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Karzinoidtumor des Mittelohrs Morphologie, Immunhistochemie, Klinik und Differentialdiagnose* P. Ruck', Eva-Maria Pfisterer2, E. Kaiserling' 'Abteilurig für Sperielle Histo- und Zytopathologie — Institut für Pathologie der Universitlt Tübingen (Direktor Prof. Dr. E. Kaiserling) 1 Universittsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Tübingen (Direktor: Prof. Dr. D. Plester)

Wir berichten den seltenen Fall eines Karzinoidtumors des Mittelohres bei einer SOjahrigen Patientin. Der Tumor zeigte histologisch eine teils drüsige, teils neuroendokrine Differenzierung. Zum Nachweis neuroendokriner Differenzierung ist der immunhistochemische Nachweis von Chromogranin A von besonderer diagnostischer Bedeutung. Das morphologische Spektrum der bislang in der Literatur beschriebe-

nen neuroendokrin und/oder drflsig differenzierten Mittelohrneoplasien wird im einzelnen erörtert. Tm Hinblick auf den Grad ihrer drusigen und neuroendokrinen Differenzierung werden diese Tumoren schematisch geordnet und den Tumoren anderer Regionen gegentibergestellt. Die Daten der Literatur erlauben keine kiare Aussage zur Prognose der Karzinoidtumoren des Mittelohrs, und bei den bislang publizierten Fillen wurden sehr unterschiedliche Therapieformen angewandt. Im beschriebenen Fall gibt es sechs Monate nach lokaler Tumorexzision keinen Hinweis auf em Rezidiv.

Einfuhrung Karzinoide des Mittelohrs sind äuferst sdten (Friedmann, 1986; Latif und Mitarb., 1987; Stanley und Mitarb., 1987). Bei dem von uns beobachteten Fall handelt es sich urn den neunten in der Literatur dokumentierten Fall, der an anderer Stelle ausführlich beschrieben wird (Ruck und Mitarb.).

Carcinoid Tumour of the Middle Ear — Morphology, Immunohistochemistry,

Clinical Features and Differential Diagnosis

We describe the unusual case of a carcinoid tumour of the middle ear occurring in a woman of 50 years of age. The tumour exhibited both glandular and neuroendocrine differentiation. Tmmunohistochemical demonstration of chromogranin A is of particular diagnostic importance as evidence of neuroendocrifle differentiation. The morphological spectrum of the middle ear tumours with neuroendocrine and/or gland-

ular differentiation reported in the literature is discussed in detail. These tumours are arranged schematically according to the degree of glandular and of neuroendocrine differentiation, and are compared with the tumours of other regions. The data in the literature do not allow unequivocal assertions concerning the prog-

nosis of carcinoid tumours of the middle ear to be made, and very diverse therapeutic measures have been employed in the reported cases. In our case there is no evidence of recurrence six months after local tumour excision.

Rezidiv. Im Hinblick auf histogenetische Aspekte wurden neben dem Tumor selbst Biopsate nicht-neoplastischer Mittelohrschleimhaut histochemisch und immunhistochemisch untersucht.

Ergebnisse

Histologisch fand sich em epithelialer Tumor, der zwei verschiedene Komponenten aufwies: Zurn ei-

nen fanden sich solide (Abb. 1), zum anderen drusige Fallbeschreibung und Untersuchungsgut Bei der S0jährigen Patientin, die seit zwei Jahren unter Tinnitus im rechten Ohr litt, fand sich bei normalem Audiogramm hinter dem rechten Trommelfell em Tumor im vorderen oberen und unteren Quadranten. Der etwa 4 mm im Durchmesser messende, computertomographisch darstelibare Tumor konnte nach retroaurikulärer Eröffnung des Mittelohrs lokal in toto entfernt werden. Sechs Monate nach Operation gab es keinen Hinweis auf em

Laryngo-Rhino-Otol. 69 (1990) 74—76 Georg Thieme Verlag Stuttgart . New York

Strukturen (Abb. 2). In den Drüsenlichtungen war zum Teil PAS-positiver Schleim nachweisbar (Abb. 2). Immunhistochemisch erwiesen sich alle Tumorzellen als Keratin-posi-

tiv. Em Teil der Tumorzellen war argyrophil und färbte sich mit Antikörpern gegen neuronenspezifische Enolase, Chromogranin A (Abb. 3), Leu 7, Serotonin, Pankreatisches

Polypeptid, Glukagon und Lysozym. In nicht-neoplastischer Mittelohrschleimhaut liefen sich keine endokrinen Zellen nachweisen.

Nach einem Vortrag auf der 72. Versammlung der Vereinigung

Südwestdeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte. 23./24. September 1988, Tübingen.

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Zusammenfassung

Karzinoidtumor des Mittelohrs

Laryngo-Rhino-Otol. 69 (1990) 75

Tab.1 Morphologisches Spekirurn drQsig und neuroendokrin differenzierter Mittelohrneoplasien.

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Karzlnold Karzinoid mit drusiger Differenzierung Adenom mit neuroendokriner Oifferenzierung

Adenokarzinom mit neuroendokriner Differenzierung

Adenom

Adenokarzinom

Diskussion Karzinoidtumor des Mittelohrs. Ausschnitt aus einem soliden Areal mit cytologisCh sehr unitormen Tumorzellen unter unverändert erscheinendem Mittelohrschjeimhautepithel. Drüsige Strukturen kommen nicht vor. PAS-Reaktion. x 400.

schriebene Mittelohrtumor eine bidirektionale Differenzierung auf. Nach den Daten der Literatur ist diese Morphologie für die neuroendokrin differenzierten, epithelialen Mittelohrneoplasien charakteristisch.

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In Tab. 1 sind die in der Literatur bislang beschriebenen Entitäten drusig und neuroendokrin differenzierter, epithelialer Mittelohrneoplasien aufgefuhrt. Die sichere Abgrenzung eines neuroendokrin differenzierten Tumors von nicht-neuroendokrin differenzierten Adenomen und Adenokarzinomen ist mit konventionellen morphologischen Methoden oft schwierig oder unmoglich. In einem Teil der FãlIe wird die Zuordnung erst durch den Einsatz elektronenmikroskopischer oder immunhistochemischer Methoden moglich. Der immunhistochemische Nachweis von Chromogranin A ist dabei von besonderer

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diagnostischer Relevanz.

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Als moglicher Ausgangspunkt der Mittelohrkarzinoide ist in erster Linie an neuroendokrine Zellen der Mittelohrschleimhaut zu denken. Uberrascheriderweise ist es bislang weder uns noch anderen Autoren gelungen, in der normalen Mittelohrschleimhaut solche Zellen nachzuweisen. Somit kommt als Ausgangspunkt dieser Tumoren in erster Linie eine undifferenzierte, endodermale Stammzelle in Betracht. Aber auch metaplastische Veränderungen in einem zunàchst rein drusig oder auch rein neuroendokrin differenzierten Tumor sind in Erwägung zu ziehen. Eine früher für Karzinoide diskutierte neuroektodermale Natur ist beim heutigen Stand des Wissens nicht mehr anzunehmen.

Abb. 2 Karzinoidtumor des Mittelohrs. Ausschnitt aus einem Areal mit vorwiegend drusigen Strukturen. In den Drüsenhichtungen st PAS-positiver, extrazellulärer Schleim nachweisbar (Pfeile). PASReaktion. x400.



Mit seiner bidirektionalen Differenzierung nimmt der beschriebene Tumor in der Gruppe neuroendokrin differenzierter, epithelialer Neoplasien keine Sonderstellung em, da ähnlich strukturierte Tumoren z. B. auch im Gastrointestinal- und Bronchopulmonaltrakt vorkommen. Aus Sicht der allgemeinen Tumorpathologie ist darhinaus zu erwarten, da1 sich auch bei den neuroendokrin und drüsig differenzierten, epithelialen Mittelohrneoplasien em noch breiteres Tumorspektrum ergeben wird (Tab. 2). Em soiches Spektrum, weiches mit dem anderer Organsysteme vergleichbar sein dürfte, würde beispielsweiSe auch das bislang am Mittelohr noch nicht beobachtete kleinzellige Karzinom (oat cell carcinoma) enthalten.

Abb. 3 Karzinoidtumor des Mittelohrs. Em Teil der Tumorzellen zeigt eine intensive lmmunfàrbung mit elnem Antikärper gegen Chromogranin A (Pfeile). Anti-Chromogranin A. ABC-Methode. x 400.

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Abb. 1

Durch semen Aufbau aus einer drusigen und einer neuroendokrinen Komponente weist der be-

P. Ruck und Mitarb.: Karzinoidtumor des Mittelohrs

76 Laryngo-Rhino-Otol. 69 (1990)

Literatur

Tab.2 Anzunehmendes morphologisches Spektrum drUsig und neuroendokrin differenzierter Mittelohrneoplasien.

Kleinzelliges Karzinom

I Friedmann, I.: Neoplasms of the ear. In: Systemic Pathology, vol I, 2

Karzinoid mit

drusiger Ditferenzierung

zunehmende neuroendokrine Differenzierung

Kleinzelliges Karzinom mit drusiger Differenzierung

Adenom mit neuroendokriner Difterenzierung

Adenokarzinom mit neuroendokriner Differenzierung

Adenom

Adenokarzinom zunehmende Entdifferenzierung

Differentialdiagnostisch sind die neuroendokriri differenzierten, epithelialen Mittelohrneoplasien von nicht-neuroendokrin differenzierten Adenomen und Adenokarzinomen sowie Paragangliornen, Choristomen und sekundär aus dern Gehorgang einwachsenden Zeruminomen und Metastasen abzugrenzen. Die Unterscheidung zwischen Adenomen und Adenokarzinornen gestaltet sich hierbei oft schwierig. Sehr oft bestehen beide Tumoren aus uniformen Zellen und weisen wenige oder keine Mitosen auf. Diese Unsicherheit hinsichtlich der Bestimmung der

Dignitat gilt wohi auch für die neuroendokrin differenzierten, epirhelialen Mittelohrneoplasien und spiegelt sich in der wenig einheitlichen Therapie wider: Bei den acht in der Literatur als Karzinoide beschriebenen Fallen reichen die therapeutischen Verfahren von der einfachen, lokalen Tumorexzision bis zur radikalen Tympanoattikomastoidektomie. Lokairezidive wurden in zwei Fallen beschrieben. Bei dern von uns beobachteten Fall ergab sich nach lokaler Tumorexzision im bisherigen Verlauf von sechs Monaten kein Hinweis auf em Rezidiv. Die Zahl der beschriebenen Fä.lle ist jedoch zu gering, urn verläfliche Aussagen zur Prognose oder zur Wertigkeit einzelner Therapieverfahren zu machen.

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3rd edition. Hrsg.: W. St. C. Symmers. Churchill Livingstone, Edinburgh 1986 Latif, M. A., D. J. Madders, R. P. E. Barton, P. A. V. Shaw: Carcinoid tumour of the middle ear associated with systemic symptoms. J. Laryngol. Otol. 101 (1987) 480—486 Rock, P., E.-M. Pfisterer, E. Kaiserling: Carcinoid tumour of the middle ear. A morpho'ogical and imunohistochemical study with Comments on histogenesis and differential diagnosis. Path. Res. Pract. Im Druck. Stanley, M. W., C. A. Horwitz, R. M. Levinson, R. K. Sibley: Carcinoid tumors of the middle ear. Am. J. Clin. Pathol. 87 (1987) 592—600

Prof. Dr. E. Kaiserling Abteilung für Spezielle Histo- und Zytopathologie Institut für Pathologic der Universität Liebermeisterstrage 8 D-7400 Tübingen Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Karzinoid

[Carcinoid tumor of the middle ear. Morphology, immunohistochemistry, clinical aspects and differential diagnosis].

We describe the unusual case of a carcinoid tumour of the middle ear occurring in a woman of 50 years of age. The tumour exhibited both glandular and ...
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