Originalarbeit

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Wissensgrundlagen zur Gehirnerschütterung in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) Basic Knowledge on Concussion in the German Ice Hockey League (DEL) Autoren

A. Ruhe1, 3, A. Gänsslen2, W. Klein2, N. Hamade3

Institute

1

3

School of Health Professions, Murdoch University, Murdoch, Western Australia Klinikum Wolfsburg, Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Handchirurgie Privatpraxis, Wolfsburg

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

"

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!

Zielsetzung: Im professionellen Eishockey zeigt sich eine hohe Inzidenz von Gehirnerschütterungen. Zur Umsetzung präventiver Maßnahmen sowie zur Einführung von Behandlungskonzepten ist es notwendig, das Basiswissen zur Gehirnerschütterung aller Beteiligten zu analysieren sowie Aspekte zu identifizieren, die zusätzlich gelehrt werden sollten. Methodik: Mittels einer internetbasierten Umfrage bestehend aus 18 Fragen wurden Trainer und Co-Trainer, Sportdirektoren, Teamärzte und die Mannschaftsführer aller Mannschaften der Deutschen Eishockey Liga (DEL) kontaktiert, um deren Wissen und Einschätzung hinsichtlich allgemeiner Kenntnisse, Spiel-STOPP, Protektion und Ausbildung/Lehre sowie Einschätzung zur Veränderung von Strafen zu evaluieren. Ergebnisse: Die Rückantwortrate betrug 57,8 %. Sowohl Teamärzte, als auch Spieler, Trainer und Sportdirektoren zeigten ein gutes Basiswissen zu Gehirnerschütterung, Behandlungs- bzw. Erholungsdauer und mögliche Langzeitfolgen. Es zeigte sich nur ein geringer Unterschied im Wissen zwischen Teamärzten und den nicht medizinisch vorgebildeten Personen. Die Umfrage zeigte weiterhin eine breite Unterstützung für Lehrmaßnahmen zur Gehirnerschütterung und ggf. resultierenden Regeländerungen zum Schutz der Spieler. Schlussfolgerung: Es scheint ein akzeptables Grundverständnis zur Gehirnerschütterung und ihrer Symptome zu bestehen ohne wesentliche Unterschätzung der Problematik. Alle Beteiligten befürworteten weitere Wissensvermittlung zum Thema sowie die Durchführung präventiver Maßnahmen.

Objective: In professional ice hockey there is a high incidence of concussion. In order to implement preventative measures as well as to introduce a treatment concept it is necessary to analyse the basic knowledge about concussion of all participants and to identify aspects requiring additional educational measures. Method: By means of an internet-based questionnaire comprising 18 questions, trainers and cotrainers, sport directors, team physicians and team captains of all teams in the German ice hockey league were interviewed about their knowledge and impressions with regard to general knowledge, game-stop, protection, and training as well as their opinions about changing the penalty system. Results: The response rate amounted to 57.8 %. Not only team physicians but also players, trainers and sport directors exhibited a good basic knowledge on concussion, duration of treatment and rehabilitation as well as possible long-term sequelae. There were only slight differences in knowledge between team physicians and notmedically trained personnel. This survey also revealed a broad support for educational measures about concussion and the possibility for rule changes to further protect the players. Conclusion: There appears to be an acceptable basic knowledge about concussion and its symptoms and no major underestimation of the problems. All participants were in favour of the provision of further information as well as the implementation of preventative measures.

● Eishockey ● Gehirnerschütterung "

Key words " ice hockey " concussion

● ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1356109 Sportverl Sportschad 2013; 27: 201–206 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0932-0555

Korrespondenzadresse A. Ruhe Privatpraxis, Wolfsburg Porschestraße 1 38440 Wolfsburg [email protected]

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Originalarbeit

Einleitung

Methodik

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Eishockey ist eine körperbetonte schnelle Sportart mit regelhaft direktem Körperkontakt [1], die überwiegend in Nordamerika, Europa und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion gespielt wird. Eishockeyspieler erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 50 km/h und Pucks werden bis zu 160 km/h beschleunigt [2]. In der wissenschaftlichen Literatur wird zunehmend über eine hohe Inzidenz erlittener Kopfverletzungen, v. a. Gehirnerschütterungen (engl. „concussion“), gerade im nordamerikanischen College- und Profi-Eishockey berichtet [3 – 7]. Im Vergleich zu europäischen Verletzungsdaten zeigt sich in Nordamerika ein höherer Anteil von Gehirnerschütterungen in Bezug auf die Gesamtzahl der Verletzungen (2,0 – 7,0 % [8, 9] versus 5,3 – 18,6 % [10, 11]). Die Inzidenz der Gehirnerschütterungen ist im Training geringer als im Wettkampf. Sie wird im Wettkampf pro Spielstunde mit 0,2 – 6,5‰ [12, 13] und im Training mit 0,1‰ pro Stunde [6, 10] geschätzt. Bezogen auf Training und Wettkampf fand sich pro gespielter Stunde eine Inzidenz von 0,72 – 1,81‰ [7, 14]. Es gibt jedoch Hinweise, dass diese Häufigkeiten der Gehirnerschütterungen im Eishockey unterschätzt werden [3]. Es werden verschieden Möglichkeiten für eine derartige Fehleinschätzung diskutiert [15]: ▶ Teamärzte haben ggf. einen subjektiv zu hohen „Schwellenwert“ für die Diagnose der Gehirnerschütterung ▶ Spieler geben Symptome einer Gehirnerschütterung nicht an ▶ Symptome bzw. die Verletzung wird nicht ernst genommen ▶ individuelle Gründe der Spieler oder Druck von außen, das Spiel unbedingt fortzusetzen ▶ Angst bezüglich der Karrierefortsetzung ▶ zu erwartende finanzielle Einbußen durch verlängerte „return-to-play“ Perioden Aufgrund der Natur dieser sehr schnellen Sportart, mit hohen direkten mechanischen Kontakten durch Spieler, Schläger, Banden usw., kommt der Prävention von Verletzungen eine wichtige Bedeutung zu. Es ist klar, dass Gehirnerschütterungen auch durch präventive Konzepte nicht gänzlich zu vermeiden sein werden. Jedoch sollte im Hinblick auf mögliche langfristige neurologische Folgen nach Gehirnerschütterungen oder Kopfverletzungen [16, 17] alles unternommen werden, das Bewusstsein und Verständnis aller Beteiligten für diese spezielle Verletzung zu schärfen. Bislang gibt es im deutschen (Profi)-Eishockey und auch in anderen Sportarten noch keine allgemein akzeptierte Leitlinie im Hinblick auf die leichte Gehirnerschütterung. Die Einführung standardisierter Konzepte zu Diagnose, Behandlung und Prävention, wie kürzlich über das „Concussion Consensus Statement 2012“ kommuniziert [18], kann nur erfolgreich sein, wenn alle im Eishockeysport Beteiligten die Schwere dieser Verletzungen richtig einschätzen und ein grundlegendes Wissen zu klinischen Zeichen vermittelt bekommen bzw. aufweisen.

Ein Fragebogen bestehend aus 18 Fragen in deutscher Sprache zu verschiedenen Aspekten der Gehirnerschütterung wurde entwi" Tab. 1). Einige Fragen wurden in Anlehnung an einen ckelt (● vergleichbaren nordamerikanischen Fragebogen formuliert [19]. Drei nicht medizinische Einzelpersonen, die nicht an der Abfrage beteiligt waren, haben den Fragebogen auf Laienverständnis überprüft. Der Fragebogen umfasst vier Themenbereiche zur Gehirnerschütterung: allgemeine Kenntnisse (Fragen 1 – 6), Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer Spielbeendigung (Fragen 9 – 12), Protektion und Ausbildung/Lehre (Fragen 7, 8, 13, 14) und Bestrafung (Fragen 16 – 18). Bei den Fragen handelt es sich um einfache Multiple-Choice-Fragen sowie binäre Ja/Nein-Fragen. Da es sich ausschließlich um eine quantitative Fragenbogenanalyse handelt, war die Einholung einer Genehmigung einer Ethikkommission nicht nötig [20]. Die Umfrage erfolgte internetbasiert mittels Doodle (www.doodle. com) über die Website der Deutschen Eishockey Liga (DEL) (www. del.org) und stand im Vorfeld der Saison 2012/13 für die Dauer von 4 Wochen zur Verfügung. Eine persönliche Identifikation der teilnehmenden Personen war nicht möglich und gewünscht und somit kann keine Aussage hinsichtlich der Anzahl der teilnehmenden Vereine gemacht werden. Es wurde lediglich die folgende Zugehörigkeit dokumentiert: 1) Trainer und Co-Trainer, 2) Sportdirektor, 3) Teamarzt und 4) Teamkapitän und sein Stellvertreter (später als „Spieler“ bezeichnet). Insgesamt wurden 83 Spieler, Trainer, Teamärzte und Sportdirektoren zur Teilnahme eingeladen. Es erfolgte eine einfache deskriptive Statistik unter Verwendung von SPSS 19 für Windows (SPSS Inc., Chicago, USA). Signifikanzen wurden für ein Alphaniveau von p < 0,05 festgelegt.

Ziel !

Ziel dieser Untersuchung war es deshalb, grob orientierend, allgemeine Kenntnisse zur Gehirnerschütterung im deutschen Profi-Eishockey aus unterschiedlichen Perspektiven der jeweils Beteiligten zu evaluieren und mögliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Beteiligten aufzuzeigen. Dies kann dann möglicherweise zu einer zielgerichteten Schulung und Lehre genutzt werden.

Ergebnisse Insgesamt 48 Personen reagierten auf den bereitgestellten Link, entsprechend einer Rücklaufrate von 57,8 % (8 Trainer/Co-Trainer [8/28, 29 %], 7 Sportdirektoren [7/14, 50 %], 27 Kapitäne/stellvertretender Kapitän [27/28, 96 %], 6 Teamärzte [6/13, 46 %]).

1. Allgemeines Wissen zur Gehirnerschütterung Mit wenigen Ausnahmen waren die Antworten für alle vier Gruppen vergleichbar. Alle Befragten sahen die Gehirnerschütterung als eine relevante Verletzung an und 79,1 % bewerten diese Verletzung als schwer (leicht: 2,3 %, mittel: 18,6 %). Als das am meisten relevante Symptom einer Gehirnerschütterung wurde der posttraumatische Schwindel (95,8 %) angegeben, gefolgt von Kopfschmerzen (93,8 %), Amnesie (89,6 %), Konzentrationsstörungen (85,4 %), Verlust des Bewusstseins und Sehstörungen (79,2 %), Schlafstörungen (70,8 %) und Reizbarkeit (47,9 %). Teamärzte bewerteten die posttraumatische Reizbarkeit allerdings signifikant häufiger als relevantes Symptom (83 %). Die Mehrzahl der Teilnehmer gab als minimale Erholungszeit nach Gehirnerschütterung 1 Woche an (80,9 %), gefolgt von 3 Wochen (14,9 %) und 6 Wochen (4,2 %). Keiner der Befragten fand ≤ 3 Tage als ausreichend bzw. mehr als 6 Wochen für notwendig. Das Risiko bleibender Schäden nach Gehirnerschütterungen wurde ausschließlich als mittelgradig (62,5 %) oder hoch (37,5 %) bewertet. Teamärzte hielten ein hohes Risiko für am wenigsten wahrscheinlich. Die erwartete Häufigkeit permanenter Probleme nach Gehirnerschütterung wurde von 40,9 % der Befragten mit 10 % angegeben. Je 25 % der Befragten gaben erwartete Häufigkeiten von

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Originalarbeit

Beantwortung je eines Exemplars durch den Trainer, den Co-Trainer, den sportlichen Leiter, den leitenden Teamarzt, den Kapitän und den stellvertretenden Kapitän Frage 1

Zu welcher Disziplin gehören Sie?

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Tab. 1 Fragebogen zum Projekt Hirnerschütterungen und professionelles Eishockey.

□ Trainer □ Co-Trainer □ sportlicher Leiter □ Teamarzt □ Spieler (Kapitän) □ Spieler (Co-Kapitän) □ Schiedsrichter Frage 2

Halten Sie die Hirnerschütterung für eine gefährliche Verletzung?

Frage 3

Was sind typische Zeichen einer Hirnerschütterung? (Mehrfachankreuzungen möglich)

□ ja □ nein □ Bewusstlosigkeit □ Erinnerungslücke □ Kopfschmerzen □ Schwindel □ Sehstörungen □ Schlafstörungen □ Konzentrationsstörungen □ Gereiztheit Frage 4

Wie schätzen Sie eine Hirnerschütterung bezüglich der Verletzungsschwere ein? □ leicht □ mittelschwer □ schwer

Frage 5

Wie lange dauert typischerweise die minimale Erholungszeit nach einer Hirnerschütterung? □ 6 Wochen □ länger als 6 Wochen

Frage 6

Wie schätzen Sie die Gefahr eine Dauerschädigung nach einer Hirnerschütterung ein?

Frage 7

Wie hoch schätzen Sie den Prozentsatz bleibender Beschwerden nach einer Hirnerschütterung ein?

□ gering □ mittel □ groß □ 1 % □ 2 % □ 5 % □ 10 % □ 20 % □ 30 % □ 40 % Frage 8

Sollen anonymisiert Verletzungsdaten erhoben und in einer zentralen Datenbank gesammelt werden, um daraus für die Zukunft Informationen zur verbesserten Vorbeugung und Behandlung von Hirnerschütterungen zu erhalten?

Frage 9

Wem sollte besonderes Wissen in der Akuterkennung der Hirnerschütterung vermittelt werden?

□ ja □ nein □ Trainer-Team □ Teamarzt □ Spieler □ Physiotherapeut □ Betreuer □ Schiedsrichter Frage 10

Was ist bei Anzeichen einer Hirnerschütterung zu tun? □ Spieler nach eigener Beurteilung der Spielfähigkeit weiterspielen lassen? □ Spieler bis zur nächsten Pause aus dem Spiel nehmen, dann neu entscheiden? □ Spieler aus dem Spiel nehmen? □ Spieler aus dem Spiel nehmen und ärztlich untersuchen lassen?

Frage 11

Wer sollte bei Erkennung einer Hirnerschütterung einen Spieler aus dem Spiel nehmen können? □ Trainer-Team □ Schiedsrichter □ Betreuer □ Physiotherapeut □ Teamarzt (auch der gegnerischen Mannschaft) □ Spieler

Frage 12

Sollen neben den Teamärzten und Trainern auch die Schiedsrichter das Recht haben, einen Spieler bei Erkennung einer Hirnerschütterung aus dem Spiel zu nehmen?

Frage 13

Sollen Spieler mit einer Hirnerschütterung vor Rückkehr ins Wettkampfspiel grundsätzlich von einem Arzt freigegeben werden?

Frage 14

Sollen alle am professionellen Eishockey Beteiligten speziell über Vorbeugung, Erkennung und weiteres Management der Hirnerschütterung informiert werden?

Frage 15

Sollen alle am professionellen Eishockey Beteiligten regelmäßig über Neuerungen und Verbesserungen der Ausrüstung informiert werden?

Frage 16

Welcher Ausrüstungsgegenstand stellt den effektivsten Schutz vor Hirnerschütterung dar?

Frage 17

Soll zur Sicherung der Spielergesundheit jegliche Gewalt gegen den Kopf härter als bisher bestraft werden?

Frage 18

Soll zur Sicherung der Spielergesundheit jegliche absichtliche Gewalt gegen den Kopf härter als bisher bestraft werden?

Frage 19

Soll zur Sicherung der Spielergesundheit jegliche Gewalt mit billigender Inkaufnahme einer Hirnerschütterung härter bestraft werden?

□ ja □ nein

□ ja □ nein

□ ja □ nein

□ ja □ nein □ Helm isoliert □ Helm mit Teilvisier □ Helm mit Vollvisier

□ ja □ nein

□ ja □ nein

□ ja □ nein

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□ 1 Tag □ 2 – 3 Tage □ 1 Woche □ 3 Wochen

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Abb. 1 Sollten höhere Strafen nach Check gegen den Kopf ausgesprochen werden? (Frage 17).

5 % und 15 % nur 9,1 % der Befragten erwarteten in 30 % bleibende Probleme. Die Mehrzahl der Befragten (85,1 %) unterstützten die Idee einer zentralen Datenbankerfassung dieser Verletzung. Nur die Spieler waren tendenziell dagegen (25,9 %).

4. Bestrafung Im Gegensatz zu den Spielern sprach sich die überwiegende Mehrheit der Befragten, v. a. die Trainer, für höhere Strafen aus (88,6 %) " Abb. 1). Allgemeine Übereinstimmung bestand, dass vorsätzli(● che Gewalt oder die billigende Inkaufnahme einer Gehirnerschütterung stärker bestraft werden soll (95,7 und 86,7 %).

2. Gehirnerschütterung und Spiel-STOPP Während die Teamärzte uneinig waren, ob Schiedsrichter berechtigt sein sollten, Spieler im Falle einer vermuteten Gehirnerschütterung aus dem Spiel zu nehmen, lehnten Trainer und Spieler diese Idee mit 87,5 bzw. 70,4 % eindeutig ab. Es bestand jedoch Konsens, dass v. a. der Teamarzt die „Return-to-play“-Entscheidung treffen soll (95,8 %). Bei Verdacht auf Vorliegen einer Gehirnerschütterung sollte der Spieler unmittelbar aus dem Spiel herausgenommen und vom einem Arzt beurteilt werden (81,1 %). 10,8 % der Befragten waren auch mit dem Vorgehen Spiel-STOPP und Re-Evaluation in der nächsten Drittelpause einverstanden. 8,1 % der Befragten wollten ein definitives Spiel-STOPP für dieses Spiel.

3. Protektion und Ausbildung/Lehre Das Tragen eines Helms ohne Zusatz wurde als effektivste Schutzausrüstung angesehen (48,9 %), gefolgt von Teilvisierhelmen (40,0 %) und Vollvisierhelmen (11,1 %). Teamärzte waren Befürworter von Vollvisierhelmen (40,0 %), während Spieler diese mit großer Mehrheit ablehnten. Fast alle Befragten sahen es als sinnvoll an, die Beteiligten im Eishockey hinsichtlich Prävention, Erkennung und Behandlung von Gehirnerschütterung auszubilden (91,7 %) und über neue Entwicklungen dem Laufenden zu halten (77,0 %). Spezielles Wissen zum Erkennen von akuten Gehirnerschütterungen wurden als notwendig erachtet für Trainer (66,6 %), Teamärzte (93,8 %), Physiotherapeuten (72,9 %) sowie Spieler (68,7 %). Dieses Wissen wurde als weniger relevant für Schiedsrichter (22,9 %) und Betreuer (27,1 %) angesehen.

Diskussion !

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass die Gehirnerschütterung im deutschen Profi-Eishockey als eine relevante Verletzung angesehen wird. Somit wird diese im Eishockey häufige Verletzung sowohl vom ärztlichen als auch vom nicht ärztlichen Personal eher nicht unterschätzt. Dies spiegelt sich z. B. in der Einschätzung wieder, dass in 10 – 15 % Gehirnerschütterungssymptome längerfristig bestehen bleiben können, was entsprechenden Daten der wissenschaftlichen Literatur entspricht [16, 21]. Auch wurde die minimale Erholungszeit korrekt mit durchschnittlich einer Woche eingeschätzt und es wurde korrekt bewertet, dass in etwa 95 % der Fälle nach spätestens 3 Wochen keine Gehirnerschütterungsfolgen mehr vorliegen [16, 22]. Allerdings ist bei der Interpretation der vorliegenden Daten zu beachten, dass bei unüberwachten Onlinebefragungen auch praxisferne Antworten möglich sind und somit ein Unterschied in der tatsächlichen Reaktion beim Match bestehen kann, wenn zusätzliche Kriterien wie z. B. Spielstand, Spielerfolg, Tabellensituation und/oder finanzielle Interessen, relevant werden. Bei der Beurteilung der typischen Symptomatik war überraschend, dass der Bewusstseinsverlust von den Teamärzten als typisches Symptom (83,3 %) angesehen wurde, obwohl dies in der praktischen Diagnostik der Gehirnerschütterung deutlich seltener vorkommt [23]. Dadurch könnte v. a. bei Nichtvorliegen einer Bewusstseinsstörung eine Unterschätzung der Verletzung resultieren. Trotzdem wurden die weiteren angegebenen Symptome, v. a. der posttraumatische Schwindel und Kopfschmerzen als relevant angesehen. Auch das Wissen um neurokognitive Folgen einer Gehirnerschütterung, wie Konzentrationsstörungen, ist allen

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Teilnehmern im Eishockeysport bekannt. Dies deckt sich ebenfalls mit vorliegenden Daten aus der wissenschaftlichen Literatur. Somit besteht, trotz des Mangels klarer Diagnostik- und Behandlungskonzepte sowie der bisher nur unzureichenden Standardisierung der präklinischen Gehirnerschütterungsevaluation z. B. mittels SCAT-Testung in Deutschland, schon ein relativ gutes Basiswissen. Vorbestehende Untersuchungen konnten zeigen, dass durch entsprechende Wissensvermittlung zur Gehirnerschütterung eine gewisse Angst besteht, dass die „gewünschte“ Aggressivität dieses Sports beeinträchtigt werden könnte [24]. Im Gegensatz dazu wurde in der vorliegenden Analyse gezeigt, dass ein eher hohes Interesse zu Weiterbildung und Informationen zur Gehirnerschütterung besteht. Dies deckt sich mit den nordamerikanischen Empfehlungen zu obligatorischen Informationen zur Gehirnerschütterung, die im Rahmen von Konsensuskonferenzen in die Wege geleitet wurden [19, 25]. Die allgemeine übereinstimmende Aussage, dass die Teamärzte allein verantwortlich für „Return-to-play“-Entscheidungen sein sollten zeigt, dass ihre medizinische Autorität voll anerkannt wird und eine hohe Priorität auf die Sicherheit der Spieler gegeben ist. Die Ablehnung diese Entscheidung auch auf Schiedsrichter zu übertragen kann damit zusammenhängen, dass diese bezüglich einer derartigen Entscheidung als nicht ausreichend qualifiziert angesehen werden und zusätzlich eine gewisse Angst vor einer Benachteiligung durch eine evtl. nicht nötige oder zu frühe Herausnahme eines Spielers besteht. Auch das Ergebnis, dass eine Verletzungsdatenbank von den Spielern eher nicht gewünscht ist, kann ein Hinweis darauf sein, dass eine möglicherweise erwartete höhere Verletzungsdokumentation von Gehirnerschütterungen zu weiteren Diskussionen hinsichtlich Regeländerungen, Veränderungen von Schutzausrüstungen mit möglicherweise Einschränkungen der Spielfähigkeit oder höheren Strafen führen könnte. Zukünftige Informationsinhalte und Wissensvermittlungen zur Gehirnerschütterung im (Eishockey)-Sport müssen diese Aspekte unbedingt berücksichtigen, um derartige Ängste zu beseitigen und zu verhindern. Hinsichtlich Schutzmaßnahmen hat sich gezeigt, dass sowohl Teilvisierhelme als auch Vollvisierhelme zu einer Reduktion der Schwere von Gehirnerschütterungen beitragen und ein schnelleres „return-to-play“ ermöglichen [26]. Vollvisierhelme bieten dabei den besten Schutz, insbesondere vor Gesichtsverletzungen [26]. Allerdings konnte kein Einfluss auf die Inzidenz von Gehirnerschütterungen gefunden werden [27], da die klinisch relevanten Rotationsscherkräfte oder Beschleunigungskräfte im Sinne der Akzeleration-Dezeleration nicht kompensiert werden können, die letztlich für die mit der Gehirnerschütterung verbundenen Symptome verantwortlich gemacht werden [28]. Auch wenn die Mehrzahl der Spieler den Vollvisierhelm eher ablehnen, heißt das nicht, dass sie den Wert des Helmes unterschätzen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Ablehnung durch die vermeintlich eingeschränkte periphere Sicht [29] und ein vermindertes Gefühl der individuellen „Härte“ [30] bedingt ist. Zusätzlich wurde diskutiert, dass Vollvisierhelme durch veränderte Biomechanik des Spielers oder ein subjektiv falsches Sicherheitsgefühl mit resultierendem zu aggressiven Spiel möglicherweise zu einer erhöhten Rate an Gehirnerschütterungen beitragen könnten [26, 31]. Dies scheint jedoch in der Praxis nicht zuzutreffen [32], könnte aber trotzdem die Beantwortung dieser Fragen beeinflusst haben. Eine entsprechende Wissensvermittlung muss hier ansetzen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es für professionelle Eishockeyspieler sicherlich ausreichend Teilvisierhelme zu tragen, um sich vor einer möglichen Gehirnerschütterung zu schützen. Während die Spieler uneinig waren, ob eine Strafverschärfung nach Gewalt gegen den Kopf ausgesprochen werden sollte, bestand eine höhere Übereinstimmung zur Bestrafung offensichtlich billigender Gewalt gegen den Kopf. Dies ist dahingehend verständlich, da während des Matches regelhaft unbeabsichtigte Handlungen auftreten können und ein körperbetontes Spiel zu spielentscheidenden Situationen führen kann. Dass sich die Trainer eher für höhere Strafen ausgesprochen haben, deutet darauf hin, wie wichtig ihnen das Wohl der Spieler ist. Allerdings machten nur 30 % der Trainer Angaben, was ein mögliches Indiz ist, dass nur die Trainer mit einem besonderen Interesse an dieser Umfrage Aussagen getroffen haben. Die absichtliche Gewalt gegen den Kopf mit möglicher Folge einer Gehirnerschütterung sollte deshalb stärker geahndet werden. Dies ist bereits in der Saison 2012/2013 durch die DEL umgesetzt worden, nachdem die Problematik der Gehirnerschütterung im Sport im Rahmen der Mannschaftsarztsitzungen der Medical Task Force der DEL zusammen mit den Spielbetriebverantwortlichen ausführlich diskutiert wurde. Die getroffenen Aussagen der verschiedenen Beteiligten weisen abfragebedingt gewisse Schwächen auf. Dadurch, dass die Fragebogen nur in deutscher Sprache verteilt wurden, könnte die eingeschränkte Teilnahme erklärt werden. Die Rücklaufrate lässt vermuten, dass nicht alle Teams an der Abfrage teilgenommen haben und deshalb die Aussagen nur eine grobe Einschätzung repräsentieren. Unklar bleibt auch, ob die getroffenen Aussagen wirklich die jeweiligen Überzeugungen repräsentieren oder einfach nur als potenziell korrekt eingetragen wurden.

Schlussfolgerung !

Die Ergebnisse dieser Umfrage zeigen als Tendenz, dass unter den Spielern, Trainern, Sportdirektoren und Teamärzten der DEL-Vereine ein gutes Basiswissen in Bezug auf die Gehirnerschütterung und ihre Auswirkungen besteht. Daneben besteht der Wunsch zu erweiterten Information aller Beteiligten hinsichtlich der Gehirnerschütterung und ggf. zur Verschärfung von Strafen bei offensichtlich absichtlicher Verletzungsinkaufnahme. Interessenkonflikt: Nein

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