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Die Biopsie der Arteria temporalis bei der Polymyalgia rheumatica* D. Fancorii, R. Grossenbacher

The Biopsy of the Temporal Artery

Zusammenfassung Die Biopsie der A. temporalis ist zur Diagno-

sesicherung der Riesenzellarteriitis bzw. der Polymyalgia rheumatica nach wie vor unerlhl3lich. Obwohl em Kleineingriff, birgt er gewisse vaskuläre Risiken in sich. Eine dopplersonographische Untersuchung solite deshalb vorgängig durchgefdhrt werden. Urn die Rate der faischnegativen Histologicuntersuchungeri möglichst gering zu halten, wird eine Biopsie beidseits auf einer minirnalen Lange von 4cm empfohlen.

Einleitung

Biopsy of the temporal artery is still the most important component in the diagnosis of polyrnyalgia rheuma-

tica and giant cell arteritis. Although this is a minor surgical intervention, certain vascular complications must be considered. Therefore, preoperative Doppler sonography should be performed. Finally, to prevent false-negative results, the ternporal artery should be excised bilaterally and not shorter than

4cm.

(atypische Poiyarteriitis, Panarteriitis nodosa) abgegrenzt werden.

Aufgrund der eigenen Erfahrung sowie der neueren Literatur soil im folgenden auf wissenswerte Gesichtspunkte bei der Biopsie der A. temporalis hingewiesen werden, in der Hoffliung, dciii praktizierenden HNO-Koliegen ifir diesen nicht ganz alltaglichen Kieineingriff brauchbare Informationen liefern zu können.

Klinische Befunde Für die Arteriitis temporalis typische Befunde sind temporale Kopfschmerzen, druckempfindliche, eventuell verhärtete und puisiose Temporalarterien sowie, infoige der Man-

geldurchblutung, Visusstörungen und kiaudikatioähnliche Au-

Zu den Begriffen ,,Polymyaigia rheumatica, Riesenzellarteriitis, Arterlitis temporaiis" FrUher hielt man die Polymyalgia rheumatica und die Riesenzellarteriitis für zwei verschiedene Krankheiten, wobei die Arteriitis temporalis eine Sonderform der Riesenzellarteriitis darstelite. In den ietzten Jahren kristallisierte sich heraus, daB es sich dabei weitgehend urn em und dieselbe Krankheit handelt (1). Eher selten tritt die Riesenzellarteriitis ohne poiymyalge Symptome auf, bzw. umgekehrt. Es handelt sich

dabei urn eine Systemerkrarikung des älteren Menschen, die akut auftritt und zu chronischem Verlaufneigt. Die Atiologie ist nach wie vor unbekannt. Es werden aber genetische Faktoren diskutiert: Das autosomal, dominant vererbte Gewebsantigen HLA DR4 konnte bei Patienten mit einer Polymyalgia rheumatica gehäuft vorgefunden werden. Des weiteren werden Mikroorganismen als Krankheitsauslöser vermutet (3). Der Erregernachweis konnte jedoch noch nicht erbracht werden.

Zur Diagnostik

genschmerzen. Die Polymyalgia rheumatica dagegen äul3ert sich viel diffuser durch eine Verminderung des Aligemeinzustandes, Gewichtsveriust, Müdigkeit sowie symmetrische, stammnahe Myalgien. Gerber et al. steilten 6 Kriterien auf mit deren Hilfe die Diagnostik erleichtert werden soil (vergleiche Tab. 1).

Blutuntersuchungen Die erhöhte Blutsenkungsreaktion stellt einen wichtigen Pfeiler in der Diagnostik dar. Typischerweise sind die Werte stark erhöht und liegen zwischen 50 und 100 mm/h. Die Streuung kannjedoch erheblich sein: Gerber fand in seinem Patientengut Werte zwischen 8mm/h und 140mm/h (4). Eine Kor-

relation zwischen der Biutsenkungsgeschwindigkeit und dem Schweregrad der Erkrankung bestehtjedoch nicht. Die Kontroile der Blutsenkungsreaktion ist aber wertvoll, urn den Erfoig der Steroidbehandiung zu objektivieren bzw. um die Steroiddosis zu titrieren.

RegeimäBig wird auch eine eisenrefraktäre normo- bis hypochrome Anärnie gefunden.

Die Diagnose der Polymyalgia rheumatica bzw.

der Riesenzellarteriitis kommt per exciusionem zustande. Vor allem müssen sekundhre Symptome von malignen Turnoren (Kolonkarzinom, Bronchuskarzinom) und andere Arteriitiden

Das weiBe Blutbild bleibt in der Regel normal.

Der Antikörpernachweis ist unspezifisch und hilft deshalb diagnostisch kaum weiter.

Laryngo-Rhino-Otol. 71(1992) 3O7-31O Georg Thieme Verlag Stuttgart New York

* Vorgetragen an der Fruhjahrsversammlung 1991 der Schwcizerischen

GeseHschaft für Otorhinolaryngologie, Hals- und Gesichlschirurgie.

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Kiinik für Ohren-Nasen-Halsheilkunde, Hals- und Gesichtschirurgie, Kantonspital St. Gallen (Chefarzt: Prof. Dr. R. Grossenbacher)

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D. Fanconi, R. Grossenbacher

Tab. 1 Die 6 diagnostischen Kriterien für eine Polymyalgia rheumatica nach Gerber

Histologie

Die für die Arteriitis temporalis typischen hi-

1. Manifestationsaher uber 45 Jahre 2. Symmetrische Schmerzen in mindestens zwei der folgenden drei Reg ion en

stologisehen Veränderungen sind (Abb. 1,2und3) (3): 1. Lymphozytäres Infiltrat aller Schichten. 2. Nekrotische Veranderungen sämtlichcr Schichten, mit Verdickung derselben bis hin zur Einengung des Lumens. Die typischen Frerndkörperriesenzellen sind Folge der Nekro-

— Nacken — Schultergurtel — BeckengUrtel

o

Gewichtsvehust

— Subfebrilitat

— Anamie 4. BSG Uber 20mm Westergren bei Mannern und

30mm

bei Frauen

5. Dauer der Beschwerden langer als 2 Monate

I

6. AusschluI3 folgender Erkrankungen, die mit einem sekundaren polymyalgischen Syndrom einhergehen kbnnen: — maligner Tumor — chronische Polyarthritis

— andere Bindegewebserkrankung

Abb. 2 und3 Arteriitis temporalis mit FremdkOrperriesenzelle (Pfeil) (Ha ma Ia un-Eosin-Färb u n g)

Abb. 1 Normale A. temporalis (Elastica-van Gieson Farbung).

Biopsie der Arteria teinporalis

Die einzigen faBbaren Veränderungen spielen sich in den Arterien ab. Eine Biopsie der Arteria temporalis soilte deshaib in jedem Fall durchgefiihrt werden, auch wenn keine Schmerzen in diesem Bereich angegeben werden. Selbst gefdhrliche Stenosierungen bleiben oft subjektiv stumm, müssen aber rechtzeitig erfal3t werden, bevor sie zurn TotalverschluB

ffihren. Es werden nicht alle Arterien gleiclrniäl3ig von einer Riesenzellarteriitis befallen: Haufig sind die Karotiden, die Arteria ophthalmica, die Arteria temporalis sowie die Arteria vertebralis und basilaris betroffen. Aus Gründen der guten Zugänglichkeit wird deshaib Ublicherweise die Arteria temporalis biopsiert.

Abb. 3

Komplikationen der unbehandeJten Krankheit Diese werden durch die GefdBlumeneinengung

gekennzeichnet. Die bekannten Komplikationen sind zerebrovaskuläre Insulte, Erblindungen oder Myokardinfarkte. Bei einem unbehandelten Patientengut kam es in 12% zu beidseitigen, irreversiblen Erblindungen (3).

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sen.

3. Symptome einer Systemerkrankung: — Krankheitsgefuhl

Die Biopsie der Arteria temporalis bei der Polyrnyalgia rheuinatica Abb. 4 Normale, arterielle FluBverhältnisse.

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1. Zu grol3zügige Indikationsstellung zur Biopsie. 2. Nicht jede Poiymyalgia rheumatica bzw. Riesenzeflarteriitis braucht mit entzündlichen VerEnderungen der A. temporalis einherzugehen (Literatur: 14%). 3. Der Operateur biopsiert zu wenig Material. 4. Der Pathologe untersucht zu wenig Schnitte.

Die entzündlichen Veränderungen kommen typischerweise plurifokal, segmentär vor. Diese Herde können eine Ausdehnung von weniger als 0,5mm aufweisen. Es ist möglich, dal3 wenige Millimeter von einem schwer erkrankten Segment entfernt eine völlig normale Arterie gefunden wird. Deshalb mull die Biopsie sicherheitshalber beidseitig und auf einer Minimallänge von 4 cm erfolgen (2). Bei unseren Patienten betrug die biopsierte Lange im Gesamtdurchschnitt 3,5 cm, was mit em Grund sein mag fir die verhältnismällig geringe Zahi positiver Biopsieergebnisse.

Im weiteren darf sich der Histophatologe nicht

Behandlung Die Behandlung mit Steroiden kann zwar die Krankheit nicht heilen, den Verlauf aber deutlich verzögem und

den Patienten beschwerdefrei halten. Sie ist recht aufwendig, eine längere Dauer durchgefUhrt werden und ist selmull ber mit den bekannten Risiken behaftet. Deshaib ist eine möglichst sichere Diagnosestellung wichtig, und dazu ist die Biopsie der Arteria temporalis nach wie vor nötig. Hierbei handelt es sich um einen Kleineingriff, der nicht selten auch von HNOArzten durchgeführt wird.

Eigenes Krankengut An der St. Galler HNO-Klinik wurde dieser Eingriff in der Sjahrigen Zeitspanne (1986—1991) von 12 verschiedenen Opera-

teuren 35ma1 durchgefiihrt, was Ca. 2 Promille samtlicher Eingriffe entspricht. Das durchschnittliche Alter der Patienten betrug 73 Jahre, das Verhältnis männlich:weiblich 1:1,8. Dicse Angaben decken sich weitgehend mit jenen aus der Literatur (1).

26,4 % aller Biopsien waren positiv bezuglich der Diagnose einer Arteriitis temporalis. Die biopsierte Lange betrug bei den positiven Fallen durchschnittlich 3,7 cm, bei den negativen 3,4 cm. Es wurde jeweils eine beidseitige Arterienentnahme durchgefiihrt, au13cr bei 7 Fallen, bei denen auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten auf die Biopsie der schmerzfreien Seite verzichtet wurde. Von diesen 7 einseitigen Entnahmen waren 2 positiv (28 %). Intra- oder postoperative Komplikationen traten keine auf.

Diskussion Wie erwähnt, waren nur 26,4% der Biopsien p0-

sitiv. In der Literatur liegt der Bereich positiver Biopsien zwischen 20—73 % (4). Mögliche Erklarungen, weshaib in unserem Krankengut em eher tiefer Prozentsatz vorliegt, sind folgende:

auf die Untersuchung eines einzigen Gewebescimittes beschränken, sondern mull in aufwendiger Kleinarbeit zahireiche Präparate durchsehen, bevor er einen negativen Bescheid abgeben darf.

Risiken des Eingrffes Obwohl es sich urn einen Kleineingriffhandelt, mull mit gewissen Operationsrisiken gerechnet werden. Dazu gehdren vaskuläre Komplikationen wie postoperativ eintretende zerebrovaskuldre Insulte oder Erblindungen (3). Beirn älteren Patientengut ist ohnehin mit einer erhöhten lnzidenz von arteriosklerotischen Veranderungen zu rechnen. Dazu kann, wie auf den Schnitten erkennbar ist (Abb. 1 bis3), die Riesenzellarteriitis selber, vor allem durch die Intimaverdickung, zu GeftiBverschlüssen fiihren.

Von besonderem Interesse sind die Verhältnisse bei einer Stenosierung der A. carotis interna (Abb. 4 und5). Hier

kann sich durch eine Anastomose zwischen der A. temporalis Abb. 5 Stenosierte Carotis interna. KollateraEreislauf via Carotis externa und A. temporalis.

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Auf die letzten beiden Punkte soil im folgenden näher eingegangen werden:

D. Fanconi, R. Grossenbacher

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Schiufifolgerungen

Ramus posterior

1. Präoperative, dopplersonographische GefdBabklarung. 2. Arteria-temporalis-Biopsie grundsatzlich beidseitig. 3. Minimale Resektionslänge: je 4cm. 4. Genaue histologische Durchsicht auf der gesamten GefáB-

Flamus anterior A. temporalis superficialiS

lange.

Unser Dank gilt Dr. M. Stanisic, Leitender Arzt des Instituts für Pathologie, Kantonsspital St. Gallen, für das Uberlassen der bistologischen Praparate. Abb. 6 Alternativen zur Biopsie der A. temporalis anterior

Literatur

(nach N. Gerber).

und der A. ophthalmica em Kollateralkreislauf bilden, so dal3 das Gehirn und auch das Auge schiuBendlich via Carotis externa versorgt werden. Wird die A. temporalis entfernt, kommt es zurn Unterbruch dieses Umgehungskreislaufes, was zu einem zerebrovaskulãren Insult oder zur Erblindung fii.hren karm. Voil-

rath-Junger und Gloor (6) beschrieben 1989 drei soicher Fälle. Deshaib wird in der neueren Literatur vor jeder Biopsie der A. temporalis eine dopplersonographische Untersuchung der Karotiden empfohlen.

Falls sich bei dieser Untersuchung pathologische Verhältnisse zeigen, kann auf eine Biopsie der A. temporalis posterior bzw. der A. occipitalis (Abb. 6) ausgewichen werwar, die A. temporalis anterior den. Während es bei uns zu biopsieren, postuliert Gerber prinzipiell die posteriore Tern-

I Benjamin, W, M. D. Goodman Jr.: Temporal arteritis. Am. J. Med. 67 (1979) 839—852 2 Errlinger, R. E., C. C. Hunder, L. E. Ward: Polymyalgia rheumatica

and giant cell arteritis. Ann. Rev. Med. 29 (1978) 15

Gerber N .1: Polymyalgia rheumatica und andere Varianten der Riesenzellarteriitis. In Fehr K et al. (Hrsg.): Rheumatologie in Praxis und Klinik. Thieme, Stuttgart (1989) Gerber N .1: Polymyalgia rheumatica, em Teilaspekt der Riesenzellarteriitis. Ergebn. inn. Med. Kinderheilk. Springer Verlag 40 (1978) 85— 199

Pompecki, R., S. Erdogan, B. Conic, H. Frenzel: Der Wert von Ananinese, Befund und Labor für die Diagnose der Riesenzellarteriitis. Z. Gerontol. 21(1988) 253—256 6 VolIrath-Junger, Ch., B. Gloor: Warum eine Dopplersonographie vor jeder Biopsie der A. temporalis? Kim. Mb!. Augenheilk. 195 (1989) 169— 171

poralarterie zu entnehmen (3): Man gehe damit den obenerwähnten Risiken aus dem Wege und habe erst noch das bessere kosmetische Resultat, da der Schnitt innerhaib des behaarten Gebietes zu liegen komnit.

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Abb. 7 Praparat einer biopsierten Arteria temporalis.

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Dr. D. Fanconi Klinik für Ohren-Nasen-Halsheilkunde Hals- mid Gesichtschirurgie Kantonsspital St. Gallen CH-9007 St. Gallen

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Danksagung

[Biopsy of the temporal artery in polymyalgia rheumatica].

Biopsy of the temporal artery is still the most important component in the diagnosis of polymyalgia rheumatica and giant cell arteritis. Although this...
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