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Aspekte psychischer Störungen bei japanischen Studenten* M. Uno I , E. Ando2

Aspects of AUments Among Japanese Students

The present study discusscs the reasons which moved 88 students during one year from April 1987 till March 1988 to make their first spontaneous visit to the Department of Psychiatry in the Health Service Center ofTokyo University. The number of patients amounted to 0.60% of thc total student enrollment du ring the period mentioned. Tbc sufTerings which motivated thcir visits could be phenomenally divided into two sectors. The first sector was related to the individual problems of thc students and could be subdivided into somatic and psychic spheres. To the other sector belonged the social or intersubjective relationships with either a generalora special point of reference. The majority of cases (ca. 70% of all patients) fell into thc individual sec· tor. Some reasons for this distribution are discussed. Among the patients there was a large percentage of freshmen. This seems to bc due to the internal and external milieu changes caused by entering the university life. The ICD-9 diagnosis showed that ca. 80% of the patients exhibited Neurotic disorder and Adjustment reactions. This raises the question of applicability of ICD-9 to minor ailmcnts, frequent among the c1ients of a Student Health Center. The dominant source of troubles motivating students to scek psychiatrie help appeared to be problems connected with the academic life, like entrance into the university, examinations, choicc of field of study, and graduation.

Einleitung

In der folgenden Arbeit sollen unsere Befunde bez. des psychischen Gesundheitszustands von Universitätsstudenten sowie unsere therapeutischen Maßnahmen erörtert werden. Dabei orientieren wir uns an den von den Patienten anläßlich der Konsultation der psychiatrischen Studentenambulanz geklagten Beschwerden. Bisher liegen die Ergebnisse einer Reihe epidemiologischer Untersuchungen über Studenten mit psycholo-

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 59 (1991) 228- 233 © GeorgThieme Verlag Stuttgart· New York

University

Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit wurden die Beweggründe der 88 Studenten untersucht, die sich im Zeitraum eines Jahres von April 1987 bis März 1988 aus eigenem Antrieb erstmalig in der psychiatrischen Abteilung der Studentenambulanz der Tokyo-Universität vorstellten. Die Klientenzahl betrug 0,6 % der gesamten Studentenzahl im Untersuchungszeitraum. Die zur Konsultation der psychiatrischen Beratungsstelle führenden Leiden der Studenten wurden phänomenologisch in zwei Bereiche unterteilt: Der erste Leidensbereich umfaßte die individuellen Probleme der Studenten, weIche in eine somatische und eine psychische Sphäre gegliedert werden konnten. Unter dem anderen Leidensbereich wurden die mitmenschlichen bzw. intersubjektiven Konflikte subsumiert, bei denen ein allgemeiner von einem speziellen Bezug abgegrenzt wurde. 70% der absoluten Probanden konnten dem individuellen Leidensbereich zugerechnet wer· den, wofür die wesentlichen Gründe diskutiert werden. Auffallend war das zahlenmäßig überwiegende Betroffensein von Studenten im ersten Universitätsjahr, wobei die inneren und äußeren Milieuveränderungen beim Eintritt ins Hochschulleben offenbar eine entscheidende Rolle spielen. Entsprechend den Diagnosekriterien des ICD-9 zählten ca. 80 'y., der Patienten zur Gruppe der neurotischen Störungen und Anpassungsstörungen, wobei sich die Frage nach der prinzipiellen Anwendbarkeit der ICD-9 auf mäßig ausgeprägte Schweregrade psychischer Alterationen stellt, wie sie bei Patienten der Studentenambulanz in der Regel vorliegen. Als die wichtigste, die Probanden zum Aufsuchen der ärztlichen Beratungsstelle motivierende Leidensquelle ließen sich Probleme des akademischen Lebens, wie Studienbeginn, Prüfungen, Fachwahl und Studienabschluß feststellen.

gischen und psychiatrischen Problemen vor, in denen die in der Studienzeit auftretenden psychischen Schwierigkeiten unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen Zustandsbilder und ihrer Häufigkeit aufgegriffen wurden (1,4, 5, 7, 9-15). Unsere Studie fokussiert die vorgebrachten Klagen der Patienten und deren Hintergründe, insofern es sich um Spontananmeldullgen der Betroffenen aus eigener Initiative bei der psychiatrischen Beratungsstelle handelte, wobei diese Studenten zumeist als klinische Fälle im Sinne von Smith (12) angesehen werden konnten. Als Vergleichsarbeiten zum Thema der psychischen Gesundheit der eine Beratungsstelle bzw. Therapie •

Ein Teil der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit wurde auf dem Weltkongreß in Athen vorgetragen.

~.

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1 Psychiatrie Research Institute ofTokyo 2 Department ofPsychiatry in Health Service Center ofTokyo

Fortschr. Neurol. Psychiat. 59 (1991)

Aspekte psychischer Störungen heijapanischen Studenten

Tab. 1 Leidensbereiche und Hauptklagen bzw. Motivationen der Hilfesuchenden Leidensbereiche

Material und Methode Die Untersuchung umfaßte 88 Studenten, die im Zeitraum eines Jahres - vom I. April 1987 bis zum 31. März 1988 - erstmalig und aus eigener Initiative die psychiatrische Abteilung der Beratungsstelle der Tokyo-Universität (Department of Psychiatry in Health Service Center ofTokyo University) aufsuchten. Die untersuchten Patienten waren zwischen 18 und 26 Jahren alt, das Durchschnittsalter betrug 21,2 Jahre.

Hauptklagen bzw. unmittelbare Motivationen der Hilfesuchenden

somatisch

anfallsweise auftretende Greifschwäche, Lähmungsgefühl an den Extremitäten, Schwindel mit Artikulationsstörung, Ohnmachtsanfall, Schlafstörung, Somnambulismus. Übelkeit, Ohrensausen, Augenschmerzen, Kopfweh, HitzegefUhl im Kopf, Benommenheit, Atemnot mit Angst, HarnretentionsgefUhl mit Unruhe

psychisch

Teilnahmslosigkeit, emotionale Labilität, Angst vor Körpergewichtszunahme, Psychose, Examen und Verlust des Studienziels, Ratlosigkeit betr. Fachwahl und Berufswahl, Selbstunsicherheitsgefilhl, Konzentrationsschwäche, Zwangsvorstellung und -handlung

speziell

Konflikt mit Freund oder Freundin, Vater oder Mutter, Kommiliton(inn)en und Lehrern

allgemein

Kontaktschwierigkeit mit Kommilitonen, Unsicherheit betr. Eintritt in einen Studentenclub, Spannung in Vorlesungen und Seminaren und bei Studentenzusammenkunften, soziale Phobie und Blickphobie

individuell

Auf eine geschlechtsspezifische Unterscheidung der erfaßten Problemkreise wurde verzichtet, da der Anteil der weiblichen Klienten nur 11 Personen betrug. Bei den vom Verfasser selbst nicht betreuten Studenten griff die Untersuchung im wesentlichen auf die Dokumentation der Beratungen zurück. Es sei betont, daß lediglich die Studienzeit als Lebensphase im Querschnitt ohne Berücksichtigung allgemein biographischer und persönlichkeitsspezifischer Gesichtspunkte Untersuchungsgegenstand war. Ergebnisse und Diskussion

1. Daten zur Inzidenz: Neuerkrankungsziffer entsprechend den freiwilligen Erstkonsultationen Im obengenannten Zeitraum erschienen insgesamt 96 Probanden zur Erstuntersuchung, was einem Anteil von 0,65 % der Gesamtstudentenzahl entsprach. Abgesehen von 8 Patienten, welche in Begleitung von Eltern bzw. Kommilitonen oder aufgrund der Überweisung eines Psychiaters vorstellig wurden, baten 88 Studenten (0,6% bezogen auf die Gesamtzahl der Studenten) spontan und ohne Vermittlung durch Dritte um psychiatrischen Beistand. Der jährliche Prozentsatz der erstmals aus eigenem Antrieb die psychiatrische Beratungsstelle aufsuchenden Studenten schwankte im Verlauf der letzten 5 Jahre in nur geringem Umfang und betrug 1985 und 1986 0,59 %, 1984 0,56%, 19830,65 'x, und 19820,67%. In einem Bericht der Universität Cambridge (5), deren Immatrikuliertenzahl um ca. 50% unter der der Tokyo-Universität liegt, wird der Prozentsatz der erstmalig beim Gesundheitsdienst der Universität freiwillig um psychiatrische Hilfe bittenden Studenten im Zeitraum von 1957 bis 1958 analysiert und mit ca. 0,6% der Gesamtstudentenzahl beziffert. Dieses Ergebnis stimmt mit dem unserer Studie überein. Die Häufigkeit kann demnach als ein repräsentativer Index der Klientenzahl betrachtet werden. In den epidemiologischen Untersuchungen amerikanischer Autoren (9, 12) werden Schätzungen der klinisch relevanten Fälle psychisch gestörter Studenten mit ca. 10% jährlich angegeben. Falls eine solche Frequenz der Behandlungsbedürftigen auch bei den Studenten der TokyoUniversität zu erwarten wäre, dürfte unsere Probandenzahl von 0,6% die Grenze unserer psychiatrischen Tätigkeit in der auf die spontan Hilfesuchenden ausgerichteten Studentenberatung anzeigen.

mitmenschlich

2. Klassifikation der Hauptklagen Die von den unser Institut aufsuchenden Studenten geäußerten Klagen ließen sich unter phänomenologischen Gesichtspunkten in zwei Hauptgruppen (Tab. I) einteilen. Der erste Problemkreis umfaßt die intraindividuellen Nöte der Studenten, welche in eine somatische und eine psychische Komponente differenziert werden konnten. Unter dem anderen Problemkreis wurden die zwischenmenschlichen respektive intersubjektiven Konflikte subsumiert und in solche mit einem allgemeinen bzw, einem speziellen Bezug unterschieden. Zur Differenzierung gestörter individueller und mitmenschlicher Bewältigungsstrategien in Tab, I ist zu bemerken, daß hier keine psychopathologischen Zustandsbilder, sondern lediglich die von Probanden während des Erstinterviews angegebenen Hauptklagen und die zur ärztlichen Beratung führenden direkten Motive aufgeführt werden. Ein Klient mit einer Klage, die entsprechend der obigen Klassifikation beispielsweise im somatischen oder allgemeinen mitmenschlichen Bereich rubriziert wird, kann also bez. des psychischen Zustandsbilds ängstlich oder teilnahmslos erscheinen. Ein Vergleich der Probandenzahl in beiden Leidensbereichen zeigt, daß sich 61 Studenten (Tab. 2) dem intraindividuellen Problemkreis und 27 dem zwischenmenschlichen zuordnen ließen, d. h. 70% der Hilfesuchenden wurden durch Schwierigkeiten in ihrer persönlichen Sphäre zur psychiatrischen Konsultation und/oder Therapie veranlaßt, woge-

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aufsuchenden Studenten können nach unserem Kenntnisstand allein die Untersuchungen über die Studenten der Chicago-Universität von Winer et al. (16) und über die finnischen Studenten von Niemi (8) genannt werden.

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M. Uno, E. Ando

Fortsehr. Neuro!' Psychiat. 59 (1991) T8b.2

Klientenzahl nach Leidensbereichen und Semestern

2

Semester

3

4

5

6

3

3

4

6

2

4

7

8

9

10

11

12

13

16

Summe

Leidensbereich somatisch

5

3

psychisch

3

5

speziell

2

allgemein

6

2

16

10

3

25

2

individuell

5

2

3

2

36

2

10

2

17

mitmenschlich Summe

2

8

11

7

9

7

5

2

7

2

2

88

gen nur 30 % aufgrund des Drucks intersubjektiver Konflikte unser Institut aufsuchten. Es wurden folgende Ursachen für diese Gewichtung der Problemkreise, d. h. fUr das doppelt so häufige Prävalieren individueller Probleme angenommen:

Dem psychischen Problemkreis sind 36 Fälle (41 %) zuzuordnen. Sie repräsentieren die zahlenmäßig größte Gruppe der vier Leidensbereiche. Sie äußerten vorrangig Beschwerden wie Angst, Teilnahmslosigkeit, Ratlosigkeit usw..

a)

Zur Gruppe des mitmenschlichen Leidensbereichs in Tab. I ist anzumerken, daß dieser mit 27 Fällen bzw. 31 % relativ wenige Probanden umfaßt. Es bestanden hier bei 10 Betroffenen klar umrissene Partnerkonflikte, bei denen Freund bzw. Freundin altersentsprechend als Partner die wichtigste Position einnahmen. 17 Probanden suchten unabhängig von einer definierten partnerschaftlichen Beziehungsstörung aufgrund allgemeiner zwischenmenschlicher Beziehungsprobleme psychiatrische Hilfe, von denen wiederum neun als soziale Phobie diagnostiziert wurden, worauf weiter unten noch einzugehen ist.

b)

c)

Die in Tab. I erfaßten Symptome legen nahe, daß die im individuellen Bereich zu Tage tretenden Disharmonien eher von den Betroffenen als krankhaft erlebt werden als Interaktionsstörungen auf dem mitmenschlichen Sektor. Das persönliche Leidensgefühl führt dann eher zum Aufsuchen der studentischen Beratungsstelle. Der Bereich der interaktionalen Konflikte schließt autistische, kontaktschwache und phobische Verhaltensweisen ein, welche an sich zu einem sozialen Vermeidungsverhalten fUhren und die Motivation zur freiwilligen Vorstellung in einer psychiatrischen Ambulanz oder Klinik reduzieren. Im allgemeinen ist, verglichen mit der Relevanz zwischenmenschlicher Störungen, ein größeres Interesse der Studenten an ihren persönlichen, unter dem Parameter der Klagen im individuellen psychischen Bereich in Tab. I subsumierten Problemen zu registrieren (Prüfungen, Fachwahl, Berufs- und Stellenbewerbung), weshalb auf diesem Sektor häufiger psychische Störungen für den Betroffenen manifest werden.

Im Hinblick auf therapeutische Maßnahmen ist der unter b) erwähnte ätiologische Aspekt von besonderem Interesse, da es sich bei den Sozialkontakt meidenden Patienten in unserer Untersuchung um Studenten handelte, die sich in einer Prodromalphase ernsthafter psychischer Störungen befanden und/oder erfolglos den Studienabschluß hinausschoben. Ein möglicher Weg psychiatrischer Annäherung und Intervention in dieser Zielgruppe stellt eine der bedeutendsten künftigen Aufgaben der Studentenambulanz dar. Der Aufschlüsselung in somatische und psychische Klagen in Tab. I ist hinzuzufügen, daß sich Symptome finden, die zunächst rein somatischer Genese zu sein scheinen, wie z. B. Übelkeit, Ohrensausen, Augenschmerzen usw.. Die betroffenen Studenten suchten jedoch die psychiatrische Beratungsstelle nach vorheriger - u. a. nervenärztlicher - Behandlung auf, nachdem dasselbe Symptom bereits in ihrer Gymnasialzeit aufgetreten war; die Beschwerden wurden von uns als psychogen verstanden. Es bleibt festzuhalten, daß die Probanden mit Klagen im somatischen Bereich zumeist unter verschiedenen psychosomatischen Beschwerden sensomotorischer und/oder vegetativer Natur litten.

In Tab. 2 wird die Patientengruppe nach dem Semester und nach den vier Leidensbereichen aufgeschlüsselt dargestellt. Studienanfänger, d. h. Erst- und Zweitsemestrige machten 26 Fälle (ca. 30%) aus, was in Übereinstimmung mit den Ergebnissen anderer Autoren (I, 3, 12) steht, die ebenfalls auf die quantitativ dominierende Rolle dieser Gruppe in der psychiatrischen Studentenberatung hinwiesen. Ursächlich dürften dieser Tatsache die mit dem ersten Schritt vom Gymnasium zur Hochschule verbundenen Veränderungen im inneren und äußeren Milieu zugrunde liegen. Davy (5) arbeitete einige auch für das japanische Studentenleben zutreffende Alterationen heraus, mit denen Studienanfanger konfrontiert werden und deretwegen sie verunsichert werden können, so z. B. die Abnahme der persönlichen Verantwortlichkeit und Relevanz, die Reduktion disziplinarischer Kontrollen und die Unvertrautheit mit den universitären Lehrmethoden. Insbesondere zwingt ein anspruchsvolles Aufnahmeexamen, wie das der Tokyo-Universität, die Schüler zu einer eindimensionalen Lernmethode, welche sich grundsätzlich von den Studienanforderungen an der Hochschule selbst unterscheidet. Die methodisch verschiedenartigen Anforderungen des Lernvorgangs können die Studienanfänger psychisch destabilisieren.

3. Diagnose der Probanden In Tab. 3 wird eine Zuordnung der vier Leidensbereiche unserer Patienten nach den Diagnosekriterien der ICD-9 vorgenommen.

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Aspektepsychischer Störungen beijapanischen Studenten Klientenzahl nach ICD-9 und Leidensbereichen Leidensbereiche Diagnose

neurotische Störungen

Persönlichkeitsstörungen

Angstzustand Hysterie Phobie Anankasmus neurotische Depression Hypochondrie

individuell

mitmenschlich

somatisch

speziell alIgemein

psychisch

11

4 1

2

1

stellen, in Frage. Dies trifft in ähnlicher Weise rur den Einsatz der ICD-9 zu.

3 9

3

48

2

2

12

1 2

9

Schizoidie Anankasmus

Aerophagie Anorexia nervosa Hyposomnie Somnambulismus akute Belastungsreaktion Anpassungsstörung Kulturschock Schizophrenie endogene Depression Epilepsie andere total

1 1 3 1 6 1

1 2 1 2

36

25 61

10

231

17 27

Das Gros der Studenten (21 Fälle bzw. 24%) war unter der Diagnose adjustment reaction zu subsumieren, gefolgt von 18 Patienten mit anxiety states. Insgesamt 48 Probanden gehörten zur Gruppe der neurotischen Störungen. Die Gesamtzahl der betreuten Studenten mit den Diagnosen neurotische Störungen, Anpassungsstörung und Kulturschock, der als eine Art von Anpassungsstörung verstanden werden kann, betrug 70 Fälle entsprechend einem Prozentsatz von 79,5 % des Klienteis in toto. Die Häufigkeitsverteilung der Diagnose gemäß ICD-9 in unserer Studie deckt sich mit den Befunden anderer Studentengesundheitsdienste (I, 5, 7, 8, 13, 16). Nach Stang/er (13) erreichen z. B. die als adjustment disorder nach DSM-III diagnostizierten Probanden in der psychiatrischen Studentenberatung der Universität Washington einen prozentualen Anteil von 29 % der insgesamt dort Betreuten. Im Fall der Universität Cambridge (5) habe die Diagnose anxiety state eine Quote von 40 % erreicht. Im allgemeinen nahmen die Krankheitszustände unserer Patienten wie auch der Vergleichsgruppen in den genannten Berichten aus den verschiedenen Studentenambulanzen keine ausgeprägten klinischen Schweregrade an. Es kam zumeist nach einigen Beratungssitzungen mit oder ohne medikamentöse Unterstützung zur Beruhigung und/oder Adaptierung der betreuten Studenten. Arnstein (2) bemerkt, daß eine Einteilung nach den Kriterien des DSM-III für die Erfassung schwerer gestörter Individuen adäquat sei und stellt infolgedessen die sinnvolle Anwendbarkeit des DSM-III bei den in milderem Ausmaß Betroffenen, die die Hauptgruppe der in der psychiatrischen Studentenberatung Betreuten dar-

Die Bezugnahme auf das Diagnosesystem des DSM-III oder der ICD-9 im Umgang mit der Klientel der psychiatrischen Studentenambulanz der Universität erweist sich bei der überwiegenden Zahl der Patienten als unzureichend im Hinblick auf eine differenzierte Diagnose. Die charakteristischen Probleme der Studenten können nicht aus einer so getroffenen diagnostischen Klassifizierung mit allen Schattierungen herausgearbeitet werden. Falls eine andere, feiner differenzierte Systematik für psychisch schwächer Gestörte entwickelt werden könnte, die diesem Mangel begegnen würde, böte sie sowohl Vorteile für eine angemessene Zusammenarbeit des behandelnden Personals verschiedener Fachrichtungen als auch für die vergleichenden Untersuchungen der psychiatrischen Probleme der Studenten. Ausgehend von diesen Überlegungen wird die Kombination der in dieser Studie vorgenommenen Klassifizierung nach den vier Leidensbereichen mit der diagnostischen Systematik der ICD-9 von uns als ein Testentwurfkonzipiert. Ho//man (6) legte eine unter praktisch-therapeutischem Aspekt interessante Klassifizierung rur die emotionell gestörten Studenten vor, indem er sie je nach den von ihnen erlebten Krisen in drei Gruppen einteilte und diese entsprechend benannte: die von der Situation provozierte Krise, die von Entwicklungsproblemen herrührende Krise und die aus psychopathologischen Symptomen entstandene Krise. Zur kombinierten Einteilung nach ICD-9 und den vier Leidensbereichen in unserer Studie sind folgende Ergebnisse festzuhalten: Von den 21 Patienten mit Anpassungsstörungen nehmen die Studenten mit individuellen psychischen Klagen wie Teilnahmslosigkeit, Angst und Verlegenheit als Reaktion auf ihre Anpassungsschwierigkeiten im Studentenleben die erste Stelle ein. Von den Probanden mit Anpassungsstörungen waren die mit Disharmonien mit einer Geliebten dem speziellen mitmenschlichen Leidensbereich zuzuordnen, während die im allgemeinen mitmenschlichen Leidensbereich Hilfesuchenden, wie in Tab. I dargestellt, über Kontaktschwierigkeiten, Verlegenheit und Spannung klagten. Die Patienten mit Angstzuständen im individuellen psychischen Leidensbereich äußerten Angst bzw. Verlegenheit vor den zumeist dem Studentenleben eigentümlichen in Tab. I aufgeführten Gegebenheiten. Von den zum mitmenschlichen Leidensbereich Gehörenden mit der Diagnose Angstzustand berichteten 2 Studentinnen über beunruhigende Konflikte mit dem Vater, ein Student wurde von der übermäßigen Sorge um die erkrankte Mutter gepeinigt. Zwei Fälle von Phobie im speziellen mitmenschlichen Leidensbereich wurden diagnostisch als Psychosephobie eingeordnet, während 9 Patienten im allgemeinen mitmenschlichen Leidensbereich als der sozialen Phobie zugehörig betrachtet wurden. In der japanischen Psychiatrie besteht ein besonderes Interesse rur das Problem der sozialen Phobie, die mit großer Häufigkeit besonders bei jungen Leuten in Form der Menschenscheu zu registrieren ist. Im typischen Fall be-

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Tab. 3

Fortsehr. Neurol. Psychiat. 59(1991)

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M. Uno. E. Ando

Tab. 4 Klientenzahl nach ICD-9 und Semestern 2

Semester

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

16

total

Diagnose

Persönlichkeitsstörungen

Angstzustände Hysterie Phobie Anankasmus neurotische Depression Hypochondrie

3

3

3 1 2

1 2

2 1 2

2

1 2

18 1 11 3

2

6 9

2

2 1 1

Schizoidie compulsive person. dis.

Aerophagie Anorexia nervosa Hyposomnie Somnambulismus akute Belastungsreaktion Anpassungsreaktion Kulturscnock Schizophrenie endogene Depression Epilepsie andere total

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1

2

1 2

5

3

1 2

3

10

8

11

2

3 1 1 21 1 1 2 1 3

2

1

16

7

9

7

5

2

7

2

2

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richtet der Patient, er (oder sie) könne anderen aus Angst, selbst einen unangenehmen Blick zu haben und damit andere verletzen zu können, nicht in die Augen schauen. Im Beisammensein mit Mitmenschen werde durch die eigene bloße Anwesenheit ein für die anderen beunruhigender Druck ausgeübt, weshalb er sich stark gequält fühle. Wie bereits erwähnt wurde, stellt die Frage der ärztlichen Versorgung solcher Fälle von Phobien, die keine Beratungsstelle aufsuchen und als Repetenten in der Hochschule verbleiben, eine der wichtigen künftigen Aufgaben der psychiatrischen Betreuung von Studenten dar.

Dritt- und Viertsemestrige mit Angstzuständen und Anpassungsstörungen stellten mit I I Patienten eine nicht unbedeutende Gruppe dar. Die psychische Beunruhigung der betroffenen Studenten der Tokyoer Universität rührte vermutlich von der Notwendigkeit der Studienfachwahl nach Abschluß der allgemeinen Ausbildung in diesem Jahrgang her.

In der vorliegenden Untersuchung stellten wir erwartungsgemäß nur wenige Psychosen fest, da entsprechend den Einschlußkriterien nur die aus eigenem Antrieb Hilfesuchenden erfaßt wurden. Hier wird auch eine Grenze eines psychiatrischen Dienstes für Studenten deutlich, der sich die Betreuung der sich freiwillig Anmeldenden zur Aufgabe macht. Es stellte sich nur ein schizophrener Patient ein, der aufgrund eines Zwangssymptoms vorstellig wurde und bei dem Symptome ersten Ranges zu beobachten waren.

Bei Fällen von sozialer Phobie treten die Anzeichen in der Regel schon in der Gymnasialzeit auf, der Lei· dcnsdruck schaffende Zustand nimmt dann einen chronischen Verlauf. Auch hier wird die Konsultation eines Psychiaters durch die für das Studentenleben eigentümliche Streßsi· tuation initiiert.

Drei Studenten, die unter dem Hem "andere" erfaßt wurden, erschienen alle jeweils nur ein einziges Mal. Sie klagten über ein Kopftrauma in der Anamnese, Schwindelgefühle etc. Ein Proband mit endogener Depression unternahm einen Suizidversuch. In Tab. 4 kommt die Patientenverteilung nach Diagnose und Semester zur Darstellung. Patienten mit der Diagnose Anpassungsstärung häuften sich unter den Studienanfängern, was, wie erwähnt, in Beziehung mit den Veränderungen des inneren und äußeren Milieus im Rahmen des Wechsels vom Gymnasium zur Hochschule stehen dürfte.

Im allgemeinen ist die Symptombildung von Angstzustand und Anpassungsstörung situationsabhängig, wobei zumeist der Zusammenhang von Situation-Symptombildung-Besuchsmotivation unschwer zu erkennen ist.

4. Hintergründe der Leiden Bei 15 Patienten unserer Studie wurden die Veränderungen der Lebensführung bei Studienbeginn im Sinne einer symptomprovozierenden Situation wirksam. Auch die Frage der Fach- und Berufswahl spielt eine bedeutende Rolle für die psychische Gesundheit. Die sich vor dem Studienabschluß einstellende Unruhe angesichts der Verlegenheit bei der nun anstehenden Berufswahl, der Entscheidungsdruck bei der Wahl des Studienfachs nach der allgemeinen Ausbildung oder die Angst vor dem Eintritt in das Erwerbsleben wirkten als Katalysatoren psychischer Störungen bei 19 Klienten unserer Untersuchung. Nicht selten wurden auch die Prüfungen als destabilisierendes Moment wirksam. Das Semesterexamen führte bei 8 Studenten zur psychischen Beeinträchtigung, die Vorbereitung der Dissertation

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neurotische Störungen

Fortschr. Neurol. Psychiat. 59 (1991)

Aspektepsychischer Störungen beijapanischen Studenten

Insgesamt waren es 60 Hilfesuchende in unserer psychiatrischen Studentenberatungsstelle, die anläßlich der dem Studentenleben eigentümlichen akademischen Ereignissen wie Eintritt, Prüfungen, Fachwahl und Studienabschluß erhebliche psychische Belastungen erlebten, welche sie zur freiwilligen Inanspruchnahme psychiatrischer Hilfe motivierten (68% der untersuchten Gesamtklientel). Dieser Befund stimmt mit Wechslers (14) Untersuchung an Universitäten in New England überein. Literatur I

3

4

6

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M. Uno. M.D.

Psychiatrie Research Institute ofTokyo 2-1-8, Kamikitazawa Setagaya-ku Tokyo 156 Japan

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und des Abschlußexamens beeinträchtigte ebenfalls 8, das juristische Staatsexamen 10 Patienten.

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[Aspects of psychologic disorders in Japanese students].

The present study discusses the reasons which moved 88 students during one year from April 1987 till March 1988 to make their first spontaneous visit ...
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