Langenbecks Arch. Chit. 340, 101-106 (1975) © by Springer-Verlag 1975

Harnwegsanastomosen bei Doppelnieren* Paul Mellin Urologische Universit~itsklinik Essen (GHS Essen) (Direktor: Prof. Dr. P. Mellin) Eingegangen am 9. Mai 1975 Anastomoses of the Urinary Tract for Treatment of Duplicated Ureters

Summary. Anastomoses between the kidney pelves or the ureters are excellent operative procedures to correct duplications of the urinary tract in distinct cases. Heminephrectomy may be avoided, when only one of the ureters is affected and the parenchyma of both portions of the kidney is intact. Indications are megalureter, recurrent refluxes, ureteroceles and ectopic ureteral orifice. The operative technic used in 13 cases is described. Advantages and disadvantages are discussed. Key words: Ipsilateral uretero-ureterostomy - Pyelo-ureterostomy - Duplicated ureters.

Zusammenfassung. Anastomosen an den oberen Harnwegen sind bei bestimmten Fallen von Doppelnieren ausgezeichnete Verfahren zur operativen Korrektur. Die Heminephrektomie kann dann vermieden werden, wenn nur einer der beiden Harnleiter beteiligt und das Parenchym beider Portionen der Doppelniere intakt ist. Indikationen sind Megalureter, Refluxrezidive, Ureterocelen und ektope Harnleitermiindung. Die in 13 F~illen geiJbte Operationstechnik wird beschrieben. Vor- und Nachteile werden diskutiert. Umgehungsanastomosen an den Harnwegen sind bei einer Reihe irreparabler Erkrankungen des Ureters sehr brauchbare Verfahren organerhaltender Uro-Chirurgie. Sie machen es m6glich, den Harn auf einem Umweg in die Blase zu leiten und problematische L6sungen wie Fistelungen, Harnableitungen in den Darm oder die Opferung einer Niere zu vermeiden, zu denen man sich anderenfalls h/~tte entschlieBen miissen. Unsere Betrachtung soil sich auf die Anastomosen bei Doppelnieren beschr~inken und die Ableitung des Harns aus einer Niere in die Harnwege des kontralateralen Organs, die Transuretero-Ureterostomie bzw. -pyelostomie, auBer acht lassen. Erkrankungen von Doppelnieren mit Ureter duplex beruhen im allgemeinen auf Fehlbildungen des einen der beiden Harnleiter. Megalureter, Ostiuminsuffizienz, Ureterocele und ektope Harnleitermiindung sind typische Beispiele. Operative Korrekturen mit dem Ziel, beide Harnleiter und damit die gesamte Doppelniere zu erhalten, sind in vielen F~illen m6glich. Die Ver~inderungen sind * Herrn Prof. Dr. K. Kremer in Freundschaft und Verehrung gewidmet.

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Abb. 1. Uretero-Ureterostomie Abb. 2. Pyelo-Ureterostomie (Pyelo-Pyelostomie) Abb. 3. Uretero-Pyelostomie Abb. 4. Anastomosierung der Harnleiter~iste bei Ureter fissus Abb. 5. Pyelonephritis des caudalen Nierenteils, Megalureter des zum anderen Tell geh6rigen Harnleiters. Untere Heminephrektomie, Resektion des Megalureters. Ableitung des Hams der oberen Nierenportion fiber den Ureter des resezierten unteren Nierenteils

gelegentlich aber so schwer, dab der kranke Harnleiter mit seinem Nierenteil enffernt werden muB. Die Heminephroureterektomie ist insbesondere dann indiziert, wenn das Nierenparenchym weitgehend zerstfrt ist und irreparable pyelonephritische Ver~inderungen vorliegen. Es gibt jedoch F~ille, in denen die Teilniere nicht geopfert zu werden braucht. Hier bietet sich eine Harnwegsanastomose an, mit der der Urin in den intakten Paarlingsureter geleitet wird. Obwohl ein derartiges Vorgehen naheliegt und Kiimmell [8,9] schon 1913 eine Pyelostomie wegen einer Ureterektomie vornahm, sind erst nach einer Ver6ffentlichung von Gibson [3] 1957 in den letzten Jahren einige Arbeiten fiber Harnwegsanastomosen bei Doppelnieren erschienen [1,2, 4-7, 10-14, 16]. Seit 1966 haben wir solche Verfahren in geeignet erscheinenden Fallen angewandt. Eingxiffe dieser Art wurden 13mal durchgefiihrt. Die Uretero-Ureterostomie (Abb. 1), die Einpfianzung eines Harnleiters End-zu-Seit in den anderen, kann irgendwo zwischen Niere und Blase stattlinden. Aus einem Ureter duplex entsteht damit ein Ureter fissus. Bei anmihernd normaler Ureterbeschaffenheit hat die Anastomosierung am medialen bis distalen Ureter den Vorzug, vom gleichen Zugang auch die Enffernung des fortfallenden caudalen Harnleiters vornehmen zu k6nnen [6]. Die operative Vereinigung zweier Harnleiter kann durch das MiBverhfiltnis ihrer Kaliber erschwert werden. Gerade solche erheblicheren Ver~inderungen eines Ureters sind es ja, die in der Regel die Anzeige zu dem Eingriff abgeben. Da ihr AusmaB in cranialer Richtung abzunehmen pflegt, findet man nierennah

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am ehesten noch annahernd unver~inderte anatomische Verhaltnisse. Bei der Uretero-Ureterostomie wird der Ureter duplex in einen Ureter fissus verwandelt. In allen 7 Fallen wurde ein gutes Resultat erzielt. Als Pyelo-Ureterostomie(Abb. 2) wird die Anastomose des distalen Nierenbeckens mit dem Ureter des cranialen Nierenteils bezeichnet. Sie empfiehlt sich, wenn der zum unteren Teil geh6rige Ureter entfernt werden soll. Besitzt auch der obere Nierenteil ein Pyelon, so kann die Vereinigung der Nierenhohlraume im Sinne einer Pyelo-Pyelostomie durchgefiihrt werden. Hiermit wird ein Zustand erreicht, der der normalen Anatomie des Nierenbeckenkelchsystems nahe kommt. Die Pyelo-Ureterostomie bzw. die Anastomose interpy61ique (Genton [13]) mit der Verwendung des zum oberen Nierenteil geh6renden Ureters zur Ableitung des Harns beider Teilnieren ist die h~iufigste und zugleich wichtigste aller dieser Umleitungen. Sie macht es m6glich, die erheblich gr6Bere und funktionell weitaus wichtigere caudale Nierenportion zu erhalten. Haufigste Anzeigen zur Operation dieses Typs sind der vesico-renale Reflux mit sekund~irem Megalureter und Refluxrezidive [4]. Die Uretero-Pyelostomie (Abb. 3), die Anastomose des Harnleiters des in der Regel nur kleinen cranialen Teils mit dem Pyelon der caudalen Nierenportion, ist seltener indiziert. Es entsteht ein Spaltnierenbecken. Diesem relativ komplizierten Verfahren der Harnumleitung wird die einfachere obere Heminephro-Ureterektomie meistens vorgezogen, da die Opferung des funktionell unerheblichen Nierenteils im allgemeinen vertreten werden kann. Es gibt aber, z.B. bei Solitarorganen, durchaus Grtinde, diesen Eingriff durchzufiihren. Man darf jedenfalls den Wert dieses Nierenteils nicht/ibersehen, der notfalls sogar alleine in der Lage ist, ein Individuum mit ausreichender Nierenfunktion am Leben zu erhalten. Zu den haufigsten Indikationen der Uretero-Pyelostomie geh6ren Ureterocelen, Megalureteren, ektope Uretermiindungen [3, 15] und ureteroureteraler Reflux bei Ureter bifidus. Bei letzterem komrnt ggf. auch eine Vereinigung beider )kste in ganzer Lange in Betracht [7] (Abb. 4). Alle drei Eingriffe, bei denen einer der beiden Doppelureteren reseziert und eine Anastomose der Hohlsysteme im Bereieh der Nieren durehgeftihrt wurde, endeten mit gutem Resultat. Selten kann auch einmal eine Situation eintreten, in der ein Nierenteil entfernt werden mul3, dessen Harnleiter dann zur Ableitung des Hams der anderen Nierenportion Verwendung finden kann. Solche Ableitungen kommen z.B. bei der Kombination von Schrumpfung des caudalen Parenchyms und cranialem Megalureter in Betracht (Abb. 5). In drei Fallen dieser Art erzielten wir nur einmal ein annehrnbares Ergebnis. Operatives Vorgehen. Bei diesen wie bei allen plastischen Eingriffen an den oberen Harnwegen mul3 man berticksichtigen, dab es sich um sehr empfindliche Strukturen handelt. Je weniger sie traumatisiert werden, um so geringer sind die postoperative St6rung ihrer peristaltischen Funktion und die Gefahr yon Komplikationen wie Harnstauung, Harnfistel oder Wundinfektion. Die Uretero-Ureterostomie geschieht in der Weise, daB das abgeschr~igte Harnleiterende in spitzem Winkel mit dem anderen Ureter anastomosiert wird. Bei der PyeloUreterostomie wird eine breite Verbindung mit dem Ureter geschaffen. Die

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Anastomose erfolgt mit atraumatischen 5 o Chromcatgut-Einzeln~ihten. Sie soil wasserdicht sein, weil Austritt von Ham Narbenbildung und Schrumpfungstendenz ffrdert. Ureterschienung mit PVC-Schiene ist im allgemeinen nicht notwendig. Gute Drainage des Operationsgebiets ist erforderlich. Ureterektomie. Der durch die Anastomose auBer Funktion gesetzte und im allgemeinen auch erheblich pathologisch ver~inderte Harnleiter muf5 bis zu seiner Einmiindung in die Blase entfernt werden. Anderenfalls wirkt dieser Blindsack als gef~ihrliches Keimreservoir. Die Ureterektomie wird m6glichst in gleicher Sitzung mit der Anastomosierung vorgenommen. Meistens ist eine zweite Schnittfiihrung notwendig, die guten Zugang zur Uretereinmiindung in die Blase erm/Sglicht. Durch sorgfiiltige Pr~iparation vermeidet man die Gefahr der Verletzung des in einer gemeinsamen Bindegewebsscheide liegenden Zwillingsureters. Es ist von gro6er Bedeutung, auf eine einwandfreie submuk6se Lagerung des verbleibenden Harnleiters und die Rekonstruktion des Blasenmuskels zu achten, weil anderenfalls ein vesico-ureteraler Reflux entstehen kann, der den Erfolg dieses konservierenden Eingriffs zunichte machen wiirde. Harnwegsanastomosen sind durchaus nicht unproblematisch. Sie begegnen vor allem dem Einwand, der intakte Nierenteil k/Snne dutch die Ableitung des Hams des anderen, zumeist doch irgendwie gesch/idigten Teils in den nunmehr gemeinsamen Ureter beeintr~ichtigt werden. Bei diesen Uberlegungen spielen folgende M/Sglichkeiten eine Rolle: Uretero-ureteraler Reflux Keimaszension Urodynamische Uberlastung.

Uretero-ureteraler Reflux kommt beim Ureter fissus gelegentlich vor und erkl~irt Beschwerden, unter denen Tfiiger dieser Anomalie zuweilen leiden. Dieser Reflux beruht auf einer St/Stung der normalen Ureterperistaltik, die man mit Kontrastmitteluntersuchungen unter dem Rtintgenbildschirm gut erkennen kann. Die retrograde Pyelographie des einen Nierenteils f/ihrt in solchen Fallen durch Antiperistaltik zur Kontrastfiillung auch des Hohlsystems des anderen. Es ist damit zu rechnen, dab es solche Refluxe auch bei operativ geschaffenem Ureter bifidus geben kann, die bei Pyelo-Ureterostomie jedoch nicht vorkommen [ 1]. Offenbar tritt Harnr/ickflul3 vor allem dann ein, wenn eine Antiperistaltik vorliegt und der Ham vom aufnehmenden Ureter nicht prompt in vesicaler Richtung weitergetrieben wird. Der Harnleiterfunktion kommt also die entscheidende Rolle zu, und bei intakten Ureteren ist mit uretero-ureteralem Reflux im allgemeinen nicht zu rechnen. Die klinische Erfahrung best~itigt dies. Dem Problem der Keimeinschleppung aus einem infizierten Nierenteil in den anderen ist viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. An der M/Sglichkeit eines solchen Vorkommnisses besteht prinzipiell kein Zweifel, und deshalb wird die Indikation zur Anastomosierung bei bakteriellen Niereninfekten nut mit Zur/ickhaltung gestellt. Offenbar spielt aber bei der Keimaszension im angeborenen oder operativ geschaffenen Ureter fissus der Reflux eine entscheidende Rolle. Intakte Peristaltik, insbesondere in dem Ureter, der den anderen in sich aufnimmt und der dann auch den Harn beider Nierenteile in die Blase transportiert, diirfte deshalb das Aufsteigen von Keimen in einen gesunden Nierenteil

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wenig wahrscheinlich machen. Erkennt man die Str6mungsverh~iltnisse als wesentlichen Faktor der Keimaszension an, so mul3 die mSglichst weit distal gelegte Anastomosierung den Vorstellungen von Weiss u. Mitarb. [17] entsprechend die giJnstigsten Voraussetzungen daffir bieten, ein Aufsteigen von Keimen zu verhindern. Schliel31ich haben sich Bedenken, die Kapazitiit eines Harnleiters k6nne ggf. nicht ausreichen, den Harn einer weiteren Niere aufzunehmen, als gegenstandslos erwiesen [1]. Das erhShte Angebot an Volumen, das u.U. ein Mehrfaches dessen betragen kann, was zuvor transportiert wurde, wird vom intakten Ureter prompt/ibernommen. Dies trifft auch zu, wenn ein zum kleinen oberen Nierenteil geh6riger Ureter den Harn des grSBeren unteren Teils zus~itzlich ableiten mufS. Dem Ureter wohnt offenbar eine sehr grol3e Leistungsreserve inne. Anders w~ire es nicht zu verstehen, dab er auch unter den Bedingungen einer extremen Diurese notfalls in der Lage ist, Harnmengen von vielen Litern pro Tag zu befSrdern, ohne eine Riickstauung in die Nieren entstehen zu lassen.

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[Anastomoses of the urinary tract for treatment of duplicated ureters (author's transl)].

Anastomoses between the kidney pelves or the ureters are excellent operative procedures to correct duplications of the urinary tract in distinct cases...
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