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Deutsche Medizinische Wochenschrift

Berg: Chronisch-aktive (aggressive) Hepatitis

t) b e r s ichten

Chronisch-aktive (aggressive) Hepatitis

P. A. Berg

Zur Differentialdiagnose der lupolden (ANA-posltiven) und cholestatlsch verlaufenden (AMA-poeltiven) Hepatitis

Medizinische Universitätsklinik, Abteilung Innere Medizin Il (Vorstand: Prof. Dr. H. D. Wailer), Tübingen

Die chronische Hepatitis stellt kein einheitliches, klinisch und ätiologisch klar definiertes Krankheitsbild dar, sie entspricht vielmehr einem Krankheitsstadium, bei dem akut- und chronisch-entzündliche Prozesse nebeneinander bestehen. So kann sie in ihrer Frühform einer akuten Virushepatitis gleichen, in einem späteren Stadium dagegen alle Zeichen einer Zirrhose aufweisen. Sie verläuft in Schüben, und die Dauer der Phasen der Exazerbation und der Remission ist nicht voraussagbar. In den meisten Fällen heut die chronisch-aggressive Hepatitis aus oder geht in eine inaktive Form über; es gibt aber auch foudroyante Verlaufsformen, die in wenigen Jahren über das Stadium der Leberzirrhose zum Tode führen.

Klassifizierung chronischer Hepatitiden nach immunologischen Kriterien Die Studiengruppe der European Association for the Study of the Liver (27) hat mit der Einteilung der chronischen Hepatitis in eine chronisch-persistierende und eine chronisch-aggressive (aktive) Hepatitis mit mäßiger (II a) und hoher (II b) Aktivität diese verschiedenen und prognostisch unterschiedlichen Verlaufsformen berücksichtigt. Dieser vorwiegend nach morphologischen Kriterien orientierten Einteilung kann man die immunologische Klassifizierung gegenüberstellen, die versucht, aufgrund der verschiedenen Antikörpermuster und der Verteilung ätiologischer Marker-Antigene, wie des Hepatitis-B-Antigens, chronische Leberkrankheiten nach ätiologischen Gesichtspunkten aufzuschlüsseln, darüber hinaus aber auch zur Pathogenese und damit zur Ursache der Chronizität Stellung zu nehmen. Drei verschiedene Antikörper kommen bei der chronisch-aktiven Hepatitis vor: Antikörper gegen Kerne (ANA), gegen glatte Muskulatur (SMA) und gegen Mitochondrien (AMA) (18). Mit Hilfe dieser serologischen Marker können zwei Formen unterschieden werden: die ANA- und SMA-positive chronisch-aktive Hepatitis, im Frühstadium als klassische lupoide Hepatitis, im Spätstadium als aktive juvenile oder kryptogene Zirrhose in Erscheinung tretend, die AMA-positive chronisch-aktive Hepatitis, im Frühstadium oft als cholestatische Verlaufsform einer chronisch-aggressiven Hepatitis auftretend, im Spätstadium häufig als kryptogene oder postnekrotische Zirrhose diagnostiziert.

Die Abgrenzung letzterer Verlaufsform von der primär-biliären Zirrhose (PBC) ist in manchen Fällen nicht einfach, und Überschneidungen beider Krankheitsbilder kommen vor (SO, SS). Heterogenität mitochondrialer Antikörper. Mitochondriale Antikörper besitzen Krankheitsspezifität: Der Nachweis von Antikörpern gegen Cardiolipin ist spezifisch für das Stadium II der Syphilis (M 1-Antikörper). Antikörper gegen die innere Membran der Mitochondrien weisen auf die primär-biliäre Zirrhose hin (M 2Antikörper), und die neuerdings beim Pseudo-Lupus erythematodes (26, 38, 39) nachgewiesenen mitochondrialen Antikörper reagieren mit einem wahrscheinlich nicht membran-assoziierten Antigen (M 3-Antikörper). Untersuchungen über die Spezifität der mit der chronisch-aktiven Hepatitis assoziierten mitochondrialen Antikörper ergaben ferner, daß diese sowohl mit dem PBC- als auch mit dem Pseudo-LE-assoziierten Antigensogenannter system Komplement binden können Mischformtyp (7); aufgrund weiterer Antigenisolierungsverfahren kann jedoch jetzt davon ausgegangen werden, daß dieser Reaktion ein viertes, für dieses Syndrom spezifisches Antigen zugrunde liegt (M 4-Antikörper). Häufigkeit der autoimmunen chronisch-aktiven Hepatitis. Unter 215 bioptisch gesicherten chronisch-aktiven Hepatitiden fanden wir (in Zusammenarbeit mit Dr. H. Lindner, DRK-Krankenhaus Hamburg, und Dr. H. Bannaski, Klinik Kempfenhausen) in 26% Antikörper gegen Kerne und (oder) glatte Muskulatur (lupoide chronisch-aktive Hepatitis). Bei 42% bestand Hinweis auf eine B-Hepatitis. 32% waren serologisch negativ (Tabelle 1).

-

Tab. 1. Häufigkeit viraler und autoimmuner Phänomene sowie Geschlechtsverteilung bei 215 Patienten mit bioptisch gesicherter chronisch aktiver Hepatitis

Gruppe

*

Geschlecht

Patienten n

Vo

viral

90

42

31

59

autoimmun*

57

26

54

3

negativ

68

32

32

36

nur Fälle mit ANA/SMA-Nachweis ohne AMA

Bezieht man in diese Gruppe auch Patienten mit einer cholestatisch verlaufenden chronisch-aggressiven Hepatitis und einer kryptogenen Zirrhose mit ein, so sind es insgesamt 23%, die sich als eindeutig autoimmun kiassi-

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Dtsch. med. Wschr. 101 (1976), 1536-1543 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Nr. 42, 15. Oktober 1976, 101. Jg.

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von Beam und Mitarbeitern (2) erkannt. Letztere Autoren beschrieben dieses Krankheitsbild bei zwölf Patienten, darunter elf Frauen unter 35 Jahren, die histologisch das Bild einer schweren plasmazeilulären periportalen Immunfluoreszenz und der Komplementbindungsreak- Infiltration mit Parenchymnekrosen und biochemisch tion mitochondriale Antikörper nachweisbar. extrem hohe Globulinwerte aufwiesen. Saint und Mitarbeiter (56) beobachteten 1953 bei 39 Patienten eine Tab. 2. Häufigkeit von Autoantikörpern und Hepatitis-B5-Antigen »infektiöse Hepatitis« mit prognostisch ungünstigem (HB5-Ag) und Hepatitis-B0-Antikörpern (HB9-Ak) bei 425 Patienten Verlauf und bezeichneten diese Form, wegen der fortmit chronisch aktiver Hepatitis und Leberzirrhose schreitenden entzündlichen Reaktion in der Leber, als HB5-Ag/HB0-Ak HB5-Ag/HB5-Ak »aktive chronische Hepatitis«. Diese enge Beziehung zur positiv negativ Verlaufsform der Virushepatitis findet sich auch in den Mitteilungen von Joske und King (31), die sie als eine Patienten 178 (42°/o) 247 (58°/o) schwere Form der progressiven »postviralen« Hepatitis davon Männer 61 170 beschrieben. Ein Zusammenhang mit dem KrankheitsFrauen 117 77 bild des Lupus erythematodes wurde wegen der rheumatoiden Begleitsymptomatik und des Nachweises von LEAntikörper Titer Titer Zellen vermutet (43) und der Begriff der lupoiden Hepatitis geprägt (41). Diese Vorstellung hat sich aller

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Dozent Dr. P. A. Berg Medizinische Universitätsklinik 7400 Tübingen, Otfried-Müller-Straße

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Antikörpern. Dtsch. med. Wschr.

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[Chronic active (aggressive) hepatitis. Differential diagnosis of lupoid (ANA-positive) and cholestatic (AMA-positive) hepatitis].

I 5 36 Deutsche Medizinische Wochenschrift Berg: Chronisch-aktive (aggressive) Hepatitis t) b e r s ichten Chronisch-aktive (aggressive) Hepatitis...
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