Nr. 45, 7. November 1975, 100 Jg.

Schadewaidt: Die Entdeckung des Virus der Maul- und Klauenseuche

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ioo Jahre im Spiegel der DMW

Dtsch. med. Wschr. 100 (1975), 2355-2359 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Friedrich Loeffler (1852-1915), der erste Schüler von Robert Koch (1843-1910), war folgerichtig zur Entdeckung des Rotzerregers gelangt, indem er die drei Kochschen Postulate der Färbung, Reinkultur und Reproduktion des Krankheitsbildes im Tierversuch befolgt hatte. Loeffler selbst hatte darauf hingewiesen, daß es nach Aufstellung dieser Regeln und Empfehlungen für jeden in seiner Zeit lebenden, an der Bakteriologie interessierten Forscher durchaus möglich sein müßte, neue Erreger zu entdecken. Insofern können in der Medizingeschichtsschreibung die zahlreichen Ärzte, die in der Frühzeit der Bakteriologie derartige pathogene Mikroorganismen fanden, nicht denjenigen Grad der Originalität für sich beanspruchen, wie er mit Recht für Koch postuliert werden muß. Ihre Leistungen sind von ihren Zeitgenossen im Rausch der Begeisterung über die junge Bakteriologie, durch die plötzlich viele bisher unbekannte Faktoren der Krankheitsentstehung entdeckt wurden, überbewertet worden. Etwas grundsätzlich Neues dagegen war die Auffindung der Ursachen der Diphtherie- und Tetanusimmunität, das heißt die Entdeckung der Toxine und Antitoxine durch Emil von Behring (1854-1917) und Shibasaburo Kitasato (1856-1931). Eine zweite, sicherlich ebenso geniale Leistung war indes auch die Auffindung des ultravisiblen Virus als Erreger der Maul- und Klauenseuche beim Tier durch Loeffler, über die er und sein tierärztlicher Mitarbeiter Professor Dr. Paul Frosch (1860-1928) in mehreren Berichten an den preußischen Kultusminister in der »Deutschen Medicinischen Wochenschrift« Mitteilung machten. Loeffler war als Militärarzt auf seinen Wunsch als Assistent zu Koch versetzt worden und hatte dort von 1880 bis 1884 vertrauensvoll mit seinem Lehrer zusammengearbeitet. 1886 konnte er sich an der Berliner Universität habilitieren - er war inzwischen Stabsarzt geworden ,und am 29. Juni 1888 erreichte ihn der Ruf auf das Ordinariat für Hygiene an der Universität Greifswald. Dort hat er die grundlegenden Arbeiten über die Ätiologie der Maulnd Klauenseuche und ihre wirksame Bekämpfung durchihrt. In der kleinen preußischen idyllischen Universiidt fühlte sich Loeffler sehr wohl, doch die zahlEpidemien an Maul- und Klauenseuche in der und weiteren Umgebung machten ihn nunmehr n Problem bekannt, das er in Berlin in dieser t kennengelernt hatte. Die außerordentlich hote für die Landwirtschaft veranlaßten die Kulandwirtschaftsministerien in Preußen, 1897 mission zur Erforschung der Maul- und he« einzusetzen, als deren Leiter der 1895

H. Schadewaldt Institut für Geschichte der Medizin (Direktor: Prof. Dr. H. Schadewaldt) der Universität Düsseldorf

zum Geheimen Medizinairat ernannte Loeffler bestimmt wurde. Loeffler hatte sich ja nicht nur als Entdecker des Diphtherie- und Rotzbazillus einen Namen gemacht, sondern war in gleicher Weise 1886 auch als Entdecker des Bazillus des Schweinerotlaufs und der sogenannten »Schweineseuche« in weiten Kreisen bekannt geworden. Freilich, der Name »Commission« war wohl etwas zu hochtrabend, denn ihr gehörten im Grunde nur Professor Loeffler aus Greifswald als Leiter und der schon erwähnte Veterinärprofessor Frosch vom Institut für Infektionskrankheiten in Berlin, das von Koch geleitet wurde, als Mitglied an. In beiden Instituten, im Hygiene-Institut in Greifswald und im Institut für Infektionskrankheiten in Berlin, waren darüber hinaus noch einige technische Mitarbeiter und Diener mit der bakteriologischen und serologischen Auswertung oder mit der Pflege einiger Versuchstiere in einem Versuchsstall beschäftigt. Offensichtlich hat diese »Commission« ganz unbürokratisch gearbeitet, denn es ist da keine Rede von konstituierenden Sitzungen und Sitzungsprotokollen an das Ministerium. Es wurden vielmehr nur drei, im Gegensatz zu heutigen Kommissionsberichten geradezu kurz zu nennende Erfahrungsberichte am 17. April 1897, am 14. August des gleichen Jahres und am 8. Januar 1898 erstellt, die in extenso bereits in den Nummern S und 6 vom 3. und 10. Februar 1898 in der »Deutschen Medicinischen Wochenschrift« abgedruckt wurden. Die Ergebnisse der Arbeiten, die in den beiden ersten Kommissionsberichten niedergelegt wurden, fanden allerdings schon am 23. September 1897 in einem »Summarischen Bericht über die Ergebnisse der Untersuchungen der Commission zur Erforschung der Maul- und Klauenseuche« als erster Artikel in der Nummer 39 der »Deutschen Medicinischen Wochenschrift« Aufnahme. Interessanterweise ist in diesem summarischen Bericht jedoch die wichtigste Erkenntnis der Kommission, daß es sich bei dem Erreger der Maulund Klauenseuche um ein ultravisibles, filtrierbares Virus handelt, noch nicht enthalten. Diese entscheidende Beobachtung wurde nämlich erst in der letzten Phase der Arbeiten gemacht und erschien daher in dem dritten Kornmissionsbericht vom Januar 1898. Immerhin konnte dem summarischen Bericht in der damals oft üblichen pragmatischen Kürze folgendes entnommen werden: »1. Alle bisherigen Funde von Bacterièn als Erreger der Krankheit haben sich als accidentelle erwiesen . Mit bacteriell steriler Lymphe lässt sich die Krankheit

in typischer Weise hervorrufen, in solcher Lymphe sind

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Die Entdeckung des Virus der Maul- und Klauenseuche

Schadewald>: Die Entdeckung des Virus der Maul- und Klauenseuche

morphotische Elemente verschiedener Art vorhanden. Der Beweis, dass unter denselben protozoische, als Erreger anzusehende Gebilde vorhanden seien, hat sich bisher nicht erbringen lassen. Rinder und Schweine sind auch experimentell als besonders empfänglich erwiesen worden. Schafe und Ziegen haben sich künstlich nicht inficiren lassen, ebensowenig Hunde, Kaninchen, Meerschweinchen, Hausund Feldmäuse und Geflügel. Der sicherste infectionsmodus ist die Injection der aus den Blasen entnommenen Lymphe in der Blutbahn. Durch injection der Lymphe in der Bauchhöhle und in die Muskulatur, ferner durch Einreiben derselben in die durch Stichelun gen verletzte Maulschleimhaut läßt sich die Infection ebenfalls ziemlich sicher bewirken Die Blasen an den Eutern und an den Klauen entstehen somit durch das im Blute kreisende Virus und nicht durch direkte Infection von der Haut aus.« und als wichtigste praktische Schlußfolgerung: »Im Blute der immun gewordenen Thiere sind Stoffe vorhanden, welche, mit frischer Lymphe gemischt, diese bei Injection des Gemisches in den Körper empfänglicher Thiere unwirksam machen.« Die beiden Autoren Loeffler und Frosch, der später ordentlicher Professor an der Tierärztlichen Hochschule in Berlin werden sollte, kamen in dem vorläufigen Bericht zu der Schlußfolgerung: »Es ist somit wissenschaftlich sicher gestellt, dass die Maul- und Klauenseuche mit Hülfe von Schutzimp fungen wirksam bekämpft werden kann.« Die Lektüre des summarischen Berichtes, der gerade eine halbe Seite der »Deutschen Medicinischen Wochenschrift« füllt, gibt keinerlei Hinweise auf die außerordentlich mühevolle Arbeit, die die beiden Kommissionsmitglieder geleistet hatten, bis sie zu den skizzierten Ergebnissen gekommen waren. Auffällig ist jedoch, daß schon in dieser ersten Abhandlung vom 23. September 1897 der Begriff »Virus« auftaucht, der jedoch noch keine nähere Präzisierung erfährt. Der lateinische Terminus »Virus«, wohl aus dem Sanskrit »Visham« = Gift entstanden, bedeutete ursprünglich einen zähen, meist giftigen Saft, etwa das Sekret der Giftdrüsen von Schlangen, aber auch von Gewächsen abgesonderte Tropfen und schließlich den als giftig angesehenen Samen bestimmter Tiere. Der Begriff ging auch in die lateinische medizinische Literatur des Mittelalters und der Neuzeit über, bedeutete dort aber stets nur ein undefiniertes und wohl auch für undefinierbar gehaltenes giftiges Agens. Der Ausdruck muß offensichtlich in der Mitte des 19. Jahrhunderts wieder häufiger in Gebrauch gekommen sein, denn während er in den beiden ersten Auflagen des »Kritisch-etymologischen medicinischen Lexikon« von Ludwig August Kraus (1777-1845) von 1821 und 1826 noch nicht erscheint, wurde er in die dritte, wesentlich erweiterte Auflage von 1844 dieses bekanntesten medizinischen Lexikons des 19. Jahrhunderts aufgenommen. Aber da dort angegeben wurde, daß »Virus« sowohl für die Begriffe »Jauche«, »Gift«, »Miasma« und »Contagium« benutzt werden kann, blieb der Terminus schillernd und unpräzis.

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Erst die eigentlichen drei Berichte der Kommission machten dem Leser klar, welche immense Arbeitsiast die beiden Kommissionsmitglieder auf sich genommen hatten. Mehrfach mußten sie an Orte reisen, wo sich nach telegraphischer Benachrichtigung des »Instituts für Infectionskrankheiten«, wie dies der Kultusminister von den Lokalbehörden gefordert hatte, Endemien von Maulund Klauenseuche ausbreiteten. Die Rückkehr mußte aber noch am gleichen Tage angetreten werden, um das gewonnene Material sofort zu verarbeiten. An diesen Reisen nahm im übrigen auch das eine Zeitlang hinzugezogene dritte technische Kommissionsmitglied Geheimrat Wilhelm Schütz (1839-1920) teil, der schon mit Loeffler bei der Entdeckung des Rotzbazillus zusammengearbeitet hatte. Für die Gewinnung von einwandfreiem Ausgangsmaterial konnten nur ganz frische Blasen benutzt werden, die noch keine Superinfektion aufwiesen. Der Inhalt wurde dann sofort im Laboratorium im hängenden Tropfen nach entsprechender Färbung und nach Aussaat in der Kultur untersucht, wobei als Kultursubstrate neben gewöhnlicher Bouillon, die sauer oder alkalisch gemacht worden war, Peptonbouillon, Traubenzuckerbouillon, flüssiges und erstarrtes Blutserum, Milch, Nähragar und Gelatine Verwendung fanden und das Wachstum der Bakterien unter Luftabschluß, bei Zutritt von Luft sowie in Wasserstoff-, Schwefelwasserstoff- und KohlensäureAtmosphäre untersucht wurde. Die Autoren stellten daraufhin fest: »Das Ergebnis aller dieser Untersuchungen war ein durchaus eindeutiges«,

denn: »Schon aus diesen Versuchsergebnissen folgt mit Sicherheit, dass irgend ein auf den gebräuchlichen Nährsubstraten wachsendes Bacterium das ätiologische Moment der Maul- und Klauenseuche nicht sein kann«.

Dennoch mußten sie sich besonders mit den Untersuchungsergebnissen zweier Kollegen, Dr. Siegel in Britz und Stabsarzt Dr. Bussenius von der Charité in Berlin, auseinandersetzen, die geglaubt hatten, einen Bazillus als Erreger der Maul- und Klauenseuche isoliert und mit diesem die Erscheinungen der Krankheit wieder ausgelöst zu haben. Auch schon vorher hatte es eine Reihe von Autoren gegeben, die, wie übrigens bei fast allen anderen Infektionskrankheiten, gemeint hatten, das ätiologische Agens gefunden zu haben, in der Regel aber einer trügerischen Misch- oder Superinfektion bei der Maul- und Klauenseuche zum Opfer gefallen waren. Wie schon erwähnt, konnten Loeffler und Frosch niemals in den unter besonders sterilen Kautelen gewonr' nen Blaseninhalten irgendwelche Bakterien nachw& In sehr mühevollen Impfversuchen mit Reinkultur' Siegel-Busseniusschen Bazillen, die in der Tat ai Loeffler gezüchtet werden konnten, gelang es da bei zwei Saugkälbern bereits am Tage nach der Krankheitserscheinungen mit heftigem Fieber rhoen auszulösen, und die Bazillen fanden sich im Blut, in der Milz und in den geschwollene drüsen sowie im Darminhalt, aber niemals 1 typischen Symptome der Maul- und Klauer

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Blasenbildung am Mund, an den Lippen und Klauenpartien erzeugt werden. Daher schlossen Loeffler und Frosch: »Aus diesen Versuchen folgt, dass der Siegel-Bussenius'sche Bacillus wohl ein interessanter und beachtenswert her pathogener, heftige Darmerkrankungen bewirkender Organism us ist, das ätiologische Manient der Maul- und Klauenseuche jedoch nicht darstellt.«

Noch war aber auch den beiden Kommissionsmitgliein der ersten Phase ihrer Untersuchungen die Auffindung eines wissenschaftlich exakt nachweisbaren Frregers nicht geglückt. Sie wandten sich daher zuerst einmal der Ubertragbarkeit auf verschiedene Tierspezies ZU, Von den zahlreichen Tieren, die untersucht wurden, konnte die Krankheit nur auf Rinder bzw. Kälber und mit geringen Einschränkungen auf Schweine übertragen werden. Schafe, Ziegen, Kaninchen, Meerschweinchen, Hunde, Katzen, Ratten, Hausmäuse, Feldmäuse, Hühner und Tauben waren weder durch eine Impfung in die Mundschleimhaut oder an den Beinen noch durch intraperitoneale Injektion oder durch Fütterung zu infizieren. Als nächster Schritt wurde der Modus der Infektion eingehend studiert und als sicher wirksam der Inhalt frisch entstandener Blasen gefunden. Dann folgten interessante Untersuchungen iihcr die nach überstandener Krankheit auftretende Immunität. Dieser Frage hatte Loeffler im übrigen schon im Institut von Koch eine seiner frühesten Arbeiten gewidmet, als er im Juli 1881 in den »Mitteilungen aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt« einen Artikel zur Immunitätsfrage. erscheinen ließ. Dabei wurde klar erkannt, daß nach einer zwölftägigen Inkubationszeit praktisch keine Reinfektion mehr erfolgte, und die Frage, ob man in diesem Falle wie bei der Pockenschutzimpfung oder nach dem Modell der Bebringschen Schutzimpfungen mit Hilfe von entsprechenden Sera die Ausbreitung einer Maul- und Klauenepidernic verhindern konnte, war nun wichtigster Traktandenpunkt des zweiten Berichtes vom 14. August 1897. Zuerst wurde dabei noch einmal auf den Infektionsweg eitigegangen und nicht nur der Ausdruck »Virus« erneut benutzt, sondern auch das Prinzip der Virämie bis zum Ausbruch der lokalen Erscheinungen erstmals erwähnt: dem

»Durch zahlreiche vergleichende Versuche ist ermittelt, dass der sicherste Modus der Infection die Ein fiihrung des in dem Blaseninhalt befindlichen Virus in die Blutbahn darstellt. Gangbar haben sich ausserdem gezeigt die Einbringung des Virus in die Bauchhö hie, die Einspritzung desselben in die Muskulatur, sowie die Finreibung in die durch Stichelung verletzte MaulSchleimhaut. Unsicher dagegen haben sich erwiesen die Impfungen in die Haut und unter die Haut; beide scheinen nur dann wirksam zu sein, wenn dabei zugleich eine Blutgefässverletzung stattgefunden hat. Im Blutstrom kreist das Virus von dem Momente der beginnenden Tern peratursteigerung bis zum Ausbruch der lokalen Erscheinungen der Krankheit, nach dem Auftreten dieser letzteren aber nicht mehr.« Eine Möglichkeit, das im Blaseninhalt vorhandene rus unwirksam zu machen, war:

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»1. Durch 24stündiges Eintrocknen bei Sommertemperatur (Maximum + 31 °C Mittags). Durch Erwärmen auf 37 °c während 12 Stunden. (Die Wirkung einer noch kürzere Zeit dauernden Erwärmung auf 37 °c wurde nicht geprüft.) Durch Erwärmen während einer halben Stunde auf 70 °c. Im Eissch rank, in Giasca pillaren aufbewahrt, bleibt die Lymphe sicher 14 Tage infectionskräftig.« Wichtig war aber die Frage der Auslösung einer Immunität, und die Verfasser des zweiten Memorandums betonten mit Recht: »Nur wenn diese Frage in positivem Sinne beantwortet werden konnte, war Aussicht vorhanden, die Krankheit in wirksamer Weise bekämpfen zti können.« Bisher war die einzige Möglichkeit, derartigen Zoonosen zu begegnen, die Isolierung der Erkrankungsherde, was mit vielfältigen Belastungen der Landwirtschaft, Sperrung von Gehöften, Ortschaften und ganzen Kreisen einherging. Daher galt das besondere Augenmerk von Loeffler und Frosch nunmehr der Möglichkeit einer entsprechenden Schutzimpfung. Es wurden Versuche mit frischer und erhitzter Lymphe sowie mit einem Gemisch von Kuhpockenvakzinen und Maul- und Klauenblasenlymphe angestellt, und, um den Infektionsgang nachzuvollziehen, sogar mit Hilfe eines in kochendes Wasser getauchten Hammers an den Innenflächen der Ohren künstliche Blasen erzeugt, in die dann Maul- und Klauenlymphe injiziert wurde. Ganz klar wurde die uns heute selbstverständliche Tatsache herausgearbeitet, daß alle Viruserkrankungen eine langdauernde Immunität hinterlassen: »Das Blut von durchseuchten Thieren verhindert demnach eine zuverlässig wirksame Lymphe im Körper eines empfänglichen Thieres ihre krankmachende Wirksamkeit zu entfalten, was das Blut eines nicht immuilen Thieres nicht vermag. Durch das Ueberstehen der Krankheit werden mithin im Körper des durchseuchten 7'hieres specifisch auf den Erreger der Krankheit einwirkende Stoffe gebildet.« Und die Kommission kam zu dem Schluß: »Durch die Versuche der commission ist somit die Thatsache festgestellt, dass es möglich ist, Thiere gegen die Matit- und Klauenseuche künstlich zu immuni-

siren. « Ganz besonders interessant ist jedoch der letzte Bericht vorn 8. Januar 1898, wiedergegeben in Nummer 6 der »Deutschen Medicinischen Wochenschrift« vom 10. Februar des gleichen Jahres. Auch hier wieder ist man über die Schnelligkeit der Publikation, wie sie in unseren Tagen kaum noch möglich ist, überrascht. Im Laufe der Untersuchungen hatte sich herausgestellt, daß zur Schutzimpfung am besten Lymph-Immunblut-Mischungen geeignet waren, und um eine klare Ubersicht zu erhalten, wurden nunmehr Serienimpf ungen an Kälbern und Schweinen vorgenommen. Diese gestalteten sich nun außerordentlich schwierig. Gelegenheit dazu war, als in der Nähe von Greifswald auf den Gütern Rappenhagen und Boltenhagen der Frau

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Schadewaldt: Die Entdeckung des virus der Maul- und Klauenseuche

Nr. 45, 7. November 1975, 100. Jg.

Schadcwaldt Die Entdeckung des Virus der Maul- und Klauenseuche

Amtsrat Becker im September 1897 die Maul- und Klauenseuche ausbrach. Im Kuhstall standen 153 zum Teil hochtragende Kühe, an anderer Stelle waren 74 Bullen untergebracht. Außerdem standen noch 105 Stück Jungvieh für die Untersuchung zur Verfügung. Da der Impfstoff gewöhnlich in die Haisvene injiziert wurde, mußte das Vieh in den Koppeln zusammengetrieben, dort abgebuchtet und einzeln mit Lassos gefangen werden. Besonders schwierig gestaltete sich die Isolierung und Fesselung der 74 Bullen, und im Bericht heißt es relativ lapidar: »Die 74 Bullen mussten dagegen jeder einzeln geworfen und gefesselt werden, weil andern Falles die Impfung mit Lebensgefahr für den Impfenden verbunden gewesen wäre. An unliebsamen Zwischenfällen, bedingt durch die Wildheit der Thiere, fehlte es nicht.« Das Resultat war ausgezeichnet, doch ergab sich daraus, daß neben dem Quantum der Schutzlymphe auch die Virulenz eine bedeutsame Rolle spielte. Es kam im allgemeinen zu relativ milden Impfreaktionen am 10.-14. Tag nach der Schutzimpfung, kein Tier jedoch wurde mehr krank, und Loeffler und Frosch konnten feststellen: »Ein Schaden ist der Besitzerin aus der Seuche bei diesen geimpften Thieren nicht erwachsen.« Die wichtigsten bahnbrechenden Erkenntnisse jedoch sind in den letzten beiden Spalten des dritten Berichts enthalten. Die Autoren erwähnten in diesem Absatz zuerst die wissenschaftliche Bedeutung der folgenden Erörterungen: »Abgesehen von den genannten, die praktische Seite der Frage, die Immunisirung betreffenden Ergebnissen, hat nun die Commission noch über Resultate zu berichten, welche von nicht geringem wissenschaftlichen Interesse sind und, soweit sich jetzt schon urtheilen lässt, für die weitere Erforschung nicht nur der Maul- und Klauenseuche, sondern auch zahlreicher anderer ¡nfectionskrankheiten der Menschen und Thiere von weittragender Bedeutung werden können.« Ihre geradezu prophetischen Worte sollten sich voll erfüllen. Es gelang ihnen nämlich, auch mit dem Lymphmaterial, das Porzellanfilter durchlaufen hatte, die gleichen Krankheitserscheinungen wie mit nativer Blasenlymphe auszulösen. Um sicherzugehen, daß nicht doch eine unerkannte. Infektion oder bisher nicht bekannte Bakterien die Ursache waren, setzte man der Versuchslymphe eine reichliche Menge einer kulturell leicht nachweisbaren Bakterienart, Bacillus fluorescens, zu. Alle auf diese Weise geprüften Filtrate erwiesen sich jedoch als bakterienfrei. So blieben zur Erklärung dieses merkwürdigen Phänomens noch zwei Möglichkeiten offen. Es konnte sich einmal bei dem Auftreten der Erscheinungen der Maulund Klauenseuche um eine Giftwirkung handeln - Loeff1er selbst hatte ja beim Diphtheriebazillus Stoffwechselprodukte isolieren können, die unabhängig von ihm Pierre Paul Emile Roux (1853-1933) und Alexandre Yersin (1863-1943) näher studiert und als Ektotoxmne erkannt hatten -, oder es handelte sich um einen Erreger, der so klein war, daß er die Filter passieren konnte:

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»Wie war diese auffallende Thatsache zu erklären? Für die Erklärung gab es zwei Möglichkeiten: Entweder enthielt die bacterienfrei fïltrirte Lymphe ein gelöstes, ausserordentlich wirksames Gift, oder aber die bisher noch nicht auffindbaren Erreger der Seuche waren so klein, dass sie die Poren eines Filters, welches die kleinsten bekannten Bacterien sicher zurückhielt, zu passiren imstande waren.« Damit waren die beiden Autoren auf dem richtigen Wege. Mit Hilfe eines einfachen Rechenexempels konnte Loeffler schnell nachweisen, daß für eine Giftwirkung hei der erheblichen Verdünnung, die die geringe Schutzimpfungsdosis im Organismus des behandelten Tieres erlebte, ein Giftwert von 1 : 2/2 Trillionen angenommen werden müßte, und er betonte mit Recht: »Eine derartige Giftwirkung wäre einfach unglaublich.«

Zudem gelang der bei Tetanus inzwischen leicht zu führende Nachweis des Giftes im Blut und in den Organen bei den an Maul- und Klauenseuche erkrankten Tieren nicht. Loeffler und Frosch folgerten daher: »Es lässt sich deshalb die Annahme nicht von der Hand weisen, dass es sich bei den Wirkungen der Filtrate nicht um die Wirkungen eines gelösten Stoffes handelt, sondern um die Wirkung vermebrungsfähiger Erreger. Diese müssten dann freilich so klein sein, dass sie die Poren eines auch die kleinsten Bacterien sicher zurückhaltenden Filters zu passiren vermöchten. Die kleinsten bisher bekannt gewordenen Bacterien sind die von Pfeiffer aufgefundenen Bacillen der Influenza. Sie haben eine Länge von 0,5 bis 1 t. Wären die supponirten Erreger der Maui- und Klauenseuche nur /io oder selbst nur so groß wie diese, was ¡a durchaus nicht unmöglich wäre, so würden sie nach der Berechnung des Professor Abbe in Jena über die Grenze der Leistungsfähigkeit unserer Mikroskope, auch mit den besten modernen Immersionssystemen nicht mehr erkennbar sein. Es würde damit für die Vergeblichkeit der angestrengten Versuche, die Erreger in der Lymphe mit dem Mikroskope zu entdecken, eine sehr einfache Erklärung gefunden sein.« Richard Pfeiffer (1858-1945) hatte im Jahre 1892 die heute als Haemophilus influenzae bezeichneten Bakterien als Erreger der damals grassierenden Grippe erkannt, und der berühmte Physiker Ernst Abbe (1840-1905) hatte bei Zeiss in Jena 1878 die Olimmersion eingeführt und 1886 die achromatischen Objektive und die nach ihm benannten Kondensoren konstruiert und galt in jener Zeit als der beste Experte auf dem Gebiet der Mikroskopie.

Noch konnten Loeffler und Frosch das von ihnen vermutete, ja durch ihre indirekten Untersuchungen nachgewiesene Virus nicht sichtbar machen, doch sie erkannten sofort die Konsequenzen, die ihre Entdeckung haben mußte, wenn sie auch auf andere Infektionskrankheiten übertragen werden konnte: »Wenn es sich durch die weiteren Untersuchungen der Commission bestätigen sollte, dass die liltratwirkungen, wie es den Anschein hat, in der That durch solche winzigsten Lebewesen bedingt sind, so liegt der Gedanke nahe, dass auch die Erreger zahlreicher anderer Infectionskrankheiten der Menschen und Thiere,

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so der Pocken, der Kuh pocken, des Scharlachs, der Masern, des Flecktyphus, der Rinder pest u.s.f., welche bisher vergeblich gesucht worden sind, zur Gruppe dieser allerkleinsten Organismen gehören. Durch die Herstellung einer bacterien freien Kuhpockenlymphe würde dann z. B. der Agitation gegen die Schutz pokkenimp/ung die Spitze abgebrochen werden können.« Scharlach, Flecktyphus und Rinderpest sind allerdings iñ der Folgezeit als bakterielle bzw. Rickettsienerkrankungen erkannt worden, doch bei Pocken, Kuhpocken und Masern sollte sich die virale Ätiologie später bestä-

tigen, und der Hinweis, durch Herstellung einer bakterienfreien Kuhpockenlymphe die »Agitation der Impfgegner« gegen die damals nicht seltenen Sekundärinfektionen eindämmen zu können, ist hochinteressant. Schließlich folgte am Ende des dritten Berichtes ein Wunsch an das Ministerium, der auch heute fast regelmäßig von derartigen Kommissionen ausgedrückt wird: »Um diese Untersuchungen fortführen zu können, bittet di Commission um Bewilligung von Mitteln. « Sie wurden Loeffler nicht versagt, so daß es ihm schließlich gelang, 1908 auf einer kleinen Insel in der Nähe von Greifswald in Riems eine Versuchsanstalt, die sich ausschließlich der Erforschung der Maul- und Klauenseuche und der Weiterentwicklung der Schutzimpfverfahren widmete, zu errichten. Inzwischen war anstelle des Kommissionsmitgliedes Frosch Loefflers Mitarbeiter Paul Uhlenhuth (18701957) getreten, der diese ganze Entwicklung persönlich miterlebt hatte und anläßlich des hundertjährigen Gedenkens an Loefflers Geburtstag 1952 in einem Jubiläumsartikel diese Zeit noch einmal lebendig werden ließ:

»Nie werde ich vergessen, unter weich schwierigen Verhältnissen diese mühsamen, an Enttäuschungen reichen Arbeiten unter den ziemlich primitiven Verhältnissen des Greifswalder hygienischen Institutes und eines kleinen, von uns gepachteten Gehöftes mit nur zwei Dienern auch technische Assistentinnen gab es damals noch nicht durchgeführt werden mussten, wo ich die Versuchsferkel selbst auf dem Wochenmarkt einkaufte und Tausende von Rindern unter regelrechten Stierkämpfen in den bäuerlichen Stallungen mit massiven Dosen von Serum intravenös geimpft habe.« Loeffler selbst, der 1913 noch als 6ljähriger die Leitung des von Koch, seinem verehrten Lehrer, begründeten »Instituts für Infectionskrankhejten« in Berlin übernommen hatte, starb an Krebs bereits am 9. April 1915 in Berlin. Die Frage, warum die beiden Kommissionsmitglieder nicht die erste Arbeit, die sich mit der Übertragung von Krankheiten durch unsichtbare Erreger und Filter passierender Agenzien befaßte, in ihrem Bericht zitiert haben, ist leicht beantwortet. Die Abhandlung »Über die Mosaikkrankheit der Tabakspflanze« von Dimitri Alexievich Iwanowski (1864-1920), einem russischen Botaniker in St. Petersburg, erschien nämlich, allerdings in

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deutscher Sprache, in dem »Bulletin de l'Académie Impériale des Sciences St. Petersburg« Band 3, 1892, einer Akademieschrift, die in Greifswald, zumal in einem Hygienischen Institut, kaum zur Kenntnis genommen worden sein dürfte. Darüber hinaus bezogen sich die Ausführungen des russischen Botanikers ausschließlich auf eine Pflanzenkrankheit, die weder den Mediziner noch den Veterinär der Kommission besonders interessiert habei dürfte. Erst 6 Jahre nach der ersten Mitteilung von Iwanowski hat dann ein holländischer Botaniker, Martinus Willem Beijerinck (1851-1931), wiederum geradezu versteckt in den »Verhandelingen der K. Nederlandse Akademie van Wetenschappen in Amsterdam« 1898 »Über ein contagium vivum fluidum als Ursache der Fleckenkrankheit der Tabaksblätter« berichtet und die Befunde des russischen Kollegen bestätigt. So darf man mit Fug und Recht vor allem Loeffler als denjenigen betrachten, der den Gedanken einer Virusinfektion in die Human- und Veterinärmedizin eingeführt hat und mit eindeutigen, erstaunlich einfachen Versuchen diese Theorie untermauern konnte, längst bevor Alice Miles Woodruff und Ernest William Goodpasture (1886-1960) 1931 im »American Journal of Pathology« nachweisen konnten, daß Viren, die auf den üblichen Kulturmedien nicht zu züchten waren, ausschließlich auf lebender Chorioallantois-.Membran zur Vermehrung zu bringen waren und die damit der weiteren Virusforschung die grundlegenden experimentellen Möglichkeiten boten. Als es dann Wendell Meredith Stanley (geb. 1904) 1935 gelang - die kurze Mitteilung wurde in der Zeitschrift »Science« veröffentlicht -, das Virus zu isolieren, zu kristallisieren und nachzuweisen, daß es sich um ein Nucleoprotein handelt, war der Schleier endgültig gelüftet, der trotz elektronenmikroskopischer Darstellung von Viren bisher das ganze Gebiet der Virologie verdeckt zu haben schien. Loeffler erkannte den Viren die Eigenschaften »unsichtbar im Lichtmikroskop«, »unzüchtbar auf den üblichen Bakteriennährböden« und »nicht durch Bakterienfilter zurückhaltbar« zu. Heute würden diese Erklärungen der Virusnatur nicht mehr ausreichen, weil inzwischen längst erkannt ist, daß man durchaus einige große Viren mit geeigneten Färbemethoden auch im Lichtmikroskop sichtbar machen kann und die meisten Viren nur auf lebenden Zellkulturen oder Hühnerembryonen züchtbar sind, da sie keinen eigenen Stoffwechsel besitzen und, kristallisierbar, wie chemische Substanzen reagieren. Einmal abgetötet, können sie jedoch ganz im Gegensatz zu den anderen Mikroorganismen durchaus wieder durch Zusammensetzung ihrer Bausteine zur Vermehrungsfähigkeit gebracht werden, wie dies erstmals Heinz Ludwig Fraenkel Conrad (geb. 1910) und Robleycook Williams (geb. 1908) im Jahre 1955 nachweisen konnten. Prof. Dr. H. Schadewaldt Institut für Geschichte der Medizin der Universität 4 Düsseldorf, Moorenstr. S

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[Discovery of the foot-and-mouth disease virus].

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