Archives of Orthopaedic and Traumatic Surgery

Arch Orthop Traumat Surg 93, 303-305 (1979)

© J F Bergmann Verlag 1979

Kristallographische Untersuchung des Verliingerungskallus* G L UnArt', G Pflfiger 2 , G Bid 16 ', J Pinter' und F Fischerleitner3 1

Orthopadische Univ -Klinik Budapest (Prof Dr A Glauber), Karolina ut 27, H-1502 Budapest, Ungarn Orthopadische Univ -Klinik Wien (Prof Dr K Chiari) 3 Orthopadische Klinik fr Huf und Klauentiere der Veterinarmedizinischen Universitat Wien (Prof Dr P Knesevic) 2

Crystallographic Investigation of Distraction Callus Summary Physical examination using electron diffraction and thermogravimetry was performed on the distraction callus of six metacarpal bones of sheep. Brushite was observed in this callus beside apatite, and the number of crystals found was less than in physiological nature bone From the crystallographic point of view the distraction callus was found similar to the callus known in fracture healing. Zusammenfassung Es wird fiber die physikalische Analyse des Verllingerungskallus mittels Elektronendiffraktion und Thermogravimetrie berichtet Es zeigt sich, da B im Verlingerungskallus auch Brushit vorhanden ist und da B die Kristalle gr B 13er als im physiologisch entstehenden reifen Knochen sind, zahlenma13ig allerdings in einer geringeren Menge vorkommen Der Verlangerungskallus ist aus kristallographischer Sicht dem normalen Kallus, wie wir ihn von der Frakturheilung her kennen, hnlich.

Das Wissen uiber Knochenneubildungen, d h Bildung von Knochengewebe au13erhalb des normalen Skelettwachstums, nach kristallographischen Gesichtspunkten, k 6nnte in bezug auf die Genese gewisser Knochenerkrankungen und die Knochenheilung weiteren Aufschlu 3 geben In der uns zuganglichen Literatur fanden wir kaum Berichte, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzen l1, 5 l. Zwei in die Kategorie des neugebildeten Knochens geh 6rende Gewebe, nimlich Frakturkallus und carti* Mit Unterstiitzung des Fonds zur Frderung der Wissenschaftlichen Forschung Sonderdruckanfragen an: Dr G Lninart (Adresse siehe oben)

laginare Exostosen, wurden von uns bereits nach kristallographischen Gesichtspunkten untersucht Im Rahmen dieser Studie berichten wir fiber die kristallographische Analyse des Verlangerungskallus.

Material und Methodik An 6 osterreichischen Bergschafen wurde nach der Methode von V.W Anderson der linke Metacarpalknochen um ca 10 % verlangert l 7 l Nach kn6cherner Oberbrickung des Distraktionsspaltes wurde nach insgesamt 21 Wochen das Praparat entnommen, rntgenisiert (Abb 1) und in Alkohol fixiert. Nachher wurde der Knochen lyophilisiert und in Durkupan eingebettet Mit einem Reichert-Ultramikrotom wurden ultradUnne Schnitte mit einer Schichtdicke von 400-600 A angefertigt Es wurde sowohl der urspriingliche Rohrenknochen als auch der Verlangerungskallus geschnitten und untersucht Zur Beurteilung der Strukturen wurde ein Elektronenmikroskop, Typ Tesla BS-242, mit einem maximalen Aufl 6 sungsverm 6gen von 20-25 A verwendet Zur Fixierung der Diffraktionslinien und Punkte wurden Kodak-Bromid-Lantern-L-10-Platten verwendet, da die Kontraste auf diesen Platten besonders gut sind.

KristallographischeMethodik (Untersuchung mittels Elektronendiffraktion) Bei der kristallographischen Analyse von Knochen wird in der Osteologie im allgemeinen die R 6 ntgendiffraktion verwendet l 1, 3, 7l Dabei wird die Lyophilisierung des Knochens durchgefiihrt, die Substanz pulverisiet, und es gehen dabei die anatomischen Strukturen verloren Die Untersuchung von Knochengewebe in diinnen Schichten scheint erstrebenswerter, weil dadurch verschiedene Entwicklungsgrade und kristallographische Phasen nebeneinander dargestellt werden knnten Die von uns angewandte elektronendiffraktorische Untersuchung erlaubt es erstens, Material an beliebigen Stellen und in vielen Schichten zu untersuchen, und man hat damit die M 6glichkeit, das Fortschreiten der Ossifikation mit kristallographischen Methoden zu verfolgen Zweitens bleiben durch ein Vermeiden der

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G Lenart et al : Kristallographische Untersuchung des Verlangerungskallus dhkl, 3.46 2.82 2.28 1.244 1.777

A A A A A

Brushit Apatit Apatit Brushit Apatit

Abb 2 Die Elektronendiffraktion des Verlangerungskallus zeigt Brushit neben Apatit

Abb 1 R6 ntgen eines Schaf-Metacarpale a -p und seitlich, 21 Wochen p op In der Schaftmitte ist der von neugebildetem Knochengewebe uiberbriickte Verlangerungsbereich noch deutlich zu erkennen

Pulverisierung die anatomischen Strukturen verhiiltnism 13 ig intakt, und es besteht die Moglichkeit einer zusatzlichen elektronenmikroskopischen Untersuchung l2, 4l.

Ergebnisse Die kristallographische Analyse des urspruinglich kortikalen Knochens zeigte immer nur Apatitlinien Im Verlangerungskallus dagegen waren neben den Apatitlinien auch Brushitlinien vorhanden (Abb 2). Bei der Beurteilung unserer Resultate mu 13 man sich als Grundfrage der Knochenkristallographie vor Augen halten, ob der mineralische Anteil des Knochens vollstandig aus Hydroxylapatit (Ca 5/PO 4/ 3 F.OH) besteht oder auch andere Kalziumphosphate, z B Brushit (Ca HPO 4 x 2H 20) oder Monetit (Ca HPO 4), enthalt. In fruheren Untersuchungen konnten wir zeigen, da B Knochengewebe, welches sich im Stadium der Mineralisation befindet, wie z B Kallus und epimeta-

Abb 3 a Derivatogramm des originellen Knochengewebes mit den charakteristischen DTG-, DTA-, T und TG-Kurven Ein unscharfer Endothermpeak und die Analyse der TG-Kurve zeigen in der Probe kleinere, dafuir aber mehrere Kristalle Abb 3b Derivatogramm des Verlangerungskallus Ein scharfer Endothermpeak und die Analyse der TG-Kurve zeigen, da in der Probe gro 13ere, dafuir aber weniger Kristalle vorhanden sind. Der Wasserverlust bzw die Abspaltung des Wassers von dem Kristallgritter bei 350-400 ° C zeigt die Anwesenheit von Brushit

physare Knochenanteile, auch Brushit enthalten l1, 2, 4 l Es wurde angenommen, da13 der Brushit eine intermediare Phase der Hydroxylapatitbildung darstellt. Im Verlangerungskallus findet man ebenfalls Brushit. Der Distraktionskallus kann deshalb aus kristallographischer Sicht als junges, sich im Stadium der Mineralisation befindendes Knochengewebe angesehen werden. ThermogravimetrischeAnalyse Unter Thermogravimetrie versteht man eine Materialuntersuchung, wo bei linearem Temperaturanstieg die Gewichtsanderung registriert wird Diese Untersuchung wurde von uns mit einem Derivatograph MOM Paulik, Paulik, Erdey durchgefuihrt l6 l Folgende Befunde konnten erhoben werden (Abb 3 a und b).

G Lenart et al : Kristallographische Untersuchung des Verlangerungskallus

Ergebnisse 1 Der organische Anteil des metacarpalen Rbhrenknochens des Schafes betragt 25,6 %, der des neugebildeten interfragmentaren Kallus dagegen 49 %. 2 Brushit konnte auch im interfragmentaren Kallus mit der thermogravimetrischen Methode nachgewiesen werden. 3 Im corticalen Knochen des Metacarpale des Schafes konnten zahlreiche kleine Kristalle, im Verlangerungskallus hingegen gro6 3ere, aber weniger zahlreiche Kristalle nachgewiesen werden. Diese Ergebnisse decken sich mit den Untersuchungen, die wir in einer vorherigen Studie am Frakturkallus durchgefuhrt haben.

Diskussion Der Verlangerungskallus nimmt eine Sonderstellung unter den ,,Knochenneubildungen" ein Handelt es sich doch dabei um Knochen, der bei stetigem Auseinanderweichen zweier Rhrenknochenfragmente entsteht, unter biomechanisch u13erst ungiinstigen Verhailtnissen Die Knochenneubildung mu B uiber den Weg Hamatom, Granulationsgewebe, Bindegewebe, Faserknochen, lamellarer Knochen hintereinander und nebeneinander entstehen (Lit Pfltiger und Mitarb ) Das Kallusgewebe wurde bereits nach verschiedenen Gesichtspunkten untersucht l7, 9 l, nicht aber aus dem Blickwinkel der Kristallographie Eine derartige Untersuchung erschien uns deshalb interessant, weil wir uns einen gewissen Einblick in den Entwicklungsmechanismus der Knochenmineralien erwarteten Wir konnten zeigen, da13 unter Distraktion die gleichen Kristallarten entstehen, wie wir sie von der normalen Frakturheilung her kennen Das bedeutet, da B die Qualitat des Verlangerungskallus aus kristallographischer Sicht gleichzusetzen ist mit anderem heilenden

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Knochengewebe, wie wir es auch histologisch zeigen konnten l7, 9 l. Eine Erklarung fir die gr6 Bere Transparenz des Verlangerungskallus bei der Rontgenuntersuchung ware durchaus auch in dem zahlenmd Big geringeren Auftreten von relativ gro13en Kristallen zu finden.

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[Crystallographic investigation of distraction callus (author's transl)].

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