Die große Bedeutung von individuellen Risikofaktoren für besonders schwere Anaphylaxie (insbesondere Mastozytose, erhöhte basale Serum-

tryptasekonzentration) wurde im Laufe der Jahre herausgearbeitet. Sie müssen bei der Versorgung des Patienten berücksichtigt werden. F Molekulare In-vitro-Diagnostik mit rekombinanten Einzelallergenen hilft dabei, schwierige Befundkonstellationen von Hauttests und serologischen IgE-Bestimmungen zu interpretieren. Mit dem Basophilenaktivierungstest kann bei Patienten, die ansonsten „Test-negativ“ sind, oft doch noch eine Sensibilisierung nachgewiesen werden. F Ist es aufgrund wiederholter systemischer Nebenwirkungen auf die SITInjektionen nicht möglich, die Therapie fortzuführen – ein früher häufig nicht beherrschbares Problem –, so kann heute fast immer durch Begleittherapie mit dem Anti-IgE-Antikörper Omalizumab und Erhöhung der Behandlungsdosis Verträglichkeit erreicht werden. F Mit der Standarderhaltungsdosis von 100 µg ist ein Therapieversagen bei etwa 5–20% der Patienten zu beobachten – heute wird man bei allen, die unter der Erhaltungstherapie auf eine Stichprovokation (oder einen Feldstich) erneut systemisch reagieren, die Behandlungsdosis erhöhen und so doch noch zum Therapieerfolg kommen. F Auch für die Beendigung der Insektengift-SIT haben sich die Empfehlungen weiterentwickelt: Die Dauer ist vom individuellen Risikoprofil des Patienten abhängig, bei besonders hohen Risiken (z. B. Mastozytose) muss die SIT zeitlich unbegrenzt fortgeführt werden.

Fachnachrichten Trotz der hohen Erfolgsrate bei einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung wird die Insektengift-SIT aber noch viel zu selten eingesetzt – realistisch geschätzt bei bislang nur etwa 20% der Patienten, die sie benötigen! Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Die grundlegenden Maßnahmen zur Versorgung des Patienten mit Bienenoder Wespengiftanaphylaxie sind für jedermann zugänglich als Leitlinie publiziert [6]. Leitlinien können in vielen Problemfällen weiterhelfen, jedoch keineswegs in allen. Im vorliegenden Themenheft finden Sie Beiträge zu einer Reihe von Detailfragen, die bei der Versorgung des Patienten mit Stichanaphylaxie immer wieder auftreten. Die Lektüre dieser Arbeiten soll nicht nur das Wissen erweitern, sondern auch Freude machen! Dies wünschen Ihnen Ihre

Univ.-Prof. Dr. Bernhard Przybilla

Univ.-Prof. Dr. Alexander Kapp

Korrespondenzadressen Prof. Dr. B. Przybilla Klinik und Poliklinik für   Dermatologie und Allergologie,   AllergieZentrum,   Ludwig-Maximilians-Universität Frauenlobstr. 9-11, 80337 München [email protected] Prof. Dr. A. Kapp Klinik für Dermatologie,   Allergologie und Venerologie,   Medizinische Hochschule Hannover, OE 6600 Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover [email protected]

Interessenkonflikt.  B. Przybilla hat Honorare für Vorträge oder die Teilnahme an ärztlichen Veranstaltungen erhalten. A. Kapp: Vortragshonorar und klinische Studien für ALK Abello.

Literatur 1. Benson RL, Semenov H (1930) Allergy in its relation to bee sting. J Allergy 1:105–116 2. Golden DBK, Langlois J, Valentine MD et al (1981) Treatment failures with whole-body extract therapy of insect sting allergy. J Am Med Assoc 246:2460–2463 3. Hunt KJ, Valentine MD, Sobotka AK et al (1978) A controlled trial of immunotherapy in insect hypersensitivity. N Engl J Med 299:157–161 4. Müller U, Thurnheer U, Patrizzi R et al (1979) Immunotherapy in bee sting hypersensitivity. Bee venom versus wholebody extract. Allergy 34:369– 378 5. Lotter G (1939) Sensibilisierung für Bienengift durch Typhus-Antitoxin und Desensibilisierung mit Forapin. Münch Med Wochenschr 86:330–331 6. Przybilla B, Ruëff F, Walker A et al (2011) Diagnose und Therapie der Bienen- und Wespengiftallergie. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA), der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI). Allergo J 20:318–339. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/061-020.html

Merkelzell-Karzinom: Polyomavirus als möglicher Therapieansatz Wissenschaftler der Universitätsklinik Würzburg konnten das Wachstum von Hautkrebszellen mit Hilfe eines neuen Wirkstoffs stoppen. Dieser greift am Merkelzell-Polyomavirus an. Das Virus konnte bereits vor 6 Jahren in etwa 80 Prozent aller MerkelzellKarzinome nachgewiesen werden. Wie Viren die unkontrollierte Zellteilung induzieren, ist bisher nicht bekannt. Klar ist allerdings, dass viral kodierte T-Antigene in der Lage sind, zelluläre Retinoblastoma-Proteine zu inaktivieren, die die unkontrollierte Vermehrung der Zellen verhindern. Das Zusammenspiel zwischen T-Antigen und Retinoblastoma-Protein bietet sich daher als therapeutischer Angriffspunkt an. Für die nötige Interaktion ist das Hitzeschock-Protein HSP70 nötig. Die Wissenschaftler haben HSP70 mit einem chemischen Inhibitor blockiert und die Folgen untersucht. Analysiert wurden dafür mehrere Merkelzell-Krebslinien sowie andere Krebszellen zum Vergleich. Dabei zeigte sich eine Variante in deutlicher Mehrheit: die HSC70-Isoform. Wenn HSC70 mit einem spezifischen Inhibitor blockiert wurde, starben die Zelllinien ab. Dieses Ergebnis ist jedoch unabhängig von einem Virusbefall der Zelllinie. Die genauen Hintergründe der Versuche und eine mögliche Erklärung liefern die Wissenschaftler in einem kürzlich veröffentlichten PLoS ONE-Paper. Literatur: Adam C, Baeurle A, Brodsky JL et al (2014) The HSP70 Modulator MAL3-101 inhibits Merkel Cell Carcinoma. PLoS ONE 9: e92041.

Quelle: Universitätsklinikum Würzburg , www.ukw.de

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