Referiert – kommentiert

Referat

K. Müssig

Sind Ref riert–kom entiert hohe Glukose-Spiegel ein Risikofaktor für Demenz? N Engl J Med 2013; 369: 540–548 Hintergrund: Die Überalterung der Gesellschaft hat die Demenz zu einem großen Gesundheitsproblem gemacht. Auch die Prävalenz von Übergewicht und Diabetes nimmt massiv zu. Bisherige Studien zum Zusammenhang zwischen Diabetes, Übergewicht und Demenzrisiko kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Crane et al. untersuchten nun die Assoziation zwischen Glukose-Spiegel und Demenzrisiko. Methoden: Analysiert wurden 35 264 Blutzucker(BZ)- und 10 208 HbA1c-Messungen von 2067 Personen, bei denen bisher keine

Demenz bekannt war. Davon waren 839 Männer und 1228 Frauen, das durchschnittliche Alter betrug 76 Jahre. 232 Personen hatten einen Diabetes mellitus, 1835 nicht. In einem Regressionsmodell wurde untersucht, ob erhöhte Glukose-Spiegel mit der Inzidenz einer Demenz korrelieren. Adjustiert wurde u.a. für Alter, Geschlecht, körperliche Aktivität, Blutdruck und Rauchen.

für Demenz verbunden (bei einem durchschnittlichen BZ-Wert von 115 mg/dl verglichen mit 100 mg/dl; p=0,01). Bei Personen mit Diabetes waren erhöhte BZ-Werte ebenfalls mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden. Das Risiko war hier um 40% erhöht (bei einem durchschnittlichen BZWert von 190 mg/dl verglichen mit 160 mg/dl; p=0,002).

Ergebnisse: Im mittleren Beobachtungszeitraum von 6,8 Jahren entwickelte sich bei 524 Personen eine Demenz, davon hatten 74 einen Diabetes, 450 nicht. Bei letzteren waren erhöhte BZ-Spiegel in den letzten 5 Jahren mit einem um 18% erhöhten Risiko

Folgerung: Erhöhte Blutzuckerwerte sind ein eigenständiger Risikofaktor für Demenz. Dies ist unabhängig davon, ob bereits ein Diabetes vorliegt oder nicht, so die Autoren. Dr. med. Christoph Feldmann, Köln

Kommentar

Hohe Blutzuckerspiegel steigern das Demenzrisiko – nicht nur bei Diabetes Die Studie von Crane et al. ist ein wichtiger Beitrag zu den Mechanismen, die dem erhöhten Demenzrisiko bei Menschen mit Diabetes zugrunde liegen. Mikro- und makrovaskuläre Komplikationen sind etablierte Prof. Dr. med. Karsten Folgeerkrankungen Müssig, Düsseldorf des Diabetes. Screeninguntersuchungen auf das Vorliegen dieser Komplikationen werden in den Leitlinien nationaler und internationaler Fachgesellschaften empfohlen. Das zentrale Nervensystem wird hingegen erst in den letzten Jahren als möglicher Manifestationsort diabetischer Komplikationen wahrgenommen. Eine Vielzahl epidemiologischer Studien weist auf ein erhöhtes Risiko für verschiedene Demenzformen bei Menschen mit Diabetes mellitus hin. In einer aktuellen Metaanalyse (Intern Med J 2012; 42: 484–491) war das relative Risiko für vaskuläre Demenz 2,5-fach, für Demenz vom AlzheimerTyp und für andere Demenzformen jeweils 1,5-fach erhöht. Eine kürzlich veröffentlichte Studie ergab, dass Menschen mit Diabetes im Vergleich zu Stoffwechselgesunden 2,2 Jahre früher an Demenz erkranken und 2,6 Jahre eher sterben (Am J Epidemiol 2013; 177: 1246–1254). Die Wirkung des Diabetes auf den Krankheitsbeginn und die Mor-

Dtsch Med Wochenschr 2013; 138, Nr. 43

talität ist am größten, wenn sich der Diabetes vor dem mittleren Lebensalter manifestiert und nach 15 Jahren Diabetesdauer. Die dem Zusammenhang zwischen Diabetes und Demenz zugrunde liegenden Mechanismen sind nicht hinreichend verstanden. Sicherlich handelt es sich aber um einen multifaktoriellen Prozess. Die Arbeit von Crane et al. unterstreicht die Bedeutung der bei Typ-2-Diabetes vorliegenden Insulinresistenz. In Übereinstimmung mit diesen Ergebnissen ergab eine aktuelle Autopsie-Studie (J Pathol 2011; 225: 54–62), dass das Insulinsignaling im Gehirn sowohl bei Patienten mit Alzheimer-Demenz als auch mit Typ-2-Diabetes eingeschränkt war. Lagen beide Erkrankungen vor, war die Aktivität der Insulinsignalkaskade besonders vermindert. Die Aktivierung der Insulinsignalkaskade korrelierte negativ mit der Tau-Phosphorylierung und positiv mit der Protein-Overknüpften N-Acetylglucosaminierung (OGlcNAcylation). Das eingeschränkte Insulinsignaling begünstigt also möglicherweise die Neurodegeneration bei Alzheimer-Demenz durch Reduktion der O-GlcNAcylation und Förderung einer abnormen Tau-Hyperphosporylierung. Übereinstimmend mit diesen Ergebnissen verbessern therapeutische Maßnahmen mit aktivierender Wirkung auf das zentrale Insulinsignaling bei der Alzheimer-Demenz beeinträchtigte kognitive Funktionen. Interessanterweise ergab die Arbeit von Crane et al. bei Vorliegen eines Diabetes mellitus auch ein leicht er-

höhtes Demenzrisiko bei niedrigen Blutglukosewerten. Offenbar scheinen auch Hypoglykämien das Demenzrisiko zu steigern. Bei Patienten mit Diabetes besteht nicht nur ein erhöhtes Demenzrisiko, sie zeigen auch leichtere kognitive Defizite. Dazu zählen Defizite bei Lernen und Gedächtnis, mentale und motorische Verlangsamung sowie Einschränkungen in Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen. In der klinischen Praxis gilt es, den Zusammenhang zwischen Diabetes und kognitiven Störungen stärker zu berücksichtigen. Besondere Bedeutung kommt der Prävention und der Früherkennung der Demenz bei Patienten mit Diabetes zu. Dazu ist eine konsequente Stoffwechseleinstellung unter Berücksichtigung regelmäßiger Bewegung und Vermeidung von Adipositas anzustreben. Ein plötzlicher Gewichtsverlust kann ein erstes Anzeichen einer Demenz sein und sollte nicht als Therapieerfolg fehlinterpretiert werden. Bei bereits bestehender Demenz sind komplexe Behandlungsschemata und Hypoglykämien zu vermeiden und eine ausreichende Ernährung sicherzustellen. Prof. Dr. med. Karsten Müssig Klinik für Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum Düsseldorf und Institut für Klinische Diabetologie, Deutsches Diabetes-Zentrum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Interessenkonflikte: keine DOI 10.1055/s-0032-1329063

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[Are high glucose levels a risk factor for dementia? High blood glucose levels increase the risk of dementia--not only in diabetes].

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