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Klinik der okulären Graft-versus-Host Disease Clinical Signs of Ocular Graft-versus-Host Disease

Autor

T. Dietrich-Ntoukas

Institute

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Schlüsselwörter " Kornea l " Bindehaut l " Lider l " GVHD l " HSCT l " graft‑versus‑host disease l

Zusammenfassung

Abstract

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Hintergrund: Bei der okulären Graft-versus-Host Disease (GvHD) handelt es sich überwiegend um eine inflammatorische Augenoberflächenerkrankung nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSCT), deren Inzidenz derzeit zunimmt. Methoden: Überblick über klinische Zeichen der okulären GvHD. Ergebnisse: Die chronische okuläre GvHD als schwere Augenoberflächenerkrankung stellt oft ein langfristiges Problem nach allogener HSCT dar. Sie führt nicht nur zu einer reduzierten Lebensqualität durch ausgeprägte Beschwerden, sondern kann die Sehfähigkeit herabsetzen und zur Erblindung durch korneale Komplikationen führen. Patienten mit chronischer okulärer GvHD sind aufgrund der ausgeprägten Benetzungsstörung und der häufig persistierenden Entzündungsaktivität oft therapierefraktär. Schlussfolgerung: Eine multimodale und interdisziplinäre Therapie – unter Einbeziehung der behandelnden Kollegen der Hämatoonkologie – ist für die Behandlung von GvHD-Patienten essenziell.

Background: Ocular graft-versus-host disease (GvHD) is mainly an inflammatory ocular surface disorder after allogeneic hematopoetic stem cell transplantation (HSCT) with increasing incidence. Methods: We present an overview on clinical signs of ocular GvHD. Results: Ocular chronic GvHD representing a severe ocular surface disease is a long-term problem after allogeneic HSCT. It is not only associated with reduced quality of life because of dry eye symptoms but can also impair visual acuity and lead to blindness due to corneal complications. Patients with ocular GvHD are often resistant to therapy because of the severe dry eye disease and persistent inflammatory activity. Conclusion: A multimodal and interdisciplinary therapy – in cooperation with the colleagues from haematology and oncology is important for the treatment of patients with ocular GvHD.

Einleitung

sog. späte akute GVHD) von einer chronischen Form, die typischerweise nach 3 bis 24 Monaten auftritt. Darüber hinaus wird bei der chronischen GvHD zwischen der klassischen chronischen GvHD und einem sog. Overlap-Syndrom unterschieden, das eine Mischform aus akuter und chronischer GvHD darstellt [4, 5]. Da sich die Überlebensprognose nach allogener HSCT – auch bei Vorliegen einer GvHD – in den letzten Jahren verbessert hat, steigt die Zahl der Patienten mit GvHD insgesamt an [6]. Darüber hinaus tragen verschiedene Faktoren dazu bei, dass die Inzidenz der GvHD zunimmt, wie höheres Alter der Patienten, vermehrter Einsatz von Blutstammzellen aus dem peripheren Blut und von

eingereicht 16. 2. 2015 akzeptiert 23. 2. 2015 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0035-1545836 Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 647–651 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0023-2165 Korrespondenzadresse PD Dr. med. Tina DietrichNtoukas Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde Universitätsklinikum Regensburg Franz-Josef-Strauss-Allee 11 93053 Regensburg Tel.: + 49/(0)9 41/94 40 Fax: + 49/(0)9 41/9 44 92 45 [email protected] aktuell: Klinik für Augenheilkunde Charité Universitätsmedizin Berlin Campus Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Tel.: + 49/(0)30/4 50 55 40 33 Fax: + 49/(0)30/4 50 55 49 00 tina.dietrich-ntoukas@charite. de

Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Regensburg Klinik für Augenheilkunde, Charité Universitätsmedizin, Berlin

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Die Graft-versus-Host Disease („Spender-gegenEmpfänger-Reaktion“, GvHD) ist eine Multisystemerkrankung, die nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSCT) auftritt und verschiedene Organsysteme inkl. der Augen und ihrer Adnexe betreffen kann [1–3]. Die GvHD ist durch eine immunologische Reaktion von Spenderlymphozyten gegen Gewebe des Empfängers bedingt. Sie führt zu einer Gewebeschädigung und zu Immundefizienz und Immundysregulation. Prinzipiell unterscheidet man die akute Form der GvHD (klassische akute GvHD während der ersten 100 Tage nach HSCT oder danach als

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Key words " conjunctiva l " cornea l " lids l " GVHD l " HSCT l " graft‑versus‑host disease l

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Tab. 1 Mögliche Manifestationsformen der okulären Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD). Lokalisation

Befund

Tränendrüsen

Inflammation, Obstruktion der Ausführungsgänge, Atrophie, reduzierte Tränenproduktion Vernarbung der Tränenpünktchen periorbitale Hyper- und Hypopigmentierung, Hyperkeratose, Erythem, Ödem, Teleangiektasien, anteriore und posteriore Blepharitis, Obstruktion der MeibomDrüsen, Trichiasis, Narbenentropium Hyperämie, Chemosis, serosanguinöses Exsudat, pseudomembranöse/vernarbende Konjunktivitis, subtarsale Vernarbung/Fibrose, Nekrosen mit Becherzellverlust, lidkantenparallele Konjunktivalfalten (LIPCOF) Keratopathia superficialis punctata, Keratopathia filiformis, Abschilferung („sloughing“) des Epithels, korneale Hypästhesie, superiore limbale Keratitis, persistierende/ rezidivierende Erosio corneae, Verdünnung, Vernarbung, Ulkus ggf. mit Perforation, Limbusstammzellinsuffizienz, Pannusbildung, Vaskularisation, Kalzifikation Episkleritis, Skleritis, posteriore Skleritis zelluläre Infiltration zelluläre Infiltration Aderhautschwellung, seröse Aderhautamotio Pseudoptosis, vermehrtes Blinzeln, Photophobie, Visusminderung

Tränenwege Lider

Konjunktiva

Kornea

Sklera Vorderkammer Glaskörper Aderhaut allgemein

nicht verwandten Spendern [7]. Bei Kindern ist die chronische GvHD deutlich seltener und tritt bei 20–30 % auf; die Inzidenz steigt bei Erwachsenen mit zunehmendem Lebensalter auf bis zu 60 %. Der wichtigste Risikofaktor für das spätere Auftreten einer chronischen GvHD scheint die akute GvHD zu sein [6]. Die Prävalenz der GvHD liegt in Deutschland bei derzeit etwa 10 000 Patienten [6]. Wichtig zu wissen ist, dass insbesondere bei Patienten mit hohem Rezidivrisiko der Grunderkrankung von hämatoonkologischer Seite eine milde Graft-versus-Host-Reaktion gewünscht ist, da die Prognose bez. der Rezidivfreiheit und des Überlebens bei Patienten mit milder GvHD durch den assoziierten sog. „graft-versus-leukemia“-Effekt besser ist.

Okuläre Graft-versus-Host Disease (GvHD) !

Die Augen und ihre Adnexe sind bei 50–80% der GvHD-Patienten betroffen und daher einer der häufigsten Manifestationsorte der GvHD. Eine alleinige okuläre Manifestation der GvHD ist selten [4, 8, 9]. Bei den meisten Patienten mit okulärer chronischer GvHD liegt eine GvHD anderer Organsysteme vor, v.a der Haut und der Mundschleimhaut. Es muss jedoch bedacht werden, dass die okuläre GvHD selten auch anderen Manifestationen voraus gehen kann [9]. Bei der okulären akuten GvHD spielen wahrscheinlich Interaktionen von Spenderlymphozyten mit Histokompatibilitätsantigenen des Empfängers pathophysiologisch eine Rolle. Im Rahmen der okulären chronischen GvHD kommt es zur Inflammation im Bereich der Tränendrüsen, die eine Obstruktion der Tränendrüsenausführungsgänge und eine Fibrose und Atrophie des Drüsengewebes nach sich zieht. CD34+-Fibroblasten sind hierbei möglicherweise im Rahmen der Fibroseentwicklung beteiligt [10]. Inflammation und Fibrose finden auch im Bereich der Konjunktiva sowie der Lider und Lidkanten statt. T-Zellen (z. B. CD14+-TZellen) und Makrophagen spielen dabei für die konjunktivale In-

flammation und Keratinisierung eine Rolle [11]. Th1-assoziierte Chemokine sind in der Konjunktiva von Patienten mit chronischer GvHD nachgewiesen worden und scheinen ebenfalls involviert zu sein [12]. In der Folge dieser Entzündungs- und Fibroseprozesse kommt es zu einer schweren Benetzungsstörung und Entzündung im Bereich der Augenoberfläche.

Symptome der okulären GvHD !

Typische Symptome sind vermehrte Blendempfindlichkeit, Photophobie, Brennen, Stechen, Fremdkörpergefühl, Schmerzen, subjektiv als „gereizt“ oder „gerötet“ wahrgenommene Augen, verklebte Augen, vermehrtes Blinzeln, gelegentlich auch Epiphora/vermehrtes Tränen, ggf. Visusminderung. Eine GvHD-assoziierte Skleritis würde mit Schmerzen und Rötung auffallen.

" Tab. 1) Klinische Zeichen der okulären GvHD (l

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Theoretisch können fast alle okulären Strukturen GvHD-Manifestationen zeigen: Entzündliche Infiltrationen von Glaskörper und Vorderkammer sowie Episkleritis/Skleritis sind jedoch selten [8, 13]. Manifestationen im Bereich der hinteren Augenabschnitte wie posteriore Skleritis mit exsudativer Aderhautamotio und seröse Chorioretinopathien sind bei der akuten/hyperakuten Form der GvHD beschrieben und treten ebenfalls sehr selten auf [13]. Typischerweise zeigt sich die okuläre GvHD als inflammatorische Erkrankung der Augenoberfläche: Die akute okuläre GvHD manifestiert sich überwiegend in Form einer Konjunktivitis. Diese kann als pseudomembranöse Konjunktivitis auftreten, welche auch bei der chronischen okulären GvHD vorkommen kann [8]. Da die akute GvHD, z. B. in Form von Haut-, Gastrointestinalund Lebermanifestationen, von hämatoonkologischer Seite eine intensive systemische immunsuppressive Therapie nach sich zieht, werden durch die Therapie meist die okulären Zeichen/ Symptome ebenfalls abgemildert. In schweren Fällen ist jedoch darüber hinaus eine ophthalmologische Therapie notwendig. Die chronische okuläre GvHD stellt überwiegend eine schwere Augenoberflächenerkrankung dar durch die Beteiligung von Tränendrüse, Bindehaut, Lidern und Hornhaut [8, 13–16]. In vielen Fällen kommt es im Rahmen der chronischen GvHD zu einer schweren Keratoconjunctivitis sicca, da alle 3 Phasen des Tränenfilms gestört sind durch: 1. die Hyposekretion der Tränendrüse, 2. die verminderte Mukusbildung (durch reduzierte Becherzelldichte) und 3. die Störung der Lipidschicht (durch Meibom-Drüsen-Dysfunktion). Typische klinische Befunde der okulären chronischen GvHD im Bereich der Konjunktiva sind eine chronische (teilweise vernarbende und pseudomembranöse) Konjunktivitis bzw. eine oft persistierende Hyperämie der Bindehaut, die als Zeichen fortgesetzter Entzündungsaktivität gesehen werden muss. Es ist bei GvHD-Patienten sehr wichtig, die Lider zu ektropionieren, um die häufig subtarsal gelegene Bindehautfibrose zu erkennen. Häufig zeigt sich subtarsal auch eine deutlich entzün" Abb. 1). dete Konjunktiva (l Die Hornhaut weist typischerweise eine Keratopathia superficialis punctata und/oder eine filiforme Keratopathie (Keratitis filiformis) auf. Persistierende und rezidivierende Hornhautepitheldefekte und Hornhautulzera sowie korneale Verdünnungen und Vernarbungen können auftreten. GvHD-Patienten scheinen darüber hinaus ein erhöhtes Risiko für korneale Verkalkungen zu haben. Hornhautperforationen sind bei GvHD auch im Rahmen

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Abb. 2 Korneale Beteiligung bei okulärer chronischer GvHD: a Schwere Keratopathia superficialis punctata (Pfeil) und Keratopathia filiformis bei deutlicher Tränenfilmstörung. b Befund des Patienten von Abb. a nach Anfärbung mit Fluorescein und Blaulichtbeleuchtung: Die filiforme Keratopathie ist deutlich sichtbar (Pfeil). c Perforiertes areaktives Hornhautulkus (Pfeil) bei einem Patienten mit chronischer GvHD und herabgesetzter Hornhautsensibilität. d Persistierende Erosio corneae (Pfeil) und Keratopathia filiformis (Pfeil).

" Abb. 2), die von areaktiven sterilen Hornhautulzera möglich (l möglicherweise aufgrund der häufig bei Patienten nach HSCT vorliegenden kornealen Hypästhesie [17] teilweise verzögert bemerkt werden. Zusätzlich kann es zu einer Schädigung der Limbusstammzellen kommen, sodass die Hornhaut durch Neovaskularisationen und einen konjunktivalen Pannus weiter geschädigt wird. Im Bereich der Lider sind Blepharitis mit Teleangiektasien der " Abb. 1) und Meibom-Drüsen-Stau und ‑Atrophie soLidkante (l wie Veränderungen der Lidhaut (Hypo- und Hyperpigmentierungen, Pseudoptosis) häufig. Seltener kommt es in schweren Fällen durch die Bindehautfibrose zu Lidfehlstellungen (Entropium, Ektropium, Wimpernptosis, Trichiasis).

Diagnose und Staging !

Die Anamnese spielt neben dem klinischen Bild für die Diagnosestellung eine wichtige Rolle: Das Auftreten einer Konjunktivitis bzw. einer schweren, therapierefraktären Keratoconjunctivitis sicca nach HSCT kann auf das Vorliegen einer GvHD hindeuten. Auch eine GvHD-Manifestation anderer Organsysteme, insbesondere der Haut oder Mundschleimhaut, macht eine Augenbeteiligung wahrscheinlicher. Die ophthalmologische Diagnostik sollte sich nach dem Alter und dem Allgemeinzustand des Patienten richten. In der Regel sind Visusbestimmung, Spaltlampenuntersuchung, Schirmer-Test (ohne Lokalanästhesie), Vitalfärbungen, Bestimmung der Tränenfilmaufrisszeit (Break-up Time), Bestim-

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Abb. 1 Okuläre Manifestationen der chronischen GvHD im Bereich der Lider und der Bindehaut: a Anteriore und posteriore Blepharitis mit Rötung der Lidkante (Pfeil) und ausgeprägten Teleangiektasien (Pfeil) sowie Pseudoptosis. b Ausgeprägte erosive Veränderungen der Lidkante (Pfeil) sowie Inflammation im Bereich der bulbären Konjunktiva (Pfeil), Abschilferung („sloughing“) des Hornhautepithels (Pfeil). c Subtarsale Fibrose der Bindehaut im unteren Fornix und Vernarbung des Tränenpünktchens. d Befund nach Ektropionieren des Oberlids: Hyperämie der subtarsalen Bindehaut als Zeichen inflammatorischer Aktivität bei chronischer okulärer GvHD.

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Tab. 2 Dokumentation des Schweregrads der chronischen okulären GvHD nach dem NIH Comprehensive Organ Scoring System zum Staging der okulären GvHD [4]. Score 0 Score 1 Score 2

Score 3

keine Symptome milde Symptome oder asymptomatische Zeichen des trockenen Auges mäßige Symptome des trockenen Auges, die teilweise Aktivitäten des täglichen Lebens einschränken, mehr als 3-mal tägliche Applikation von Augentropfen erfordern oder Punctum Plugs, ohne Visuseinschränkung schwere Symptome des trockenen Auges, die Aktivitäten des täglichen Lebens einschränken oder Erwerbsunfähigkeit aufgrund okulärer Symptome oder Visusverlust

mung der kornealen Sensitivität sowie Tensiomessung und Funduskopie in Mydriasis (je nach Befund und Symptomen, ggf. in größeren Abständen) sinnvoll. Weitere speziellere Diagnostik kann nach Bedarf und Verfügbarkeit ergänzend durchgeführt werden, entweder zur Therapieoptimierung und Verlaufskontrolle oder im Rahmen von klinischen Studien (z. B. Meibom-Drüsen-Diaphanoskopie, Osmolaritätsmessung des Tränenfilms, Farnkrauttest, Konfokalmikroskopie, Fotodokumentation etc.). Auch das Einsetzen symptomorientierter spezieller Fragebögen (z. B. OSDI, ocular surface disease index) und eine Fotodokumentation der Befunde sind für die Verlaufskontrolle sinnvoll [18]. Die okuläre GvHD kann sich bei Kindern mit vergleichbaren Befunden zeigen, ist aber insgesamt bei Kindern seltener. Bei Kindern ist es sinnvoll, vermehrt auf indirekte Zeichen wie Photophobie, Augenreiben und Sekretbildung zu achten und bei der (Fremd-)Anamnese gezielt danach zu fragen. Die Diagnose chronische okuläre GvHD kann i. d. R. aufgrund der Anamnese und der vorliegenden Befunde gestellt werden, auch wenn es keine pathognomonischen klinischen Zeichen gibt. In unklaren Fällen oder bei Patienten ohne Vorliegen einer sonstigen GvHD-Manifestation kann eine Bindehautbiopsie zur Diagnosesicherung beitragen. Im Rahmen der vom US-amerikanischen NIH (National Institute of Health) initiierten Konsensuskonferenzen wurden Diagnosekriterien der GvHD für klinische Studien publiziert [4, 5]. Während bisher dem Schirmer-Test für die Diagnosestellung anhand der veröffentlichten Diagnosekriterien eine wichtige Rolle zukam, wird dieser in den neuesten Veröffentlichungen der GvHDArbeitsgruppe des NIH nicht mehr in der bisherigen Form als diagnostisches Kriterium herangezogen [19]. Eine Einstufung und Dokumentation des Schweregrads der okulären GvHD ist nach dem Comprehensive Organ Scoring System möglich, das " Tab. 2). vom NIH-Konsensus 2005 vorgeschlagen wurde [4]; l Da die bisher verfügbaren Staging-Kriterien nicht das gesamte Spektrum der GvHD-Erkrankung im Bereich der Augen abbilden, wurden im Rahmen der österreichisch-deutsch-schweizerischen Konsensuskonferenz neue Staging- und Dokumentationskriterien entwickelt, die das Ausmaß der betroffenen okulären Strukturen, den Entzündungsgrad und das Vorhandensein von funktionellen Einschränkungen und/oder Komplikationen mit einbeziehen [18]. Auf internationaler Ebene gibt es inzwischen ebenfalls Bestrebungen, die Diagnostik und das Staging bez. der okulären chronischen GvHD zu verbessern, u. a. durch Erstellung eines Scores anhand verschiedener okulärer Befunde [20]. Im Rahmen der österreichisch-deutsch-schweizerischen Konsensuskonferenz zur chronischen GvHD wurden bez. der okulären GvHD Screening-Empfehlungen für Patienten mit allogener HSCT

erarbeitet (u. a. Durchführung einer Baseline-Untersuchung vor HSCT und weitere ophthalmologische Untersuchungen zu bestimmten Zeitpunkten nach HSCT), welche eine frühzeitigere Erkennung der Erkrankung und Einleitung der Therapie ermöglichen können [18].

Differenzialdiagnose der okulären GvHD !

Die GvHD muss insbesondere von Folgen der (Ganzkörper-)Bestrahlung und Chemotherapie im Rahmen der Grunderkrankung und der Konditionierung vor der hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT) abgegrenzt werden. Bestrahlung und Chemotherapie können eine Keratoconjunctivitis sicca auslösen oder verstärken. Darüber hinaus müssen insbesondere Infektionen, Medikamentennebenwirkungen und andere Autoimmunerkrankungen bedacht bzw. ausgeschlossen werden. GvHD-Patienten haben aufgrund der GvHD-assoziierten Immundefizienz und der in vielen Fällen notwendigen systemischen medikamentösen Immunsuppression eine deutlich erhöhte Infektneigung, sodass bakterielle und virale Infektionen bzw. virale Reaktivierungen (z. B. durch Herpes zoster, Herpes simplex und Cytomegalovirus) häufiger sind. Es sollte daher in Zweifelsfällen ein Keimnachweis bzw. ‑ausschluss angestrebt werden. Das Vorhandensein einer Infektion schließt selbstverständlich eine GvHD-Manifestation nicht aus. Weitere Differenzialdiagnosen der okulären GvHD stellen andere chronische Konjunktivitiden wie z. B. das vernarbende Schleimhautpemphigoid oder die schwere chronische atopische Konjunktivitis dar. Die Anamnese und das klinische Bild unterscheiden sich jedoch meistens deutlich. Eine bei GvHD-Patienten nicht selten vorliegende retinale Mikroangiopathie ist meistens durch die im Rahmen der Stammzelltransplantation notwendigen Medikamente und die (steroidinduzierten) Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie und/oder eine vorangegangene Bestrahlung sowie die zugrundeliegende hämatologische Grunderkrankung bedingt [13, 21]; sie stellt keine okuläre GvHD-Manifestation dar. Als weitere okuläre Komplikationen nach allogener HSCT entwickeln bis zu 85 % der Patienten eine (meist subkapsuläre) Katarakt, die rasch progredient sein kann und durch die Steroidtherapie und ggf. auch Radiatio bedingt ist [22, 23]. Seltener kommt es im Verlauf zu einer steroidinduzierten okulären Hypertension.

Prognose !

Die okuläre chronische GvHD führt nicht nur zu einer reduzierten Lebensqualität aufgrund der ausgeprägten Beschwerden, sondern kann auch die Sehfähigkeit beeinträchtigen und in schweren Fällen zur Erblindung führen. Die meisten Patienten entwickeln eine schwere, oft therapierefraktäre Benetzungsstörung, die mit chronischer Entzündung einhergeht [8, 14]. Ein großes Problem stellt das Auftreten von Hornhautkomplikationen in Form von nicht heilenden bzw. rezidivierenden Epitheldefekten und Ulzera dar, die zu kornealen Vernarbungen, Infektionen und (bilateralen) Hornhautperforationen [24] führen können. Eine perforierende Keratoplastik hat bei Vorliegen einer chronischen GvHD eine sehr schlechte Prognose und ist daher nur eingeschränkt zur Visusrehabilitation bzw. Wiederherstellung der Hornhautintegrität einsetzbar.

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Fazit !

Bei der okulären GvHD handelt es sich um eine inflammatorische Augenoberflächenerkrankung. Die chronische okuläre GvHD stellt oft ein langfristiges Problem nach allogener hämatopoetischer Stammzelltransplantation dar. Sie führt nicht nur zu einer reduzierten Lebensqualität durch ausgeprägte Beschwerden, sondern kann die Sehfähigkeit herabsetzen und zur Erblindung durch korneale Komplikationen führen. Die Patienten mit chronischer okulärer GvHD sind aufgrund der ausgeprägten Benetzungsstörung und der häufig persistierenden Entzündungsaktivität oft therapierefraktär. Eine multimodale und interdisziplinäre Therapie – insbesondere unter Einbeziehung der behandelnden Kollegen der Hämatoonkologie – ist daher für die Behandlung von GvHD-Patienten sehr wichtig.

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Danksagung !

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Dank geht an Prof. Dr. med. Daniel Wolff, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III, GvH-Kompetenzzentrum, Universitätsklinikum Regensburg, sowie an Prof. Dr. med. Horst Helbig, Dr. med. Christiane Blecha und Dr. med. Regine Vogt, Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Regensburg für die gute Zusammenarbeit bei der Betreuung der GvHD-Patienten.

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Acknowledgement !

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Herrn Professor Dr. med. Dr. h. c. mult. Gottfried O. H. Naumann zum 80. Geburtstag gewidmet. 18

Interessenkonflikt !

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Nein.

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