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Das Kind mit einem Atemwegsinfekt

Wann und wie führe ich die Narkose?

Die Frage, ob eine Operation und Anästhesie bei einem Kind mit Atemwegsinfekt durchgeführt oder abgesagt werden sollen, ist auch heute noch eines der Dilemmas der klinischen Anästhesiologie: Den Termin aus Sicherheitsgründen verschieben, um kein erhöhtes Risiko für das Kind einzugehen? Oder freigeben, weil die Operation schon so lange geplant und besprochen ist, Eltern und Kind alles für diesen Termin organisiert haben und das Kind ja operiert werden muss? Der folgende Beitrag soll Ihnen dabei helfen, mit einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung eine möglichst evidenzbasierte Entscheidung zu treffen – im Konsens mit der Familie und den Operateuren.

Einleitung Differenzierte Betrachtung In der Vergangenheit wurden elektive Eingriffe bei Kindern, die an einem akuten Infekt der Atemwege leiden, häufig pauschal „abgesetzt“ oder für mehrere Wochen verschoben. Das Absetzen respektive Verschieben einer Anästhesie kann negative Konsequenzen für das Kind, seine Familie aber auch das medizinische Team nach sich ziehen. Das Hauptargument für einen Aufschub der Anästhesie bei einem Kind mit Atemwegsinfekt – die Sorge des Anästhesisten wegen eines erhöhten Risikos für perioperative respiratorische Komplikationen – muss heute differenziert betrachtet werden. ▶ Es gibt nach wie vor keine klare Evidenz, welches Kind mit Atemwegsinfekt gefährdet ist, noch kann davon ausgegangen werden, dass ein Kind ohne Infekt keine Komplikationen erleidet. Risiko-Nutzen-Abwägung In der Tat kann das respiratorische System nach einem Atemwegsinfekt als „hyperreaktiv“ definiert werden. Diese Veränderungen sind teilweise bis zu 6 Wochen nach der Erkrankung nachzuweisen und die Mechanismen dieser Pathophysiologie scheinen denen von Asthma bronchiale sehr ähnlich zu sein. Heute existieren jedoch wichtige Erkenntnisse, dass eine Anästhesie bei Kindern mit Atemwegsinfekt durchgeführt werden kann, wenn potenzielle Risiken und Vorteile für das Kind

sorgfältig gegeneinander abgewogen werden und perioperativ ein entsprechend kompetentes anästhesiologisches Management eingesetzt wird.

Ein Kind mit Atemwegsinfekt erfordert eine sorgfältige, individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung.

Atemwegsinfekt Definitionen und Pathophysiologie



Definition Ein Atemwegsinfekt ist eine der häufigsten Infektionskrankheiten in der frühen Kindheit. Der Begriff wird in der Regel nicht spezifiziert: Er wird im klinischen Kontext verwendet, um verschiedene Arten von milden Infektionen der oberen Atemwege (Infektion der oberen Atemwege, upper respiratory tract infection, URI) mit seinen anatomischen Divisionen Nasenschleimhaut, Rachen, Nebenhöhlen, Rachen / Hypopharynx, Mandeln und Kehlkopf zu beschreiben. ▶ Infektionen der oberen Atemwege treten bei Kindern umso häufiger auf, je jünger die Kinder sind: Säuglinge und Kinder im Kleinkind- / Vorschulalter haben im Mittel 6–8 Erkältungen pro Jahr [1]. Klinische Symptome Die klinischen Symptome eines Infekts können breit gefächert sein, meist beginnend mit Halsschmerzen, Heiserkeit, bald begleitet durch eine laufende Nase, Niesen und Husten. Die anfängliche wässrige Verstopfung der Nase kann sich in eine eitrige Kongestion mit Mundatmung wandeln. Fieber besteht in der Regel bei Kindern, seltener bei Erwachsenen. Oft ist die Infektion durch „Unwohlsein“, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Appetitlosigkeit [2] begleitet.

Becke K. Das Kind mit einem Atemwegsinfekt – Wann und wie führe ich die Narkose? Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 162–167

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Karin Becke

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Pathophysiologie der viralen Infektion, „bronchiale Hyperreaktiviät“ Es gibt > 200 Viren, die einen Atemwegsinfekt auslösen können: Die häufigsten Verursacher sind Rhino- , Corona- , Respiratory-Syncytial- (RS-), Influenza- und Parainfluenza-Virus [3]. Die virale Invasion in das respiratorische Epithel und in die Schleimhaut führt zur Entzündung der Atemwege, zu Ödembildung, Dyskrinie und Bronchokonstriktion sowie zur Sensibilisierung der Atemwege auf Sekrete und auch Volatila [4]. Darüber hinaus wird die virale Infektion mit einer Interaktion mit dem autonomen Nervensystem assoziiert: Virale Neuraminidase kann cholinerge Muskarin-M2-Rezeptoren inhibieren, was zu einer erhöhten Freisetzung von Azetylcholin und konsekutiver Bronchokonstriktion [5] führen kann. Die „bronchiale Hyperreaktivität“ („airway susceptability“) kann auch Folge einer viral induzierten Freisetzung von Tachykinin und Neuropeptidasen mit einer Konstriktion der glatten Muskulatur in den Atemwegen sein. Bronchiale Hyperreaktivität kann bis zu 6 Wochen oder sogar noch länger andauern – weit über das Verschwinden aller klinischen Symptome hinaus [6–8]. Sie ähnelt weitestgehend der Pathophysiologie von Asthma bronchiale.

Risikofaktor für perioperative respiratorische Komplikationen



Infekt und Komplikationen Eine akute oder gerade zurückliegende Infektion der oberen Atemwege erhöht das Risiko für perioperative respiratorische Komplikationen (perioperative respiratory adverse events, PRAE). Das ist insbesondere bei Kindern mit Akutsymptomen wie produktivem Husten, eitrigem Schnupfen und Fieber der Fall, wie von Ungern-Sternberg in ihrer Kohortenstudie an > 9000 Kindern zeigen konnte [9]. Diese Studie war die erste, die Kinder mit Akutsymptomen einer Atemwegsinfektion untersuchte, deren Operation bzw. Anästhesie in anderen Institutionen regelhaft verschoben worden wäre. Bronchiale Hyperreaktivität ist ein wesentlicher Trigger für funktionelle Obstruktionen der oberen (Laryngospasmus) und der unteren Atemwege (Bronchospasmus), die beide rasch zu bedrohlicher Hypoxämie führen können – dem Hauptgrund für die perioperative Morbidität und Mortalität von Kindern [10, 11].

Risikofaktoren für perioperative respiratorische Nebenwirkungen (PRAE) patientenspezifische Risikofaktoren ▶ Alter < 6 Jahren, speziell Säuglinge < 1 Jahr ▶ klinische Zeichen eines Atemwegsinfekts ▷ Schnupfen, eitrig laufende Nase ▷ purulentes Sekret, produktiver Husten ▷ Begleiterkrankungen wie Otitis media ▶ primäre pulmonale Erkrankung (RSV-Infektion, Asthma bronchiale, ehemalige Frühgeburtlichkeit mit bronchopulmonaler Dysplasie, zystische Fibrose, pulmonale Hypertension etc.) ▶ Infekte mit signifikanter Beeinträchtigung des Allgemeinzustands („Malaise“, Unwohlsein, Fieber > 38,5° C, bakterielle Superinfektion) ▶ Einschätzung des Zustands durch die Eltern („das Kind ist krank“) ▶ Nikotinexposition / Passivrauchen anästhesiespezifische Risikofaktoren ▶ instrumentelle Manipulation des Atemwegs (z. B. Bronchoskopie) ▶ Airway Management (endotracheale Intubation > LMA > Gesichtsmaske) ▶ Anästhetika (Desfluran > Sevofluran > Propofol) ▶ Erfahrung / Kompetenz des Anästhesisten eingriffsspezifische Risikofaktoren ▶ atemwegsnahe Chirurgie (HNO-, Augenoperationen) ▶ Oberbauch-Chirurgie, Kardiochirurgie Tab. 1 LMA = Laryngeal

PRAE sind für 30 % der perioperativen Herzstillstände bei Kindern verantwortlich [11] !

Mask Airway; RSV = Respiratory Syncytial Virus.

PRAE Typische Komplikationen bei Kindern mit Atemwegsinfektionen sind Laryngospasmus, Bronchospasmus, Luftanhalten / Atempausen, Atelektasen, Sättigungsabfälle, später auch Lungenentzündung und ungeplante stationäre Aufnahme [12, 13]. ▶ Die Inzidenz schwerwiegender Folgen nach PRAE ist bei Kindern niedrig: Viele Ereignisse verlaufen unkompliziert, wenn sie frühzeitig erkannt und umgehend kompetent von einem erfahrenen Anästhesisten behandelt werden. Unabhängige Risikofaktoren für PRAE konnten von mehreren Autoren identifiziert werden [14– 17] (q Tab. 1). Spezialfall: RSV-Infektionen Ein „anästhesiologischer Spezialfall“ sind Säuglinge und Kleinkinder mit Respiratory-Syncytial-Virus-Infektion (RSV-Infektionen) [18, 19]. Es gibt mehrere Fallberichte über langwierige anästhesiologische Verläufe mit längerer Intubation und Oxygenierungs- / Beatmungsproblemen. Es ist nach wie vor unklar, ob es einen Zusammenhang zwischen RSV-Infektion und Asthma in der späteren Kindheit gibt. Bei Verdacht auf eine aktive RSV-Infektion sollte präoperativ ein Point-of-Care-Schnelltest durchgeführt und bei positivem Testergebnis eine elektive Operation verschoben werden [19].

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Atemwegsinfekte sind in der Regel selbstlimitierend und von benigner Natur, dauern ca. 7–10 Tage, nur selten halten die Symptome länger als 2 Wochen an.

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A Algorithmus zur Entscheidungsfindung für bzw. gegen die Anästhesie / Operation beim Kind mit Atemwegsinfekt

Kind mit „Atemwegsinfekt“ Schnupfen produktiver Husten eitriges Sekret Obstruktion Fieber Unwohlsein

präoperative

Evaluation

Schnupfen trockener Husten wässriges Sekret

milder Infekt

Risiko-Nutzen-Abwägung

Risiko: • Kind < 1 Jahr • Passivraucher • pulmonale Komorbidität • atemwegsnahe OP • endotracheale Intubation

6

Schnupfen produktiver Husten eitriges Sekret

moderater Infekt

5 Bildnachweis: Becke K. Anesthesia in children with a cold. Curr Opin Anaesthesiol 2012; 25: 333–339

4

5

schwerer Infekt

4

Nutzen: • HNO-OP = Fokussanierung z.B. ATE bei rez. Infekten/OSAS • Expertise des Teams • erweiterte Überwachung möglich • elterliche Compliance

Vorbehandlung mit Salbutamol inhalativ

Durchführung der OP/Anästhesie

Anästhesie-Management

7

2

abschwellende Nasentropfen Einsatz der LMA, Vermeiden der Intubation Einsatz von Propofol, Vermeiden von Desfluran ggf. Lidocain 1,5 mg/kg KG kurz vor Ausleitung postop. ggf. Adrenalin-Inhalation, verlängerte Überwachung

Abb. 1 ATE = Adenotonsillektomie; LMA = Laryngeal Mask Airway; OSAS = obstruktives Schlafapnoe-Syndrom.

Wann und wie führe ich eine Narkose durch? Entscheidungsfindung: Welches Kind wird „freigegeben“?



Beispielhafter Algorithmus Wann sollen nun Operation und Anästhesie für ein Kind mit einer Infektion der oberen Atemwege verschoben werden? Und für wie lange? Oder falls nicht verschoben werden muss, wie soll die Anästhesie durchgeführt werden? Auf diese Fragen kann erwartungsgemäß keine einfache Antwort erfolgen. Die individuelle Entscheidung ist von vielen Faktoren abhängig. Zwischenzeitlich existieren Entscheidungsalgorithmen und Scoring-Systeme, welche die verschiedenen Aspekte beleuchten [20–22]. An einem beispielhaften Algorithmus soll im Folgenden ein mögliches Vorgehen erläutert werden (q Abb. 1).

Präoperative Evaluation Eine präoperative Evaluation mit ausführlicher Anamneseerhebung und klinischer Untersuchung bildet die Grundlage der Entscheidung (q Abb. 1 ①). Kinder mit schwerem Atemwegsinfekt (q Abb. 1 ②) zeigen neben eitriger Sekretion aus Lunge und Nase meist auch Fieber > 38,5° C, obstruktive Atemstörungen

3

Verschieben der OP • 2 Wochen

Re-Evaluation

(„wheezing“, Giemen, Rasselgeräusche) und generalisierte Befindlichkeitsstörungen („Unwohlsein“) mit Kopf- und Muskelschmerzen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit und ggf. Zeichen der Otitis media; die Elternaussage „mein Kind ist krank“ gilt hier als valider Prädiktor für Komplikationen [14]. Experten sind sich einig, dass bei diesen Kindern der Eingriff verschoben werden sollte (q Abb. 1 ③) [5, 13, 21, 23, 24]. Gleichwohl besteht Konsens, dass es nicht mehr zwingend notwendig ist, OP und Anästhesie für einen Zeitraum von 6 Wochen zu verschieben.

Eine Operation sollte bei Kindern mit einem akuten, schweren Atemwegsinfekt mind. um 2 Wochen verschoben werden.

Akuter Infekt ohne Fieber Nicht ganz so einfach fällt die Entscheidung bei Kindern, die zwar objektiv an einem akuten Infekt mit eitrigem Schnupfen und Husten leiden, aber kein Fieber haben und keine generalisierte oder schwere Beeinträchtigung spüren – also bei der Vielzahl an Kindern, wie sie bei Anästhesisten gerade in den Herbst- und Wintermonaten vorstellig werden [25] (q Abb. 1 ④).

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Anamnese Komorbidität körperl. Untersuchung Vitalparameter Aussage der Eltern

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Verzicht auf Routinelaboruntersuchungen Routinelaboruntersuchungen als Entscheidungskriterium sind bei dieser Patientengruppe kaum zielführend und werden nicht empfohlen: ▶ Weder Blutbild noch Akut-Phase-Parameter wie C-reaktives Protein (CRP)oder Procalcitonin (PCT) geben einen verlässlichen Hinweis auf Dauer, Schwere oder Outcome eines Infekts oder gar auf das perioperative Komplikationsrisiko [26, 27]. Abwägung: Risiko vs. Nutzen Die Entscheidung, ob ein Kind mit moderatem Atemwegsinfekt zur OP / Anästhesie „freigegeben“ wird, sollte einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung folgen (q Abb. 1 ⑤). Risikofaktoren Besonders das Alter < 1 Jahr kann als ungünstiger Risikofaktor gelten; vor allem Säuglinge sind gefährdet, respiratorische Komplikationen zu erleiden [15]. Außerdem kann hinter einem Atemwegsinfekt im 1. Lebensjahr durchaus auch eine RSV-Bronchiolitis stecken (s. o.). Risikofaktoren sind ▶ zusätzliche pulmonale Komorbidität, z. B. vorbestehendes Asthma bronchiale, ▶ bronchopulmonale Dysplasie im Rahmen einer Frühgeburtlichkeit, ▶ Passivrauchen (!), ▶ atemwegsnahe Eingriffe (HNO-, Augen-OP) und ▶ die Notwendigkeit eines invasiven Atemwegs (= endotracheale Intubation). Entscheidung für den Eingriff Die Operation / Anästhesie kann unter optimierten Bedingungen durchgeführt werden, wenn ▶ keine bedeutenden Risikofaktoren bestehen, ▶ die Operation bei einem Kind wegen rezidivierender Infekte schon öfters abgesagt wurde, ▶ das Kind den HNO-Eingriff definitiv zur Fokussanierung benötigt und ▶ die Eltern auf dem Standpunkt stehen, dass es ihrem Kind derzeit „relativ gut gehe“, auch wenn es Husten und Schnupfen hat. Für diese Kinder sollte eine verlängerte Überwachungszeit eingeplant werden; ein früher OPTermin bietet sich an.

Die elterliche Compliance ist von großer Bedeutung: So sollten die Eltern die Entscheidung stets mittragen können und der Expertise des Anästhesie-Teams vertrauen.

Teamkompetenz Die individuelle Erfahrung / Kompetenz des Anästhesisten hat einen Einfluss auf das „Outcome“ in Bezug auf Komplikationen. Schreiner war einer der ersten Autoren, der ein erhöhtes Risiko für Laryngospasmen bei Kindern mit Atemwegsinfekt fand, wenn die Anästhesie von einem in der Kinderanästhesie weniger erfahrenen Anästhesisten durchgeführt wurde [15]. Mamie et al. fanden ein fast 3-fach erhöhtes Risiko für respiratorische Komplikationen, wenn Kinder für HNO-Operationen von nicht spezialisierten Anästhesisten behandelt wurden – sogar in Abwesenheit von klinischen Anzeichen einer Infektion [28]. Von Ungern-Sternberg konnte zeigen, dass das kompetente Management der Atemwege durch einen erfahrenen Kinderanästhesisten zu geringeren Inzidenzen von Stridor und Laryngospasmus führt [9]. Diese Erfahrung scheint auch abhängig von der Routine des Anästhesie-Teams im Sinne des „caseload“ zu sein, wie verschiedene Autoren schlussfolgern [29, 30].

Präoperative Vorbehandlung mit Salbutamol



Einfach und effektiv Salbutamol ist ein BetaMimetikum mit bronchodilatorischen Eigenschaften; seine Wirksamkeit bei der Prävention und Behandlung perioperativer Bronchospasmen bei Asthmatikern und obstruktiven Kindern ist hinlänglich bekannt [31, 32]. Die Pathophysiologie der bronchialen Hyperreaktivität während und nach einer Infektion der oberen Atemwege ist ähnlich der von Asthma bronchiale; es ist offensichtlich, dass Salbutamol bei diesen Patienten wirksam ist. Die Frage, ob Salbutamol sogar vorbeugende Wirkung hat, wenn es zur „Prämedikation“ verabreicht wird, wurde von von UngernSternberg et al. untersucht: In einer prospektiven Beobachtungsstudie konnten sie zeigen, dass die Prämedikation von Kindern mit einer aktuellen Infektion der oberen Atemwege mit hochdosiertem inhalativen Salbutamol (2,5–5 mg) zu einer Verringerung der PRAE um mind. 35 % [33] führte. ▶ Eine Salbutamol-Vorbehandlung ist einfach, kostengünstig und effektiv. sie wird von Kindern gut akzeptiert und sollte daher bei allen Kindern mit Atemwegsinfekt erwogen werden (q Abb. 1 ⑥).

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Auskultation Ergeben sich bei der körperlichen Untersuchung auskultatorische Hinweise auf eine Beteiligung der unteren Atemwege („wheezing“, Giemen, Rasselgeräusche), sollten die Kinder aufgefordert werden, kräftig zu husten. ▶ Wenn sich der Befund danach bessert, die auskultatorischen Phänomene deutlich abgeschwächt oder verschwunden sind, ist dieses Zeichen positiv zu bewerten [24].

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A • Verneblermaske (sitzendes Kind) • Schlauchvernebler (liegendes Kind)

Achtung:

• Wasserspiegel im Vernebler muss immer waagrecht sein bzw. gehalten werden!

Indikationen:

• alle akuten Schwellungen der oberen Atemwege • mit/ohne asthmatischen/bronchitischen Symptomen

Abbruchkriterien:

• Anstieg der Herzfrequenz > 30%

Wiederholung:

• nach Rücksprache mit anordnendem Arzt in gleicher Dosis

Dosierung: 2 ml Adrenalin (= 2 mg) + 2 ml NaCl 0,9%

Abb. 2

Intraoperatives anästhesiologisches Management



Nasentropfen Nasentropfen mit Oxymetazolin / Xylometazolin wirken als Alpha-Sympathomimetika vasokonstriktorisch, was zum Abschwellen der Nasenschleimhaut und damit zur Verbesserung der Nasenatmung führt. Der perioperative Einsatz wird bei infektbedingter nasaler Kongestion empfohlen [24] . Um sicherzustellen, dass v. a. bei Kindern im 1. Lebensjahr keine akzidentelle Überdosierung verabreicht wird, sollte die Konzentration des verwendeten Präparats entsprechend angepasst werden.

Lidocain Die Anwendung von Lidocain zum Atemwegsmanagement ist in der Erwachsenenwie auch in der Kinderanästhesie weit verbreitet. Einige Autoren konstatieren, dass die topische Anwendung präventiv auf die Inzidenz von Husten und Laryngospasmen wirkt [34], während andere keine positiven Effekte oder sogar eine Erhöhung der unerwünschten Ereignisse zeigen konnten [35]: Hamilton et al. untersuchten > 1000 Kinder mit einer elektiven Anästhesie (endotracheale Intubation). Sie fanden eine signifikant höhere Rate von Sättigungsabfällen bei Kindern, die mit topischem Lidocain behandelt wurden im Vergleich zur Plazebo-Gruppe. In dieser Studie wurde kein Unterschied in der Häufigkeit von Laryngospasmen gefunden. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit von Ungern-Sternbergs Resultaten in der großen Kohortenstudie [9]. Mehrere Autoren konnten zeigen, dass 1,5 mg/kg Lidocain – 2 min vor der Extubation intravenös verabreicht – zu einer Abnahme von Postextubations-Laryngospasmus und Husten mit statistischer Signifikanz und klinischer Relevanz führen [36, 37]. Propofol Propofol wird wegen seiner positiven Eigenschaften breit in der Kinderanästhesie eingesetzt: schnelles und angenehmes Einschlafen,

verbesserte Qualität der Aufwachphase im Kindesalter und zuverlässige Prävention von postoperativer Übelkeit und Erbrechen [38]. Die i. v. Induktion an sich kann als eine Sicherheitsmaßnahme bezeichnet werden, da das Vorhandensein eines i. v. Gefäßzugangs bereits während des sensiblen Intervalls der Anästhesieinduktion von Vorteil ist; treten Komplikationen wie z. B. ein Laryngospasmus auf, können sie ohne Zeitverlust medikamentös behandelt werden. Weiterhin ist bekannt, dass Propofol eine bronchodilatierende Wirkung hat – ähnlich wie Volatila.

Studienergebnisse In einer Studie, die Propofol und Sevofluran zur Sedierung für MRT-Untersuchungen verglich, traten Apnoen mit Laryngospasmus häufiger während der Narkose mit Sevofluran im Vergleich zu Propofol auf, wenngleich die Inzidenz von Husten und Atemanhalten in der Propofol-Gruppe höher war [39]. Von Ungern-Sternberg konstatiert: „[...] eine intravenöse Anästhesie mit Propofol könnte im Vergleich zu Sevofluran mit einer geringeren Inzidenz von perioperativen respiratorischen Komplikationen einhergehen und zugleich mit einer besseren präventiven Wirkung“ [9]. Lerman ergänzt: „[...] es ist davon auszugehen, dass bei einer i. v.Einleitung mit Propofol weniger respiratorische Komplikationen als bei einer inhalativen Einleitung auftreten, selbst wenn man ein so sicheres Medikament wie Sevofluran verwendet“ [40]. Kein Desfluran bei Kindern mit Atemwegsinfekt! Desfluran ist ein volatiles Anästhetikum der 3. Generation, Merkmale sind u. a. die gute Steuerbarkeit mit schneller Aufwachphase und früher Erholung [41]. In höheren Konzentrationen (1,5 minimale alveoläre Konzentration, MAC), bewirkt Desfluran bei Erwachsenen ohne pulmonale Komorbidität einen Anstieg des Atemwegwiderstands. Dieser Effekt kann durch die direkte bronchokonstriktive Wirkung von Desfluran auf Atemwegsrezeptoren erklärt werden [42, 43]. Diese Eigenschaften sind noch deutlicher zu sehen bei Kindern mit Asthma oder hypereagiblem Atemweg: Eine Studie zeigte, dass das relative Risiko für Bronchospasmus unter inhalativer Anästhesie mit Desfluran verglichen mit Sevofluran um den Faktor 6 erhöht ist [44]! Desfluran wirkt sich relevant negativ auf den Atemwegswiderstand aus und kann bei Kindern mit pulmonaler Morbidität vermehrt Komplikationen nach sich ziehen.

Atemwegsmanagement Der Vorgang der endotrachealen Intubation und der Tubus selbst sind starke Stimuli für einen hyperreaktiven Atemweg. Es gibt Hinweise, dass in diesem Fall die Intubation vermieden werden sollte, besonders bei Kleinkindern und Kindern im Vorschulalter. Der

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Applikationsweg:

Bildnachweis: Karin Becke; Thieme Verlagsgruppe

Adrenalinvernebelung zur Behandlung des Postextubationsstridors

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Das intraoperative anästhesiologische Management ist in q Abb. 1 ⑦ dargestellt.

Postoperative Überwachung / Nachsorge



Angemessenes Monitoring Kinder mit Atemwegsinfekt sollten ausreichend lange postoperativ überwacht werden, d. h. in der Regel bis zur Erholung des respiratorischen Systems auf den präoperativen Zustand. Störungen im Aufwachraum wie Obstruktionen, Stridor o. ä. müssen schnell erkannt und therapiert werden. Voraussetzung dafür ist neben entsprechend angepasstem Monitoring erfahrenes Aufwachpersonal und ein Arzt in Rufweite. Der häufiger auftretende Postextubationsstridor kann mittels Inhalationstherapie mit Adrenalin behandelt werden [46] (q Abb. 2).

Fazit Wegen der hohen Inzidenz von Atemwegsinfekten bei Kindern und dem damit erhöhten perioperativen Risiko müssen Anästhesisten oft Entscheidungen über das optimale Management für diese Kinder treffen. Pauschales „Absetzen“ wie es in der Vergangenheit oftmals durchgeführt wurde, ist heute nicht mehr angezeigt – es wird weder dem Kind und seiner Familie noch dem Behandlungsteam gerecht. Heutzutage sind selektive, nachvollziehbare Einzelfall-Entscheidungen gefordert. ◀

Dr. med. Karin Becke ist seit 2007 Chefärztin der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin der Cnopf´schen Kinderklinik / Klinik Hallerwiese in Nürnberg. Sie ist 1. Sprecherin des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Kinderanästhesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Mitglied des Präsidiums der Europäischen Gesellschaft für Kinderanästhesiologie (European Society for Paediatric Anaesthesiology, ESPA). E-Mail: [email protected]

Kernaussagen ▶ Kinder leiden in den 1. Lebensjahren im Durchschnitt 6–8 × pro Jahr an hauptsächlich viralen Atemwegsinfekten. ▶ Die virale Invasion des respiratorischen Epithels und der Schleimhaut kann zu bis zu 6 Wochen anhaltender bronchialer Hyperreagibilität und Bronchokonstriktion führen, ähnlich wie bei Asthma bronchiale. ▶ Kinder mit Atemwegsinfekten haben häufiger perioperative respiratorische Komplikationen (PRAE). ▶ Die sorgfältige präoperative Beurteilung ist der erste Schritt in einer individuellen Risiko-NutzenAbwägung, ob eine Anästhesie verschoben oder durchgeführt werden soll. ▶ Produktiver Husten, eitriges Sekret, Fieber und starkes Krankheitsgefühl sind übliche Kriterien für das Verschieben eines elektiven Eingriffs. ▶ Optimales Narkosemanagement beinhaltet eine inhalative Vorbehandlung mit Salbutamol, die Verwendung von Propofol sowie die Vermeidung entbehrlicher Atemwegsmanipulationen. ▶ Die Erfahrung des Anästhesisten und des gesamten Teams ist entscheidend für die Prävention, Antizipation und rasche Therapie perioperativer Komplikationen.

Literatur online Das Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet: Abonnenten und Nichtabonnenten können unter „www.thieme-connect.de/ejournals“ die Seite der AINS aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Zusatzmaterial“ klicken – hier ist die Literatur für alle frei zugänglich.

Beitrag online zu finden unter http://dx.doi. org/10.1055/s-0034-1372230

Interessenkonflikt Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

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Einsatz der Gesichtsmaske ist mit weniger Komplikationen verbunden [13], ist aber natürlich in vielen Fällen kein angemessener Atemweg – speziell in der HNO-Chirurgie. Supraglottische Atemwege, allen voran die Larynxmaske, können eine Alternative zur Intubation sein. Eine große Kohortenstudie fand für das Auftreten perioperativer Bronchospasmen keinen Unterschied zwischen der Larynxmaske und der Gesichtsmaske. Laryngospasmen traten mit Larynxmaske signifikant seltener als mit Endotrachealtubus auf [9]. Diese Ergebnisse decken sich mit früheren Berichten [45].

[Children with respiratory infections - How and when to perform anesthesia].

Infections of the upper respiratory tract ( URI) are the most common preoperative encountered comorbidity in childhood. Whether anesthesia for a child...
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