Übersichten Chirurg 2014 DOI 10.1007/s00104-013-2654-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

D. Seidel1 · P. Braß1, 2 · N. Sehnke1, 3 · V. Jakob1 · W. Eglmeier4 · E.A.M. Neugebauer1  CHIR-Net Studiengruppe 1 Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Fakultät für Gesundheit,

Universität Witten/Herdecke, Köln 2 Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie, Helios Klinikum Krefeld, Krefeld 3 Chirurgische Klinik I, Städtische Kliniken Neuss, Lukaskrankenhaus GmbH, Neuss 4 Zentrum für Klinische Studien (ZKS-UW/H), Universität Witten/Herdecke, Witten

Nutzenbewertung von Medizinprodukten in der chirurgischen Praxis Probleme und Lösungsmöglichkeiten

Innovationen in der Medizintechnik bieten ein großes Potenzial zur Verbesserung der Patientenversorgung. Eine unzureichende klinische Prüfung von Medizinprodukten vor ihrer Marktzulassung kann den Patienten jedoch auch gefährden. Innerhalb der letzten 7 Jahre ist in Deutschland ein Studiennetzwerk entstanden, welches die Durchführung qualitativ hochwertiger, multizentrischer, randomisierter, kontrollierter klinischer Studien in den operativen Fächern für die dringend erforderliche Nutzenbewertung vor und nach der Marktzulassung ermöglicht. Netzwerke und spezialisierte Kompetenzzentren bieten in Zusammenarbeit mit klinischen Einrichtungen eine Basis für Kooperationen.

Zulassung von Medizinprodukten bislang ohne Nutzenbewertung Europäische Richtlinien für aktive implantierbare medizinische Geräte und für Medizinprodukte [8] sowie für In-vitro-Diagnostika [5], umgesetzt im deutschen Medizinproduktegesetz, enthalten die recht-

lichen Anforderungen an das erstmalige Inverkehrbringen und die erstmalige Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Verkehrsfähige Medizinprodukte erhalten die CE-Kennzeichnung, wenn die grundlegenden Anforderungen des Medizinprodukterechts an Sicherheit, Leistungsfähigkeit und gesundheitliche Unbedenklichkeit erfüllt wurden. Dies muss im Rahmen der Konformitätsbewertung schriftlich dokumentiert werden. Welches Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen und in welchem Umfang dabei eine unabhängige Prüf- und Zertifizierungsstelle (Benannte Stelle) zu beteiligen ist, hängt vom potenziellen Risiko der Produkte ab. Die Regeln zur Klassifizierung sind detailliert im Anhang IX der EU-Richtlinie 93/42/EWG festgelegt [8]. Weder durch die EU-Richtlinie noch durch die nationale Gesetzgebung wird eine Zuordnung von Medizinprodukten zu festen Risikoklassen vorgenommen. Die Anwendung der Klassifizierungsregeln richtet sich im Einzelfall nach der Zweckbestimmung der Produkte und liegt daher in der Verantwortung des Herstellers. Dieser führt bezugnehmend auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch („intended use“) die Klassifizierung durch. Ei-

nen Überblick über die vier Risikoklassen der Medizinprodukte gibt . Abb. 1. Während in den USA der Nachweis des Nutzens eines neuen Produktes erforderlich ist [25], muss in der Europäischen Union (EU) lediglich seine Sicherheit und Funktionstauglichkeit belegt werden, um das CE-Zertifikat und damit den Marktzugang zu erhalten. . Abb. 2 stellt die wesentlichen Unterschiede zwischen dem europäischen und dem US-amerikanischen Zulassungsverfahren dar. Innerhalb klinischer Prüfungen von Medizinprodukten werden somit in der EU bislang Funktion und Sicherheit bei normalen Einsatzbedingungen entsprechend der Zweckbestimmung, nicht jedoch die Wirksamkeit wie bei Arzneimitteln nachgewiesen. Die Zulassung neuer Produkte erfolgt nach den europäischen Richtlinien und dem Medizinproduktegesetz produkt- und nicht indikationsspezifisch (§ 6, 7 und 37 Medizinproduktegesetz in der Fassung vom 19.10.2012). Mit der Zulassungsentscheidung ist kein Nutzennachweis verbunden. Spätestens im Rahmen der Entscheidung zur ErstattungsDie Autoren D. Seidel und P. Braß haben zu gleichen Teilen zu der Arbeit beigetragen. Der Chirurg 2014 

| 1

Übersichten Klasse I

Klasse IIa

Klasse IIb

Klasse III

ca. 68%

ca. 21%

ca. 9%

ca. 2%

• keine methodischen Risiken

• Anwendungsrisiko

• geringer lnvasivitätsgrad

• kurzzeitige Anwendungen im Körper (im Auge, intestinal, in chirurgisch geschaffenen Körperöffnungen)

• kein oder unkritischer Hautkontakt • vorübergehende Anwendung ≤ 60 Minuten

• Unterklassen: • s - sterile Klasse I Produkte

• mäßiger lnvasivitätsgrad

• kurzzeitige Anwendung ≤ 30 Tage, ununterbrochen oder wiederholter Einsatz des gleichen Produktes

• erhöhtes methodisches Risiko

• entspricht hohem Gefahrenpotential

• systemische Wirkungen

• besonders hohes methodisches Risiko

• Langzeitanwendungen • nicht invasive Empfängnisverhütung

• zur langfristigen Medikamentenabgabe

• langzeitige Anwendung ≥ 30 Tage, sonst wie bei kurzzeitig

• lnhaltsstoff tierischen Ursprungs und im Körper unmittelbare Anwendung an Herz, zentralem Kreislaufsystem oder zentralem Nervensystem

• m - Klasse I Produkte mit Messfunktion

EU

• invasive Empfängnisverhütung und natürlich invasive Empfängnisverhütung

Abb. 1 9 Risikoklassifizierung von Medizinprodukten innerhalb der Europäischen Union gemäß Anhang IX der Richtlinie 93/42/EWG. Die Prozentangaben beziehen sich auf die in den Jahren 2009 bis 2012 an das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) gemeldete Risikoklassen

Prüfung dezentral durch privatwirtschaftliche ,,benannte Stellen" Klinische Studien nur für implantierbare Medizinprodukte und Produkte der Risikoklasse lll grundsätzlich notwendig Nachweis von Sicherheit und Leistungsfähigkeit

Zulassung durch FDA Klinische Studien grundsätzlich notwendig Nachweis von Sicherheit und Leistungsfähigkeit Zulassung häufig mit Auflagen

Zulassung i.d.R. ohne Auflagen Dezentrale behördliche Überwachung nur in besonderen Fällen Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit nicht öffentlich zugänglich

Zentrale behördliche Überwachung des Marktes ist die Regel, b. B. Intervention Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit öffentlich im Internet zugänglich

USA

fähigkeit einer medizinischen Leistung durch die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) stellt sich jedoch die Frage nach dem Zusatznutzen eines Medizinproduktes. Dieser Zusatznutzen kann jedoch nur innerhalb von qualitativ hochwertigen Studien, idealerweise durch randomisierte, kontrollierte klinische Studien, erbracht werden. Im Bereich der Medizinprodukte liegen solche Studien jedoch nur in Einzelfällen vor, da sie inner-

2 | 

Der Chirurg 2014

halb der bisherigen regulatorischen Anforderungen nicht notwendig waren.

Zulassungsbedingungen für Medizinprodukte verschärft Bereits im Jahr 2010 wurde in Deutschland eine Angleichung der Leistungsbewertungen und der klinischen Prüfungen von Medizinprodukten an das Arzneimittelrecht vorgenommen, was die Zulas-

Abb. 2 9 Darstellung der Unterschiede der Zulassungsvoraussetzungen von Medizinprodukten zwischen den USA und der Europäischen Union (EU)

sungsbedingungen vor allem für Produkte höherer Risikoklassen (IIb und III) verschärft hat [2]. Für implantierbare Medizinprodukte und Produkte der Risikoklasse III sind klinische Studien grundsätzlich notwendig und es kann nur in begründeten Ausnahmen davon abgesehen werden. Insbesondere die jüngsten Ereignisse z. B. im Bereich der Hüftprothesen [4], der Stents [3] und der Brustimplantate (PIP-Skandal Frankreich 2011) haben ge-

Zusammenfassung · Abstract zeigt, dass eine kontrollierte und qualitativ hochwertige Bewertung von Wirksamkeit, Sicherheit und Nutzen für eine nachhaltige Verbesserung der Patientenversorgung unerlässlich ist. Insbesondere der PIP-Skandal in Frankreich hatte eine starke Medienpräsenz (http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/ sw?sw=Medizinprodukte) und zog verstärkte Diskussionen sowie Konsequenzen nach sich. Die französischen Gesundheitsbehörden forderten damals schärfere Kontrollen für Medizinprodukte auf EUEbene. Die EU-Kommission forderte unangemeldete Inspektionen und eine Registrierung von Produkten zur Nachverfolgung und implementierte einen Sofortmaßnahmenkatalog (Dalli Immediate Action Plan; [7]), der bis 2014 umgesetzt sein soll. Am 26.09.2012 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine neue EU-Medizinprodukte-Verordnung vor, welcher das Ziel hatte, die entsprechenden Richtlinien und die zugehörigen Organisationsstrukturen zu aktualisieren [9]. Dieser Vorschlag wird jedoch als nicht ausreichend angesehen und es bestehen konkrete Forderungen zur Verbesserung der Qualität der klinischen Prüfung der Medizinprodukte, Zentralisierung der regulatorischen Prozesse in Europa, Einführung unabhängiger Bewertungsmethoden sowie nach mehr Transparenz des Bewertungsprozesses und der entsprechenden Ergebnisdarstellung [6]. Die neuen gesetzlichen Vorgaben werden dazu führen, dass in naher Zukunft qualitativ hochwertige Studien zur präklinischen und klinischen Bewertung für alle Medizinprodukte erforderlich werden. Dies betrifft sowohl den Markteintritt neuer Produkte als auch die klinische Überwachung danach.

Patientenrelevante Ziele müssen evaluiert werden Wissenschaftler, Patientenvertreter und auch die Krankenkassen sehen bei der Erhebung patientenrelevanter Daten innerhalb des Zulassungsverfahrens für Medizinprodukte Optimierungspotenzial. Eine reine Sicherheitsüberprüfung und ein Nachweis der Funktionsfähigkeit der technischen Innovation sind für den breiten Einsatz im therapeutischen Alltag

Chirurg 2013 · [jvn]:[afp]–[alp]  DOI 10.1007/s00104-013-2654-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 D. Seidel · P. Braß · N. Sehnke · V. Jakob · W. Eglmeier · E.A.M. Neugebauer    CHIR-Net Studiengruppe

Nutzenbewertung von Medizinprodukten in der chirurgischen Praxis. Probleme und Lösungsmöglichkeiten Zusammenfassung Die Marktzulassung von Medizinprodukten in Deutschland erfolgte bisher ohne eine explizit geforderte Nutzenbewertung. Folge davon ist ein Mangel an qualitativ hochwertigen Studien zum eindeutigen Nachweis des Patientennutzens medizinischer Innovationen. Bislang hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keine wirksamen Instrumente zur Beseitigung dieser unzureichenden Evidenzlage. Das Versorgungsstrukturgesetz gibt dem G-BA erstmals die Möglichkeit, einen Nutzenbeleg für medizinische Methoden zu erwirken. Mit der Erprobungsregelung haben die Medizinproduktehersteller zusätzlich die Möglichkeit, die Bewertung neuer und etablierter Behandlungsmethoden zu beantragen und den wissenschaftlichen Nachweis über den Nutzen von Medizinprodukten als Voraussetzung für die Auf-

nahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zu erbringen. Mit diesem erweiterten Handlungsspielraum steigen die Anforderungen an die Kliniker. Die Integration multizentrischer Studien in den chirurgischen Alltag ist und bleibt problematisch. Das Chirurgische Studiennetzwerk Deutschland (CHIR-Net) bietet durch etablierte Kooperationen methodischer Institutionen mit klinischen Einrichtungen die ideale Lösungsmöglichkeit für die Bewältigung der gestiegenen Anforderungen an Studien im Bereich der Medizinprodukte. Schlüsselwörter Klinische Studie · Medizinprodukte · Nutzenbewertung · Multizentrische Studien · Chirurgisches Studiennetzwerk

Assessment of the benefit of medical devices in surgical practice. Problems and possible solutions Abstract The market approval of medical devices in Germany does not yet require a benefit assessment. Thus, there is a lack of high quality studies that clearly prove the benefit of medical innovations. In the past, the Federal Joint Committee in Germany (G-BA) did not have the opportunity to adequately address this issue of lacking evidence. A law for the improvement of the care structure in the statutory health insurance offers the possibility for the G-BA to obtain evidence for the benefit of medical practice. With an integrated regulation for testing of medical devices the manufacturers have the option to apply for an assessment of new and established treatment methods and to provide scientific evidence for the benefit of medical devices as

nicht mehr ausreichend. Im Rahmen des Nachweises von Wirksamkeit und Sicherheit müssen insbesondere patientenbezogene Qualitätskriterien, sog. „patient-reported outcome“ (PRO) stärker in Studien einbezogen werden [15]. Über Endpunkte aus den Bereichen Lebensqualität, dem empfundenen Gesundheitszustand sowie der Zufriedenheit kann letztendlich nur

a requirement for inclusion in the catalogue of services of the statutory health insurance. However, this expanded scope of action is also a challenge for clinicians. The already existing problem of integrating multicenter clinical trials in the surgical routine will remain. The Surgical Study Network Germany (CHIRNet) offers an ideal way to cope with the increased requirements on studies in the field of medical devices through established partnerships with methodological institutions and practitioners in clinical settings. Keywords Clinical trial · Medical devices · Benefit assessment · Multicenter studies · Surgical trial network

der Patient selbst seine Einschätzung berichten. In Deutschland stellen die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) V die Bewertung des medizinischen Nutzens in das Zentrum der Verfahrensbewertung. Die Festlegung von Indikatoren für die Messung des Begriffs „Nutzen“ ist im Gesetz jedoch nicht zu finden. § 27 legt jedoch nahe, dass sich Der Chirurg 2014 

| 3

Übersichten Sektorenspezifische Bewertung der medizinischen Notwendigkeit:

Sektorenübergreifende Bewertung des Nutzens: • Patientenrelevante Endpunkte: Morbidität, Mortalität und (gesundheitsbezogene) Lebensqualität • Nutzen im Vergleich zu anderen Methoden gleicher Zielsetzung

• Relevanz der medizinischen Problematik • Spontanverlauf der Erkrankung • Diagnostische bzw. therapeutische Alternativen

Sektorenspezifische Bewertung der Wirtschaftlichkeit: • Kosten-Nutzen-Abwägung in Bezug auf den einzelnen Patienten und in Bezug auf die Gesamtheit der Versicherten (auch Folgekosten-Abschätzung)

• Kosten-Nutzen-Abwägung im Vergleich zu anderen Methoden

• Abwägung des Nutzens zu Risiken und Nebenwirkungen

die Anforderungen des SGB V über die Parameter Morbidität, Mortalität und Lebensqualität abbilden lassen. Die Umsetzung zur Forderung nach patientenrelevanten Zielgrößen und weitere Angaben zu diesen Endpunkten findet sich im Methodenpapier 3.0 des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG; [13]).

G-BA bewertet medizinische Methoden In Deutschland bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV; [10]). In Kapitel 2 seiner Verfahrensordnung hat der G-BA die Richtlinien zur Bewertung medizinischer Methoden niedergelegt [11]. Durch Antragsberechtigte kann bei der Geschäftsstelle des G-BA, unter bestimmten Vorrausetzungen, das Bewertungsverfahren für neue Methoden und bereits erbrachte Leistungen eingeleitet werden. . Abb. 3 gibt einen Überblick über die Bewertungskriterien des G-BA.

Veränderte Gesetzgebung durch Versorgungsstrukturgesetz Anfang 2012 ist das „Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung“, kurz Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG), in Kraft getreten [1]. Es enthält Maßnahmen, die die flächendeckende, bedarfs-

4 | 

Der Chirurg 2014

gerechte und wohnortnahe medizinische Versorgung der Bevölkerung verbessern und auch für die Zukunft sichern soll. Darüber hinaus soll den Patientinnen und Patienten der Zugang zu innovativen neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erleichtert werden, um deren Versorgungssituation zu verbessern. Gleichzeitig soll aber auch deren Schutz erhöht werden. Der Gesetzgeber hat darüber hinaus mit dem Versorgungsstrukturgesetz über § 137e SGB V die neue Möglichkeit für den G-BA geschaffen, Richtlinien zur Erprobung für Untersuchungsund Behandlungsmethoden zu beschließen. Dies ist möglich, wenn deren Nutzen noch nicht hinreichend belegt ist, sie jedoch das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative erkennen lassen (. Infobox 1). Der G-BA hat nun selbst die Möglichkeit, die Frage nach dem Nutzen einer neuen Methode einer Klärung zuzuführen. Dies stellt eine grundlegende Änderung zur bisherigen Rechtslage dar, bei welcher der G-BA eine neue Methode nur annehmen (Erlaubnisvorbehalt im ambulanten Bereich) oder – bei noch unzureichendem Nutzenbeleg – ausschließen (Verbotsvorbehalt im stationären Bereich) konnte. In seiner Verfahrensordnung hat der G-BA im 2. Kapitel §§ 14 bis 28 das Verfahren zur Schaffung und Umsetzung von Erprobungsrichtlinien nach § 137e SGB V im Detail geregelt [11]. Die Verfahrensordnung legt auch die in die Erprobung ein-

Abb. 3 9 Kriterien des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Bewertung neuer Methoden und bereits erbrachter Leistungen gemäß Verfahrensordnung, 2. Kapitel: Bewertung medizinischer Methoden

zubeziehenden Indikationen und Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung sowie die Anforderungen an die Durchführung, die wissenschaftliche Begleitung und die Auswertung der Erprobung fest. Die methodischen Anforderungen an die Studiendurchführung sollen hierbei unter Berücksichtigung der Versorgungsrealität zwar so ausgestaltet werden, dass sie hinreichend praktikabel sind. Für eine eindeutige Nutzenbewertung insbesondere von Medizinprodukten der Klassen IIb und III sind jedoch meist multizentrische randomisierte, kontrollierte, klinische Studien unerlässlich.

Antrag auf Erprobung jetzt auch durch Hersteller möglich Vor Einführung des Versorgungsstrukturgesetzes konnte die Überprüfung auf Erforderlichkeit von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zulasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, lediglich auf Antrag des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft oder eines Bundesverbandes der Krankenhausträger durchgeführt werden. Mit dem durch das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung eingefügten § 137e SGB V können die Hersteller oder Anbieter neuer Methoden eine Erprobung beim G-BA beantragen, wenn die

Infobox 1  Auszug aus der Erprobungsregelung nach § 137c und e Sozialgesetzbuch V

§ 137c Sozialgesetzbuch V Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus 1 ...Ergibt die Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode noch nicht hinreichend belegt ist, sie aber das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss eine Richtlinie zur Erprobung nach § 137e. (...)

§ 137 e Sozialgesetzbuch V Erprobung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden 1 Gelangt der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Prüfung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 oder § 137 c zu der Feststellung, dass eine Methode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist, kann der Gemeinsame Bundesausschuss unter Aussetzung seines Bewertungsverfahrens eine Richtlinie zur Erprobung beschließen, um die notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode zu gewinnen. (...) 2 Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in der Richtlinie nach Absatz 1 Satz 1 die in die Erprobung einbezogenen Indikationen und die sächlichen, personellen und sonstigen Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung im Rahmen der Erprobung. Er legt zudem Anforderungen an die Durchführung, die wissenschaftliche Begleitung und die Auswertung der Erprobung fest. (...)

Methode hinreichendes Potenzial für eine Erprobung bietet. Die Verfahrensordnung des G-BA legt die Kriterien für die Feststellung eines Potenzials einer Methode fest (. Infobox 2, [11]). Innerhalb von 3 Monaten nach Antragstellung muss der G-BA entscheiden, ob das Potenzial einer Methode festgestellt werden konnte und der Antrag auf Erprobung angenommen wird. Zur Entscheidungsfindung innerhalb der Methodenbewertung nutzt der G-BA die mit dem Antrag eingereichten und nach Evidenzkriterien ausgewerteten Unterlagen, selbst recherchierte Dokumente und die von einer externen wissenschaftlichen Institution (z. B. IQWiG und AQUA) er-

Infobox 2  Kriterien für die Feststellung des Potenzials einer Methode gemäß Kapitel 2: Bewertung medizinischer Methoden, § 14 Abs. 3 und 4 der Verfahrensordnung des G-BA (Stand 14.08.2013) Das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative kann sich etwa ergeben, wenn sie F aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass andere aufwendigere, für den Patienten invasivere oder bei bestimmten Patienten nicht erfolgreich einsetzbare Methoden ersetzt werden können, F die Methode weniger Nebenwirkungen hat, sie eine Optimierung der Behandlung bedeutet oder die Methode in sonstiger Weise eine effektivere Behandlung ermöglichen kann. Bei Bewertungen nach § 137c SGB V ergibt sich das fehlende Potenzial insbesondere dann, wenn der G-BA auf Grundlage der vorliegenden Evidenz positiv feststellt, dass sie schädlich oder unwirksam ist. Das Potenzial einer Erprobung ergibt sich ergänzend insbesondere dann, wenn zumindest so aussagefähige wissenschaftliche Unterlagen vorliegen, dass auf dieser Grundlage eine Studie geplant werden kann, die eine Bewertung des Nutzens der Methode auf einem ausreichend sicheren Erkenntnisniveau erlaubt.

stellte wissenschaftliche Expertise sowie die daraus resultierenden Empfehlungen. Die nach Abschluss der Beratungen erfolgende Beschlussfassung des G-BA wird durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG), welches die Rechtsaufsicht über den G-BA hat, abschließend geprüft.

Multizentrische Studien im chirurgischen Alltag problematisch Die Entwicklung der europäischen Gesetzgebung, die deutsche Umsetzung und die erweiterten Möglichkeiten des G-BA durch das Versorgungsstrukturgesetz stehen jedoch dem alltäglichen Arbeitsvolumen, einem hohen ökonomischen Druck in den Kliniken und einer engen personellen Kapazität in einzelnen Abteilungen gegenüber, welche grundsätzliche Hemmschwellen für die Durchführung klinischer Studienprojekte darstellen. Erhöh-

te Qualitätsanforderungen für klinische Studien mit Medizinprodukten bedingen einen zusätzlichen Durchführungsaufwand. Bereits jetzt entscheiden sich viele Kliniken nach einer Machbarkeitsanalyse innerhalb der zuständigen chirurgischen Abteilungen gegen eine Studienteilnahme. Studien sind in Deutschland nicht in den klinischen Arbeitsalltag integriert. Die Rekrutierung von Patienten in multizentrische klinische Studien verläuft daher bisher oft schleppend. Es bedarf verstärkter Unterstützung der Kliniken und Praxen, welche die ausführende Instanz der Neuregelungen sind.

Klinische Studien als Investitionsrisiko für Hersteller Die Medizinproduktebranche ist geprägt von vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen mit niedrigen Umsätzen. Die Finanzierung von Wirksamkeitsprüfungen und Nutzenbewertungen stellt für viele Unternehmen ein Problem dar. Die Hersteller befürchten übermäßige Belastungen, finanzieller (Studienkosten, Gebühren) oder zeitlicher (langwierige Kosten-Nutzen-Analysen, Dauer des Bewertungsverfahrens) Art. Es besteht somit die Gefahr, dass gerade bei kleinen bis mittleren Unternehmen potenzielle Innovationen nicht mehr bis zur Marktreife gelangen. Dringend notwendige Innovationen könnten den Patienten somit vorenthalten bleiben. Ein weiterer Kritikpunkt an der Erprobungsregelung ist die Tatsache, dass Mitbewerber mit Konkurrenzprodukten von den Ergebnissen der durchgeführten Studien profitieren, ohne jedoch selbst einen Beitrag geleistet zu haben. Investitionen der Medizinproduktehersteller sind innerhalb der Erprobungsregelung nicht geschützt. Die veränderte Gesetzgebung durch das Versorgungsstrukturgesetz eröffnet der Industrie zwar die lange geforderte Beteiligung im G-BA und somit an der Gestaltung des GKV-Leistungskatalogs, dem stehen jedoch Befürchtungen bezüglich eines erhöhten Aufwandes und anfallender Kosten gegenüber. Viele Unternehmen fürchten die „amerikanischen Verhältnisse“, denn am strengeren, zentralisierten Zulassungsverfahrens der FDA (US Food and Drug Administration) wird von SeiDer Chirurg 2014 

| 5

Übersichten

Abb. 4 9 CHIR-Net-Kooperationskliniken in Deutschland [17]

ten der Industrie häufig der im Vergleich zum deutschen und europäischen CEZertifizierungsverfahren ungleich höhere finanzielle und zeitliche Aufwand kritisiert.

Die Lösung ist Vernetzung Die erfolgreiche Implementierung medizinisch-technischer Innovationen in die klinische Praxis ist nur durch Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen und mit den Medizinprodukteherstellern möglich. Studiennetzwerke stellen Kompetenzen zur Verfügung und verbinden Partner aus den verschiedensten Professionen. Notwendig ist eine Infrastruktur, welche sowohl kompetenter Ansprechpartner für Firmen als auch verlässlicher Partner für die klinisch tätigen Chirurgen ist.

CHIR-Net als Partner für multizentrische Studien Der erkannte Mangel an guten klinischen Studien in chirurgischen Fachge-

6 | 

Der Chirurg 2014

bieten und die spezielle Herausforderung an Studien, die operative Verfahren miteinander vergleichen, haben im Jahre 2003 zur Gründung eines eigenen Zentrums für die patientenorientierte Forschung durch das Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie geführt [20, 21]. Das Studienzentrum der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (SDGC) war der Ausgangspunkt für die Realisierung einer deutschlandweiten Struktur zur Vernetzung klinischer und methodischer Partner mit dem Ziel der Förderung einer multizentrischen chirurgischen Studienkultur. Das 2006 ergänzend gegründete und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung derzeit in einer zweiten Förderperiode unterstützte Chirurgische Studiennetzwerk (CHIR-Net) bietet die notwendige Infrastruktur für die Durchführung qualitativ hochwertiger klinischer Studien, welche den steigenden Anforderungen in Deutschland und Europa genügen. In einem Netzwerk von acht chirurgischen Regionalzentren (Berlin, Göttingen, Heidelberg, Lübeck, Mainz, Marburg, München und Witten/Herdecke-

Köln) mit insgesamt 321 Kooperationskliniken an 143 Standorten in Deutschland und weiteren europäischen Ländern können registrierte Studien innerhalb kurzer Zeit implementiert und durchgeführt werden (. Abb. 4, [17]). Gemeinsames Ziel dieser Zentren ist die patientenorientierte chirurgische Forschung, durch welche der Patient als Studienteilnehmer den Vorteil gezielterer Betreuung sowie der Behandlung mit neuen Methoden und/oder Medikamenten erhält. Eine im SDGC angesiedelte administrative Koordinationsstelle übernimmt die zentrale Steuerung der Aktivitäten des CHIR-Net. Der Schwerpunkt liegt auf multizentrischen (randomisierten kontrollierten) Studien, in denen operative Strategien und chirurgische Techniken, häufig gekoppelt mit Medizinprodukten, verglichen werden. Über aktuelle rekrutierende Studien berichtet fortlaufend eine Rubrik in der Zeitschrift Der Chirurg [22]. Zusätzlich zu chirurgisch relevanten Fragestellungen soll die Perspektive der Patienten in der Studienplanung analysiert und berücksichtigt werden. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, sowohl Studienideen als auch durchzuführende Projekte in das Netzwerk einzubringen. Eine Studie wird zur CHIR-Net-Studie, wenn sie in mindestens zwei der acht Standorte aktiv durchgeführt wird. Zudem muss die Studie national oder international registriert sein. Seit 2006 wurden insgesamt 25 Studien mit unterschiedlichen Rekrutierungsvolumina (insgesamt über 6100 Patienten) in das Netzwerk eingebracht. Hiervon stammen 7 Studien aus dem Medizinproduktebereich (. Tab. 1). Zukünftig wird vor allem die vermehrte Implementierung von Studien mit Medizinprodukten angestrebt. Ein besonderer Fokus liegt außerdem auf der Etablierung einer Studienkultur in mittleren und kleinen Kliniken. Um die Kliniker in vor allem nichtuniversitären Kliniken bei der aktiven Studiendurchführung zu unterstützen, wurde in der zweiten Förderperiode das Konzept der „flying study nurse“ (FSN) in sechs der acht Regionalzentren umgesetzt. Mit ihnen wird den regionalen Kliniken Unterstützung bei der administrativen Studiendurchführung (v. a. bei der Dokumentation) geboten [24]. Durch Etablierung und Aus-

Tab. 1  Aus dem Medizinproduktebereich wurden 7 von insgesamt 25 Studien in das Chir-

urgische Studiennetzwerk (CHIR-Net) eingebracht und werden bzw. wurden in den chirurgischen Regionalzentren unter Nutzung der dort vorhandenen Infrastruktur durchgeführt PROUD (Univ. Heidelberg) Start 04/2010 Status: in Auswertung Registrierung: DRKS00000390 BaFo (TU München) Start 08/2010 Status: in Auswertung Registrierung: NCT01181206 SAWHI-V.A.C. (Univ. Witten/Herdecke) Start 08/2011 Status: rekrutierend Registrierung: DRKS00000648 DiaFu (Univ. Witten/Herdecke) Start 12/2011 Status: rekrutierend Registrierung:DRKS00003347 ProNavic I (Univ. Lübeck) Start 12/2011 Status: rekrutierend Registrierung: DRKS00000171 ISAW (Univ. Witten/Herdecke) Start 07/2012 Status: terminiert Registrierung: DRKS00003498

NEUROS (Univ. Mainz) Start 06/2012 Status: rekrutierend Registrierung: NCT01585727

Prävention abdomineller Wundinfektionen: PROUD-Studie, eine randomisiert kontrollierte Studie Multizentrisch, randomisiert, kontrolliert/Fallzahl:1200 Patienten Standardbauchwandabdeckung mit Bauchtüchern vs. Abdeckung mittels ringförmiger Folie: eine Patienten und Beurteiler verblindete randomisiert-kontrollierte Studie Multizentrisch, randomisiert, kontrolliert/Fallzahl: 600 Patienten Behandlung subkutaner abdomineller Wundheilungsstörungen ohne Fasziendehiszenz nach chirurgischem Eingriff mittels vakuumassistierter Versiegelung im Vergleich zur üblichen Standardwundtherapie Multizentrisch, randomisiert, kontrolliert/Fallzahl: 600 Patienten Randomisiert, kontrollierte klinische Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit und des klinischen Nutzens der Unterdruckwundtherapie zur Behandlung von diabetischen Fußwunden im Vergleich zur Standardwundtherapie Multizentrisch, randomisiert, kontrolliert/Fallzahl: 464 Patienten Prospektiv dokumentierte multizentrische Pilotstudie zur perioperativen Evaluierung von chirurgischen Navigationsassistenzsystemen bei Lebertumoren Multizentrisch/Fallzahl: 100 Patienten Randomisiert, kontrollierte klinische Studie zur Untersuchung der Effektivität der Behandlung von latrogenen subkutanen abdominellen Wundheilungsstörungen nach chirurgischem Eingriff unter Nutzung des Therapieprinzips der „negative pressure wound therapy“ im Vergleich zur „standard conventional wound therapy“ in der klinischen Routine Multizentrisch, randomisiert, kontrolliert/Fallzahl: 251 Patienten “Continuous intraoperative monitoring of pelvic autonomic nerves during mesorectal excision to prevent urogenital dysfunction in rectal cancer patients” Randomisiert/Fallzahl: 188 Patienten

bau von Qualitätssicherung, Studienmethodik und Fortbildung im Bereich chirurgischer Studien wird das Netzwerk kontinuierlich weiterentwickelt und steht zur breiten Nutzung auch über den akademischen Bereich hinaus bereit [17]. Das vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) geförderte CHIR-Net ist das praktische Umsetzungsbeispiel für die Etablierung der notwendigen Infrastruktur zur Durchführung multizentrischer klinischer Studien im Medizinproduktebereich nach den Vorgaben der neuen Gesetzgebung.

CHIR-Net in Kooperation mit dem KKS-Netzwerk Ein wichtiger Bestandteil der wissenschaftlichen und praktischen Arbeit des CHIR-Net ist die Zusammenarbeit mit dem Netzwerk der Koordinationszentren für Klinische Studien (KKS-N), das aufgrund seiner studienspezifischen Struktur einen idealen Kooperationspartner zum chirurgisch-kompetenten CHIRNet darstellt [16]. Das KKS-Netzwerk ist ein Zusammenschluss von Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS) und Zentren für Klinische Studien (ZKS) an derzeit 18 Universitätskliniken in ganz Deutschland. Die Zentren haben sich die Aufgabe gestellt, klinische Stu-

dien vernetzt und übergreifend mit einheitlich hohem Qualitätsstandard zu realisieren. Das Netzwerk mit seinen derzeit deutschlandweit 19 Mitgliedern bietet professionelle Hilfe bei der Beratung, Planung und Durchführung klinischer Studien sowohl für wissenschaftsinitiierte Studien als auch für Unternehmen aus dem Arzneimittel- und Medizinproduktebereich an. Ziel ist die Verbesserung der klinischen Forschung durch gezielte Synergiebildung, gemeinsame Qualitätsstandards und Austausch von Know-how und Expertise. Eine große Rolle spielt außerdem die Qualifizierung des Studienpersonals vor Ort. Als zentrale Einrichtungen an Hochschulen stellen die KKS bzw. ZKS die notwendigen personellen und logistischen Ressourcen und Kompetenzen zur Verfügung, um klinische Studien zu planen, vorzubereiten, durchzuführen und auszuwerten. Eine weitere wesentliche Aufgabe des KKS-Netzwerks ist die aktive Mitgestaltung, Harmonisierung und Vereinfachung des regulatorischen Umfelds für klinische Studien.

Aktuelle Umsetzung: Nutzenbewertung der Unterdruckwundtherapie Im Jahr 2003 beschloss der damalige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, die Vakuumversiegelungstherapie von Wunden in der ambulanten Versorgung zu beraten. Im Dezember 2004 erhielt das IQWiG den Auftrag, anhand publizierter Literatur zu diesem Thema die damalige Studienlage zur Vakuumwundversiegelung (engl.: „negative pressure wound therapy“ [NPWT]) zu bewerten. Die in Auftrag gegebene Untersuchung sollte zum einen den Nutzen der NPWT im Vergleich zu konventionellen Formen der Wundversorgung und zum anderen den Nutzen verschiedener Formen der NPWT im Vergleich untereinander bei Patienten mit akuten oder chronischen Hautwunden jeglicher Ursache und Lokalisation hinsichtlich patientenrelevanter Therapieziele überprüfen [12, 14, 23]. Insgesamt ergab die Bewertung vorhandener Studienprojekte, dass trotz der Hinweise auf mögliche positive Effekte für die patientenrelevanten Therapieziele zugunsten der Vakuumversiegelungstherapie Der Chirurg 2014 

| 7

Übersichten aufgrund einer unzureichenden Evidenzlage kein eindeutiger Nutzennachweis erbracht werden konnte. Im Jahr 2007 beschloss der G-BA daraufhin eine Änderung der Richtlinie „Methoden vertragsärztliche Versorgung in Anlage III: Vakuumversiegelungstherapie“. Die Unterdruckwundtherapie konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als Standardleistung mit vollständiger Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen zugelassen werden. Der G-BA schloss die Therapie jedoch nicht aus, sondern eröffnete bereits zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit der Durchführung sog. Modellvorhaben oder qualitativ hochwertiger klinischer Studien, um den notwendigen Nutzennachweis für die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Unterdruckwundtherapie durch die gesetzlichen Krankenkassen zu erbringen. Zunächst beauftragte der Medizinproduktehersteller KCI das Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) der Universität Witten/Herdecke mit dem Konzeption und der Durchführung einer multizentrischen, internationalen, randomisierten, kontrollierten klinischen Studie zum Überlegenheitsnachweis der Unterdruckwundtherapie gegenüber der Standardwundtherapie bei subkutanen abdominalen Wunden (SAWHI- V.A.C.®-Studie; http://www.sawhi.com). Mit der europäischen Ausschreibung eines Studiengesamtprojektes initiierten die gesetzlichen Krankenkassenverbände AOK-Bundesverband, Verband der Ersatzkrankenkassen und die Knappschaft zwei weitere klinische Studien. Innerhalb des Indikationsgebietes des diabetischen Fußes (DiaFu-Studie) werden die Unterdruckwundtherapie und die Standardwundtherapie derzeit vergleichend unter engen Zeitvorgaben evaluiert [18, 19]. Die Durchführung als CHIR-Net-Studie eröffnete dem Gesamtprojekt mit Modellcharakter für die Zukunft zunächst den Zugang zu einer großen Zahl von Kliniken, welche durch die acht Regionalzentren in Deutschland betreut werden. Innerhalb der CHIR-Net Studien DiaFu und SAWHI-V.A.C.® steht den teilnehmenden Einrichtungen des Weiteren der dringend benötigte Zugang zu Studienschwestern und geschulten Koordinatoren zur Verfügung, die den Kliniken bei Fragen zur Stu-

8 | 

Der Chirurg 2014

die zur Seite stehen und sie bei der Rekrutierung und Dokumentation aktiv unterstützen.

Weiterführende Literatur: Internetlinks und Kontaktadressen F Das Chirurgische Studiennetzwerk

Deutschland http://www.chir-net.de/

Fazit Die Frage nach dem patientenrelevanten Nutzen von Medizinprodukten ist, mit dem Ziel dem Patienten die bestmögliche Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zur Verfügung zu stellen, in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. F Chirurgen müssen sich gemeinsam mit Medizintechnologieherstellern und Krankenkassen dem Thema Nutzenbewertung stellen. F Die im GKV-VStG vorgesehene Erprobungsregelung sollte zum Anlass genommen werden, um mit qualitativ hochwertigen Studien sowohl die Sicherheit und Leistungsfähigkeit eines Medizinproduktes als auch den patientenrelevanten Nutzen einer neuen Methode schnell evidenzbasiert zu belegen. F Im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen bzw. Möglichkeiten der neuen Gesetzgebung und den steigenden Anforderungen an Hersteller und insbesondere an die praktisch tätigen Chirurgen ist die Nutzung bereits bestehender Strukturen und Netzwerke für eine erfolgreiche Verwirklichung des Ziels des Gesetzgebers, medizinische Innovationen schneller den Patienten zugänglich zu machen, unabdingbar. F In Deutschland steht das CHIR-Net bereits als unterstützende Struktur mit Expertise und Erfahrung für die Durchführung qualitativ hochwertiger klinischer Studien in der Chirurgie zur Verfügung und muss genutzt werden, um den erweiterten Anforderungen gerecht zu werden und die Durchführung von Studien im klinischen Alltag möglich zu machen.

F BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung http://www.bmbf.de

F DGCh – Deutsche Gesellschaft für Chirurgie http://www.dgch.de

F KKSN – Netzwerk der Koordinierungs-

zentren für Klinische Studien http://www. kks-netzwerk.de F G-BA – Gemeinsamer Bundesausschuss http://www.g-ba.de/ F IQWiG – Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen http://www.iqwig.de/ F Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) http://www.bmg.bund.de (Unterverzeichnis Gesetze und Verordnungen) F DIMDI http://www.dimdi.de (‚Medizinprodukte‘ > ‚MP-Recht‘) F BfArM http://www.bfarm.de (Unterverzeichnis Medizinprodukte) F SAWHI- V.A.C.® Studie http://www.sawhi. com F Studie zur Unterdruck-Wundtherapie im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen http://www.wound-care.de

Korrespondenzadresse Prof. Dr. Prof. h.c. E.A.M. Neugebauer Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Fakultät für Gesundheit, Universität Witten/Herdecke, Ostmerheimer Str. 200, 51109 Köln [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  D. Seidel, P. Braß, N. Sehnke, V. Jakob, W. Eglmeier und E. Neugebauer weisen auf folgende Beziehungen hin: Das Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) führt im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen die Studien „DiaFu“ und „ISAW“ durch. Finanziert werden diese Studien durch die beteiligten gesetzlichen Krankenkassen sowie Hersteller der Medizinprodukte KCI und Smith & Nephew. Das IFOM führt im Auftrag von KCI die SAWHI- V.A.C.® -Studie durch. Diese Studie wird durch die Firma KCI finanziert. Das IFOM erhielt Erstattungsleistungen für Vortragstätigkeiten und Kongressbesuche von der Firma KCI. Die Autoren erklären, dass keine weiteren persönlichen Interessenkonflikte existieren. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Bundesgesetzblatt (2011) Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz–GKV-VStG). In: Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) Bundesanzeiger. http://www.bundesgesetzblatt.de   2. Bundesgesetzblatt (2010) Verordnung über klinische Prüfungen bei Medizinprodukten und zur Änderung medizinproduktrechtlicher Vorschriften. In: Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg) DIMDI. http://www.dimdi.de/static/de/mpg/recht/ mpkpv-100510.pdf   3. Chimowitz MI, Lynn MJ, Derdeyn CP et al (2011) Stenting versus aggressive medical therapy for intracranial arterial stenosis. N Engl J Med 365:993– 1003   4. Cohen D (2011) Out of joint: the story of the ASR. BMJ 342:d2905   5. Das Europäische Parlament Und Der Rat Der Europäischen Union (1998) Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika. In: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. http:// eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= OJ:L:1998:331:0001:0001:DE:PDF   6. Eikermann M, Gluud C, Perleth M et al (2013) Commentary: Europe needs a central, transparent, and evidence based regulation process for devices. BMJ 346:f2771   7. Europäische Kommission (2012) Pressemitteilung: Medizinprodukte: Europäische Kommission ruft zu unverzüglichem Handeln auf – Verschärfung der Kontrollen, mehr Überwachung, Wiederherstellung des Vertrauens. http://europa.eu/rapid/pressrelease_IP-12-119_de.htm   8. European comission european directives concerning medical devices. In: European Comission (Hrsg). http://ec.europa.eu/consumers/sectors/ medical-devices/regulatory-framework/legislation/   9. European Commission (2012) Regulation of the European Parliament and of the Council on medical devices, and amending directive 2001/83/EC, Regulation (EC) No 178/2002 and Regulation (EC) No 1223/2009. In: EUROPEAN COMMISSION (Hrsg). http://ec.europa.eu/health/medical-devices/files/ revision_docs/proposal_2012_542_en.pdf 10. Gemeinsamer Bundesausschuss (2013) StartseiteGemeinsamer Bundesausschuss-Institution. In: GBA. http://www.g-ba.de/ 11. Gemeinsamer Bundesausschuss (2013) Verfahrensordnung. In: Gemeinsamer Bundesausschuss. http://www.g-ba.de/downloads/62-492-711/VerfO_2013-06-11.pdf 12. Iqwig (2006) Abschlussbericht N04-03: Vakuumversiegelungstherapie zur Behandlung von Wunden In:Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). https://www.iqwig.de/download/N04-03_Abschlussbericht_Vakuumversiegelungstherapie_zur_Behandlung_ von_Wunden..pdf 13. Iqwig (2011) Allgemeine Methoden Version 4.0 vom 23.09.2011. In: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). https://www.iqwig.de/download/IQWiG_Methoden_ Version_4_0.pdf 14. Iqwig (2007) Rapid Report N06-02: Vakuumversiegelungstherapie von Wunden. In: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). https://www.iqwig.de/download/N0602_Rapid_Report_Vakuumversiegelungstherapie_von_Wunden..pdf

15. Krüger-Brand HE (2012) Medizinprodukte: Nutzenbewertung ist machbar. Dtsch Arztebl Int 109:406–407 16. Luntz SP, Gorbauch T, Schröder B et al (2009) Aufgaben der Koordinierungszentren für Klinische Studien. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 52:444–450 17. Neudecker J, Diener MK, Schuhmacher C (2013) Forschung in der Chirurgie: CHIR-Net: eine Leistungsbilanz. Dtsch Arztebl Int 110:502–504 18. Seidel D, Mathes T, Afüpper-Fink M et al (2012) Studie zum Nutzennachweis der UnterdruckWundtherapie. Vasomed 24(5):246–251 19. Seidel D, Neugebauer EAM (2013) Ausweg aus dem Evidenzvakuum? – Randomisierte, kontrollierte Studie zur Unterdruck-Wundtherapie bei Diabetischen Fußwunden im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen. Z Wundheilung 1:15–21 20. Seiler CM, Diener MK, Rahbari N et al (2009) Coordinating a national clinical trials center: the German experience. Surgery 145:590–597 21. Seiler CM, Knaebel H, Bauer H, Rothmund M (2005) Das Studienzentrum der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie – Ziele, Struktur, Stand der Arbeiten und Aufforderung zur Teilnahme. Mitt Dtsch Ges Chir 1:70–73 22. Seiler CM, Wente MN (2008) Multicenter surgical trials recruiting in Germany: current studies. Chirurg 79:365–367 23. Unterausschuss Ärztliche Behandlung/Abteilung Methodenbewertung Und Veranlasste Leistungen (2008) Vakuumversiegelungstherapie. In:Gemeinsamer Bundesausschuss. http://www.g-ba.de/ downloads/40-268-538/2008-02-15-AbschlussVAC.pdf 24. Wyen H, Jakob V, Neudecker J et al (2013) Warum Schwestern fliegen und Ärzte rotieren. Chirurg 1–7 25. Zuckerman DM, Brown P, Nissen SE (2011) Medical device recalls and the FDA approval process. Arch Intern Med 171:1006–1011

Der Chirurg 2014 

| 9

[Assessment of the benefit of medical devices in surgical practice. Problems and possible solutions].

The market approval of medical devices in Germany does not yet require a benefit assessment. Thus, there is a lack of high quality studies that clearl...
616KB Sizes 0 Downloads 0 Views