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SCHAUKASTEN Fortschr. Röntgenstr. 125, 3 (1976) 283-287 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Extrakranielles Carotis-interna-Aneurysma nach Pharyngealabszeß Von O. Schubiger 3 Abbildungen Röntgendiagnostisches Zentralinstitut des Kantonsspitals Zurich (Direktor: Prof. Dr. J. Wellauer(

ein infektiöses extrakranielles Carotis-interna-Aneurysma be-

schrieben, aufgetreten nach einem Pharyngealabszeß. Pulsation und Schwirren, die klassischen Zeichen eines Aneurysmas, kön-

nen fehlen. Ein Aneurysma sollte differentialdiagnostisch erwogen werden, wenn im Verlauf eines Pharyngealabszesses neurologische Ausfälle, namentlich ein Homer-Syndrom oder rezidivierende kleinere Blutungen auftreten. Extrakranielle Carotis-interna-Aneurysmen sind selten. In dieser Zeitschrift wurden von 1sf ort 1966 letztmals 2 Fälle beschrieben. Im Verlauf oder nach einem abszedierenden Infekt durch direkte Gefäßwandarrosion sich entwickelnde Aneurysmen werden dank der heute angewandten Antibiotikabehandlung immer seltener. Wie die folgende Fallbeschreibung zeigt, muß jedoch auch heute noch mit dieser Komplikation gerechnet werden. Dank der Fortschritte der Mikrochirurgie des Felsenbeines ist es heute möglich geworden, Aneurysmen an der Schädelbasis so freizulegen, daß

anstelle der früher angewandten Ligatur der A. carotis interna

interna, unmittelbar vor dem Eintritt in die Schädelbasis (Segment C 7). Gute Füllung der A. carotis interna intracerebral (Abb. 1 und 2).

Am 13. 8. 1975 wurde die Patientin operiert. Die Arteria carotis interna konnte proximal und distal des Aneurysmas nach Verlagerung des intratemporalen Verlaufes des Nervus facialis und

subtotaler Ausräumung des Os temporale freigelegt werden. Dem Gefäßchirurgen (Prof. Dr. A. Senning) gelang es danach, das Aneurysma auszuräumen und das Loch in der Arteria carotis

interna zu übernähen. Die Wunde konnte nach Verschluß der Tuba Eustachii und des äußeren Gehörganges und nach Abdecken der versorten A. carotis interna mit einem gestielten Muskellappen primär verschlossen werden.

Der postoperative Verlauf war komplikatiorislos. Eine angiographische Nachkontrolle zeigte geringe Wandunregelmäßigkeiten und eine leichte Einengung der A. carotis interna an der Nahtstelle bei guter peripherer Füllung (Abb. 3).

mit ihren schweren Folgen die plastische Versorgung der defekten Gefäßwand ausgeführt werden kann.

Diskussion

Eigener Fall

Aneurysmen der A. carotis interna, häufig im intrakraniellen Teil und vor allem im Circulus Willisii, sind im extrakraniellen Verlauf des Gefäßes selten. Killian stellte 1951 3407 Fälle von Aneu-

Die damals 4jährige Patientin D. M. wurde im November 1974 auswärts tonsillektomiert. Nach vollständiger Beschwerdefreiheit klagte die Patientin Mitte Juni 1975 erneut über Hals- und Kopfschmerzen. Fieber bis 38° verschwanden trotz Antibiotikaverabreichung nicht. Ein Ende Juni 1975 konziliarisch zugezogener ORL-Spezialist fand nebst den subjektiven Klagen über Halsund Kopfschmerzen einen Schiefhals, eine Heiserkeit und eine Lymphknotenschwellung am Hals vor allem links. Unter der Diagnose eines Pharyngealabszesses wurden weiterhin Antibiotika verabreicht. Wegen Auftretens einer Ptosis und Miosis links wurde die Patientin Mitte Juli auswärts hospitalisiert. Man stellte nun nebst der Lymphknotenschwellung angulär und submandibulär einen gro-

ßen, arrodierten Tumor im Pharynx links fest. Eine Tumorbiopsie ergab einen chronischen Infekt, und die Patientin wurde weiter mit Antibioticis behandelt. Trotzdem blieb der pharyngeale Tumor unverändert, und es wurde 10 Tage nach der Probebiopsie eine Inzision vorgenommen. Dabei entleerte sich schwarzes

Blut. Die Patientin wurde anschließend ins Kinderspital Zürich (Direktor: Prof. Dr. A. Prader) verlegt. Am 8. 8. 1975 wurde die Patientin in Narkose untersucht, und man fand einen harten Tumor im Bereich des vorderen Gaumenbogens

bis weit in den Epipharynx reichend. Palpatorisch war kein Schwirren und keine Pulsation festzustellen, auskultatorisch keine Geräusche. Man entschloß sich zu einer erneuten kleinen Probe-

biopsie aus dem vorderen Gaumenbogen, wobei es kurz nach Entnahme zu einer massiven Blutung kam, die nur mit großer Mühe gestoppt werden konnte. Nach Verlegung auf unsere ORL-Klinik (Direktor: Prof. Dr. U. Fisch) wurde am 11. 8. 1975 eine linksseitige Karotisangiographie durchgeführt. Dabei füllte sich ein 3,5 x 3 x 2 cm messendes sackförmiges Aneurysma, ausgehend von der A. carotis

rysmen im brachiozephalen Stromgebiet aus der Literatur zusammen. Davon betrafen lediglich 173 die extrakranielle A. caro-

tis interna. Bei der Durchsicht 5000 zerebraler Angiographien fand Houser (1968) 8 extrakranielle Carotis-intemna-Aneurysmen.

Margolis sah im großen Krankengut der University of California School of Medicine in neun Jahren (1963-1971) lediglich deren 20. Die Aneurysmen lassen sich nach ätiologischen Gesichtspunkten

einteilen. Bekannt sind kongenitale, arteriosklerotische, traumatische und infektiöse (erosive, mykotische oder luetische) Aneurysmen. Als ungewöhnliche Ätiologie wird eine Strahlennekrose der Gefäßwand angegeben (Dilenge, Finney). Infektiös, durch eine direkte Arrosion der Gefäßwand entstandene Aneurysmen waren in der vorantibiotischen Ära relativ häufig. Die im 19. Jahrhundert beobachteten, im Rahmen von Streptokokken-Epidemien aufgetretenen Blutungen aus dem Pharynx bei Kindern wurden erosiven Aneurysmen der A. carotis interna zugeschrieben. Shipley, der 1937 28 Fälle aus der Literatur zusammenstellte, fand 8 ( 38%) wahrscheinlich infektiös bedingte Aneurysmen der A. carotis interna. In neueren Publikationen tritt jedoch die entzündliche Ätiologie immer mehr in den Hintergrund. So fand Margolis in seiner Serie (1972) von 20 Fällen nur 2 ( 10%), Beau (1962) mit 7 eigenen Fällen kein infektiöses Aneurysma. Auch im Krankengut von Kinderkliniken sind infektiöse extrakranielle Carotis-intemna-Aneurysmen selten: Isler (1971) beschreibt in seiner Zusammenstellung nur einen Fall. Gelegentlich stößt man bei der Durchsicht der neueren Literatur auf einzelne Fallbeschreibungen (Gage, 1961; Eneroth, 1971; Hogarth, 1973; Henry, 1974).

Extrakranielle Carotis-interna-Aneurysmen äußern sich meist durch eine Schwellung, gewöhnlich im Pharynx, gelegentlich äußerlich sichtbar. Das typische Schwirren und die Pulsation

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Anhand eines eigenen Falles und einer Literaturübersicht wird

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Karotisangiogtaphie li. a.-p. (Subtraktionsbild): Sackförmiges Aneurysma der A. carotis interna, unmittelbar an der Abb. 1.

Abb. 2.

Karotisangiographie li., seit!. (Subtraktionsbild).

Schädelbasis gelegen.

Hirnnerven IX, X und XI befallen, sehr selten auch der N. facialis,

namentlich bei infektiösen Aneurysmen, die sich entlang der Tuba Eustachii zum Mittelohr ausbreiten können und sich dann gelegentlich durch eine Blutung aus dem Ohr manifestieren (Harrison). Bei der Durchsicht der Fallbeschreibungen fällt immer wieder auf, daß die Patienten mit einem infektiösen Carotisinterna-Aneurysma ein Homer-Syndrom aufwiesen (Eneroth, Masing, Eckel). Auch unsere Patientin hatte ein Homer-Syndrom. Eneroth weist dann auch speziell darauf hin, daß ein im Verlauf

eines Pharyngealabszesses aufttetendes Homer-Syndrom Hinweis auf ein erosives Karotisaneurysma sei. Für infektiöse Aneurysmen soll auch das Auftreten rezidivierender kleiner Blutungen typisch sein, was wir in unserem Fall allerdings nicht beobachten konnten. Bei partieller Thrombosierung des Aneurysmas können

embolische Komplikationen auftreten (Finney), eine zerebrale Ischämie ist durch eine Flow-Verminderung, besonders bei insuffizientem Circulus Willisii, zu erwarten. Die am meisten

gefürchtete Komplikation ist die Ruptur, häufig mit tödlichem Ausgang.

Auch in neueren Publikationen wird als Therapie der Wahl die Ligatur der A. carotis interna oder eommunis angegeben. Aus operationstechnischen Gründen wird meist auf ein gefäßerhaltendes Vorgehen verzichtet. Dank der engen Zusammenarbeit eines ORL-Spezialisten und eines Gefäßchirurgen konnte in unserem Fall das Aneurysma unter Schonung der A. carotis interna entfernt werden. Das spezielle chirurgische Vorgehen bildet den Gegenstand einer weiteren Mitteilung (U. Fisch, in Vorbereitung).

Schlußfolgerungen Abb. 3. Postoperative angiographische Kontrolle (Subtraktionsbild): gut durchgängige A. carotis interna. Geringe Wandunregel-

Der vorliegende Fall zeigt, daß auch heute trotz großzügiger Verabreichung von Antibioticis noch infektiöse, erosive Aneurysmen

mäßigkeiten an der Nahtstelle.

der A. carotis interna im extrakraniellen Verlauf vorkommen können. Bei einem therapieresistenten Pharyngealabszeß muß auch ohne Pulsieren und Schwirren des Tumors an ein erosives

fand Margolis nur in einem Drittel seiner Fälle. Es war auch in unserem Fall nicht vorhanden. Klagen über Schluckbeschwerden sind häufig. Durch Druck auf die in der Karotisloge verlaufenden Nerven können neurologische Ausfälle auftreten. So werden die

Carotis-interna-Aneurysma gedacht werden, ganz besonders wenn ein Homer-Syndrom oder rezidivierende kleinere Blutungen auftreten. Die Angiographie ist dann die Untersuchung der Wahl. Dank der Fortschritte der Mikrochirurgie des Felsenbeines ist es

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Aneurysmas vorzunehmen.

Nach Abschluß der vorliegenden Fallbeschreibung wurden im Röntgendiagnostischen Zentralinstitut des Kantonsspitals Zürich 2 weitere extrakranielle Carotis-interna-Aneurysmen diagnostiziert. Beide Aneurysmen wurden mit der beschriebenen Technik mit gutem Erfolg operiert.

Den Kollegen des Kinderspitals Zürich (Direktor: Prof. Dr. A. Prader), der ORL-Klinik (Direktor: Prof. Dr. U. Fisch) und der Chirurgischen Klinik A (Direktor: Prof. Dr. A Senning) des Kantonsspitals Zürich danke ich für die Überlassung des Falles.

Beau, A. C., E. S. Crawford, D. A. Cooley, A. E. De Bakey: Extracranial aneurysms of the carotid artery; report cases.

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[Aneurysm of the extracranial internal carotid artery following pharyngeal abscess].

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