648

Albert: Konservative Behandlung der Trigeminusneuralgie

Deutsche Medizinische Wochenschritt

Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Aktuelle Therapie

Dtsch. med. Wschr. 104 (1979), 648-49 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

H.-H. von Albert Neurologische Klinik des Bezlrkskrankenhauses Günzburg

algien des ersten Astes muß besonders intensiv untersucht werden, da hier

symptomatische Neuralgien bei Basistumoren, Nebenhöhlenprozessen usw. häufig sind. Dauerschmerzen, die im allgemeinen einen ganz anderen, mehr dumpf-brennenden Schmeracharakter haben, sind atypisch; in seltenen Fällen kommen sie im Anfangsstadium einer echten

Die Pathogenese der Trigeminusneuralgie Ist noch unbekannt. Wahrscheinlich liegen Veränderungen mit Verlust hemmender Synapsen im Ganglion Gassen (3) vor, die zu einer Art pathologischem »Rückkopplungseffekt« führen (1).

Die typische Trigemlnusneuralgie Ist durch blitzartig einschießende stärkste Schmerzattacken gekennzeichnet, häufig begleitet von einem Verziehen des Gesichtes und Tränenflul3 (Tic doloureux). Die Schmerzen strahlen am häufigsten von den durch Berührung und Druck feststellbaren Triggerzonen, die meistens im Bereich der Nasenflulgelbegrenzung, der medialen Ober- oder Unterlippe liegen, nach hinten und oben in Richtung auf das Ohr hin aus. Demgegenüber strahlen die Schmerzen bei der

Glossopharyngeusneuralgie vom Ohr her in das Gesicht hinein. Die Schmerzen ähneln einem sehr starken Zahnschmerz und zählen zu den unangenehmsten Schmerzen überhaupt. Auslösende Faktoren sind Berührungen, Bewegungen, Waschen, Rasieren, aber

auch Abkühlung der Gesichtshaut und Streßsituationen. Die Patienten vermeiden das Sprechen, verhüllen das Gesicht mit einem Wollschal und nehmen

kaum Nahrung zu sich. So können sie vor allem bei Exazerbation mit Zunahme der Schmerzattacken die Medikamente oral nicht zu sich nehmen. Im Herbst und Frühjahr werden Schmerzattackeri besonders häufig beobachtet; die Trigemlnusneuralgie tritt bei Frauen häufiger auf. Die Diagnose ergibt sich aus den typischen Schmerzattacken, dem Nachweis von Triggerzonen, von denen sich

Schmerzattacken auslösen lassen und die meist in den medialen Anteilen der 0012-0472/79

0504 - 0648

Tab. 1. Differentialdiagnose der idiopathischen Trigeminusneuralgie typisch für eine »idiopathische« Form:

Triggerzonen (mediate Ober- oder Unterlippe) Auslösung durch Berührung, Kälte, Rasieren, Kauen neurologisch: nur Hyperpathie Lebensalter meist über 50 Jahre verdächtig auf eine symptomatische

Form:

Sensibilitätsstörungen im Trigeminusgebiet (ohne vorausgegangene Eingriffe) Dauerschmerz neurologische Ausfälle Alter unter 40 Jahre

Oberlippe und Unterlippe liegen, sowie aus dem Nachlassen der Schmerzattak-

ken bei Vermeidung der auslösenden Faktoren. Der neurologische Befund ist normal; als einziges wird bei der akuten Trigeminusneuralgie eine Hyperpathie in dem betroffenen Ausbreitungsgebiet gefunden. Der zweite und der dritte Trigeminusast sind am häufigsten betroffen, oft strahlen die Schmerzen von einem in den anderen Ast aus. Bei Neur-

Trigeminusneuralgie

handelt es sich aber um einen sogenannten atypischen

Gesichtsschmerz

mit psychogener Auslösung. Im Anfangsstadium der typischen Trigeminusneuralgie können die Schmerzattacken weniger akut, kürzer und seltener sein.

Es gibt auch Neuralgien mit einem Dauerschmerz, bei denen anfallsweise eine Verstärkung eintritt. Nach differentialdiagnostischer Klärung (Tabelle 1) mit Ausschluß einer

symptomatischen Form beginnt die konservative Behandlung (Tabelle 2): Antiepileptika, vor allem Carbamazepin

und Phenytoin, eventuell miteinander oder mit Muskelrelaxantien kombiniert, sind die Therapie der ersten Wahl. We-

gen der starken Beeinträchtigung des Neuralgiekranken durch die Schmerzattacken sollte die orale Behandlung mit Carbamazepin oder einer Kombination bei Neueinstellung oder nach einer längeren Theraplepause - ohne Rücksicht auf Nebeneffekte (Schwindel und Ata-

'de) mit einer relativ hohen Dosierung (dreimal 2 Tabletten) beginnen, um die Schmerzattacken zu blockieren. Die Patienten sind in der ersten Zeit einer sol-

Tab. 2. Richtlinien der konservativen Therapie der Trigeminusneuralgie Carbamazepin (leichte Fälle), dreimal 100-600 mg, zum Beispiel dreimal 1/2...2 Tabletten Timonil® oder Tegretal® Phenytoin, dreimal 50-100 mg,

zum Beispiel '/l Tablette Phenhydan® oder Zentropil® Kombinationen: Carbamazepin + Chlormezanon (zum Beispiel Muskel Trancopal®)

oder Carbamazepin + Phenytoin oder Carbamazepin + Phenytoin + Chlormezanon oder Carbamazepin + Levopromazepin (zum Beispiel Neurocil®)

$ 02.00 © 1979 Georg Thieme Publishers

vor,

manchmal im Wechsel mit typischen, noch leichten Schmerzattacken. Meist Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Konservative Behandlung der Trigeminusneuralgie

27 Praxis.Forum

ehen Therapie nicht fahrtüchtig, nehmen aber die subjektiven Nebenwirkungen in Kauf. Tab. 3. Phenytoin-lnfusionstherapie, Kontraindikationen und Nebenwirkungen

175 mg

AV-Block (3. Grades)

starke Alkalosen schwere Herzinsuffizienz Nebenwirkungen Bradykardie SA- oder AyBlockierung Nystagmus, Schwindel Ataxie

det (Tabelle 3)

(2).

Innerhalb von 3

Stunden werden 750 mg Phenytoin (Phenhydan®) als Infusion gegeben. Die

50 ml (750 mg Phenytoin) in 500 ml NaCI

60 Tropfen pro Minute = Phenytoin pro Stunde Verlangsamung nach Schmerzreduktion Kontraindikationen:

Gelingt die Unterbrechung durch orale Medikamentenzufuhr nicht, etwa well der Patient wegen der heftigen Schmerzattacken keine Medikamente schlucken kann, wird als Standardtherapie die Phenytoin-Infuslonsbehandlung angewen-

Behandlung Atropin Atropin Infusion

langsamer Carbamazepin statt Phenytoin

Erfahrungen an mehr als 50 PatIenten, zum Teil mit Rhythmusstörungen und oberhalb des 90. Lebensjahres, haben eine gute Wirksamkeit mit nur geringen, immer voll reversiblen Nebenwirkungen gezeigt. Nebeneffekte wie Nystagmus und Ataxie klingen rasch ab. Die Infusion wird gestoppt, wenn die Schmerzattacken unterbrochen sind. Man kann dann mit oraler Gabe, eventuell in Kombinationen, weiterbehandein. Noch unerklärlich ist die mehrfach gemachte Beobachtung, daß eine vor der Infuslonsbehandlung wirkungslose Therapie nach den Infusionen wieder wirksam werden kann. Wir haben von den 52 Patienten, die wir in den letzten 21/2 Jahren wegen el-

649

ner akut exazerbierten Trigeminusneuraigle mit Phenhydan-Infusionen behandelt haben, nur drei Patienten einer operativen Behandlung zuführen müssen. Auch bel atypischen Gesichtsneuralgien kann ein gewisser Therapieeffekt beobachtet werden: Versagt beim Gesichtsschmerz die Phenytoin-Infuslon, so lIegt eine psychogene Auslösung vor.

Die Infusion kann also auch ais dlfferentialdiagnostisches Hilfsmittel angesehen werden. Literatur (I) V. Albert, H-H.: Muskeirelaxantlen zur Behandlung der Idlopathischen Trigeminusneuralgle. MUnch. med. Wschr. 117 (1975), 1379. V. Albert, H.-H.: Infuslonsbehandlung der akuten Ingemlrsusneuraigle. Munch. med. Wschr. 120 (1978), 529.

Selby, G.: The palhogenesls of tnlgeminal neuralgIa. Proc. Aust. Ass. Neurol. 10 (1973), 81.

Prof. Dr. H.-H. von Albert Neurologische Abteilung Bezlrkskrankenhaus 8870 Günzburg, Reisenburger Str. 2

Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.

Nr. 18, 4. Mai 1979, 104. Jg.

[Conservative therapy of trigeminal neuralgia].

648 Albert: Konservative Behandlung der Trigeminusneuralgie Deutsche Medizinische Wochenschritt Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. D...
39KB Sizes 0 Downloads 0 Views