Hüfte

Proximale Ausrissverletzungen der ischiokruralen Muskulatur – Ergebnisse nach 6 Fällen Avulsion of the Proximal Hamstring Origin – Report of 6 Cases

Autoren

T. Harnoss 1, C. Schoch 2, J. Spengler 2

Institute

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Schlüsselwörter " ischiokrurale Muskulatur l " Sehnenausriss l " Avulsionsverletzung l " Sehnennaht l

Zusammenfassung

Abstract

!

!

Komplette Sehnenrupturen der proximalen ischiokruralen Muskulatur vom Ansatz am Tuber ischiadicum sind seltene Verletzungen. Ursächlich sind meist indirekte Traumen mit Überdehnung der ischiokruralen Muskelschlinge bei forcierter Flexion im Hüft- und Extension im Kniegelenk. In der vorliegenden Arbeit werden 6 Fälle vorgestellt, 5 mit einer frischen Ausrissverletzung und 1 Patientin, die sich verzögert in unserer Klinik vorstellte. In 3 Fällen liegt eine Sportverletzung vor, die übrigen Fälle ereigneten sich im Rahmen körperlicher Tätigkeiten. Es wurden keine Leistungssportler behandelt. Eine Patientin stellte sich 8 Wochen nach stattgehabtem Trauma in unserer Klinik vor, eine MRT-Untersuchung wurde 1 Woche vorher durchgeführt. Aufgrund geringer funktioneller Beeinträchtigungen wurde ein konservativer Therapieansatz gewählt. Die operative Versorgung erfolgte durch die Implantation von 2–3 Fadenankern. Postoperativ wurden die Patienten mit Teilbelastung mobilisiert. Eine aktive Beugung des Kniegelenks gegen Widerstand wurde ab der 6. Woche freigegeben. Alle operativ versorgten Patienten erreichten gute funktionelle Ergebnisse 3–28 Monate postoperativ. Es wurden nur geringe Schmerzen (VAS1–2) berichtet bei guter Gesamtbeweglichkeit. Die sportliche Aktivität musste in 3 Fällen reduziert werden, 2 Fälle erreichten das Niveau vor der Verletzung. Einbeinige Kniebeugen konnten von allen Patienten ausgeführt werden. Der telefonisch abgefragte LEFS (Lower Extremity Functional Scale) erbrachte einen Mittelwert von 75,6/80 Punkten. Schwere Komplikationen traten in keinem der Fälle auf. Die Unterscheidung zwischen ischiokruraler Ausrissverletzung und der wesentlich häufiger vorkommenden ischiokruralen Muskelverletzung ist von essenzieller Bedeutung. Wird die Avulsionsverletzung operativ versorgt, sollte dies in den ersten Wochen erfolgen, um einer Vernar-

Proximal hamstring origin avulsions are rare injuries. A common cause for this kind of injury is a trauma with the hamstring in overextension and simultaneously forced hip flexion and knee extension. We report on 6 cases, 5 with an acute rupture of the hamstring origin and one case with a delayed presentation in our emergency room. In 3 cases the injury was related to sport activity, the other 3 are related to accidents during work. None of these patients took part in competitive sports. One case was reported 8 weeks after trauma with an MRI performed one week before. Due to the low functional deficits conservative treatment was preferred. In all of the acute injuries open refixation was done within the first two weeks after trauma using 2–3 suture anchors. Postoperative mobilisation was done with partial weight bearing. Active knee flexion against gravity was not started until six weeks postoperative. All patients who had surgery achieved good results 3–28 months after surgery. They suffered from only little pain (VAS1–2) and had good movement ability. Sport activities were reduced in 3 cases, 2 patients returned to pre-injury sport levels. All patients were able to perform one-legged squats. In the evaluated LEFS (Lower Extremity Functional Scale) 75.6/80 points were achieved (72–79). There were no severe complications within this case study. It is important to distinguish proximal hamstring origin avulsions from the majority of hamstring muscle injuries. If the avulsion is treated with surgery, refixation should be performed within the first weeks to prevent the sciatic nerve from being bound in scar tissue with a consecutive high risk of injury during mobilisation of the tendon.

Key words " proximal hamstring tendon l " tendon avulsion l " proximal avulsion injury l " tendon suture l

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1360274 Z Orthop Unfall 2014; 152: 36–40 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 1864‑6697 Korrespondenzadresse Dr. Tobias Harnoss Abteilung Orthopädie, Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum Kempten Robert-Weixler-Straße 50 87439 Kempten [email protected]

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Abteilung Orthopädie, Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Klinikum Kempten Chirurgie/Orthopädie, St. Vinzenz Klinik, Pfronten

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Einleitung !

Verletzungen der ischiokruralen Muskulatur sind v. a. bei Sportlern ein häufiges Krankheitsbild. Durch indirekte Traumatisierung in der Sprint- oder Absprungphase sind Muskelzerrungen oder Muskelfaserrisse häufig. Verletzungen treffen meist den muskulotendinösen Übergang und sind der konservativen Therapie gut zugänglich. Vollständige Abrisse der ischiokruralen Muskulatur bzw. einzelner Sehnen von ihrem Ursprung am Tuber ischiadicum finden sich selten und werden in der Literatur nur selten beschrieben [1–7]. Zu finden sind Berichte über Abrisse aller 3 Muskelursprünge (langer Kopf des M. biceps femoris, M. semitendinosus, M. semimembranosus) sowie Rupturen einzelner Sehnen [2]. Die Sehnen des M. semitendinosus und der lange Kopf des M. biceps femoris haben einen gemeinsamen Ursprung am Sitzbein mit einem längsovalen Durchmesser von 2,7 × 1,8 cm. Der M. semimembranosus entspringt unmittelbar lateral davon mit einem halbmondförmigen Footprint [8]. Neben der bewegenden Funktion der ischiokruralen Muskulatur, welche v. a. die Extension im Hüftgelenk und die Flexion im Kniegelenk ausmacht, haben alle 3 Muskeln eine agonistische Wirkung am vorderen Kreuzband. Bei Flexion des Kniegelenks wirken sie einer Ventralisierung der Tibia entgegen und vermitteln anteriore und rotatorische Stabilität [8]. Bei einem vollständigen Abriss des Muskelursprungs wird übereinstimmend die Indikation zur operativen Refixation der Sehnen gestellt. Ein konservativer Therapieansatz kann bei Rupturen einzelner Sehnen, die nicht mehr als 2 cm retrahiert sind, versucht werden. Ansonsten liefert die konservative Therapie keine zufriedenstellenden Ergebnisse, eine Restitutio ad integrum kann nur selten erreicht werden. Beschrieben werden eine chronische Schwäche bei der Knieflexion, Neuralgien des N. ischiadicus und Schmerzen beim Sitzen [9]. Der optimale Zeitpunkt zur operativen Versorgung ist bis zur 6. Woche nach Trauma. Eine verspätete Versorgung ist erschwert, da eine ausgedehnte Mobilisierung der stattgehabten Verwachsungen erfolgen muss. Aufgrund der Nähe der Sehne zum N. ischiadicus besteht die Gefahr eines Dehnungsschadens [1]. Als Therapie der Wahl hat sich, nach ursprünglich berichteter Versorgung mittels transossärer Nähte, mittlerweile die Versorgung über Fadenanker bewährt, das jeweilige Operationsvorgehen unterscheidet sich jedoch in den einzelnen Berichten.

Material und Methodik !

Patienten Zwischen 2010 und 2013 wurden insgesamt 6 Patienten mit Abrissen der proximalen ischiokruralen Muskulatur behandelt. Das Durchschnittsalter lag bei 58 Jahren (43–67), betroffen waren 2 Männer und 4 Frauen. In 5 Fällen lag ein frisches Trauma vor (Dauer bis zur operativen Versorgung < 6 Wochen), 1 Patientin stellte sich erst verzögert in unserer Klinik vor. In 4 Fällen fand sich ein vollständiger Sehnenausriss, 1 davon veraltet (8 Wochen nach Trauma). In 2 Fällen fand sich eine frische Partialruptur mit einem Ausriss des gemeinsamen Ursprungs von M. semiten-

dinosus und M. biceps femoris. Die Diagnosestellung und operative Versorgung erfolgte nach Erhalt des MRT-Befunds innerhalb der ersten 2 Wochen nach Trauma. Fünf der 6 Patienten stellten sich nach dem Trauma primär in unserer Klinik vor. Als Unfallmechanismus wurde in allen Fällen eine Überdehnung der ischiokruralen Muskelschlinge bei kombinierter Flexion im Hüftgelenk und Extension im Kniegelenk angegeben. Nur in 3 Fällen lag eine Sportverletzung vor (2 × Langlauf, 1 × Mountainbike), die weiteren Unfallereignisse fanden in häuslicher Umgebung statt, häufigste Ursache war ein Wegrutschen des Fußes nach vorne. Das Trauma wurde von einem Rissgefühl unterhalb der Gesäßfalte begleitet, das von sofortigen starken Schmerzen und einem Kraftverlust begleitet war. Die Mobilisation war im Anschluss eingeschränkt, jedoch möglich. Ein Instabilitätsgefühl im Knie- oder Hüftgelenk wurde in keinem der Fälle berichtet. In der klinischen Untersuchung konnte ein deutlicher Druckschmerz am Sitzbein ausgelöst werden. Ein fortgeschrittenes Hämatom des dorsalen Oberschenkels fand sich in 2 Fällen, eine tastbare Muskellücke konnte in diesen Fällen nicht mehr nachgewiesen werden. Die beiden Patienten, bei denen das Hämatom nicht im Vordergrund stand, präsentierten sich mit einer deutlich palpablen Lücke dorsalseitig im Vergleich zur Gegenseite. Sonografisch konnte der Riss in den 3 Fällen der vollständigen Ruptur nachgewiesen werden, die Partialruptur konnte nur indirekt, durch Nachweis des begleitenden Hämatoms, vermutet werden. Ein knöcherner Ausriss z. B. im Rahmen einer Avulsionsverletzung der Apophyse am Tuber ischiadicum konnte durch eine Nativaufnahme des Beckens ausgeschlossen werden. Die MRT-Untersuchung der Beckenregion bestätigte in allen Fällen die Verdachtsdiagnose. Die Darstellung des im Akutfall regelhaft anzutreffenden Hämatoms, das sich vom Sitzbein bis weit in den Schaftbereich des Oberschenkels ausbreitet, ist v. a. in T2-ge" Abb. 1). Im wichteten, fettsupprimierten Aufnahmen möglich (l signalintensiven Hämatom lässt sich darüber hinaus der retrahierte Sehnenstumpf gut abbilden [10]. Nach endgültiger Bestätigung der Diagnose erfolgte bei den 5 vorliegenden frischen Rupturen die Indikation zur operativen Versorgung. Die operative Versorgung wurde in allen Fällen durch den Seniorautor durchgeführt.

Sonderform veraltete Ruptur Im Falle der veralteten Partialruptur stellte sich die Patientin zur Einholung einer Drittmeinung in unserer Klinik nach einem 8 Wochen zurückliegenden Trauma vor. Es wurden nur geringe Schmerzen berichtet, Alltagsaktivitäten seien ohne Probleme durchzuführen, die Kraftentfaltung war adäquat. In der MRT-Untersuchung, die 7 Wochen nach dem Trauma durchgeführt wurde, zeigte sich ein vollständiger Abriss mit Retraktion der Sehnenursprünge und beginnender Atrophie. Aufgrund der nur mäßig ausgeprägten Beschwerden und der Gefahr einer Nervenschädigung wurde ein konservativer Therapieansatz gewählt.

Operationstechnik und Rehabilitation Die Operation erfolgt in Bauchlage, das betroffene Bein wird frei beweglich abgedeckt. Bei einer frischen Verletzung ist im eigenen Vorgehen eine quere Inzision knapp unterhalb der Gluteal-

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bung mit dem N. ischiadicus vorzubeugen. Eine verzögerte operative Versorgung bringt ein hohes Risiko einer Traktionsverletzung des Nervs mit sich.

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Abb. 1 Sagittalschnitt einer Partialruptur; Pfeil: retrahierter Sehnenstumpf.

falte der Zugang der Wahl. Die Schnittlänge überschritt in keinem Fall eine Länge von 8 cm. Bei der Präparation in die Tiefe ist auf den N. cutaneus femoris posterior zu achten, der die ischiokrurale Muskulatur von lateral proximal nach medial distal überkreuzt. Die Faszie des M. gluteus maximus wird transversal gespalten, der Muskel nach kranial weggehalten. Nun folgt die longitudinale Inzision der Faszie der ischiokruralen Muskulatur unter Schonung des N. ischiadicus. Der N. ischiadicus und die A. glutea inferior sowie der N. gluteus inferius liegen im Durchschnitt 5 cm proximal des Unterrands des M. gluteus maximus, was v. a. bei der Hakenplatzierung zu beachten ist. Der N. ischiadicus liegt im Schnitt 1,2 cm lateral des lateralen Randes des Tuber ischiadicum. Nach Mobilisierung des Sehnenspiegels und Darstellung des Ansatzareals am Tuber ischiadicum werden 2 Anker (Cork FT, 5,5 mm, Fa. Arthrex, Karlsfeld) mit einem Abstand von 15 mm am Footprint eingebracht, um den anatomischen Gegebenheiten gerecht zu werden. Wie bereits erwähnt, hat der längsovale Footprint der Semitendinosus- und Bizepssehne einen Querdurchmesser von durchschnittlich 1,8 cm, der Footprint der Semimembranosussehne hat einen Querdurchmesser von 1,1 cm. Der Sehnenspiegel wird mit insgesamt 4 Fäden über die beiden Anker armiert. Die Armierung erfolgt mit einem freien Fadenende nach Krackow [11]. Zur endgültigen Fixation werden die verbliebenen Fadenenden durch den Anker gezogen und somit " Abb. 2 und die Sehne an die anatomische Position readaptiert (l 3). Zur Entspannung der Sehne wird das Knie in 90°-Flexion verbracht, die Hüfte ist durch die Lagerung bereits vollständig extendiert. Durch die flächige Re-Insertion konnte in allen Fällen eine stabile Versorgung erzielt werden, das Setzen weiterer Anker ist regelhaft nicht erforderlich. Aufgrund eines überdurchschnittlich großen Ursprungsareals wurde jedoch bei einer Patientin mit einer vorliegenden Partialruptur ein zusätzlicher Anker (FASTak,

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Abb. 2 Armierung und Ankerposition.

Abb. 3 Intraoperativer Situs, armierter Sehnenstumpf.

2,4 × 7,5 mm, Fa. Arthrex, Karlsfeld) eingebracht, um der individuellen Anatomie gerecht zu werden. Die Nachbehandlung erfolgt funktionell, die Mobilisation erfolgt mit Sohlenkontaktbelastung, eine orthetische Versorgung erschien uns bei stabiler Fixation nicht erforderlich. Während des Aufenthalts wird der Patient dazu angeleitet, ein Überspannen der Sehne durch Kombination aus Flexion im Hüftgelenk und Streckung im Kniegelenk, den „gestreckten Sitz“, zu vermeiden. Eine orthetische Versorgung in einer Hüft-Kniegelenks-Orthese erscheint nicht notwendig und wird auch in groß angelegten Nachuntersuchungen nur für unsichere Verankerungen empfohlen [1]. Ab der 7. postoperativen Woche wird die Physiotherapie intensiviert. Der Schwerpunkt liegt in der Dehnung der durch die Ruhigstellung verkürzten ischiokruralen Muskulatur. Begleitend werden Kräftigungsübungen sowie Koordinationsübungen zur Wiedererlangung von Beweglichkeit und Flexibilität durchgeführt. Das Ziel der Beübung ist eine Wiedererlangung freier Beweglichkeit der Hüft- und Kniegelenke bis zur 12. postoperativen Woche.

Nachuntersuchung Alle Patienten wurden 6 Wochen postoperativ persönlich nach" Tab. 1). Hier erfolgte eine ausgiebige klinische Ununtersucht (l tersuchung sowie eine radiologische Kontrolle der einliegenden Fadenanker. Eine weitere Nachuntersuchung erfolgte telefonisch, die Zeitspanne zwischen der operativen Versorgung und der

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Tab. 1 NU: Zeitpunkt der Nachuntersuchung (in Monaten nach OP/Erstvorstellung). NU

Alter

6 7 28 3 6 6

56 65 67 64 43 55

w w m w w m

Diagnose

Therapie

Mechanismus

vollständig – veraltet vollständig vollständig partial partial vollständig

konservativ 2 × Cork FT 5,5 mm 2 × Cork FT 5,5 mm 2 × Cork FT 5,5 mm; 1 × FASTak 2 × Cork FT 5,5 mm 2 × Cork FT 5,5 mm

ausgerutscht ausgerutscht ausgerutscht bei Langlauf ausgerutscht ausgerutscht bei Langlauf Mountainbikesturz

" Tab. 1 angegeben. Abgefragt Nachuntersuchung (NU) ist in l wurden Schmerzen nach visueller Analogskala (VAS), die Beweglichkeit, die Möglichkeit des gestreckten Sitzes und die Möglichkeiten sportlicher Aktivität (gleiches Niveau wie vor der Verletzung, reduziertes Leistungsniveau, nur wenig sportliche Aktivität möglich, keine sportliche Aktivität möglich) sowie Parameter zur Erstellung des LEFS (Lower Extremity Functional Scale), einem Score zur Evaluation der unteren Extremität [12]. Zur Beurteilung der Kraftentwicklung für Hüftextension und Kniebeugung wurde die Fähigkeit zur Durchführung einer Kniebeuge im Einbeinoder Zweibeinstand abgefragt.

Ergebnisse Frische Ruptur In der 1. Nachuntersuchung waren alle operativ versorgten Patienten mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Die Beweglichkeit war bereits vollständig wiederhergestellt, jedoch berichteten 4 Patienten über Schmerzen bei längerem Sitzen und einer eingeschränkten sportlichen Belastbarkeit. In der radiologischen Untersuchung fand sich eine regelrechte Ankerlage in allen Fällen, ohne Zeichen einer Dislokation. Der mittlere Nachuntersuchungszeitraum der telefonischen Befragung betrug 10 Monate (3–28). Berichtet wurde nur von geringgradigen Schmerzen mit einem VAS von 1–2 (4 × 2, 1 × 1). Die Beweglichkeit war in allen Fällen (n = 5) vollständig wiederhergestellt. Ein gestreckter Sitz war in allen Fällen (n = 5) uneingeschränkt möglich. Die sportliche Aktivität war in 3 Fällen reduziert, jedoch in geringerem Umfang bereits möglich. Zwei Patienten berichteten von einer vollständigen Wiederherstellung der sportlichen Aktivität auf gleiches Niveau wie vor der Verletzung. Alle Patienten betrieben Sport im Amateurbereich unter Wettkampfniveau. Als Aktivitäten wurden v. a. Radfahren, Bergwandern und Laufen angegeben. Einbeinige Kniebeugen waren in allen Fällen möglich, 2 Patienten benötigten jedoch Unterstützung bei der Stabilisierung des Einbeinstands. Der LEFS betrug im Mittel 75,6/80 Punkten (Min. 72, Max. 79). Einschränkungen wurden v. a. bei abrupten Bewegungen im Sport sowie bei längerem Sitzen angegeben.

Veraltete Ruptur Die Patientin, die sich mit der veralteten Ruptur vorstellte, berichtete 6 Monate nach dem Trauma über weiter bestehende Beschwerden mit einem VAS von 3. Die Beweglichkeit sei weiter etwas reduziert, der gestreckte Sitz sei möglich, verursache jedoch leichte, ziehende Schmerzen am dorsalen Oberschenkel. Sportliche Aktivität könne in geringem Maße durchgeführt werden, jedoch in deutlich reduziertem Umfang. Durch Ausbildung von Verwachsungssträngen leide die Patientin aktuell an Beschwerden im Ausbreitungsgebiet des N. ischiadicus.

Diskussion !

Ausrissverletzungen der proximalen ischiokruralen Muskulatur sind ein seltenes Krankheitsbild, bedürfen jedoch einer differenzierten Therapie. In der vorliegenden Arbeit wird das Ergebnis nach 6 operativ versorgten Ausrissverletzungen der proximalen ischiokruralen Muskulatur untersucht. Eine objektive Beurteilung des operativen Ergebnisses gestaltet sich schwierig, da nur wenige Scores zur genauen Evaluation zur Verfügung stehen. Auch in Zusammenschau mit der aktuellen Literatur finden sich nur wenige Arbeiten, die etablierte Scores zur Evaluation nutzen [13, 14]. Die vorliegenden Ergebnisse decken sich jedoch weitgehend mit der von Cohen publizierten Studie [14] bez. des LEFS, trotz der Verwendung einer geringeren Anzahl an Ankern (2–3 vs. 5). Eine Schwäche der Arbeit besteht in der geringen Anzahl an Probanden. In nur 3 Fällen lag eine vollständige Avulsion vor, in 2 Fällen fand sich eine Partialruptur. Im Gegensatz zu den großen publizierten Arbeiten liegt hier jedoch ein unselektioniertes Krankengut vor, das nicht auf Sportler spezialisiert ist und zeigt, dass diese Verletzung nicht isoliert in diesem Klientel auftritt. Gerade bei passenden Verletzungsmustern sollte dies bei der Beurteilung einer Muskelverletzung am dorsalen Oberschenkel bedacht werden.

Bildgebende Verfahren Bei ausreichender Erfahrung kann eine Sonografie der schmerzhaften Region bereits die Diagnose bestätigen, der Sehnenstumpf ist oft darstellbar, das umgebende Hämatom bereits initial deutlich ausgeprägt. In einer radiologischen Studie fand sich für die sonografische Diagnostik nur eine Sensitivität von 58 %. Schwierigkeiten bei der sonografischen Untersuchung bildet die inhomogene Echogenität eines ausgedehnten Hämatoms, das den Nachweis einer retrahierten Sehne oft erschwert [8]. Eine sichere Diagnose kann mittels MRT-Untersuchung gestellt werden, in der beschriebenen Studie erreichte die MRT-Untersuchung eine Sensitivität und Spezifität von 100 %. Zeichen für eine akute Verletzung im MRT sind eine hohe Signalintensität in T2-gewichteten Aufnahmen als Zeichen für ein Ödem sowie das bestehende Hämatom und intermediäre Intensität in T1-gewichteten Aufnahmen. Außerdem findet sich eine Flüssigkeitsansammlung um die retrahierten Sehnenursprünge. Eine unauffällige Sehne stellt sich mit homogenem Signal des Muskelursprungs in allen Sequenzen dar.

Ankerzahl Die Ursprünge des M. semitendinosus und M. biceps femoris sind identisch und nicht voneinander zu trennen. Der Footprint ist ovalär mit einer Ausmessung von 2,7 ± 0,5 cm von proximal nach distal und einer Ausdehnung von 1,8 ± 0,2 cm von medial nach lateral. Der Ursprung des M. semimembranosus liegt unmittelbar

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lateral und hat eine Längsausmessung von 3,1 ± 0,3 cm und eine Querausdehnung von 1,1 ± 0,5 cm [6]. Der gesamte Muskelursprung hat demnach eine Gesamtquerausdehnung von 2,9 cm. Eine Versorgung mit 2 Titanankern, die zentral eingebracht werden und einen Abstand von 1,5 cm haben, erscheint somit vollkommen ausreichend. Trotz der geringen Ankerzahl erscheint uns eine funktionelle Nachbehandlung bei erwartbar hoher Compliance des Patienten gerechtfertigt. Die erforderlichen Orthesen stellen für den Patienten einen hohen Eingriff in den Alltag dar und bringen aus unserer Sicht keine wesentliche Verbesserung der Einheilung.

Fazit !

Avulsionsverletzungen der ischiokrualen Muskulatur von ihrem Ursprung am Becken stellen seltene Verletzungen dar und werden häufig übersehen. Eine operative Versorgung kann gute Ergebnisse erzielen und eine Wiedererlangung der sportlichen Leistungsfähigkeit ermöglichen. Ein konservatives Vorgehen ist v. a. bei veralteten Rupturen möglich, jedoch ist von einem schlechteren funktionellen Ergebnis auszugehen.

Danksagung !

Wir danken Frau Astrid Sönnichsen für die Hilfe bei der Erstellung der Grafik. Interessenkonflikt: Nein

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[Avulsion of the proximal hamstring origin - report of 6 cases].

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