© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016

© Klaus Rüschhoff, Springer Medizin

Chirurg DOI 10.1007/s00104-015-0139-0

Redaktion

M. Betzler · Essen H.-J. Oestern · Celle P.M. Vogt · Hannover

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springermedizin.de/ eAkademie Teilnahmemöglichkeiten Diese Fortbildungseinheit steht Ihnen als e.CME und e.Tutorial in der Springer Medizin e.Akademie zur Verfügung. – e.CME: kostenfreie Teilnahme im Rahmen des jeweiligen Zeitschriften­ abonnements – e.Tutorial: Teilnahme im Rahmen des e.Med-Abonnements

Zertifizierung Diese Fortbildungseinheit ist mit 3 CMEPunkten zertifiziert von der Landesärzte­ kammer Hessen und der Nord­rheinischen Akademie für Ärztliche Fort- und Weiter­ bildung und damit auch für ­andere Ärzte­ kammern anerkennungsfähig.

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CME  Zertifizierte Fortbildung R. Pfeifer · H.-C. Pape Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, RWTH Universitätsklinik Aachen, Aachen, Deutschland

Diagnostik und Versorgungsstrategien beim polytraumatisierten Patienten Zusammenfassung

Schweres Trauma ist weiterhin eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Die initiale Diagnostik und Therapie des schwerverletzten Patienten ist von entscheidender Bedeutung. Neben der standardisierten Herangehensweise nach dem ATLS („advanced trauma life support“) -Konzept sollten weitere Pathologien und Zustände erkannt und wenn möglich frühzeitig therapiert werden. Auch die gewählte Behandlungsstrategie „early total care“ (ETC) oder „damage control orthopedics“ (DCO) ist von immenser Bedeutung, besonders im Hinblick auf die Vermeidung „später“ systemischer Komplikationen. In dieser Übersichtsarbeit werden Polytraumadefinitionen (insbesondere die „neue“ Berlin-PolytraumaDefinition) und -klassifikationen sowie die Einteilung von Polytraumapatienten vorgestellt. Darüber hinaus werden aktuell diskutierte Behandlungsstrategien (das Safe-definitivesurgery-Konzept) des schwerverletzten Patienten besprochen.

Schlüsselwörter

Polytrauma · Klassifikation · Pathophyiosolgie · Chirurgische Strategie · Komplikationen

Der Chirurg

1

CME

Lernziele Nach der Lektüre dieses Beitrags … 55 sind Sie in der Lage, den schwerverletzten Patienten zu definieren, 55 kennen Sie die assoziierten pathophysiologischen Kaskaden, 55 können Sie die Etappen in der Polytraumaversorgung benennen, 55 können Sie den schwerverletzten Patienten klassifizieren, 55 sind Sie in der Lage, die richtige chirurgische Strategie zu wählen.

Hintergrund Bis zu 60 % der verstorbenen Patienten versterben vor der Aufnahme in die Klinik

Große Registerstudien demonstrieren einen Abfall der Mortalität polytraumatisierter Patienten in den letzten Dekaden

Schweres Trauma ist weiterhin eine der häufigsten Todesursachen weltweit [1]. Bis zu 60 % der verstorbenen Patienten versterben vor der Aufnahme in die Klinik und weitere 10–20 % versterben innerhalb der ersten 24 h [2]. Die häufigsten Todesursachen sind schwere Kopfverletzungen und das Verbluten, hauptsächlich durch Kombinationsverletzungen am Thorax, Abdomen, Becken und Extremitäten. Die in den 1980er Jahren beschriebene „trimodale“ Mortalitätsverteilung mit der ersten Mortalitätsspitze präklinisch ( 1 Woche) konnte durch neue Studien in Europa nicht bestätigt werden. Hier zeigen sich eher „unimodale“ oder „bimodale“ Mortalitätsverteilungsmuster [2, 3, 4, 5]. Weiterhin demonstrieren große Registerstudien einen Abfall der Mortalität polytraumatisierter Patienten in den letzten Dekaden [6]. Verbesserte Diagnostik (Mehrschicht-Spiral-Computertomographie im Schockraum), standardisierte Herangehensweise („advanced trauma life support“ [ATLS]), verbesserte chirurgische Techniken und Versorgungsstrategien („early total care“ (ETC) und „damage control orthopedics“ [DCO]) wurden in Studien als mögliche Faktoren für den Abfall der Sterblichkeit diskutiert [7]. Darüber hinaus haben die Veränderungen in der aktiven und passiven Fahrsicherheit und der demographische Wandel einen Beitrag dazu geleistet [8]. In dieser Übersichtsarbeit werden wesentliche Strategien und die diagnostischen und therapeutischen Schwerpunkte vorgestellt.

Definition Zur Definition des Polytraumas können unterschiedliche Parameter und Faktoren herangezogen werden. Tscherne definierte das Polytrauma als gleichzeitig entstandene Verletzungen verschiedener Körperregionen, von denen eine Verletzung oder deren Kombination lebensbedrohlich ist [9]. Eine

Diagnostics and treatment strategies for multiple trauma patients Abstract

Severe trauma is still one of the leading causes of death worldwide. The initial treatment and diagnostics are of immense importance in polytraumatized patients. The initial approach mainly focuses on the advanced trauma life support (ATLS) concept. This includes the identification of life-threatening conditions and application of life-saving interventions. Depending on the physiological condition of the patient, the surgical treatment strategies of early total care (ETC) or damage control orthopedics (DCO) can be chosen. Appropriate surgical management can reduce the incidence of associated delayed systemic complications. This review summarizes the most commonly used definitions of polytrauma (including the Berlin polytrauma definition) and classification systems of severely injured patients. Moreover, the recently introduced treatment strategy of the safe definitive surgery concept for severely injured patients is also discussed in this article.

Keywords

Polytrauma · Classification · Pathophysiology · Surgical procedures · Complications

2

Der Chirurg

CME

Hämorrhagischer Schock

Koagulopathie

Permeabilitätssteigerung am Endothel p IMMUNDYSFUNKTION

Hypothermie

Weichteilverletzungen

Abb. 1 9 Die Abbildung zeigt die vier mit einem Trauma assoziierten pathophysiologische Kaskaden. Sie führen zu einer posttraumatischen Immunstimulation und Endothel­ schädigung. Die Ausschöpfung von Kompensationsmechanismen führt zur Entwicklung von systemischen Komplikationen und Organdys­ funktion

anatomische Klassifikation kann mit dem Injury Severity Score (ISS) als Quadratsumme der drei schwersten Verletzungen von sechs abgegrenzten anatomischen Regionen, deren einzelne Verletzungsschwere als Abbreviated Injury Scale (AIS) erfasst wird, berechnet werden [10]. In Vorarbeiten wurde der Grenzwert mit ISS ≥ 16 festgelegt. Mit dem Revised Trauma Score (RTS) ist es möglich die physiologischen Beeinträchtigungen nach einem Polytrauma zu gewichten [9]. Neben der Atemfrequenz werden die Glasgow Coma Scale (GCS) und der systolische Blutdruck ebenfalls erfasst. Eine neue Definition des Polytraumas (Berlin-Definition) beinhaltet sowohl physiologische als auch anatomische Parameter zur Einstufung der Verletzungsschwere. In Kooperation mit der ESTES (European Society of Trauma and Emergency Surgery) wurde im Jahre 2011 eine internationale Kooperation begonnen, welche zum Ziel hatte, die Definition des Schwerverletzten anhand eines Konsensusprozesses zu überarbeiten. Dieser Prozess wurde während zahlreicher Treffen vollzogen. Die entscheidende „Konsensussitzung“ fand im Langenbeck-Virchow Haus in Berlin am 11. und 12. Mai 2012 statt. Daten aus dem deutschen TraumaRegister® wurden verwendet, um eine datenbankgestützte Definition zu erlangen [11]. Neben der anatomischen Kalkulation mit mindestens 2 Verletzungen mit dem AIS ≥ 3, wurden fünf unabhängige, physiologische Variablen identifiziert und die Grenzwerte für die Mortalitätsrate bis zu 30 % errechnet. Das Vorliegen mindestens eines der unten gelisteten Parameter ist erforderlich für die Definition des Polytraumas. Folgende Kriterien für das Polytrauma wurden bestimmt: 55Hypovolämie (systolischer Blutdruck ≤ 90 mmHg), 55Vigilanzzustand (Glasgow Coma Scale [GCS] Score ≤ 8), 55Azidose („base excesses“ ≤ − 6,0), 55Koagulopatie („international normalized ratio“ [INR] ≥ 1,4/; „partial thromboplastin time“ [PTT] ≥ 40 s), 55Alter (≥ 70 Jahre).

Für das Polytrauma wurde ein ISSGrenzwert von ≥ 16 festgelegt

Die Berlin-Definition beinhaltet sowohl physiologische als auch anatomische Parameter zur Einstufung der Verletzungsschwere

Initiale Einschätzung Stumpfe Verletzungen am Körperstamm (Thorax und Abdomen) und Frakturen der langen Röhrenknochen, insbesondere am Femur, können relevante Auswirkungen auf den klinischen Verlauf eines polytraumatisierten Patienten haben [12, 13]. Bei der klinischen Einschätzung des Patienten sind die „vier pathophysiologische Kaskaden“ (hämorrhagischer Schock, Koagulopathie, Hypothermie und Weichteilverletzungen) von hoher klinischer Bedeutung (. Abb. 1). Diese pathophysiologischen Kaskaden verursachen Permeabilitätsstörungen in den Gefäßen und Organen und haben einen Einfluss auf die Immunologie und Organfunktionen (z. B. von Lunge und Leber). Die wichtigsten Aspekte der vier pathophysiologischen Zustände werden nachfolgend kurz vorgestellt.

Der Chirurg

3

CME

Hämorrhagischer Schock Die wichtigsten Hypovolämiemarker sind systolischer Blutdruck  110.000

II–III 90.000–110.000

Faktor II and V (%) Fibrinogen (g/dl) D-Dimere

90–100 > 1 Normal > 35 °C 350–400

70–80 Ca. 1 Abnormal 33 °C–35 °C 300–350

Instabil 60–80 5–15 > 2,5 Keine An­ gaben III–IV AIS 3 oder > (z. B. (z. B. Rippen­ instabiler Thorax) serienfraktur) II–III IV

< oder = II

< oder = III

III

III oder > III

AIS I–II

AIS II–III

AIS III–IV

A Typ (AO)

B oder C

C

Komplexe Quetschungen C (schwere Quetschung

Lungenfunktion; PaO2/ FiO2 Thoraxtrauma; AIS

Thoraxtraumascore; TTS Abdominaltraumascore (Moore) Extremitäten (AIS) Beckentrauma (AOKlassifikation)

In extremis  15 Schwere Azidose > 6–8 IV  2) – Mehrfachverletzungen in Kombination mit Abdominal- oder Beckentrauma und hämorrhagischen Schock (systolischer Blutdruck

[Diagnostics and treatment strategies for multiple trauma patients].

Severe trauma is still one of the leading causes of death worldwide. The initial treatment and diagnostics are of immense importance in polytraumatize...
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