450 Originalie

Veränderung des Schmeckvermögens bei Patienten mit Vestibularisschwannom Changes in Taste Ability in Patients with Vestibular Schwannoma

Institute

Schlüsselwörter

▶ Vestibularisschwannom ● ▶ Schmeckstreifen ● ▶ Nervus intermedius ● ▶ Schmecken ● ▶ Nervus facialis ●

Key words ▶ vestibular schwannoma ● ▶ taste strips ● ▶ intermediate nerve ● ▶ taste ●

P. Boeßert1, C. Grüttner2, R. van Ewijk3, B. Haxel1 1

Hals-, Nasen-, Ohrenklinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Mainz, Mainz Medizinische Fakultät, Johannes-Gutenberg-Universität, Mainz 3 Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik, Universitätsmedizin Mainz, Mainz 2

Zusammenfassung

▼ Das Vestibularisschwannom ist ein seltener Tumor, der durch seine anatomische Lage und nervalen Ursprung verschiedene Symptome hervorrufen kann. Eine Affektion der somatosensorischen Fasern des N. intermedius und damit des Schmeckens ist möglich. Bisher liegen nur wenige Daten zu dieser Thematik vor. Ziel dieser Untersuchung war es, das Schmeckvermögen bei Patienten mit einseitigem VS mit dem validierten, psychophysischen Schmecktest Schmeckstreifen zu untersuchen. Es konnten 26 Patienten in die Untersuchung eingeschlossen werden. Nach einer ausführlichen Anamnese erfolgten eine komplette HNO-Untersuchung sowie die seitengetrennte Schmecktestung. Die Patienten waren gleich auf die Geschlechter verteilt. Das zu erwartende Erstdiagnosealter spiegelte sich im Altersmittelwert von 52 Jahren wieder. Das mittels visueller Analogskala ermittelte, selbsteingeschätzte Schmeckvermögen nahm

Einleitung eingereicht 28. November 2013 akzeptiert 08. April 2014 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1375658 Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 450–454 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0935-8943 Korrespondenzadresse Dr. Patrick Boeßert Hals-, Nasen-, Ohrenklinik und Poliklinik Universitätsmedizin Mainz Langenbeckstraße 1 55131 Mainz [email protected]



Das Vestibularisschwannom (VS) ist ein gutartiger Tumor, der von den Schwann-Zellen des VIII. Hirnnerven, dem N. vestibulocochlearis, ausgeht. Dabei entspringt der Tumor in über 90 % der Fälle vom N. vestibularis inferior [1]. Klinisch wird die Erkrankung durch die Kardinalsymptome einseitige Hörminderung, Tinnitus, Schwindelanfälle und Gleichgewichtsstörungen auffällig [2]. Aufgrund der anatomischen Enge im Bereich des Kleinhirnbrückenwinkels und insbesondere des inneren Gehörganges kann es auch zu Affektionen des Nervus facialis und des Nervus intermedius kommen, die gemeinsam mit dem Nervus vestibulocochlearis durch den inneren Gehörgang ziehen. Die Symptome reichen von Krokodilstränen, trockenen Augen über eine Fazialisparese bis hin zu Schmeckstörungen im Versor-

Boeßert P et al. Veränderung des Schmeckvermögens bei … Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 450–454

mit zunehmendem Lebensalter ab. Eine Störung des Schmecksinns gaben 2 Patienten (8 %) an. Es zeigte sich durch alle Altersgruppen hinweg ein geringerer Schmeckwert auf der Tumorseite im Vergleich zur gesunden Seite, wobei der Unterschied statistisch das Signifikanzniveau nicht erreichte. Ein Zusammenhang zwischen Tumorgröße und Tumorlage mit dem Ergebnis der Schmecktestung konnte nicht herausgestellt werden. Die 2 Patienten die eine Schmeckstörung angaben, hatten auf der Tumorseite einen Schmeckwert unterhalb der 10. Perzentile ihrer Alters- und Geschlechtsgruppe im Gegensatz zur gesunden Seite. Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass der Schmeckwert der vorderen zwei Drittel der Zunge auf der Seite mit VS geringer als auf der gesunden war. Der geringe Prozentsatz an selbsteingeschätzten Schmeckstörungen stützt die Beobachtung, dass Schmecken ein Gesamtmunderlebnis ist und eine Unterfunktion einer Region subjektiv wenig wahrgenommen wird bzw. ausgeglichen werden kann.

gungsgebiet der Chorda tympani der betroffenen Seite. Der Schmecksinn ermöglicht die Wahrnehmung der Schmeckqualitäten süß, sauer, salzig, bitter, umami und Fettgeschmack, wobei weitere Qualitäten Gegenstand der Forschung sind. Das Schmecken soll die Unterscheidung essbarer von giftiger Nahrung sowie Rückschlüsse auf den Nährwert und Inhaltsstoffe der Nahrung vermitteln. Die Schmeckmoleküle werden in spezialisierten epithelialen Strukturen, den Schmeckknospen, rezeptiert. Diese befinden sich auf dem Zungenrücken, dem Weichgaumen, der Epiglottis und den oberen Anteilen des Ösophagus und werden durch die Hirnnerven VII, IX und X innerviert. Die Afferenzen der Schmeckknospen werden in den Ganglien der zugehörigen Nerven umgeschaltet, eine mittellinienüberschreitende Versorgung findet statt. Die Weiterleitung der Schmeckinformation findet im Hirnstamm über

Heruntergeladen von: University of Florida. Urheberrechtlich geschützt.

Autoren

Originalie 451 Material und Methoden



Patienten bei denen anhand einer MRT-Untersuchung des Hirnschädels unter besonderer Beachtung der Kleinhirnbrückenwinkelregion der Verdacht auf ein einseitiges VS gestellt wurde, kamen in Betracht für die prospektive Studie an der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf-Hals-Chirurgie der Universitätsmedizin Mainz. Die Patienten stellten sich zur Beratung und Planung der weiteren Therapie bei erstdiagnostiziertem VS in der Poliklinik vor. Sie willigten in die Untersuchung schriftlich ein, ein positives Votum der lokalen Ethikkommission lag vor. Mithilfe eines Fragebogens wurden die Patienten zu ihrer Krankengeschichte inklusive Operationen, Medikamenteneinnahme, Konsum von Tabak, Alkohol und Nikotin sowie familiären Riechund Schmeckstörungen befragt. Patienten mit einer stattgehabten Ohroperation, neurotoxischer Medikamenteneinnahme oder psychiatrischen Leiden wurden von der Untersuchung ausgeschlossen. Weitere Daten zu möglichen Einflussfaktoren wie Geschlecht, Alter, die Tumorgröße und Fazialisfunktion nach der Einteilung nach House-Brackmann [17] wurden erhoben. Da in der Literatur sehr unterschiedliche Gruppeneinteilungen nach der Tumorgröße vorgenommen wurden, entschieden wir uns die Tumorgröße und Lage in 2 Klassifikationen abzubilden ▶ Tab. 1). Es wurde dabei einerseits zwischen Tumoren der (● Größe 1–10 mm, 11–25 mm und größer 25 mm und andererseits nach einer modifizierten Klassifikation nach KOOS unterschieden. Die Klassifikation nach KOOS unterteilt VS in 4 Kategorien. Grad 1 Tumoren sind rein intrameatal, Grad 2 Tumoren intraund extrameatal gelegen, Grad 3 Tumoren haben Kontakt zum Hirnstamm und Grad 4 Tumoren komprimieren den Hirnstamm. Das subjektive Schmeckempfinden wurde anhand einer visuellen Analogskala von 0 mm (kein Schmeckempfinden) bis 100 mm (sehr gutes Schmeckempfinden) durch die Patienten selbst angegeben. Des Weiteren erfolgte eine HNO-ärztliche Untersuchung inklusive Endoskopie der Nase sowie Mikroskopie der Mundhöhle und der Ohren zum Ausschluss relevanter Erkrankungen mit Auswirkung auf das Schmecken oder Riechen. Im Anschluss wurde die Untersuchung des Schmeckvermögens mit den Schmeckstreifen durchgeführt. Dabei wurden den Patienten jeweils 4 Schmeckstreifen der Qualitäten süß, sauer, salzig und bitter in jeweils 4 verschiedenen Konzentrationen seitengetrennt, pseudorandomisiert und für jeweils 3–4 s auf die vorderen zwei Drittel der Zunge aufgelegt. Bei herausgestreckter Zun-

Abb. 1 Schmeckstreifen.

Boeßert P et al. Veränderung des Schmeckvermögens bei … Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 450–454

Heruntergeladen von: University of Florida. Urheberrechtlich geschützt.

den Tractus solitarius zum Nucleus tractus solitarii statt. Nach Umschaltung erfolgt die Weiterleitung in den Thalamus und zum primär gustatorischen Kortex im frontalen Operculum und der Insel [3]. Schmeckstörungen sind insgesamt seltener als Riechstörungen. Bei ca. 5 % der Bevölkerung besteht eine Hypogeusie, Ageusien sind extrem selten [4]. Schmeckstörungen können anhand des Ursprungsortes in epitheliale, nervale und zentrale Störungen eingeteilt werden. Typische Beispiele sind Schmeckstörungen im Rahmen eines Burning mouth syndrom, einer Mukositis bei z. B. Radiochemotherapie, medikamenteninduzierte Schmeckstörungen, Schmeckstörungen durch Mittelohrerkrankungen oder nach chirurgischen Maßnahmen an den Gaumentonsillen oder Ohroperationen. Zentrale Schmeckstörungen finden sich z. B. nach einem Schlaganfall. Die Behandlung beschränkt sich bisher auf die Diagnostik, Ausschaltung der Noxen, Behandlung der Grunderkrankung, Schleimhautpflege und ggf. Gabe von Zink [3, 5]. In der Literatur finden sich nur wenige und zudem stark schwankende Angaben zur Häufigkeit von Schmeckstörungen bei Patienten mit VS. Stripf et al. befragten retrospektiv Patienten, bei denen ein VS operiert worden war, mit einem Fragebogen hinsichtlich Schmeckstörungen und konnten eine Inzidenz für Schmeckstörungen von 4 % in ihrem Patientengut ermitteln [6]. Sahu et al. verwendeten in ihrer Untersuchung mit Schmecklösungen getränkte Wattestäbchen. Dabei wurde je ein Wattestäbchen mit einer Konzentration jeder Schmeckqualität jeweils auf die nichtbetroffene und betroffene Zungenseite aufgebracht. Ein durch den Patienten angegebenes vermindertes oder fehlendes Schmeckvermögen mindestens einer Schmeckqualität wurde bereits als Schmeckstörung gewertet. Bei Anwendung dieser Untersuchungsmethode zeigte sich eine Inzidenz von 41 % Schmeckstörungen bei den untersuchten Patienten mit VS [7]. Bislang gibt es keine Studie zur Prüfung des Schmeckvermögens bei Patienten mit Vestibularisschwannom, die ein validiertes Testsystem zur Diagnostik nutzte. Dabei stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Das Testsystem muss in der Lage sein eine seitengetrennte Messung und damit das lokale Schmeckvermögen zu erfassen. Die Schmecklösungen in den 4 Schmeckqualitäten können in verschiedenen Konzentrationen mit Watteträgern lokal auf die Zunge aufgetragen [8], aufgetropft oder mit Filterpapierscheiben aufgebracht [9] werden. Im europäischen Raum hat sich die Anwendung von mit Schmecklösungen imprägnierten Filterpapierstreifen, den Schmeckstreifen, auch Taste Strips genannt, etabliert [10]. Ein Schmeckstreifen ist ein 8 cm langer Filterpapierstreifen, der an seinem vorderen Ende eine 2 cm2 große, rechteckige, mit dem Schmeckstoff ▶ Abb.1). imprägnierte Fläche aufweist (● Die Schmeckstreifen sind in Voruntersuchungen an 537 normal schmeckenden Probanden evaluiert und Normwerte aufgestellt worden [10]. Dabei konnte zusätzlich herausgestellt werden, dass der Schmecksinn mit dem Alter schlechter wird und Frauen besser als Männer schmecken. Seit der Einführung der Schmeckstreifen sind zahlreiche Fragestellungen mit dem Testsystem bearbeitet worden. So konnte gezeigt werden, dass eine Beeinträchtigung des Riechvermögens eine Verschlechterung des Schmeckvermögens nach sich zieht [11]. Das Schmeckvermögen bei Patienten mit verschiedenen systemischen Erkrankungen sowie Affektionen peripherer und zentraler Anteile der Schmeckbahn wurden mit den Taste Strips untersucht [12–16]. Ziel dieser Untersuchung war es, das Schmeckvermögen bei Patienten mit Vestibularisschwannom mit dem validierten, psychophysischen Schmecktest Schmeckstreifen [10] zu untersuchen.

452 Originalie

Tab. 1 Klinische Daten, HB House-Brackmann [17], 1 intrameatal, 2 intra- und extrameatal, 3 intra- und extrameatal mit Hirnstammkontakt, 4 intra- und extrameatal mit Hirnstammkompression; entspricht einer modifizierten Klassifikation nach KOOS [2]. N

Fazialisfunktion HB I

18–40 41–60 > 60 gesamt

2 21 3 26

2 19 3 24

HB II 2 2

Tumorgröße in mm 1–10

11–25

8 1 9

2 11 2 15

ge musste einer der 4 Schmeckqualitäten im forced choice Verfahren auf einer Liste gezeigt werden. Somit konnte ein Schmeckwert von maximal 16 pro Versorgungsgebiet der Chorda tympani erreicht werden. Zwischen den Messungen konnten die Patienten den Mund mit Leitungswasser spülen. In Anlehnung an die verfügbaren, altersbezogenen Normwerte wurden die Patienten in 3 Gruppen, 18–40 Jahre, 41–60 Jahre und älter als 60 Jahre eingeteilt [10]. Die Schmeckstreifen sind bei der Firma Burghart Messtechnik GmbH, Tinsdaler Weg 175, 22880 Wedel, kommerziell erhältlich. Die erhobenen Schmeckwerte wurden mit den zur Verfügung stehenden Normwerten sowie zwischen Tumor- und gesunder Seite altersgruppen- und geschlechtsspezifisch verglichen [10].

Radiologische Klassifikation > 25

1

2

8

2

8

Ergebnisse

Alter 18–40 41–60 > 60

N

4

1 1 2

6

Geschlecht ( %)

2 21 3 26

6

m

w

1 (50) 12 (57) 0 13 (50)

1(50) 9 (43) 3 (100) 13 (50)

MW Alter (Min/Max) 34,5 (31/38) 51,7 (41/60) 66 (65/67) 52 (31/67)

Tab. 3 Selbsteinschätzung des Schmecksinns, S: Standardabweichung, VAS: visuelle Analogskala. Alter

N

18–40

2

Störung des

VAS (MW)

Schmecksinns

Min/Max/S

ja

nein

0

2

79,5 74/85/7,8

41–60

21

2

19

71,4 12/100/21,7

> 60

3

0

3

68 54/83/14,5

gesamt

26

2

24

71,6 12/100/20

Tab. 4 Mittelwertvergleich Schmeckwert Tumorseite vs. gesunde Seite, *einseitige Testung, S: Standardabweichung. Alter

N



Insgesamt konnten 26 Patienten unter Gleichverteilung der Geschlechter in die Studie eingeschlossen werden. Das Diagnosealter lag bei 81 % der Patienten zwischen dem 41. und 60. Le▶ Tab. 2). Eine bensjahr mit einem Mittelwert von 52 Jahren (● leichtgradige Einschränkung der motorischen Gesichtsnervenfunktion House-Brackmann Grad II war bei 2 (8 %) der Pa▶ Tab. 1). Auf die Befragung der Patienten tienten zu erheben (● zu ihrem Schmeckempfinden gaben lediglich 2 (8 %) an, eine Störung des Schmecksinns wahrzunehmen. Das subjektive Schmeckempfinden, ermittelt anhand der visuellen Analogskala, nimmt ▶ Tab. 3). Die Mittelwerte des mit zunehmendem Alter ab (● Schmeckwertes der Tumorseite waren im Vergleich zur gesunden Seite in allen Altersgruppen und im Gesamtdurchschnitt um 0,73 Schmeckpunkte geringer. Im Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstest konnte eine Normalverteilung der Messwerte bestätigt werden. In der Untersuchung auf statistische Signifikanz mittels t-Tests für verbundene Stichproben wurde das Signifi▶ Tab. 4). Im Vergleich der Gesamtkanzniveau nicht erreicht (● schmeckwerte zu den alter- und geschlechtsspezifischen Normwerten [10] ergab sich ein statistisch hochsignifikanter Unterschied im Sinne geringerer Schmeckwerte der Patientenpopula▶ Tab. 5). Es zeigte tion im Vergleich zur Normalpopulation (●

3

2 6 2 10

Tab. 2 Patientenkollektiv.

Statistik Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Programm IBM® SPSS® Statistics Version 21, IBM Deutschland GmbH, 71137 Ehningen. Das Konfidenzintervall wurde mit 95 %, das Signifikanzniveau mit 0,05 festgelegt. Die Mittelwertvergleiche der Schmeckwerte erfolgten mit dem t-Test für verbundene Stichproben. Die Untersuchung des Einflusses der radiologischen Klassifikation und Tumorgröße auf den Schmeckwert erfolgte unter Anwendung nichtparametrischer Korrelationen nach Spearman für die Tumorgröße und Fishers exaktem Test für die radiologische Klassifikation.

2

18–40 41–60

2 21

> 60 gesamt

3 26

Chorda tympani

P

MW Tumor

MW gesund

(S/Min/Max)

(S, Min, Max)

10,5

12

7,78/5,0/16,0

4,24/9,0/15,0

7,95

8,57

2,46/3,0/12,0

2,2/4,0/12,0

11,33

12,33

1,53/10,0/13,0

1,15/11,0/13,0

8,54

9,27

3,0/3,0/16,0

2,62/4,0/15,0

t-Test 0,66 0,29 0,42 0,08*

sich keine Korrelation zwischen dem Schmeckwert der erkrankten Seite und der Tumorgröße (r = − 0,16; p = 0,43). Auch gab es keinen Zusammenhang zwischen dem Schmeckwert der erkrankten Seite auf der einen und der radiologischen Klassifikation (p = 0,593) auf der anderen Seite. Die Aufschlüsselung der Schmeckwerte nach den Qualitäten süß, sauer, salzig und bitter ergab für süß, sauer, und bitter einen höheren Mittelwert auf ▶ Tab. 6). Die Unterder gesunden im Vergleich zur Tumorseite (● schiede waren statistisch nicht signifikant. Die Schmeckqualität salzig wurde auf der Tumorseite im Mittel besser wahrgenommen. Die beiden Patienten, die in der Befragung angaben eine Störung ihres Schmecksinns zu haben, erreichten auf der Tumor-

Boeßert P et al. Veränderung des Schmeckvermögens bei … Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 450–454

Heruntergeladen von: University of Florida. Urheberrechtlich geschützt.

Alter

Tab. 5 Mittelwertvergleiche Schmeckwert Chorda tympani gesamt vs. alters- und geschlechtsspezifische Normwerte [10], S: Standardabweichung. Alter

18–40 41–60 > 60 gesamt

N

2 21 3 26

Chorda tympani

P

MW gesamt

MW Norm

t-Test

(S/Min/Max)

(S/Min/Max)

22,5

25,3

12,02/14,0/31,0

1,41/24,3/26,3

0,78

16,52

20,77

3,86/8,0/22,0

1,98/19,1/23,0

23,67

20,6

2,08/22,0/26,0

0/20,6/20,6

< 0,01 0,13

17,81

21,1

5,03/8,0/31,0

2,18/19,1/26,3

< 0,01

Tab. 6 Mittelwerte der richtig erkannten Schmeckstreifen Tumorseite vs. gesunde Seite. Schmeckqualität

Mittelwert richtig erkannte Schmeckstreifen Tumorseite

süß sauer salzig bitter

3,00 1,81 1,85 1,88

gesunde Seite 3,35 2,04 1,58 2,31

seite einen Schmeckwert unterhalb der 10. Perzentile im Vergleich zu ihrer Alters- und Geschlechtsgruppe, während der Wert auf der gesunden Seite oberhalb der 10. Perzentile lag.

Diskussion



Das Schmeckempfinden wird im Wesentlichen durch die Hirnnerven VII und IX vermittelt. Dabei werden die vorderen zwei Drittel der Zunge durch den N. VII und das hintere Drittel der Zunge durch den N. IX versorgt. Die Innervation ist zudem seitengetrennt aber z.T. mittellinienüberschreitend. Der Weichgaumen und Teile des Larynx tragen ebenfalls zum Schmecken bei. Daher ist bei einseitigem Vestibularisschwannom mit vermuteter Kompromittierung des Schmeckvermögens in einem Innervationsareal der Zunge nicht von einer wesentlichen Beeinträchtigung des subjektiven Gesamtschmeckvermögens auszugehen, da die anderen Areale die Funktion übernehmen und das Schmeckempfinden einen Gesamtmundeindruck darstellt [18]. Die hier vorliegende Arbeit ist die erste zum Thema Schmecken und VS, in der das Schmeckvermögen mit einem standardisierten und evaluierten Schmecktest gemessen wurde. In der Untersuchung von Watanabe wurde die Elektrogustometrie angewandt, mit der keine Darstellung der einzelnen Schmeckqualitäten gelingt und auch nur eine geringe Korrelation zwischen adäquatem Schmeckreiz und elektrogustometrischer Messung bei überschwelligem Reiz vorhanden ist [19]. Watanabe fand eine nicht signifikante Schwellenwerterhöhung in der präoperativen Elektrogustometrie der Tumorseite im Vergleich zur gesunden Seite. Nach der operativen Entfernung der VS hatten die Patienten mit subjektiver Schmeckstörung in seiner Studie einen signifikant erhöhten Schwellenwert in der Elektrogustometrie im Vergleich zur Gegenseite. Sahu wertete in seiner Untersuchung die Verringerung der Schmeckintensität oder die fehlende Wahrnehmung bereits einer Schmeckqualität auf der Tumorseite als auffällig, wobei lediglich mit einer Konzentration pro Schmeckqualität

einmal pro korrespondierendem Schmeckareal der Chorda tympani gemessen wurde [7]. Er fand nach diesen Kriterien eine Schmeckstörung auf der Tumorseite bei 41 % der Patienten, wobei 9 Männer (6 %) einen gemessenen Schmeckverlust auf der Tumorseite überhaupt nicht bemerkt hatten. Die von Watanabe [20] berichteten 28,7 % und von Sahu berichteten [7] 34,5 % selbst eingeschätzten Schmeckstörungen bei Patienten mit einem einseitigen VS konnten wir nicht bestätigen. Lediglich 2 Patienten (8 %) der untersuchten Population klagten über eine Beeinträchtigung des Schmeckvermögens, beide waren Frauen. Grund für die geringere Anzahl betroffener Patienten in unserer Studie könnten die unterschiedlichen Tumorgrößen in den Studien sowie das Kriterium der Bewertung einer Schmeckstörung darstellen. In dieser Untersuchung ist die Tumorgröße deutlich geringer, was dem Trend einer früheren Diagnose des VS aufgrund einer höheren Beachtung sowie dem früheren Einsatz der verbesserten bildgebenden Verfahren in jüngerer Zeit entspricht. In dieser Studie sollten die Patienten in einem Fragebogen angeben, ob sie jemals eine Störung ihres Schmecksinnes (süß, sauer, salzig, bitter) oder außergewöhnliche Schmeckempfindungen auf der Zunge wahrgenommen hätten. Wir gehen davon aus, dass je spontaner die Beschwerden angegeben werden, desto relevanter diese auch für den Lebensalltag sind. Wie erwartet zeigt sich ein geringerer Schmeckwert auf der Tumorseite im Vergleich zur gesunden Seite, ohne jedoch einen statistisch signifikanten Unterschied zu erreichen. Ein Schwellenwert zur Unterscheidung zwischen Ageusie und Hypogeusie ist bisher im Testsystem Schmeckstreifen nicht etabliert. Dafür müsste der maximale Schmeckwert bei Personen mit einer durch fehlende gustatorisch evozierte Potenziale bestätigten Ageusie ermittelt werden. Wie bereits aus der Untersuchung zur Evaluierung der Schmeckstreifen bekannt, nahmen das subjektive Schmeckempfinden als auch die Schmeckwerte mit steigendem Alter, so man die 3 Patienten der Altersgruppe > 60 Jahre ausnimmt, ab. Die signifikant geringeren Schmeckwerte in dieser Studie mögen an einer anderen Altersverteilung mit einem Mittelwert von 52 Jahren gegenüber dem der Erhebung der Normwerte mit einem Mittelwert von 44 Jahren liegen [10]. Bei Patienten mit VS kann mittels psychophysischer Testung ein geringerer Schmeckwert auf der Tumorseite als Ausdruck einer Beeinträchtigung des N. intermedius festgestellt werden. Nur eine geringe Anzahl von Patienten mit VS nimmt eine Schmeckstörung wahr. Die Bestimmung des Schmeckvermögens sollte bei allen Patienten mit VS vorgenommen und die Patienten auch im Rahmen der Therapieplanung über die Folgen einer Schmeckveränderung aufgeklärt werden. Die Abbildung der N. intermedius-Funktion in der neurologischen Einschätzung des Gesichtsnerven ist erforderlich. Kommentar: Teile dieser Daten sind aus der laufenden Dissertationsarbeit von Frau Grüttner.

Abstract

Changes in Taste Ability in Patients with Vestibular Schwannoma



Vestibular schwannomas (VS) are rare tumors that can cause different symptoms due to their anatomical relationship to the cranial nerves in the inner auditory canal. So far little data is known to the effect of VS on the somatosensory function of the intermediate nerve. This study aimed to investigate the taste function

Boeßert P et al. Veränderung des Schmeckvermögens bei … Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 450–454

Heruntergeladen von: University of Florida. Urheberrechtlich geschützt.

Originalie 453

of patients suffering from single sided VS. Therefore the well validated psychophysical test “Taste Strips” has been used. 26 patients who consulted our outpatient clinic at a university hospital could be included in the study. All patients were asked carefully for their medical history. A full ENT examination was done. Each side of the anterior two thirds of the tongue was tested separately using the Taste Strips. The average age was 52 years with both gender equally represented. Throughout all age groups the taste score was lower on the tumor vs. the non affected side. Testing for significance just failed the level of 0.05. No correlation between tumor size and location of the tumor with the taste score could be detected. Only 2 patients complained of taste dysfunction. They had a taste score below the 10. percentile of their age group on tumor while normal scores on the non affected side. To sum up a decreased taste score on the tumor side vs. the non affected side could be confirmed. Only 8 % of the patients complained of taste disturbance as a symptom. That supports the observation that taste is a whole mouth experience and dysfunction can be compensated.

Interessenkonflikt: Kein Interessenkonflikt angegeben. Literatur 1 Khrais T, Romano G, Sanna M. Nerve origin of vestibular schwannoma: a prospective study. J Laryngol Otol 2008; 122: 128–131 2 Mann W, Gouveris HT. Diagnosis and therapy of vestibular schwannoma. Expert Rev Neurother 2009; 9: 1219–1232 3 Hummel T. W-LA. Riech- und Schmeckstörungen. Thieme, 2009; 55–57 4 Welge-Lussen A, Dorig P, Wolfensberger M, Krone F, Hummel T. A study about the frequency of taste disorders. J Neurol 2011; 258: 386–392 5 Yagi T, Asakawa A, Ueda H, Ikeda S, Miyawaki S, Inui A et al. The role of zinc in the treatment of taste disorders. Recent Pat Food Nutr Agric 2013; 5: 44–51 6 Stripf T, Braun K, Gouveris H, Stripf EA, Mann WJ, Amedee RG et al. Influence of different approaches to the cerebellopontine angle on the function of the intermediate nerve. J Neurosurg 2007; 107: 927–931

7 Sahu RN, Behari S, Agarwal VK, Giri PJ, Jain VK. Taste dysfunction in vestibular schwannomas. Neurol India 2008; 56: 42–46 8 Bartoshuk L. Clinical evaluation of the sense of taste. Ear Nose Throat J 1989; 68: 331–337 9 Ikeda M, Aiba T, Ikui A, Inokuchi A, Kurono Y, Sakagami M, Takeda N, Tomita H et al. Taste disorders: a survey of the examination methods and treatments used in Japan. Acta Otolaryngol 2005; 125: 1203–1210 10 Landis BN, Welge-Luessen A, Bramerson A, Bend M, Mueller CA, Nordin S, Hummel T et al. “Taste Strips” – a rapid, lateralized, gustatory bedside identification test based on impregnated filter papers. J Neurol 2009; 256: 242–248 11 Landis BN, Scheibe M, Weber C, Berger R, Brämerson A, Bende M, Nordin S, Hummel T et al. Chemosensory interaction: acquired olfactory impairment is associated with decreased taste function. J Neurol 2010; 257: 1303–1308 12 Felix F, Tomita S, Pereira Bde B, Cordeiro JR, Carlete G, Barros Fde S, Cabral GA et al. Gustatory alteration evaluation in patients with chronic otitis media. Braz J Otorhinolaryngol 2009; 75: 550–555 13 Fleiner F, Dahlslett SB, Schmidt F, Harms L, Goektas O. Olfactory and gustatory function in patients with multiple sclerosis. Am J Rhinol Allergy 2010; 24: e93–e97 14 Goektas O, Cao Van H, Fleiner F, Lacroix JS, Landis BN. Chemosensory function in Wegener’s granulomatosis: a preliminary report. Eur Arch Otorhinolaryngol 2010; 267: 1089–1093 15 Goyal A, Singh PP, Dash G. Chorda tympani in chronic inflammatory middle ear disease. Otolaryngol Head Neck Surg 2009; 140: 682–686 16 Heckmann JG, Stossel C, Lang CJ, Neundörfer B, Tomandl B, Hummel T et al. Taste disorders in acute stroke: a prospective observational study on taste disorders in 102 stroke patients. Stroke 2005; 36: 1690–1694 17 House JW, Brackmann DE. Facial nerve grading system. Otolaryngol Head Neck Surg 1985; 93: 146–147 18 Kveton JF, Bartoshuk LM. The effect of unilateral chorda tympani damage on taste. Laryngoscope 1994; 104: 25–29 19 Stillman JA, Morton RP, Hay KD, Ahmad Z, Goldsmith D. Electrogustometry: strengths, weaknesses, and clinical evidence of stimulus boundaries. Clin Otolaryngol Allied Sci 2003; 28: 406–410 20 Watanabe K, Saito N, Taniguchi M, Kirino T, Sasaki T. Analysis of taste disturbance before and after surgery in patients with vestibular schwannoma. J Neurosurg 2003; 99: 999–1003

Boeßert P et al. Veränderung des Schmeckvermögens bei … Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 450–454

Heruntergeladen von: University of Florida. Urheberrechtlich geschützt.

454 Originalie

[Changes in taste ability in patients with vestibular schwannoma].

Vestibular schwannomas (VS) are rare tumors that can cause different symptoms due to their anatomical relationship to the cranial nerves in the inner ...
242KB Sizes 4 Downloads 3 Views