Verdauungs- u. Stoffwechselkrankheiten | Commentary

Morbus Crohn – Erstdiagnose und Verlauf Crohn’s disease – initial diagnosis and course K. Lange1 A. Stallmach1 Gastroenterologie Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten | Commentary

Schlüsselwörter Morbus Crohn chronisch entzündliche Darmerkrankung

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Keywords Crohn’s disease chronic inflammatory bowel disease

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Institut Klinik für Innere Medizin IV (Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie), Universitätsklinikum Jena Bibliografie DOI 10.1055/s-0034-1369842 Online Publikation: 11.03.2014 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 : 714–717 · © Georg Thie0 me Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Prof. Dr. Andreas Stallmach Klinik für Innere Medizin IV, (Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie), Universitätsklinikum, Friedrich Schiller Universität Jena Erlanger Allee 101 07743 Jena Tel. 03641/9324-221 Fax 03641/9324-222 eMail andreas.stallmach@ med.uni-jena.de

Was ist neu ? 3Diagnostik: Eine rasche Diagnose des Morbus Crohn ist Voraussetzung, um rechtzeitig eine adäquate Therapie einzuleiten und Komplikationen im Langzeitverlauf insbesondere bei Patienten mit hoher Entzündungsaktivität zu verhindern. Hier kann die Bestimmung fäkaler Entzündungsmarker von Nutzen sein. Sie hilft in der Initial-Differenzialdiagnostik, eine Unterscheidung zwischen entzündlichen und funktionellen Erkrankungen zu treffen. 3Früherkennung: Serologische Marker wie Antikörper gegen Neutrophile (pANCA) oder bakterielle Antigene sind ein vielversprechender Ansatz zur Früherkennung einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED). Für einen routinemäßigen Einsatz sind sie zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund niedriger Sensitivität und Spezifität noch nicht geeignet. 3Genanalyse: Es besteht eine klare Assoziation zwischen bestimmten Mutationen wie zum Beispiel im NOD2-Gen mit einem risikoreichen Verlauf eines Morbus Crohn. Der individuelle Nachweis einer einzelnen genetischen Risikokonstellation ist in der Abschätzung des klinischen Verlaufs aber kein guter Prädiktor und kann deshalb nicht zur Begründung einer intensivierten Therapie herangezogen werden. 3Therapie: Für eine frühzeitige aggressive Therapie („Top-down“) bei allen Patienten gibt es im Vergleich zur konsequenten Step-up-Therapie nach wie vor keine ausreichende Evidenz.

Einleitung ▼ Der Morbus Crohn ist – wie die Colitis ulcerosa – eine der Hauptformen der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Genetische Veränderungen und Umwelteinflüsse, die zum einen zu Barrierestörungen an gastrointestinalen Grenzflächen führen und zum anderen zu Fehlregulationen im angeborenen und erworbenen Immunsystem bedingen, sind als prädisponierende Faktoren für diese systemische Entzündungskrankheit identifiziert worden. Einer der Schwerpunkte aktueller Forschung ist die Risikoabschätzung für einen komplizierten Krankheitsverlauf anhand klinischer, serologischer und genetischer Parameter, um ein möglichst optimales Therapiekonzept festzulegen. Verschiedene Behandlungsstrategien werden zur Zeit kontrovers diskutiert; so konkurriert das „Top-downKonzept“, bei dem Patienten von Anfang an mit Biologika behandelt werden, mit der akzelerier-

ten „Step-up-Strategie“, bei der bei Nichtansprechen auf eine Behandlungsform, z. B. auf Steroide, die Therapieintensität zügig intensiviert wird und Immunsuppressiva eingesetzt werden.

Diagnostik ▼ Erstdiagnose – eine rasche Diagnosefindung und kompetente Erstbehandlung sind für den weiteren Verlauf wichtig Die Erstdiagnose eines Morbus Crohn wird bei einigen Patienten immer noch zu spät gestellt. Nach einer 2012 durchgeführten Befragung der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa-Vereinigung (www.DCCV.de) dauerte es nach wie vor im Median 6 Monate zwischen Erstkontakt und Diagnosestellung. Dabei sind für die Diagnosefindung eine ausführliche Anamnese und die körperliche Untersuchung immer noch entscheidend. Aus einer epidemiologischen Studie der Schweizer-CED-Kohorte leitet sich ab, dass Risikofaktoren für eine Diagnoseverzögerung das weibliche Geschlecht, der isolierte Befall des terminalen Ileums, ein Nikotinkonsum sowie die unkontrollierte Einnahme nicht-steroidaler Antirheumatika (NSAR) bei Schmerzen sind [17]. Wichtig ist, dass eine verzögerte Diagnose später mit einem komplizierten Krankheitsverlauf einhergeht [14], dabei nimmt besonders das Risiko für die Entwicklung von Strikturen und Stenosen und die Notwendigkeit chirurgischer Interventionen zu [13]. Offensichtlich sind die ersten Krankheitsmonate und eine konsequente Behandlung des Patienten in dieser Phase für den weiteren Krankheitsverlauf wichtig. Die Bedeutung einer kompetenten Betreuung im ersten Krankheitsjahr lässt sich auch aus zwei retrospektiven Kohortenstudien ableiten. So sinkt das Risiko für einen chirurgischen Eingriff, wenn Patienten innerhalb des ersten Krankheitsjahres beim einem „Crohn-Spezialisten“ vorgestellt werden [10]; auf der anderen Seite ist die Einschätzung des behandelnden Arztes, den initialen Schub mit Steroiden zu therapieren, ein starker Prädiktor für einen komplizierten Verlauf [18]. Epidemiologische Untersuchungen aus Norwegen [7] weisen darauf hin, dass im Verlauf wahrscheinlich zwischen vier verschiedenen Formen unterschieden werden muss (q Abb. 1): 1. Patienten mit einem ersten schweren akuten Schub und im weiteren Verlauf niedriger Krankheitsaktivität,

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Verlaufstyp 2

Krankheitsaktivität

Krankheitsaktivität

Verlaufstyp 1

Zeit (Jahre)

Zeit (Jahre) Verlaufstyp 4

Krankheitsaktivität

Krankheitsaktivität

Verlaufstyp 3

Prävalenz serologischer Marker bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa [12].

Antigen

Bei Verdacht auf eine chronisch entzündliche Darmerkrankung ist eine Diagnosesicherung konsequent und zeitnah anzustreben. Der Verlauf ist frühzeitig abzuschätzen und eine der Entzündungsaktivität angemessene Therapie einzuleiten. Eine Verzögerung in der Diagnosestellung oder eine verspätete adäquate Therapie kann zu Komplikationen im Langzeitverlauf führen. Dabei ist aber auch zu beachten, dass ein großer Teil der Patienten eine günstige Prognose besitzt und „Übertherapien“ zu vermeiden sind.

Zeit (Jahre)

Abb. 1 Schematische Darstellung der unterschiedlichen Verläufe bei Patienten mit Morbus Crohn (nach [7]).

Tab. 1

Klinische Relevanz

Antikörper

Prävalenz Colitis ulcerosa

Morbus Crohn

nukleoläre Lamina (Neutrophile)

pANCA

+ + + (41–73 %)

+ (6–38 %)

Mannoseepitop (Saccharomyces cerevisiae)

pASCA

+ (0–29 %)

+ + + (29–69 %)

Membranporin (Escherichia coli)

OmpC

+ (2–24 %)

+ + + (24–55 %)

bakterielle Flagelline

Cbir1

(+) (6 %)

+ + + (50–56 %)

2. Patienten mit sehr niedriger Krankheitsaktivität, bei denen sich nach Jahren ein fulminanter Schub entwickelt, 3. Patienten mit einer chronischen Krankheitsaktivität und 4. Patienten, bei denen sich Phasen der Krankheitsaktivität mit Phasen der Remission abwechseln. Wahrscheinlich ist bei knapp der Hälfte der Patienten der Verlauf über Jahre insgesamt günstig; sie brauchen z. B. nie systemisch-wirkende Steroide als Akutmedikation. Klinische Parameter, die auf einen günstigen Verlauf hinweisen, sind ein höheres Alter (über 40 Jahre) bei Erstmanifestation, niedrige CRP-Werte und das Fehlen perianaler Läsionen [8].

Fäkale Entzündungsmarker helfen, entzündliche von funktionellen Erkrankungen zu unterscheiden Um das diagnostische Intervall zwischen ersten Beschwerden und Diagnosestellung zu verkürzen bzw. die Rate an Fehldiagnosen zu minimieren, ist die Evaluierung neuer Entzündungsmarker zur Differenzierung CED von nicht-entzündlichen Darmerkrankungen einer der Schwerpunkte aktueller Forschung. So konnte bei Kindern gezeigt werden, dass

die Bestimmung der fäkalen Calprotectinkonzentration mit sehr guter Sensitivität und Spezifität (0,93 [0,89–0,97]) hilft, Patienten mit einer CED in der Erstdiagnostik zu identifizieren. Dabei ist die Untersuchung der Calprotectinkonzentration in einer Stuhlprobe besser als die Bestimmung von Blutwerten, z. B. CRP oder Leukozyten [6]. Eine Meta-Analyse von 13 Studien zeigt, dass bei Erwachsenen die Sensitivität und Spezifität der fäkalen Calprotectinbestimmung bei 0,93 (0,85–0,97) bzw. 0,96 (0,79–0,99) und bei Kindern bei 0,92 (0,84–0,96) bzw. 0,76 (0,62–0,86) liegt. Eine routinemäßige Bestimmung in der Erstdiagnostik würde bei Erwachsenen ca. zu einer Reduktion endoskopischer Untersuchungen um 2 /3 führen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass bei 6 % der Patienten ein falsch negativer Befund erhoben werden würde, der damit zu einer Verzögerung der CED-Diagnose mit den oben genannten Konsequenzen führen kann [14].

Serologie zur Früherkennung: eine neue Perspektive? ▼ Zur Verkürzung des diagnostischen Intervalls könnte ebenfalls die Untersuchung serologischer Marker beitragen. Bekannte, mit CED assoziierte Marker sind Antikörper gegen bakterielle Antigene oder die Antineutrophilen-Antkörper pANCA (q Tab. 1) [12]. Ob der Nachweis einer bestimmten Antikörperkonstellation bei zum Zeitpunkt der Untersuchung asymptomatischen Patienten die Entstehung einer CED vorhersagen kann, ist Gegenstand aktueller Publikationen. In einer niederländischen Studie wurden von 1992 bis 2000 insgesamt 354 898 asymptomatische Personen rekrutiert [16]. In einem Follow-Up bis zum Jahr 2010 wurde bei 244 Patienten die Diagnose einer CED gestellt. Jedem diagnostizierten Patienten wurden zwei Gesunde als Negativkontrolle gegenübergestellt und das Serum der Probanden auf die oben genannten Antikörper untersucht. Die diagnostische Sicherheit erhöhte sich, wenn eine Kombination aller Marker als diagnostischer Score angewandt wurde. Insgesamt blieben die Sensitivität, Spezifität und der positiv prädiktive Wert zur Früherkennung eines Morbus Crohn mit 36 %, 90 % bzw. 64 % jedoch niedrig. Für die Diagnose einer Colitis ulcerosa besteht eine ähnliche diagnostische Aussagekraft. Damit sind serologische Untersuchungen für einen routinemäßigen Einsatz im Screening noch ungeeignet. Interessant war, dass die prädiktive Aussagekraft mit Verkürzung des zeitlichen Intervalls bis zur klinischen und histopathologischen Diagnosestellung zunahm: Patienten mit einem positiven serologischen Score hatten verglichen mit seronegativen ein doppelt so hohes Risiko (95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,774–5,67,

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Zeit (Jahre)

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„Münzwurf“ Hypothese: bei Zahl ist der Verlauf ungünstig „Zahl“

„Adler“

Patienten mit ungünstigem Verlauf (n = 3628)

richtig positiv (n = 1814 Patienten)

falsch negativ (n = 1814 Patienten)

Patienten mit günstigem Verlauf (n = 2487)

falsch positiv (n = 1243 Patienten)

richtig negativ (n = 1243 Patienten)

Korrekte Vorhersage bei 3057 Patienten (50 %)

NOD2-Mutationsanalyse Hypothese:

Wenn mindestens eine NOD2-Allel-Mutation vorliegt, ist der Verlauf ungünstig

mindestens 1 NOD2Mutation

richtig positiv (n = 1369 Patienten)

richtig negativ (n = 1664 Patienten)

keine NOD2-Mutation 0

10

20

30

falsch positiv (n = 664 Patienten)

falsch negativ (n = 2259 Patienten)

40

50

60

70

80

Korrekte Vorhersage bei 3033 Patienten (49,5 %)

90 100

Abb. 2 Assoziation von NOD2-Mutationen mit einem komplizierten Krankheitsverlauf (nach Daten einer Metaanalyse von 49 Studien mit 6115 Patienten [1]). Bei 3628 Patienten wurde ein komplizierter Verlauf beobachtet; von diesen Patienten hatten 1369 mindestens 1 NOD2-Mutation; aber 2259 Patienten mit komplizierten Verlauf hatten kein mutiertes Allel. Von den Patienten mit günstigem Verlauf hatten insgesamt 1664 keine Mutation; allerdings 664 Patienten mindestens ein verändertes Allel. Somit konnte aufgrund dieser molekulargenetischen Analyse nur bei 3057 Patienten aufgrund des NOD2-Mutationsstatus eine korrekte Vorhersage gemacht werden; dieses ist schlechter als der vielbeschriebene „Münzwurf“. Berücksichtigt man die Pathogenese des Morbus Crohn mit einer hohen Vielzahl von genetischen Veränderungen, ist es nicht verwunderlich, dass die Konzentration auf ein einzelnes Risikogen keinen diagnostischen Vorteil bringt.

demnach nicht signifikant), in den nächsten 6 Jahren an einem Morbus Crohn oder eine Colitis ulcerosa zu erkranken. Die Gefahr, in den nächsten 2,5 Jahren an einer Colitis ulcerosa oder einem Morbus Crohn zu erkranken, war um mindestens das 10bzw. 23-Fache erhöht (95 %-KI 3,00–177 bzw. 3,51–29,7). Damit gelang der Nachweis, dass eine bestimmte Konstellation serologischer Marker einer klinisch asymptomatischen CED vorausgehen kann [16].

Klinische Relevanz Serologische Untersuchungen eröffnen neue Perspektiven in der Früherkennung einer CED. Aus der aktuellen Datenlage ergibt sich jedoch eine niedrige Sensitivität bei akzeptabler Spezifität, so dass ein routinemäßiger Einsatz noch nicht sinnvoll ist.

Genanalysen sind in der Abschätzung des Verlaufs unzuverlässig ▼ In die Pathogenese der CED sind mehr als 163 Genloci involviert, deren Veränderungen zu einer gestörten Homoöstase in der Interaktion zwischen gastrointestinaler Barriere, bakterieller Flora und der intestinalen Immunabwehr beitragen. Neben

neuen Erkenntnissen über die Pathomechanismen könnte eine Genotypisierung auch prognostisch relevante Aussagen über den Verlauf einer CED ermöglichen. Wie eine retrospektive Studie mit 1528 europäischen Patienten mit Morbus Crohn zeigte, sind bestimmte Single-NucleotidPolymorphismen (sogenannte SNPs) mit einem erhöhten Risiko für einen komplizierten Verlauf assoziiert. Patienten mit SNPs im NOD2-Gen, das ein Pathogenrezeptorprotein von Zellen des angeborenen Immunsystems kodiert, wiesen signifikant häufiger einen Ileumbefall und stenosierende Krankheitsverläufe auf und benötigten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine chirurgische Intervention [3]. Die Entwicklung genetischer Risikoscores, wie sie Cleynen et al. [3] vorschlagen, könnte somit ein Schritt hin zur individualisierten Medizin sein. Ziel wäre es, Patienten mit genetischen Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf frühzeitig einer immunsuppressiven Therapie zuzuführen, um langfristig Komplikationen zu vermeiden. Der Frage, ob die Datenlage ein solches Vorgehen ausreichend begründet, ging eine Metaanalyse von 49 Studien nach [1], welche die Assoziation von NOD2-Mutationen mit einem komplizierten Krankheitsverlauf untersuchte. Die Detektion

von nur einer NOD2-Mutation war hier mit einer Risikozunahme von 8 % verbunden; bei zwei NOD2-Mutationen war das Risiko eines komplizierten Verlaufs immerhin um 42 % erhöht (q Abb. 2). Problematisch bleibt die niedrige Sensitivität (0,36) bei mäßiger Spezifität (0,73). Aus der aktuellen Datenlage kann keine Notwendigkeit einer intensivierten Therapie bei Nachweis genetischer Risikofaktoren abgeleitet werden.

Klinische Relevanz Bestimmte Mutationen, z. B. im NOD2Gen, sind klar mit komplizierten Verläufen des Morbus Crohn assoziiert. Aufgrund der multifaktoriellen Ätiologie eignet sich die Analyse eines einzelnen Risikoallels jedoch nicht zur Abschätzung des klinischen Verlaufs erstdiagnostizierter Patienten. Es fehlen prospektive randomisierte Studien, die den Nutzen von Untersuchungen auf bekannte Mutationen belegen können.

Thiopurine und Morbus Crohn – nur noch „mehr Schein als Sein“ ? ▼ Das Top-down-Therapiekonzept bei Morbus Crohn wird wesentlich durch die Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Gert D‘Haens gestützt [2, 5]. In der Therapiegruppe („Top down“) erhielten die Patienten Azathioprin und dreimalig Infliximab sowie im weiteren Verlauf Infliximab bei Bedarf. Die Vergleichsgruppe wurde mit einem klassischen Step-upKonzept behandelt: erst Steroide, dann Azathioprin oder Methotrexat als Zweitlinientherapie, gefolgt von Infliximab als Drittlinientherapie. Nach 24 und 52 Wochen wurde in der Top-down-Gruppe signifikant häufiger der primäre Endpunkt der Studie „steroidfreie Remission“ erreicht. Nach 1½ bzw. 2 Jahren waren die Unterschiede nicht mehr vorhanden. Lediglich für den Surrogatmarker „Mukosaheilung“ zeigte sich noch eine Überlegenheit für das Top-down-Konzept. Azathioprin und sein aktiver Metabolit 6-Mercaptopurin (6-MP) werden seit vielen Dekaden in der Therapie des Morbus Crohn eingesetzt. Nationale und internationale Leitlinien definieren als Hauptindikationen häufige steroidpflichtige Krankheitsschübe oder eine Steroidabhängigkeit. Die Wirkung von Azathioprin zielt auf eine Verlängerung der Remissionsdauer und eine langfristige Re-

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duktion des Steroidbedarfs bei steroidabhängigen Patienten. Eine Studie aus dem Jahr 2000 [9] belegte bei Kindern mit neu diagnostiziertem Morbus Crohn die Überlegenheit einer 6-MPTherapie in Bezug auf einen geringeren Steroidbedarf und verlängerte Remissionszeiten. Diese Ergebnisse dienten auch als Begründung für eine Top-down-Strategie mit Azathioprin bei Patienten mit neu diagnostiziertem Morbus Crohn. Kritisch anzumerken sei aber, dass die Studie sich auf 55 Patienten beschränkte, in allen Fällen Kinder und Jugendliche; die Übertragbarkeit auf Erwachsene ist also fraglich. Zwei aktuelle Studien adressierten dieses Dilemma. So publizierten Cosnes et al. [4] für die GETAID-Arbeitsgruppe eine offene, randomisierte Studie für Patienten mit neu-diagnostiziertem Morbus Crohn. Eingeschlossen wurden 147 Patienten mit Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf. Die eine Gruppe erhielt mit Einschluss in die Studie Azathioprin (2,5  mg/kg Körpergewicht); die Patienten aus der andere Gruppe ein klassisches Behandlungskonzept mit aufeinander aufbauenden Therapieintensitäten. Der primäre Endpunkt war etwas ungewöhnlich; so definierten die Autoren die Zahl der 3-Monats-Intervalle mit einer Steroid- und Anti-TNF-AK-freien Remission als Hauptkriterium. Auffällig bei der Bewertung der Ergebnisse ist der mit 61 % hohe Anteil der Patienten, die im Rahmen des Step-up-Konzeptes mit Azathioprin behandelt werden mussten. Dieses erklärt sich sicher aus der Einbeziehung von Patienten mit Risikofaktoren für einen ungünstigen Verlauf und drückt die konsequente Anwendung des akzelerierten Step-up-Konzeptes aus. Das Gesamtergebnis der Studie ist eindeutig: keine Überlegenheit für eine frühzeitige Azathioprin-Gabe („Top-down“) im Vergleich zur konsequenten Step-up-Therapie. Die zweite Studie, eine prospektive Doppelblindstudie aus Spanien [11], adressiert das gleiche Problem: neu-diagnostizierte, hospitalisierte Patienten mit Morbus Crohn (> 8 Wochen) erhalten zusätzlich zu Steroiden Azathioprin oder Placebo. Nach 1½-jähriger Behandlung das gleiche Ergebnis für die Gruppen: 44,1 % in steroidfreier Remission in der Azathioprin-Gruppe im Vergleich zu 36,5 % in der Placebo-Gruppe; somit ist auch in dieser Studie keine Überlegenheit für eine frühzeitige Azathioprin-Gabe im

Vergleich zu Placebo nachzuweisen. Allenfalls der Anteil der Patienten mit schweren Rezidiven (definiert als CDAI >  220 Punkte) war in der AzathioprinGruppe mit 11,8 % signifikant niedriger als in der Placebo-Gruppe (30,2 %).

Klinische Relevanz Morbus-Crohn-Patienten mit Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf profitieren wohl nicht von einer frühzeitigen immunsuppressiven Therapie mit Azathioprin. Nebenwirkungen, die zum Abbruch der Azathioprintherapie führen, sind dagegen mit über 20 % relativ häufig. Diese aktuellen Daten zu Azathioprin betonen die dringende Notwendigkeit, kontrollierte Studien vorzulegen, die eine positive und langfristige Wirkung auf die Krankheitsaktivität (und nicht nur auf Surrogtamarker wie Mukosaheilung) von Biologika beweisen. Aus dem fehlenden Nachweis der Azathioprinwirkung alleine kann somit auch keine Rechtfertigung für einen breiteren Einsatz von Anti-TNF-Antikörpern abgeleitet werden.

Autorenerklärung: AS ist als Referent und Berater für die Firmen Abbvie, Astellas, Boehringer Ingelheim, Fal Foundation, MSD, Recordati Pharma, Schering Plough, Shield Holding, Shire, UCB, Vifor, 4SC tätig. KL erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen. Literatur 1 Adler J, Rangwalla SC, Dwamena BA et al. The prognostic power of the NOD2 genotype for complicated Crohn's disease: a meta-analysis. Am J Gastroent 2011; 106: 699–712 2 Baert F, Moortgat L, Van Assche G et al. Mucosal healing predicts sustained clinical remission in patients with early-stage Crohn's disease. Gastroenterology 2010; 138: 463–468; quiz e10-1 3 Cleynen I, Gonzalez JR, Figueroa C et al. Genetic factors conferring an increased susceptibility to develop Crohn's disease also influence disease phenotype: results from the IBDchip European Project. Gut 2013; 62: 1556–1565 4 Cosnes J, Bourrier A, Laharie D et al. Early administration of azathioprine vs conventional management of Crohn's Disease: a randomized controlled trial. Gastroenterology 2013; 145: 758–765, e752; quiz e714-755 5 D'Haens G, Baert F, van Assche G et al. Early combined immunosuppression or conventional management in patients with newly diagnosed Crohn's disease: an open randomised trial. Lancet 2008; 371: 660–667 6 Henderson P, Casey A, Lawrence SJ et al. The diagnostic accuracy of fecal calprotectin during the investigation of suspected pediatric inflammatory bowel disease. Am J Gastroent 2012; 107: 941–949

7 Henriksen M, Jahnsen J, Lygren I et al.Ibsen Study Group. Clinical course in Crohn's disease: results of a five-year population-based follow-up study (the IBSEN study). Scand J Gastroenterol 2007; 42: 602–610 8 Kruis W, Katalinic A, Klugmann T et al. Predictive factors for an uncomplicated long-term course of Crohn's disease: a retrospective analysis. J Crohn's Colitis 2013; 7: e263–270 9 Markowitz J, Grancher K, Kohn N et al. A multicenter trial of 6-mercaptopurine and prednisone in children with newly diagnosed Crohn's disease. Gastroenterology 2000; 119: 895–902 10 Nguyen DL, Sandborn WJ, Loftus EV Jr et al. Similar outcomes of surgical and medical treatment of intra-abdominal abscesses in patients with Crohn's disease. Clin Gastroent Hepatol 2012; 10: 400–404 11 Panes J, Lopez-Sanroman A, Bermejo F et al. Early azathioprine therapy is no more effective than placebo for newly diagnosed Crohn's disease. Gastroenterology 2013; 145: 766– 774, e761 12 Prideaux L, De Cruz P, Ng SC et al. Serological antibodies in inflammatory bowel disease: a systematic review. Inflamm Bowel Dis 2012; 18: 1340–1355 13 Schoepfer AM, Dehlavi MA, Fournier N et al. Diagnostic delay in Crohn's disease is associated with a complicated disease course and increased operation rate. Am J Gastroent 2013; 108: 1744–1753; quiz 1754 14 Sjoberg D, Holmstrom T, Larsson M et al. Incidence and clinical course of Crohn's disease during the first year – Results from the IBD Cohort of the Uppsala Region (ICURE) of Sweden 2005-2009. J Crohns Colitis 2013; 8: 215–222 15 van Rheenen PF, Van de Vijver E, Fidler V. Faecal calprotectin for screening of patients with suspected inflammatory bowel disease: diagnostic meta-analysis. BMJ 2010; 341: c3369 16 van Schaik FD, Oldenburg B, Hart AR et al. Serological markers predict inflammatory bowel disease years before the diagnosis. Gut 2013; 62: 683–688 17 Vavricka SR, Spigaglia SM, Rogler G et al. Systematic evaluation of risk factors for diagnostic delay in inflammatory bowel disease. Inflamm Bowel Dis 2012; 18: 496–505 18 Wenger S, Nikolaus S, Howaldt S et al. Predictors for subsequent need for immunosuppressive therapy in early Crohn's disease. J Crohns Colitis 2012; 6: 21–28

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