Rappl, Waiblinger: Rückstände chiorierter Kohlenwasserstoffe in Muttetmilch

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), 228-238 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Zur Kontamination von Muttermilch mit Rückständen chiorierter Kohlenwasserstoffe

Contamination of human breast milk with chlorinated hydrocarbon residues 136 out of 137 human breast milk

A.

Rappi und W. Waiblinger

Landesuntersuchungsamt für das Gesundheitswesen Südbayern, Fachbereich Chemie (Leiter: Dr. H. Gspahn)

Von 137 Muttermilchproben, die in der Zeit von Juni1973 bis Januar 1974 untersucht wurden, wiesen 136 zum Teil erhebliche Restmengen des Insektizids DDT und seines Metaboliten DDE auf, letzteres in durchschnittlich doppelter Menge. In 73 Proben konnte gleichzeitig DDD angetroffen werden, welches auch auf dem Wege der Metabolisierung aus DDT entstehen kann. Weniger regelmäßig fanden sich im Pestizidmuster auch andere Vertreter aus der Gruppe der chlorierten Kohlenwasserstoffe, insbesondere Hexachlorbenzol, Lindan (y-HCH), technisches HCH sowie Heptachlorepoxid. Die in tierischen Organismen relativ häufig auftretenden Verbindungen Dieldrin und Aidrin lagen dagegen nur vereinzelt vor. Im Vergleich zu den für Kuhmilch und Milcherzeugnisse kürzlich gesetzlich festgesetzten Höchstmengen entsprach nur eine der untersuchten Humanmilchproben diesen Anforderungen. Oberwiegend waren diese Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten. Bedenklich stimmt insbesondere, daß der von der Weltgesundheitsorganisation vorgeschlagene ADI-Wert für DDT bei Erwachsenen unter Annahme üblich er Bedingungen durchschnittlich um das Vierfache, bei dem höchsten ermittelten Wert bereits l6fach überschritten war. Bemerkenswert ist weiterhin die nicht seltene Kontamination mit polychiorierten Biphenylen, Rückständen technischer Produkte, welche in ihrem toxischen und physikalisch-chemischen Verhalten dem DDT sehr nahestehen. Die weltweite Anwendung von Pestiziden sowie ihre teils ubiquitäre Verbreitung in unserer Umwelt, insbesondere von Organochiorverbindungen, wirft für die menschliche Ernährung ernsthafte Probleme auf. Bis-

samples which were investigated between June 1973 and January 1974 contained remains of the insecticide DDT and its metabolite DDE, some of them in considerable amounts. On average the quantities of DDE were double those of DDT. In 73 samples DDD could befound at the same time. DDD can be formed during metabolization of DDT. Less frequently other chlorinated hydrocarbons were found, mainly hexachlorobenzene, lindane (y-HCH), technological HCH and heptachioroepoxide. On the other hand quite frequently found in animals were rarely observed. Only one of the investigated samples of human breast milk was in accordance with the recently introduced legal maximum allowed for cow's milk and milk products. It seems particularly serious that, assuming normal conditions, the ADI value for DDT in adults suggested by the WHO was exceeded on average fourfold and in the highest value 16-fold. Also noteworthy is the not infrequent contamination with polychlorinated biphenyles. These are remains of industrial products which are very similar to DDT in their toxic and physico-chensical

behaviour.

herige Untersuchungen haben gezeigt, daß in besonderem Maße tierische Organismen und Produkte mit teilweise beachtlichen Restmengen von chlorierten Kohlenwasserstoffen kontaminiert sind. Dabei wird

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zz8

künftig auch dem Auftreten von polychiorierten Biphenylen und ähnlichen technischen Produkten erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden müssen. Einer wirksamen Verbesserung dieser Situation stehen die zumeist unterschiedlichen nationalen Interessen und Regelungen wie auch die Tatsache im Wege, daß das Pestizidproblem auf dem tierischen Sektor wegen verschiedenartiger, im allgemeinen unkontrollierbarer Einflüsse weniger steuerbar sein kann als vergleichsweise auf dem pflanzlichen Gebiet. Die Anwendung von Pestiziden vom Typ chlorierter Kohlenwasserstoffe wurde in der westlichen Welt in den vergangenen Jahren durch gesetzgeberische Maßnahmen weitgehend eingeschränkt. Ferner sind die auf Lebensmitteln tierischer und pflanzlicher Herkunft duldbaren Restgehalte durch Höchstmengenfestsetzungen größtenteils wesentlich begrenzt worden. Die mögliche Kumulierung solcher Stoffe aufgrund ihrer Persistenz kann aber auch bei kontinuierlicher Zufuhr geringer, gesetzlich tolerierter Rückstände unter Umständen zu bedenklichen Anstiegen im tierischen und menschlichen Organismus führen. Da sich innerhalb biologischer Ketten häufig beträchtliche Anreicherungen derartiger Wirkstoffe beobachten lassen und in gleicher Weise auch in der Muttermilch aufgrund ihres Fettgehaltes lipoidlösliche Pestizide wie chlorierte Kohlenwasserstoffe kumulieren, können Säuglinge als Endglieder einer solchen Kette einer besonderen Belastung ausgesetzt sein. Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen über den Pestizidgehalt von Humanmilch (1-9) geben zu Tab.

1.

Bedenken Anlaß. Danach wird der bei Kuhmilch durchschnittlich feststellbare Gehalt an Organochiorverbindungen von den bei Frauenmilch nachweisbaren Restmengen in der Regel um ein Vielfaches übertroffen. Besonders beachtenswert erscheint weiter, daß die in Humanmilch feststellbaren Pestizidrückstände häufig auch die in der »Höchstmengen-Verordnung tierische Lebensmittel« für Milch festgesetzten Grenzwerte beträchtlich überschreiten. Zur Ausweitung der bisherigen Kenntnisse über die Rückstandssituation im bayerischen Raume wurden auf Veranlassung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern von den Fachbereichen Chemie der Landesuntersuchungsämter für das Gesundheitswesen Süd- und Nordbayern (Anstalten Augsburg, Erlangen, München, Regensburg, Würzburg) sowie vom Chemischen Untersuchungsamt der Stadt Nürnberg in der Zeit von Juni 1973 bis Januar 1974 Cberprüfungen von Muttermilch auf Restmengen von Pestiziden durchgeführt. Die Milchproben stammten aus den gynikologischen Abteilungen von Krankenhäusern der Städte und Landkreise im Oberwachungsbereich der beteiligten Anstalten. Ihre Beschaffung gestaltete sich teilweise sehr schwierig, da Frauenmilch knapp ist und die verfügbaren Vorräte in den Kliniken dringend benötigt werden. Die Arbeitsmethodik erfolgte nach den Empfehlungen der Arbeitsgruppe oPestizide« (Mitteilungsblatt der Gesellschaft deutscher Chemiker, Fachgruppe Lebensmitteichemie und gerichtliche Chemie 25 [19711, 129).

Ergebnisse Die Ergebnisse der Untersuchungen von insgesamt 137 Muttermilchproben zeigt Tabelle 1. Die weitere Diffe-

Kontamination von Humanmilch mit Rückständen von Pestiziden. Gesamtprobenzahl: 137

Wirkstoff«

Zahl der kontami. nierten Proben

o

/0

in der Milch

Konzentrationsbereich

Pestizidgehalt in ppm bezogen auf den Lipoidanteil

Mittelwert

Konzentrationsbereich

Mittelwert

p,p'-DDT

136

99,3

0,002-0,19

0,032

0,08- 6,2

1,46

p,p'-DDE

136

99,3

0,015-0,32

0,065

0,6 -11,3

2,98

-

1,8

0,67

p,p'-DDD Gesamt-DDT (DDT + DDE

+

y-HCH

HCH techn.

73

S3,3

0,001-0,05

0,011

0,2

136

99,3

0,015-0,48

0,107

0,75-16,4

4,82

34

24,8

0,004-0,022

0,012

0,13- 1,17

0,45

48

3S

0,03 -0,143

0,069

0,34- 3,86

1,07

DDD)

112

81,8

0,006-0,19

0,029

0,08- 4,06

1,78

Heptachiorepoxid

32

23,4

0,001-0,007

0,003

0,03- 0,37

0,14

PCB

30

21,9

0,04 -0,303

0,10

1,73- 9,7

3,32

HCB

Verhältnis p,p'-DDT : p,p'-DDE 1: 2 bzw. durchschnittlicher Anteil DDE am Gesamt-DDT = 67%

Fettgehalt: Schwankul)gsbereich 0,6-5,5%, Mittelwert 2,26% *

2.35

p,p'-DDT = 1,1,1-Trichlor-2,2-bis (4-chlorphenyl)-aethan = p,p'-DDE = 1,1-Dichlor-2,2-bis (4.chlorphenyl)-aethylen = p,p'-DDD = 1,1-Dichlor-2,2-bis (4-chlorphenyl)-aethan = y-HCH = = ?-1, 2,3,4, S, 6-Hexachior-cyclohexan HCH techn. = Isomerengemisch von Hexachior-cyclohexan HCB Hexachlorbenzol PCB polychiorierte Biphenyle

Dichlordiphenyltrichloraethan Dichlordiphenyldichloraethylen. Dichlordiphenyldichloraethan Lindan

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Rappi, Waiblinger: Rückstände chiorierter Kohlenwasserstoffe in Muttermilch

Nr. 6, 7. Februar 1975, 100. Jg.

2.36

Rapp, Waiblinger: Rückstände chiorierter Kohlenwasserstoffe in Muttermilch

Deutsche Medizinische Wochenschrift

20-

20-

te a,

V

'i'0 o 000 P.'0 c000 ..'0 '000 000----------

-r

'00 '00 cS In '0,,-, '6 AAAAAAAAAAAAA,\ AAA/\ AAAA C'.

C'.

C\J CSJ CSJ CSJ C'4

00

ppm p. p'-DDT

O C'-,

O V

Abb. 1. Gehalt an p,p'-DDT, bezogen auf den Lipoidanteil.

0_

0

A

A

0 0 0 0 A

A

A

A

A

C'-,

1'4

c

9 9 00 O 0 O

A

A A

'0

C-',

Abb. 4. Gehalt an Gesamt-DDT (DDT auf die Gesamtmilch.

SO '0 C', r',

C'-,

p- 9'0 C'-,

CM

9 '0

Q

O

Q

Q

A

A

A

O

-

0'000O

Th m '0o0ço'00'0oorSsoO'0 090

CM

E

A

+ DDE + DDD), bezogen

15

te C

U0=

O US 0 US 000000O00O00O00O00O00O00C, --c-u c'1-2 >2-3 >3-4 >4-5 >5-6 >6-7 >7-8 >8 ppm 0,1-1 Abb. 6. Vergleichende Übersicht: Gehalt an DDT, DDE, DDD und Gesamt-DDT, bezogen auf den Lipoidanteil.

renzierung einzelner Wirkstoffe nach Konzentrationsgruppen sowie eine Aufschlüsselung des Fettgehalts ist aus den Abbildungen 1-7 zu ersehen; mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Wirkstoffkonzentrationen konnte hier kein einheitlicher Maßstab gewählt werden.

Wie aus der Tabelle 1 hervorgeht, weisen mit einer einzigen Ausnahme alle Proben Rückstände an p,p'DDT und seines Metaboliten p,p'-DDE auf. Bemerkenswert ist die für diese Substanzen und Gesamt-DDT (DDT + DDE + DDD) festgestellte Schwankungsbreitc

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f10-

Nr. 6, 7. Februar 1975, 100. Jg.

2.37

R.appl, Waiblinger: Rückstände chlorierter Kohlenwasserstoffe in Muttermilcb

Tab. 2. Vier Beispiele aus der Untersuchungsreihe

Gesamt-DDT (ppm) Probe co

¿ A

'o c1 nj

00

c'J

A

A

'O

00

nsj

e,'

00

A

c'j

c'j

r,'

C,'

C,'

A

A

A

A

Fettgehalt in %

Milch

bezogen auf den Lipoidanteil

in der

Fettgeha't A

'O A

'4'

in%

A

Nr. 1

2,6

0,105

4,04

Nr. 2

1,2

0,100

8,33

Abb. 7. Fettgehalt von Humanmilch.

Nr.3

0,9

0,100

11,10

mit einer für den letzteren Fall errechneten Standardabweichung von 3,14; der durchschnittliche Anteil von 70% DDE am Gesamt-DDT entspricht den aus der Literatur bekannten Angaben. Neben dem ständigen Auftreten von DDT und seinen Metaboliten fällt die hohe Kontaminationsrate bei Hexachlorbenzol (HCB) auf, welche aber mit der häufigen Behaftung tierischer Lebensmittel mit diesem Wirkstoff in Einklang steht, Andere Komponenten aus dem Muster chiorierter Kohlenwasserstoffe treten dagegen weniger regelmäßig auf und spielen auch mengenmäßig eine unbedeutendere Rolle. Restmengen von Dieldrin und Aldrin ergaben sich nur in drei Fällen; sie wurden in der Tabelle 1 nicht berücksichtigt.

Nr. 4

5,3

0,240

4,S3

Diskussion Angesichts der mit dem Insektizid DDT vergleichbaren Toxizität und Persistenz von polychiorierten Biphenylen erscheinen die bis 9,7 ppm (im Fettanteil) reichenden Konzentrationen sehr erheblich. Der relativ geringe Prozentsatz PCB-kontaminierter Proben dürfte nicht zuletzt auf die im Vergleich zu den insektiziden Organochlorverbindungen geringere Nachweisempfindlichkeit dieser Stoffe bei gleichzeitig hoher Komponentenzahl zurückzuführen sein, wodurch eindeutige gaschromatographische Aussagen bzw. zusätzliche dünnschichtchromatographische Nachweise im Bereich kleiner Rückstandsmengen erschwert werden. Die Ergebnisse zeigen im DDT-Gehalt weitgehende Übereinstimmung mit bisher bekannten Erhebungen westlicher Länder. Ein Vergleich mit entsprechenden Rückstandsdaten des Ostblocks unterstreicht die allgemeine Beobachtung einer dort merklich ungünstigeren Rückstandssituation bei Humanmilch, vermutlich aufgrund massierterer und derzeit noch erfolgender allgemeiner Verwendung DDT-haltiger Mittel. Diese Situation zeigt, daß die gesetzgeberischen Initiativen in der Bundesrepublik in Verbindung mit gleichartigen Maßnahmen anderer westlicher Länder für die Zukunft eine

So differieren, wie die in Tabelle 2 aufgeführten Beispiele dieser Untersuchungsreihe zeigen, die auf den Lipoidanteil bezogenen Rückstandsd aten gleichartig kontaminierter Proben zum Teil beträchtlich (Nr. 1, 2, 3), und höherkontaminierte Muster erscheinen bei dieser Bezugsbasis wegen ihres höheren Fettgehaltes weniger belastet als vergleichsweise pestizidärmere Milch (Nr. 3, 4). Die alleinige Angabe des auf die Fettphase bezogenen Pestizidgehalts bietet daher keine ausreichende

Information. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Fettgehaltsspannen von Humanmilch, die mit anderen Literaturangaben übereinstimmen (Abbildung 7). Beim Vergleich des Gesamt-DDT-Gehalts in Abhängigkeit vom Fettanteil (Tabelle 3) läßt sich mit steigendem Fettgehalt ein geringer Trend zu höheren Wirkstoffkonzentrationen feststellen. Die größte Häufung (29,3%) zeigen DDT-Gehalte von 0,05-0,1 ppm im Bereich von 1,4 bis 3% Fettphase. Die kritische Betrachtung der Befunde führt zu der besorgniserregenden Feststellung, daß die DDT-Gehalte die für Milcherzeugnisse geltende Höchstmenge von 1,0 ppm (bezogen auf den Fettgehalt) bis um das l6fache überschreiten; auch der errechnete Mittelwert von 4,82 ppm liegt deutlich über diesem Grenzwert, wobei insgesamt überhaupt nur eine Probe diesen Anforderungen für Kuhmilch entsprechen würde. Hinzu kommt, daß auch die für andere chlorierte Kohlenwasserstoffe ermittelten Werte teilweise beträchtlich über den für tierische Lebensmittel duldbaren Höchstwerten lagen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO, Technical Report Series No. 458) hat für DDT einen ADI-Wert1 AD!

acceptable daily intake

=

täglich zumutbare Höchstdosis.

Sie errechnet sich aus dem «no effect level« mehrjähriger Tierversuche unter Zugrundelegung eines Sicherheitsfaktors von 100 und

wird ausgedrückt in mg Wirkstoff pro kg Körpergewicht und Tag.

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gewisse Verbesserung der toxikologischen Gesamtsituation erwarten lassen. Bei der Auswertung der hier nicht detailliert aufgeführten Einzelbefunde wurde deutlich, daß auf den Lipoidanteil bezogene Rückstandswerte bei Unkenntnis des Fettgehaltes für toxikologische Vergleiche wegen des stark streuenden Fettanteils ungeeignet sind und möglicherweise zu erheblichen Fehlinterpretationen führen können.

30

2,3 8

Krause, Beyer: Reinheit handelsüblicher Insulinzubereitungen

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Tab. 3. Gehalt an Gesamt-DDT (ppm in der Milch) in Abhängigkeit vom Fettgehalt

Probenhäufigkeit in %

0,6-

[Contamination of human breast milk with chlorinated hydrocarbon residues].

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