Hirn-Doping wird beliebter Eine Langzeitstudie zeigt, dass pharmakologisches Neuroenhancement mit verschreibungspflichtigen Medikamenten seit 2008 zugenommen hat. Es stellt hierzulande ein relevantes gesellschaftliches Phänomen dar.



Pharmakologisches Neuroenhancement oder Hirn-Doping ist ein weites Feld. Wer seine Leistung steigern will, greift am ehesten zu Stimulanzien wie Methylphenidat, Wachmachern wie Modafinil oder Antidementiva. Das psychische Wohlbefinden sollen Antidepressiva oder Betablocker verbessern. Bisher gab es dazu nur Querschnittsuntersuchungen, die eine 1-Jahres-Einnahmehäufigkeit von bis zu 20% unter Studierenden zeigten [vgl. Dietz P et al. Pharmacotherapy. 2013;33:44–50]. Mit dem DAK-Report liegt erstmals eine Langzeitstudie vor. Das IGES-Institut schickte anonyme Fragebögen an 10.213 repräsentativ ausgewählte Erwerbstätige zwischen 20 und 50 Jahren, von denen 5.017 antworteten. Um die Dunkelziffer zu ermitteln, kam bei den Fragen die Unmatched Count Technique (UCT) zum Einsatz, die Anonymität garantiert. 6,7% der Berufstätigen hatten HirnDoping schon mindestens einmal praktiziert – im Gegensatz zu 4,7% im Jahr 2008. Dabei stand das Wohlbefinden (4,7%) öfter im Vordergrund als die Leis-

tungssteigerung (3,3%). Die Dunkelziffer lag bei bis zu 12%, was hochgerechnet fünf Millionen dopende Beschäftigte in Deutschland bedeutet. Von den Konsumenten nehmen ca. 45% die Arzneimittel täglich ein, 63% nutzen sie alle zwei Wochen oder häufiger. Am häufigsten werden Substanzen gegen Angst, Nervosität und Unruhe (61%) sowie Medikamente gegen Depressionen (34%) eingenommen. 12% nahmen Substanzen gegen erhöhte Tagesmüdigkeit, 11% Betablocker, 9% Mittel gegen ADHS und 7% gegen Gedächtniseinbußen. Männern kam es beim Hirn-Doping eher auf Leistungssteigerung an, Frauen auf Stimmungsaufhellung und den Abbau von Ängsten und Nervosität. Demografische Variablen wie Schulabschluss, Berufsstand (Arbeiter, Angestellte, Beamte etc.) und Universitätsbesuch hatten keinen Einfluss. Jedoch zeigten eher Beschäftigte mit einfacher Arbeit und unsicherem Arbeitsplatz ein erhöhtes Konsumrisiko. ■ Update Doping am Arbeitsplatz: pharmakologisches Neuroenhancement durch Erwerbstätige. DAK-Gesundheitsreport 2015, S. 29–96

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Kommentar Der DAK-Report 2015 ist methodisch sehr gut gemacht und bringt einige überraschende Ergebnisse. Erstmals wurde unter Verwendung gleicher oder sehr ähnlicher Fragen gezeigt, dass Hirn-Doping in Deutschland zunimmt. Überraschend ist, dass es nicht in der Führungsebene, sondern eher unter Erwerbstätigen mit einfacher Arbeit beliebt ist. Die häufigen Doping-Motive wirken dennoch der Führungskultur entnommen: „bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit arbeiten“, „Prüfungen, Präsentationen und schwierige Gespräche besser meistern“ und „Ziele besser erreichen“. Die Daten zur Dunkelziffer sowie die hohe Aufgeschlossenheit von Studierenden gegenüber Hirn-Doping lassen vermuten, dass das Phänomen weiter an Bedeutung zunehmen wird. Verschreibungspflichtige Medikamente sind nicht umsonst verschreibungspflichtig. Dazu kommen die hohen Placeboresponseraten etwa bei Antidepressiva oder auch Methylphenidat. Koffein bringt ähnliche Effekte wie Hirn-Doping [Franke AG et al. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 2014; 264 (Suppl 1)] – bleiben wir also besser beim Kaffee. Prof. Dr. med. K. Lieb ■

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