Klin. Pädiarr. 203 (1991)

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Die Creatin-Kinase MM in der Perinatalperiode M. Amara!, R. Nage/ 2 , P. Hüppi 2

Zusammenfassung In der vorliegenden Arbeit wurden bei 108 Neugeborenen (Gestationsalter 26-43 Wochen) die Serumaktivität der CK-MM direkt nach der Geburt sowie 610 h, 20-30 hund 40-60 h postpartal kapillär gemessen. Untersucht wurden der postpartale Verlauf der CK-MMSerumaktivität sowie deren Abhängigkeit von Gestationsalter, Geburtsgewicht, Geburtsmodus und perinataler Azidose. In unserem gesamten Kollektiv fanden wir einen postpartalen Anstieg der Serumaktivität mit einem Maximum 6-30 Stunden nach der Geburt. Mittels multipler Regressionsanalyse konnten wir zeigen, daß die perinatalen CK-MM-Werte - entsprechend der fetalen Entwicklung der MM-Isoenzymaktivität im Muskelgewebe mit zunehmendem Gestationsalter signifikant steigen, während vom Geburtsgewicht, d. h. von der Muskelrnasse, keine direkte Abhängigkeit besteht. Der postpartale CK-MM-Anstieg war umso größer, je höher das mechanische Geburtstrauma aufgrund des Geburtsmodus eingestuft wurde. So hatten reife Neugeborene nach Forceps, Vakuum, Beckenendlage und hinterer Hinterhauptslage signifikant höhere Werte als solche nach Spontangeburt aus vorderer Hinterhauptslage. Sektiogeburten hatten (mit Ausnahme der Frühgeburten unter 32 Wochen) tendenziell tiefere Werte als gleichaltrige normale Spontangeburten. Neugeborene mit perinataler Azidose hatten tendenziell einen höheren postpartalen CK-MM-Anstieg. Allerdings schien in unserem Kollektiv nicht die Azidose selbst dafür verantwortlich zu sein, sondern vielmehr Faktoren, die zur Azidose führen und nachfolgende Reanimationsmaßnahmen.

Einleitung Die Creatine-Kinase (CK) ist ein dimeres Molekül mit zwei Untereinheiten. Im Zytoplasma menschlicher Zellen kommen zwei verschiedene Untereinheiten vor: Der "muscle type" M und der "brain type" B. Beide sind Peptid ketten mit je 360 Aminosäuren (14). Entsprechend den Kombinationsmöglichkeiten existieren drei verschiedene zytoplasmatische CK-Isoenzyme: CK-MM, CKMB und CK-BB (I, 2). Der CK-MM ist zum überwiegenden Teil für die totale Serum-CK-Aktivität verantwortlich. Der Normalwert ist deswegen praktisch identisch mit demjenigen von CK total. Klin. Pädiatr. 203 (1991) 389-394 © 1991 F. Enke Verlag Stuttgart

Creatine-Kinase-MM Isoenzyme in the perinatal period One hundred eight newborns (gestational age 36 + 1.8 weeks and birth weight 2860 ± 240 g) had muscle type Creatine-Kinase activity (CK-MM) assayed immediately after birth (CK-I) and serially at 6-10 h (CK-II), 20-30 h (CK-III) and 40-60 h (CK-IV) of age. Using statistical Regression analysis, CK-MM levels were correlated to four perinatal parameters: gestational age, birth weight, neonatal acidosis (pH < 7,15), mode of delivery (vaginal/cesarean section). It was observed that CK-MM activity was dependent on gestational age and correlated to the mode of delivery at time III (600 U/I) and IV (400 U/I) comparing the mean serum values of 156+44 U/I observed in atraumatic delivery (p::50.05). Our results demonstrate markedly higher levels of CKMM following vaginal delivery especially if complicated by forceps, vacuum and breech presentation, suggesting that birth trauma may be responsible for this phenomenon.

Eine Erhöhung von CK-MM bei gleichzeitigem deutlichem Anstieg von CK-MB läßt auf eine kardiale Ursache schließen. Die Erhöhung der Serum-CKMM durch Freisetzung aus der Skelettmuskulatur kann auf verschiedenartigen Ursachen beruhen: a) nach körperlicher Aktivität kommt es zu einem CKAnstieg, dessen Maximum nach ca. 6 Stunden auftritt. Neben der geleisteten Arbeit scheinen auch die maximale Muskelspannung (12) und der Anteil exzentrischer Muskelkontraktionen (18) für das Ausmaß der CK-Erhöhung verantwortlich zu sein. b) nach Muskeltraumen steigt die CK-MM an. Nach Operationen konnte eine Korrelation zwischen Ausmaß der Gewebeschädigung und CK-MM-Anstieg gezeigt werden (5, 24).

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'Abt. für Neonatologie, Kinderklinik, Kantonsspital, 5000 Aarau 'Abt. für Neonatologie, Universitäts-Frauenklinik, Rem

Klin. Pädiatr. 203 (1991)

M. A mato et al.

c) Die Serum-CK scheint sich reziprok zum SchilddrüsenhormonspiegeI zu verhalten. Patienten mit unbehandelter Hypothyreose haben als Zeichen der Myopathie regelmäßig erhöhte CK-MM-Werte (8, 10, 13,23). d) Bei Muskeldystrophien, insbesondere beim Typ Duchenne, werden z. T. stark erhöhte CK-MM-Werte gemessen. Bei der geschlechtsgebundenen rezessiv vererbten Duchenne-Form ermöglicht die CK-Bestimmung eine Frühdiagnose im Neugeborenenalter und die Entdeckung gesunder Trägerinnen (14). Alle bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, daß im Vergleich mit dem Erwachsenenalter die CKMM in den ersten Lebenstagen erhöht ist. Verlau fsuntersuchungen ergaben einen initialen Anstieg und anschließendes Absinken der CK-MM mit einem Maximum 5-33 Stunden nach der Geburt (7, 9, 11). Man kann daraus folgern, daß der CK-Anstieg kindlichen Ursprunges ist und daß die ursächlichen Zustände oder Ereignisse zeitlich im Geburtsverlauf oder in den ersten Stunden danach liegen. Meistens wird das mechanische Trauma beim Durchtritt durch den Geburtskanal als Ursache für den postpartalen CK-MM-Anstieg genannt. 1m weiteren werden Hypoxie, erhöhte Zellwandpermeabilität infolge Geburtsstreß und Unterkühlung der Muskulatur genannt (4, 6). Ziel der vorliegenden Arbeit war es anhand von den bisherigen zum Teil in der Literatur widersprüchlichen Erkenntnissen über die CK-MM in der Perinatalperiode prospektiv den Verlauf der Serum-CK-MM-Spiegel in Abhängigkeit vom Geburtsmodus, Geburtstrauma und perinataler Azidose zu charakterisieren.

Patienten und Methode Die Untersuchung umfaßt 108 Neugeborene, die in der Zeit zwischen März 1983 und September 1986 in der Universitäts-Frauenklinik Bern geboren wurden. Bei allen wurden CK-MM-Bestimmungen zu 4 verschiedenen Zeiten durchgeführt und mit Gestationsalter, Geburtsgewicht, Geburtsmodus und Nabelarterien-pH verglichen. Die Bestimmung des Gestationsalters (SSW) erfolgte nach Früh-Ultraschall und/oder letzter Periode sowie aufgrund der klinischen Reifezeichen nach Ballard bei Geburt (3). Unser Kollektiv teilte sich danach wie folgt auf: Gestationsalter (SSW) 26.-31. SSW 32.-37. SSW 38.-43. SSW

Patienten (n) n=26 (24,1070) n = 35 (32,4070) n = 47 (43,5070)

Das minimale Geburtsgewicht betrug 640 g, das maximale 4440 g. Bezogen auf das Gestationsalter lagen 27 Neugeborene (25070) unter der 10. Perzentile. In der Absicht, Rückschlüsse auf das erlittene Geburtstrauma zu erlauben, wurde das Kollektiv in drei Gruppen eingeteilt: 1. Neugeborene mit Anhaltspunkten für niedriges Geburtstrauma: Sektio 2. Neugeborene mit Anhaltspunkten für normales Geburtstrauma: Spontangeburten aus vorderer Hinterhauptslage.

Tab. 1

-------1

_G_e_st_a_tlo_n_s_a_lt_e_r_IS_S_W_I

Patienten Inl

26 -31. SSW Geringes Trauma: Sektlo Normales Trauma: Spontangeburt

n = 11 142,3%1

32 -37 SSW

Patienten Inl

Geringes Trauma: Sektlo

n = 26174,3%1

Normales Trauma: Spontangeburt

n-

])= 15 151,/(%1

8 122,9%1

Erhöhtes Trau.ma:

BEL 38

n

43. SSW

12,8%,1

Patienten Inl

Geringes Trauma: Sektio

])~

Normales Trauma: Spontangeburt

6112,8(%1

n = 26 155,3%1

Erhohtes Trauma: Forceps

n=15131,9%1 ])= 9119,1%1 n = 2 14,3%1 n = 3 16,4%1 n 1 12,1%1

VE hiHHL

BEL

Tab. 2 GestatlOnsalter ISSWI 26 -31

Patienten Inl

SSW

AZidose Kell1e AZidose Fehlender Wert

11= 5119,2%1 n= 18 169,2%1 n= 3111,5%1

32 -37 SSW

Patienten Inl

Azidose Keine Azidose Fehlender Wert

n = 1 120,0%1 n= 27 177,1%1 n - 1 12,9%1

38.-43. SSW

Patienten In I

AZidose Kell1e AZidose Fehlender Wert

n=13127,7%1 n 28 159,6%1 n c 6112,7%1

3. Neugeborene mit Anhaltspunkten für erhöhtes Geburtstrauma: Forzeps, Vakuumextraktion (VE), regelwidrige KopfeinsteIlung (hintere Hinterhauptslage hiHHL) und Beckenendlage (BEL). Die Patientenverteilung bezogen auf das Gestationsalter ist in der Tabelle I ersichtlich. Als Maß für die perinatale Asphyxie wählten wir die Azidose, definiert als Nabelarterien-pH < 7,15. (Tabelle 2). Die CK-MM wurde nach der Geburt serienmäßig zu verschiedenen Zeiten im Kapillarblut bestimmt: CK CK CK CK

1: 11: 1lI: IV:

t = 0- 6 t = 6-10 t = 20-30 t = 40-60

h h h h

nach nach nach nach

Geburt Geburt Geburt Geburt

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Die Creatin-Kinase MM in der Perinatalperiode

Klin. Pädiatr. 203 (1991)

Tab. 3 Patienten (n)

26.-31. SSW 32.-37. SSW 38.-43 SSW

n = 25 123,4%1 n=35 (32,7%) n=47 143,9%)

105 + 72 121 + 63 203+ 118

n = 98

CK-MM 11

n=19119,4%) n=32 132,6%1 n =47 (48,0%)

(U/L1 176+129 248 + 216 832 + 507

CK-MM I

(U/L1 n = 107

n = 78 26.-31. SSW 32.-37. SSW 38.-43 SSW

26-31. SSW 32-37 SSW 38-43 SSW

n=13116,7%1 n=18 (23,1%) n=47 160,2%)

CK-MM 111 lU/LI 139+100 278 + 205 836 + 553

n = 74

CK-MM IV

n=13(17,6%) n=14118,9%) n=47 163,5%)

(U/L1 122 + 74 150 + 117 553+ 322

Bei allen Patientengruppen die CK-MM nach der Geburt (CK I) steigt sehr rasch (CK 11 und CK 111), und sinkt dann langsam innerhalb 40-60 Stunden postpartal (CK IV). Das Maximum wird erreicht zwischen 6 und 30 Stunden postpartal. Die statistische Auswertung mit dem gepaarten t-Test zeigt, daß CK I (Oh pp) signifikant kleiner ist als CK 11 (6-10 h pp), CK III (20-30 h pp) und CK IV (40-60 h pp) (in allen drei Fällen p

[Creatine-kinase MM in the perinatal period].

One hundred eight newborns (gestational age 36 + 1.8 weeks and birth weight 2860 +/- 240 g) had muscle type Creatine-Kinase activity (CK-MM) assayed i...
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