Leitthema: Multiples Myelom Radiologe 2014 · 54:538–544 DOI 10.1007/s00117-013-2625-z Online publiziert: 23. Mai 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

E.K. Mai · H. Goldschmidt Medizinische Klinik V, Universitätsklinikum Heidelberg   und Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, Heidelberg

Klinik und Therapie   des multiplen Myeloms Definitionen und Abgrenzung der Plasmazellerkrankungen In Deutschland erkranken jährlich etwa 5500 Menschen am multiplen Myelom (MM). Die Erkrankung gehört zu den 20 häufigsten Tumorerkrankungen in Deutschland. Die Begriffe MM und Plasmozytom sind definitionsgemäß voneinander abzugrenzen: Bei Letzterem handelt es sich um einen solitären, intramedullären oder extramedullären/extraossären Plasmazelltumor. Das symptomatische MM hingegen ist eine systemische Plasmazellerkrankung mit einer Schädigung von Endorganen (v. a. Hyperkalziämie, Niereninsuffizienz, Anämie, Osteoporose und umschriebene Osteolysen). Beide Begriffe beschreiben pathogenetisch eine maligne, lymphoproliferative Erkrankung entdifferenzierter B-Zellen, die vorrangig im Knochenmark wachsen. Obligate Vorläufer des MM sind die monoklonale Gammopathie unbekannter Signifikanz (MGUS) und das „smoldering“ multiple Myelom (SMM). So-

wohl bei der MGUS als auch beim SMM besteht definitionsgemäß in Abgrenzung zum MM keine Endorganschädigung (. Tab. 1; [1]). Bei der MGUS findet sich eine geringe Vermehrung von malignen Plasmazellen im Knochenmark (. Abb. 1). Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Lebensalter und beträgt ca. 1–3% bei über 60-Jährigen. Das Progressionsrisiko der MGUS zum MM beträgt ca. 1%/Jahr. Beim SMM hingegen bestehen im Vergleich zur MGUS ein höherer Plasmazellanteil im Knochenmark und eine höhere Konzentration monoklonalem Proteins im Serum (. Tab. 1; [1]). Neuere Studien konnten zeigen, dass bestimmte Risikofaktoren die Progression der MGUS und des SMM in ein MM begünstigen. Diese sind u. a. [2]: F die Anzahl fokaler Myelomherde im Knochenmark in der Magnetresonanztomographie (MRT), F zytogenetische Hochrisikoaberrationen, F der Anteil aberranter Plasmazellen in der Durchflusszytometrie, Abb. 1 9 Zytologisch zeichnet sich das multiple Myelom durch die monoklonale Vermehrung atypischer Plasmazellen im Knochenmark mit Verdrängung der physiologischen Hämatopoese aus. Typische Atypiemerkmale sind z. B. eine verschobene Kern-Plasma-Relation und Mehrkernigkeit

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F eine Immunoparese, F die Höhe des monoklonalen Proteins oder F eine stark abnormale Ratio der freien Leichtketten (kappa/lambda) im Serum. Bei den fokalen Myelomherden im Knochenmark handelt es sich um solche, die (noch) keine Schädigung des mineralisierten Knochens bewirkt haben – ansonsten würde es sich definitionsgemäß um ein symptomatisches MM handeln. Eine sichere Identifizierung eines MGUS-/SMM-Patientenkollektivs, bei dem definitiv in wenigen Jahren die Erkrankung in ein symptomatisches MM übergehen wird, ist jedoch bisher nicht gelungen. Daher ist für die sogenannten Hochrisiko-MGUS/SMM eine Therapie außerhalb von Studien nicht indiziert, aber engmaschige klinische und laborchemische Kontrollen notwendig [3]. Eine Übersicht der diagnostischen Kriterien der MGUS, des SMM und des MM gemäß der International Myeloma Working Group (IMWG) ist in . Tab. 1 dargestellt [1]. Weitere Details zu MGUS und SMM können in der aktuellen Ausgabe dieser Zeitschrift dem Artikel „Asymptomatic multiple myeloma“ von M. Bhutani und O. Landgren entnommen werden. Das symptomatische MM ist durch eine Insuffizienz der Hämatopoese, Hyperkalzämie, Nierenschädigung und/ oder Knochendestruktion gekennzeichnet. Diese Kriterien werden von der IMWG als sogenannte „CRAB-Kriterien“ bezeichnet (. Tab. 2; [1]).

Tab. 1  Kriterien zur klinischen Unterscheidung zwischen MGUS, SMM und symptomati-

schem MM. (Nach [1])  

MGUS

„Smoldering myeloma“

Monoklonales Protein

2,75 mmol/l R Niereninsuffizienz (Kreatinin >2 mg/dl) A Anämie (Hämoglobinkonzentration 2 Kopien) spielen zur Prognoseabschätzung eine entscheidende Rolle. In der Erstlinientherapie ist die Induktionstherapie mit neuen Substanzen, vornehmlich Bortezomib, und anschließender Hochdosistherapie mit Melphalan und autologer Stammzelltransplantation der Standard

für junge Patienten (bis 70 Jahre). Für nicht transplantationsfähige Patienten ist die Thalidomid- oder Bortezomib-basierte konventionelle Primärtherapie Mittel der Wahl. Es wurde nachgewiesen, dass die Kombination aus Bortezomib/Melphalan/Prednison (VMP) das Gesamtüberleben gegenüber alleinigem Melphalan/Prednison (MP) signifikant verlängert (VMP vs. MP, 56,4 vs. 43,1 Monate; p=2 copies, are key factors in risk stratification of MM patients. Induction therapy based on novel agents, namely bortezomib, followed by subsequent highdose melphalan and autologous stem cell transplantation is considered the standard of care for younger, newly diagnosed MM pa-

mehr als 200 Myelompatienten sequenziert und systematisch zahlreiche, potenzielle Mutationen in Onkogenen identifiziert [8]. Neben diesen explorativen Ansätzen ist mit Genexpressionsanalysen auch eine Prognoseabschätzung vor Therapiebeginn möglich [9]. Der Aufwand und die Kosten dieser Verfahren stehen jedoch bisher einer breiten Anwendung entgegen.

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tients (≤70 years). Transplant-ineligible patients should receive thalidomide or bortezomib-based chemotherapy. The combination of bortezomib, melphalan and prednisone (VMP) was shown to significantly improve overall survival (OS) compared to melphalan and prednisone (MP, 56.4 vs. 43.1 months, p=2 Kopien) sind prognostisch ungünstige Aberrationen. Die Dele-

continues to improve with the development of second and third generation immunomodulatory agents and proteasome inhibitors. For example, pomalidomide and dexamethasone vs. high-dose dexamethasone significantly improved OS (12.7 vs. 8.1 months, p=0.03). Novel therapy strategies include targeted and stroma-directed approaches. Antibodies targeting CS-1 (elotuzumab) and CD38 (daratumumab) in particular are currently undergoing advanced clinical phase II/III trials. Keywords Stem cell transplantation · Novel agents ·   Bortezomib · Lenalidomide · Risk stratification

tion (13q) hingegen ist nach neueren Erkenntnissen nur bei Koinzidenz mit einer Deletion (17p) oder Translokation (4;14) prognostisch ungünstig [10]. Daneben ist das Vorliegen einer Hypodiploidie prognostisch ungünstig. Prognostisch günstige Faktoren sind die Hyperdiploidie sowie z. B. eine Translokation (11;14) oder Translokation (6;14) [11].

Tab. 3  Abschätzung der Tumormasse

und assoziierten Prognose nach dem International Staging System (ISS). (Nach [6, 7]) Stadium

Laborparameter

I

β2-Mikroglobulin 35 g/l β2-Mikroglobulin 90%ige Reduktion der Tumormasse (sehr gute partielle Remission, VGPR) nach HDM + ABSZT entscheidend das PFS (≥VGPR vs. ≤PR [partielle Remission], 42 vs. 32%, p=0,005) und OS (≥VGPR vs. ≤PR, 74 vs. 61%, p=0,017) verbessert [17]. Patienten, die dieses Ziel nicht erreicht haben, scheinen von einer zweiten HDM + ABSZT (Tandemtransplantation) besonders zu profitieren. Die primäre HDM + ABSZT begünstigt das Erreichen von Langzeitremissionen [18]. Ein entscheidendes Element in diesem Konzept stellt die Induktionstherapie dar. In Europa werden hierzu meist „Dreierkombinationen“ verwendet – Bortezomib und Dexamethason kombiniert mit Thalidomid (VTD), Adriamycin (PAd) oder Cyclophosphamid (VCD [3]). Durch deren hohe Ansprechraten und eine Reduktion der Dexamethasondosis konnte die Letalität in den ersten Monaten nach Erstdiagnose vor der HDM + ABSZT signifikant auf 1–2% gesenkt werden. Der Stellenwert der allogenen Transplantation hämatopoetischer Stammzellen beim MM wird uneinheitlich bewertet. Studienergebnisse weisen darauf hin, dass ein signifkanter Anteil von Patienten, ca. 30%, nach allogener Stammzelltransplantation in Langzeitremission Der Radiologe 6 · 2014 

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Leitthema: Multiples Myelom Neu diagnostiziertes Multiples Myelom

Transplantationsfähig? (Alter

[Clincal features and treatment of multiple myeloma].

The diagnosis and treatment of multiple myeloma (MM) are progressing continuously. This article aims at summarizing the current status in the diagnosi...
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