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Konservative Behandlung der Wirbelverletzungen gestern und heute J. Bähler

Zusammenfassung Seit 60 Jahren werd en Wirbelbrüche durch Längszug und Aufrichtung eingerichtet, dann im Gips miede r ruhiggestellt und a nschließend erfolgt eine inte nsive Übungs behandlung. Diese Ar t der Behandlun g geht a uf Da vis, Watson-Johnes un d Loren z Bohler zurück. Trotz der zunehmend angewendeten operativen Stabilisierung von \Virbelfrakturen hat die konserva tive Methode nach wie vor Gültigkeit. Conservatlve Treatment of Spine Fractures

Since 60 years fractures of the spine are redu ced by longitu din al trac tio n and hyperlordosis and then imm obili zed in a piaster jacket foll owed by an intensive exercise programme. This type of treatment was o riginated by Davis, Watson-Johnes and Lor enz Bähler. Inspite of the increase of operative stabilizations thi s method of treatment is still valid .

Fr üh er wurden Wir belbr üche als sehr schwere Verletzungen an gesehen . Aus Furcht vor Spätlähmungen und vor der K ürnmel-Verneuil' schen Krankheit, dem sekundären Zusammensintern der Wirbelbrüche. bestand die Behandl ung in monatelanger Bett ru he und an schließendem Tragen von Stützmiedern - z.T. durch Jahre . Ende der Zwa nzigerjahre beschrieben Ma gnu s und Haumann (4, 6, 7) au s Bochum die funktionelle Behandlung der Wirbelbrüche. Diese bestand in Bettruhe von vier bis sechs Wochen und anschließendem Aufstehen, Ma ssagen und Übungen. Nach durchschnittlich vier Monaten konnte die Arbeit wieder a ufgeno mmen werde n . Na ch drei J ahren bezogen 60"10 eine Rente. Um 1930 haben Davis, Watson-John es und Lorenz Bähter (3, 11 ,2, I) über eingerichtete Wirb elbrüc he berichtet.

So wie bei allen anderen Knochenbrüchen gelten auch fü r Wirbelbrüche die Grundgesetze de r Knochen bruchbehandlung: .Einr ichte n; Festh alt en ; Üben" , wie sie von L orenz Bohter definiert wurden. Er schreibt, daß • bei Begu tachtungen von Wirbelbrüchen die Be-

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schwerde n in der Regel um so stä rker sind , je gr ößer die Verschiebungen - besonders die Achsenknickungen sind. Man muß daraus die Schlußfolgeru ng ziehen, daß man die Versch iebungen durch Einr ichte n beseitigen muß ". Dafür sprechen au ch die Za hlen von Troj an (l0) , der die Fälle von Lorenz Bohler nac huntersucht hat. 43% bezogen eine Daurrente; alle mit Gibbus von mehr als 15 ° bis 20 ° hatten Beschwerd en .

L orenz Bähler ha t die Mor ph ologie von Wirbelbr üchen im Deta il beschrieben und zeichnerisch dargestellt. Trotzdem war seine Indikation zur Reposition einfach: Gibbus mehr als 10°, Alter weniger als 60 Jahre und guter Allgemeinzustand. Er hat also nicht zwischen stabilen un d unstab ilen Brüchen un terschieden , sondern die Reposition vom Ausmaß der Achsenknickung abhängig gemacht. Ebenso einfach waren seine Gegenanzeigen zur Reposition, wobei vor allem die Frakturen der Brustwirb elsäule bis Thl l, Frakturen älter a ls zwei Wochen und besonders fehlende Voraussetzungen von selten des Behandlers hervorzuheben sind, da nur sorgfältige Oberwachung und Betr euung des Verletzten bis zu m Ab schlu ß der Behandlung zum Erfolg fü hren .

In der Nachuntersuchungsserie von Troj an (10) wurden 30% der Frakturen nicht reponiert - ha upt sächlich wegen geringer Kompression bzw , schwerer Nebenverletzungen . L orenz BOhler hat zuerst im ventralen Du rchhang in Bauchlage reponiert. Damit kon nten 39% nicht aufgerichtet werden. Im anschließenden dorsalen Durchhang konnten von diesen 39070 noch weitere 9 1070 aufgerichtet werden . Mit dem primären dorsalen Durch han g ließen sich fast 90% au frichten . Daher wird jetzt nur noch der dors ale Du rchh an g verwendet. Bei a llen schwereren Verletzungen erfolgt aber vor der Lordosierung die Reposition im Längszug. da es beim Abbruch der hin ter en oberen Wirb elk örper ka nte durch die alleinige H yperlordosierung zu eine r Verschiebung dieses Fragments nach hinten und damit zu einer Medullaschäd igung kom men ka nn , wie Straube (9) schon 1940 gezeigt hat. Zieht man zuerst in der Längsrichtung und lordosiert erst dann vorsichtig, so gleitet dieses Fragment an die richtige Stelle, ohne ins Wirbelrohr vor zuragen. Als nächstes wird mit einem gut anmodellierten Gipsm ieder , das a m Brustb ein und an der Sym physe a bgestützt sein muß , ruhiggestellt. D. Nagel (8) konnte expe riment ell die gute Stabilisierung mit einem Gipsmieder nachweisen, während dies mit einem Dreipunkt-Korsett nicht erreicht werden konnte.

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76. Tagung der Deutschen Gesellschaft j ar Orthopädie und Traumatologie Zürich, 10.-13 . Oktober / 990

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J. Bohler: Konservative Behandlung der Wirbelverletzungen gestern und heute

Die guten Ergebni sse von Lorenz Böhler konnten aber oft nicht nachvollzogen werden . Es kam wieder zum Abs inke n des Wirbelbru ches in Gibbussteliung. Der Gru nd dafür liegt ha upt säch lich in einer nicht gen ügend lan gen Ruhi gstellung. Bei einer Gibb usbildu ng vo n 10° verla ngt e Lorenz Bohler drei Monate, bei Gibb us von 10-1 5 0 vier Mon a te und bei Gibb us von meh r als 15 0 eine Ruhi gstellung von fünf Monaten Dau er . Außerdem waren wöc hent liche Kon trollen des Gipsmieder s vorgeschrieben; beim Lockerwerden wurd e es rechtzeitig im dorsalen Durchh ang gewechselt. Rönt gen kont roll en erfolgten nac h der ersten, der dritten, der siebenten und der elften Woch e. Wenn sich ein Zurückgehen de r Stellung zeigte, wurde im dorsalen Dur chh ang das Gipsmieder gewechselt. Diese Art der Behandlu ng wird auc h heute noch in gleicher Weise durc hgeführt , wobei abe r statt des Gip ses Glasfaser-Kunststo ffverbä nde verwendet werde n. Ist kein Deckenh ak en vorhanden , so kann zum do rsa len Durchh ang a uch ein Patien tenh eber verwendet werden . Als dritte s G ru ndgesetz der Frakturenb ehandlung ist die systematische Übungsbehandlung zu befolgen. Neben allen Arten von Freiüb un gen werden Bau ch- und Rück enmuskulatur durch Rumpfbeugen und -stre cken gestä rkt. Dadurch wird die Bau chmuskul atu r so kräftig, da ß sie z. B. einen 6S kg schweren Mann mit einem Gipsmieder von 8 kg und einem Sa ndsack von 35 kg im Liegen tra gen und heben kann . Groß en Wert hat L orenz Böhler auf die axia le Belastun g der aufge richteten Wirb elsäul e gelegt . Dadurch kommt es zu einer Belastung der hint eren Wirbelsäulen elemente und zu einer Entlastung des gebrochenen Wirbelkörper s. Diese Belastung wurde durch T ragen von Sa ndsäcken mit steigendem Gewicht erzielt. Die Ergebnisse dieser int ensiven Übungsbehan dlung veranlaßten Lorenz Böhler zu der Feststellun g,

daß Verletzte mit Wirbelbrü chen , die in der geschilderte n Weise behandelt wurden, vier bis sechs Mon at e nach der Verletzun g kräftiger und elast ischer waren als frü her. Trotz der großen Fo rtschritte der ope ra tiven Wirb elbruchb ehandlung ist die geschilderte Rep ositions- und Gipsbeha nd lung nach wie vor ak tu ell. Im Unfa llkra nke nha us Lorenz Böhler in Wien wur den in den Jahren 1988 und 1989 von Frak tur en der un teren Brustund der Lendenwirbelsäul e 24 opera tiv und 34 mit Auf richtung und Gips behandelt. Auch nach der operative n Stabilisierung ist eine konsequent e Übungsbehandlung notwendig!

Literatur B önter, L. : Wirbelbr üche und Wirbelverrenkungen . Chirurg 7 (1935) 444, 447, 562, 643. 715, 759 2 B öhter, L. : Diskussion. Monatsh. Unfallheilk. 38 (1931) 61 a Davis, A . G. : Fractures of the Spine. J . Ban e Je Surg . Il (1929) 133 4 Haumann. W.: Die Wirbelbrüc he und ihre Ergebnisse. F. Enke, Stutt gart 1930 S Heuritsch, J.: Das Wirbelrohr. Aufbau, Funk tion und Bruchf orm . Arch. orthop. Unfallch ir. 35 (1935) 330 (, Magnus, G.: Zur Behandlung und Begutachtu ng von Wirbel brüc hen. Münch. Med. Wschr. 13 (1929) 527 1 Magnus, G.: Die Behandlung und Begutachtu ng des Wir belbr uches. Arch . ort hop . Unfa lIchir. 29 (1931) 277 8 N agel. D.: Vort rag Aü Spine Course . Davos, Dezember 1986 9 Straube, A .: Sollen Wirbelbrüche nach Böhler reponiert werden? Chir urg 12 (1940) 453 10 Troj an, E.: Langfristige Ergebnisse von 200 Wirbelbrüchen der Brustund Lenden-Wirbelsäule ohne Läh mung. Zschr. Un fallmed . 2 (1972) 122- 134 11 watson-Johnes, R.: Brit. Med . J . I (1931) 300 1

Univ.-Prof. Dr. J örg Böhler Severinga sse 1 A-I09O Wien

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[Conservative treatment of spinal injuries yesterday and today].

Since 60 years fractures of the spine are reduced by longitudinal traction and hyperlordosis and then immobilized in a plaster jacket followed by an i...
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