Klinische Studie

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Schwankungen des Augeninnendrucks, Blutdrucks und okulären Perfusionsdrucks bei Glaukompatienten Diurnal Fluctuations of Intraocular Pressure, Blood Pressure, and Ocular Perfusion Pressure in Glaucoma Patients

Autoren

K. Spaniol 1, M. Schöppner 2, N. Eter 2, V. Prokosch-Willing 2, 3

Institute

1 3

Schlüsselwörter " Glaukom l " Augeninnendruck l " okulärer Perfusionsdruck l " Antiglaukomatosa l Key words " glaucoma l " intraocular pressure l " ocular perfusion pressure l " anti‑glaucomatous eye drops l

eingereicht 22. 3. 2014 akzeptiert 19. 12. 2014 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1396317 Online-publiziert 8.4.2015 Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 773–778 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0023-2165 Korrespondenzadresse Dr. Kistina Spaniol Augenklinik Universität Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf Tel.: + 49/(0)2 11/8 11 73 20 Fax: + 49/(0)2 11/8 11 62 98 kristina.spaniol@ med.uni-duesseldorf.de

Augenklinik, Universität Düsseldorf Augenklinik, Universität Münster Augenklinik, Universität Mainz

Zusammenfassung

Abstract

!

!

Hintergrund: Neben dem erhöhten Augeninnendruck als Hauptrisikofaktor für Entstehen und Fortschreiten des Glaukoms wird Schwankungen des Augeninnendrucks, Blutdrucks und okulären Perfusionsdrucks eine zunehmende Rolle zugesprochen. Über den Einfluss von antiglaukomatösen Augentropfen auf diese Parameter ist wenig bekannt. Diese Studie untersucht 1) den Zusammenhang zwischen Schwankungen des Augeninnendrucks, Blutdrucks und okulären Perfusionsdrucks und der Schwere der glaukomatösen Erkrankung sowie 2) inwieweit diese Parameter durch unterschiedliche antiglaukomatöse Augentropfen beeinflusst werden. Material und Methoden: Daten von 121 Glaukompatienten, die zwischen 2003 und 2012 ein stationäres Augeninnendruckprofil mit Langzeitblutdruckmessung erhalten hatten, wurden retrospektiv ausgewertet. Die Patienten wurden nach Defekttiefen im Gesichtsfeld und antiglaukomatöser Therapie in Gruppen unterteilt. Mittelwerte für Augeninnendruck, Blutdruck, okulären Perfusionsdruck und deren Schwankungen wurden berechnet und mit den Gruppen korreliert. Statistische Berechnungen erfolgten mit dem Programm SPSS21.0. Zum Gruppenvergleich wurden Kruskal-Wallis- und Mann-Whitney-U-Tests durchgeführt. Ergebnisse mit p ≤ 0,05 galten als signifikant. Ergebnisse: Größere Defekttiefen im Gesichtsfeld korrelierten mit höheren mittleren Augeninnendruckwerten und ‑schwankungen, nächtlichen Blutdruckabfällen und niedrigen okulären Perfusionsdrücken (p < 0,0001). Unter antiglaukomatöser Therapie zeigten sich normwertige Augeninnendruckwerte. Eine Monotherapie aus Karboanhydrasehemmern korrelierte mit den geringsten Schwankungen des Augeninnendrucks und eine 4-fach-Kombinationstherapie mit signifikant höheren Augeninnendruckwerten und ‑schwan-

Background: An elevated intraocular pressure remains the main risk factor for the development and progression of glaucoma but other factors such as fluctuations of the intraocular pressure, the blood pressure, and the ocular perfusion pressure are gaining in importance. The influence of the anti-glaucomatous therapies on these parameters is barely investigated. This study investigates 1) a correlation between the fluctuations of the intraocular pressure, the blood pressure and the ocular perfusion pressure with the severity of the glaucoma damage and 2) if these parameters can be influenced by different anti-glaucomatous therapies. Material and Methods: Data from 121 glaucoma patients who had been hospitalised for 24-hour measurements of the intraocular pressure and blood pressure between 2003 and 2012 were analysed retrospectively. The patients were divided into groups by the severity of the glaucoma damage and by their anti-glaucomatous therapy. Mean values for the intraocular pressure, the blood pressure and the ocular perfusion pressure were calculated and correlated with the individual groups. The statistical analysis was performed with SPSS21.0 using Kruskal-Wallis and MannWhitney U tests for the comparison of the groups. Results with p < 0.05 were considered statistically significant. Results: The severity of the glaucoma damage correlated significantly with higher mean values of the intraocular pressure and its fluctuations, as well as with a nocturnal decrease of the blood pressure and low mean values of the ocular perfusion pressure (p < 0.0001). The anti-glaucomatous therapy decreased the intraocular pressure to normal values. A monotherapy with carboanhydrase inhibitors correlated with the lowest fluctuations of the ocular perfusion pressure while a quadri-therapy was associated with higher values

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Klinische Studie

kungen. Die antiglaukomatöse Therapie korrelierte nicht mit dem Blutdruck und dem okulären Perfusionsdruck. Schlussfolgerung: Das Glaukom wird durch hohen Augeninnendruck, nächtliche Blutdruckabfälle und niedrige okuläre Perfusionsdrücke negativ beeinflusst. Eine KarboanhydrasehemmerMonotherapie scheint geeignet, um Augeninnendruckschwankungen zu reduzieren. Patienten mit 4-fach-Therapie sollten engmaschig kontrolliert werden; sie zeigten hohe Augeninnendruckwerte und ‑schwankungen. Das stationäre Tagestensioprofil liefert ein umfassendes Bild der Glaukomerkrankung und kann helfen, die Lokaltherapie zu optimieren oder über die Notwendigkeit einer Glaukomoperation zu entscheiden.

of the intraocular pressure and its fluctuations. The anti-glaucomatous therapy did not show an association with the blood pressure or the ocular perfusion pressure. Conclusion: Glaucoma is negatively influenced by high intraocular pressure, nocturnal blood pressure decreases and ocular perfusion pressure fluctuations. A monotherapy with carboanhydrase inhibitors seems to be sufficient to decrease fluctuations of the intraocular pressure. Patients with a quadri-therapy should be monitored regularly as they present high values of intraocular pressure and its fluctuations. A hospitalisation of the patients with 24-hour measurements of the intraocular pressure and blood pressure provides information needed to improve the therapy or decide about surgical interventions.

Einleitung

Uhrzeit und Augeninnendruck protokolliert. Bei jedem Patienten erfolgte parallel eine kontinuierliche 24-Stunden-Blutdruckmessung. Die Blutdruckmessung erfolgte zwischen 6 und 22 Uhr alle 15 und zwischen 22 und 6 Uhr alle 30 Minuten automatisch mit dem Überwachungsgerät 90 217 der Firma „Spacelabs Healthcare“ (Nürnberg, Deutschland). Nächtliche Blutdruckabfälle wurden nach Höhe des Blutdruckabfalls in Prozent vom mittleren Tagesblutdruck klassifiziert: „Non-Dipper“, < 10% Blutdruckabfall; „Normal-Dipper“, Abfall zwischen 10 und 20 %; „Extreme-Dipper“, > 20 % Blutdruckabfall. Der okuläre Perfusionsdruck wurde aus der Augeninnendruckmessung und der Blutdruckmessung zu den jeweiligen Zeitpunkten der Augeninnendruckmessung errechnet. Dieser ergab sich aus der Formel: 2⁄3 × (2⁄3 × diastolischer Blutdruck + 1⁄3 × systolischer Blutdruck) – IOD.

!

Das Glaukom ist eine chronische Erkrankung multifaktorieller Genese, bei der es zu einem langsam fortschreitenden Gesichtsfeldverlust kommt. Erhöhter Augeninnendruck gilt als Hauptrisikofaktor für das Entstehen und Fortschreiten des Glaukoms [1]. Großangelegte Studien haben jedoch gezeigt, dass der Augeninnendruck als alleiniger Risikofaktor zur Erklärung nicht ausreicht, sodass andere Faktoren an Bedeutung gewinnen [2]. In diesem Zusammenhang ist der Einfluss von pathologischen Schwankungen des Augeninnendrucks, des Blutdrucks und des okulären Perfusionsdrucks auf die Glaukomerkrankung vermehrt diskutiert worden [1, 3, 4]. Da erhöhter Augeninnendruck derzeit der am besten zu beeinflussende Faktor in der Pathogenese des Glaukoms ist, kommt der augeninnendrucksenkenden Therapie eine entscheidende Bedeutung zu. Eine effektive Augeninnendrucksenkung kann das Fortschreiten der Erkrankung deutlich reduzieren [3, 5]. Zur Therapie des chronischen Offenwinkelglaukoms stehen dabei β-Blocker, Prostaglandine, Karboanhydrasehemmer und Sympathomimetika zur Verfügung [2]. Neben ihrer augeninnendrucksenkenden Wirkung vermögen die verschiedenen antiglaukomatösen Therapien auch Einfluss auf den Blutdruck, den okulären Perfusionsdruck und die Schwankungen der jeweiligen Parameter zu nehmen. Dieser Einfluss der antiglaukomatösen Therapie ist bislang kaum untersucht worden. In dieser Arbeit konnte bestätigt werden, dass neben dem Augeninnendruck auch Blutdruck und okulärer Perfusionsdruck und deren Schwankungen positiv mit der Defekttiefe im Gesichtsfeld korrelieren. Es wurde außerdem untersucht, inwieweit verschiedene augeninnendrucksenkende Therapien die o. g. Parameter und die damit verbundenen Gesichtsfelddefekte beeinflussen.

Methoden !

In einer retrospektiven Studie wurden die Daten von 121 Patienten mit Offenwinkelglaukom, die zwischen 2003 und 2012 ein stationäres Tagestensioprofil erhielten, ausgewertet. Das Durchschnittsalter betrug 66 ± 15 Jahre. 60 % waren Frauen und 40 % Männer.

Messung von Augeninnendruck und Blutdruck und Berechnung des okulären Perfusionsdrucks Der Augeninnendruck wurde mithilfe der Goldmann-Applanationstonometrie täglich zwischen 8 und 24 Uhr alle 4 Stunden über 72 Stunden gemessen und auf einem Standardbogen mit

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Unterteilung der Patienten anhand der mittleren Defekttiefen in der Perimetrie Es wurden Patienten eingeschlossen, die am Aufnahmetag eine 30°-Weiß-auf-Weiß-Perimetrie erhalten hatten. Die perimetrischen Untersuchungen wurden mit dem Humphrey-Perimeter (Carl Zeiss, Jena, Deutschland), Programm 30/2 SITA durchgeführt. Bei einer Hintergrundleuchtdichte von 31,5 asb wurde an 76 Punkten des Gesichtsfelds eine Prüfmarke projiziert. Anhand der gemessenen mittleren Defekttiefe (MD) in der Perimetrie erfolgte eine Unterteilung der Patienten in Gruppen: A) MD < 10 dB, B) MD von 10–19 dB, C) MD von 20–30 dB sowie D) MD " Tab. 1). > 30 dB (l

Einteilung der Patienten nach der antiglaukomatösen Medikation Um die Auswirkungen der augeninnendrucksenkenden Therapie auf die Schwankungen von Blutdruck, Augeninnendruck und okulärem Perfusionsdruck zu ermitteln, wurden die Patienten anhand ihrer augeninnendrucksenkenden Medikation in unterschiedliche Gruppen eingeteilt: gesunde Patienten ohne augeninnendrucksenkende Therapie, Glaukompatienten mit Monotherapien und Patienten mit 2-fach-, 3-fach- oder 4-fach-Kombinationstherapien. Eine Auflistung der Patienten und ihrer medika" Tab. 2 gegeben. mentösen Therapie ist in l

Statistische Auswertung Die Mittelwerte und Schwankungsbreiten von Augeninnendruck, Blutdruck und okulärem Perfusionsdruck wurden dem Glaukomstadium und der Medikation des Patienten zugeordnet. Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit dem Programm SPSS Statistics 21.0 (Berlin, Deutschland). Für den Augeninnendruck, Blutdruck und okulären Perfusionsdruck sowie die

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Klinische Studie

Anzahl der Patienten

mittleres Alter [Jahre]

Anteil vom Gesamtkollektiv

< 10 dB 10–19 dB 20–30 dB > 30 dB

52 30 29 10

62 72 76 69

43% 25% 24% 8%

Medikation keine Karboanhydrasehemmer Prostaglandine Prostaglandine + Karboanhydrasehemmer β-Blocker + Prostaglandine β-Blocker + Karboanhydrasehemmer + Prostaglandine Sympathomimetika + Karboanhydrasehemmer + Prostaglandine Sympathomimetika + Karboanhydrasehemmer + Prostaglandine + β-Blocker

Schwankungsbreiten der Messungen in den unterschiedlichen Glaukomstadien und Medikamentengruppen wurden Mittelwerte (MW) und Standardabweichungen (± SD) berechnet. Unterschiede zwischen den Gruppen wurden mit dem Mann-Whitney-U-Test und dem Kruskal-Wallis-Test ermittelt. Bei einem pWert unter 0,05 galt das Ergebnis als statistisch signifikant. Bei Mehrfachtestung wurde ein Bonferroni-Holm-korrigiertes Signifikanzniveau von p ≤ 0,01 angewendet.

Ergebnisse !

Bei 6 Patienten lag ein Pseudoexfoliationsglaukom, bei den restlichen ein primäres Offenwinkelglaukom vor. Die beiden Gruppen zeigten keinen signifikanten Unterschied des Augeninnendrucks, der Augeninnendruckschwankungen oder des Blutdrucks (p > 0,05), sodass die weitere Auswertung anhand einer Einteilung nach der Defekttiefe erfolgte. 52 Patienten hatten eine bekannte arterielle Hypertonie und erhielten eine systemische Blutdruckmedikation.

Zusammenhang der mittleren Defekttiefe mit Augeninnendruck, Blutdruck, okulärem Perfusionsdruck und deren Schwankungen Der mittlere Augeninnendruck unter Therapie lag bei 16 ± 4 mmHg und somit auf dem Niveau gesunder Kontrollpatienten. Die Höhe des Augeninnendrucks korrelierte im Mittel signifikant positiv mit der Defekttiefe. Patienten mit der größten mittleren Defekttiefe zeigten den höchsten mittleren Augeninnendruck (Defekttiefe: < 10 dB [p = 0,0039, 10–19 dB [p = " Abb. 1 a). 0,004]; l Die mittlere Schwankung des Augeninnendrucks lag bei 5 ± 3 mmHg. Es bestand ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Höhe der Augeninnendruckschwankungen und der mittleren Defekttiefe. Auch hier wurde der höchste Wert bei den Patienten mit einer mittleren Defekttiefe > 30 dB gemessen. Dieser Wert unterschied sich signifikant von den Patientengruppen mit einer Defekttiefe von < 10 dB (p < 0,0001) und 10–19 dB " Abb. 1 b). (p = 0,002; l Der mittlere systolische/diastolische Blutdruck lag bei 130 ± 19/ 78 ± 13 mmHg. Die mittleren Blutdruckwerte bei den unter-

Anzahl der

Anteil vom

Patienten

Gesamtkollektiv

13 8 14 11 12 23 6 34

11% 7% 11% 9% 10% 19% 5% 28%

Tab. 1 Einteilung der Patienten nach den Defekttiefen (dB, Dezibel).

Tab. 2 Einteilung der Patienten nach der antiglaukomatösen Therapie.

schiedlichen Defekttiefen zeigten keine signifikanten Unterschiede. Bezüglich der Tages-Nacht-Schwankungen zeigten pathologische nächtliche Blutdruckabfälle signifikante Zusammenhänge mit der Defekttiefe (p < 0,0001). Die größte Defekttiefe wurde bei der Blutdruckgruppe der „Non-Dipper“ gemessen. Der mittlere okuläre Perfusionsdruck lag bei allen Patienten unter 50 mmHg. Die Patientengruppe mit einer mittleren Defekttiefe > 30 dB zeigte den geringsten Mittelwert. Dieser unterschied sich signifikant von den Werten der Patientengruppe mit einer " Abb. 2). Die SchwankunDefekttiefe von 10–19 dB (p < 0,006; l gen des okulären Perfusionsdrucks lagen zwischen 11 und 13 mmHg. Patienten mit verschiedenen Defekttiefen zeigten keine signifikanten Unterschiede.

Zusammenhang der antiglaukomatösen Medikation mit Augeninnendruck, Blutdruck, okulärem Perfusionsdruck und deren Schwankungen Der Augeninnendruck von Patienten unter Therapie zeigte eine Angleichung an den der gesunden Probanden. Den geringsten mittleren Augeninnendruck hatten Patienten, die mit einer 3fach-Kombinationstherapie aus Sympathomimetika, Karboanhydrasehemmern und Prostaglandinen behandelt wurden (14 ± 3 mmHg). Den höchsten mittleren Augeninnendruck zeigten Patienten, die mit einer 4-fach-Kombinationstherapie aus Sympathomimetika, Prostaglandinen, β-Blockern und Karboanhydrasehemmern behandelt wurden (20 ± 7 mmHg). Diese Patienten zeigten auch die stärksten Schwankungen des Augeninnendrucks (6 ± 4 mmHg). Die geringsten Schwankungen hatte die Medikamentengruppe der Karboanhydrasehemmer (4 ± 3 mmHg). Patienten mit 4-fach-Kombinationstherapie (Sympathomimetika, Prostaglandinen, β-Blockern und Karboanhydrasehemmern) zeigten den niedrigsten mittleren okulären Perfusionsdruck (44 ± 12 mmHg). Die höchsten Werte wurden bei Patienten mit Prostaglandinmonotherapie gemessen. Die Schwankungen des okulären Perfusionsdrucks lagen in allen Medikamentengruppen zwischen 9 und 12 mmHg.

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Defekttiefe

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Abb. 1 Zusammenhang zwischen Augeninnendruckwerten und ‑schwankungen mit der Defekttiefe des Glaukoms. a Die Augeninnendruckwerte in mmHg (IOD, y-Achse) und b die Schwankungen des Augeninnendrucks in

mmHg (Schwankung IOD, y-Achse) zeigten bei den Patienten mit Defekttiefen > 30 dB (x-Achse) die höchsten Mittelwerte (*p < 0,001). Die Fehlerbalken geben das 95 %-Intervall wieder.

Zusammenhang zwischen Augeninnendruck, Augeninnendruckschwankungen und Defekttiefe

Abb. 2 Zusammenhang zwischen dem okulärem Perfusionsdruck und der Defekttiefe des Glaukoms. Der okuläre Perfusionsdruck in mmHg (OPD, y-Achse) zeigte bei den Patienten mit Defekttiefen > 30 dB (x-Achse) die höchsten Mittelwerte (*p = 0,029). Die Fehlerbalken geben das 95%Intervall wieder.

Diskussion !

Erhöhter Augeninnendruck gilt als Hauptrisikofaktor in der Pathogenese des Glaukoms. Weitere kausale Faktoren, wie Schwankungen des Augeninnendrucks und Blutdrucks und pathologische Veränderungen des okulären Perfusionsdrucks, werden als Risikofaktoren angesehen [3]. Der Senkung des Augeninnendrucks kommt immer noch die entscheidende therapeutische Bedeutung zu, da hierdurch das Risiko für das Fortschreiten der Erkrankung nachweislich deutlich reduziert werden kann [3, 5]. Zur Therapie stehen dabei β-Blocker, Prostaglandine, Karboanhydrasehemmer und Sympathomimetika zur Verfügung [2].

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In dieser Arbeit bestätigte sich der in anderen Arbeiten beschriebene positive Zusammenhang zwischen der Stärke der Defekttiefe des Glaukoms und der Höhe des Augeninnendrucks [3, 5, 6]. Auch die Augeninnendruckschwankungen korrelierten positiv mit der Defekttiefe. Die Rolle der Augeninnendruckschwankungen für die Glaukomprogression wird kontrovers diskutiert. Während einige Studien den Einfluss von Augeninnendruckschwankungen auf die Glaukomprogression gering einschätzen, fanden Studien von Bergea et al., OʼBrien et al. und Stewart et al. sowie die Advanced Glaucoma Intervention Study einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Stärke der Augeninnendruckschwankungen und der Zunahme von Gesichtsfeldverlusten [7, 8]. Unsere Arbeit bestätigte die letztgenannten Ergebnisse. Augeninnendruckschwankungen sind nur durch mehrmals tägliche Augeninnendruckmessungen sicher detektierbar und stationäre Tagestensioprofile daher zum Ausschluss von Druckschwankungen und Überprüfung der Therapieeffektivität bisher unerlässlich [9]. Die selbständige Messung des Patienten mit einer Online-Übermittlung der Augeninnendruckwerte an den betreuenden Augenarzt stellt eine zukünftige kostengünstige Alternative da, die allerdings eine gute Patientencompliance voraussetzt [10]. Innovative Neuerungen, die kontinuierliche 24Stunden-Messungen erlauben (z. B. mit einem Sensor über eine Kontaktlinse), befinden sich derzeit noch in den Anfängen, könnten jedoch bald ein besseres Monitoring und eine bessere Steuerung der Augeninnendruckwerte beim Glaukom ermöglichen [11].

Einfluss der antiglaukomatösen Medikation auf den Augeninnendruck und seine Schwankungen Unter antiglaukomatöser Therapie konnte im Mittel eine Senkung des Augeninnendrucks auf Normwerte erreicht werden. Die effektivste Augeninnendrucksenkung wurde dabei mit einer 3-fach-Kombinationstherapie aus Prostaglandinen, Sympathomimetika und Karboanhydrasehemmern erreicht. Allerdings hatte eine 4-fach-Kombinationstherapie in dieser Studie keinen weiteren Mehrwert. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass

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Zusammenhang zwischen Blutdruck, Blutdruckschwankungen und Defekttiefe In der Literatur werden starke Blutdruckschwankungen als isolierter Risikofaktor für die Progression eines Glaukoms angesehen. Sie bewirken einen Abfall des retinalen Blutflusses, wodurch in der Folge retinale Ganglienzellen absterben [15, 16]. Besonders fehlende („Non-Dipper“) oder zu starke („Extreme-Dipper“) nächtliche Blutdruckabfälle gelten als Risikofaktor [17]. In dieser Studie zeigten die „Non-Dipper“ signifikant größere Defekttiefen als die „Normal-Dipper“. Dieses Ergebnis bestätigt den beschriebenen Zusammenhang zwischen Gesichtsfeldverlusten und dem fehlenden Abfall des nächtlichen Blutdrucks [18].

Zusammenhang zwischen dem okulärem Perfusionsdruck, Schwankungen des Perfusionsdrucks und der Defekttiefe Entscheidend für eine adäquate Versorgung der okulären Strukturen ist ein ausreichender und konstanter okulärer Perfusionsdruck. Ein Abfall des Perfusionsdrucks mit Minderversorgung des Gewebes gilt als Risikofaktor für die Progression eines Glaukoms [20]. Nach der Rotterdam Eye Study besteht bei Patienten mit Werten unter 50 mmHg ein 4-fach höheres Glaukomrisiko als bei Patienten mit einem Perfusionsdruck von 80 mmHg [21]. Weitere Studien bestätigen den Zusammenhang zwischen einem niedrigen okulären Perfusionsdruck und der Progression eines Glaukomschadens [22, 23]. Auch in dieser Arbeit konnte ein entsprechender Zusammenhang gezeigt werden. Bei einer mittleren Defekttiefe von mehr als 30 dB zeigte sich ein signifikant niedrigerer okulärer Perfusionsdruck (p < 0,0001). Eine konstante Anhebung des okulären Perfusionsdrucks > 50 mmHg ist somit ein wichtiges Therapieziel. Auch die Schwankungen des okulären Perfusionsdrucks korrelieren nach Ansicht einiger Autoren mit der Defekttiefe bei Glaukompatienten [4, 16]. Ein solcher Zusammenhang zeigte sich in dieser Arbeit nicht. Möglicherweise lag bei den untersuchten Probanden noch eine intakte Autoregulation vor, die im Normalfall die Schwankungen des okulären Perfusionsdrucks ausgleicht [24].

Einfluss der antiglaukomatösen Medikation auf den okulären Perfusionsdruck und seine Schwankungen In dieser Arbeit zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen der antiglaukomatösen Medikation und der Höhe des okulären Perfusionsdrucks. Allerdings hatten Patienten, die mit der 4-fach-Kombinationstherapie aus Sympathomimetika, Prostaglandinen, β-Blockern und Karboanhydrasehemmern behandelt wurden, im Mittel mit 44 mmHg einen noch niedrigeren Perfusionsdruck als andere Medikamentengruppen. Die Literatur liefert keine einheitlichen Ergebnisse zum Einfluss der antiglaukomatösen Medikation auf den okulären Perfusionsdruck, außer dass ein positiver Einfluss von Prostaglandinen zu bestehen scheint. Die Patientenzahlen in den unterschiedlichen Medikamentengruppen waren in dieser Studie zu klein, um direkte Vergleiche vornehmen zu können.

Schlussfolgerung Einfluss der antiglaukomatösen Medikation auf den Blutdruck und die Blutdruckschwankungen Antiglaukomatöse Wirkstoffgruppen – wie die Prostaglandine, Karboanhydrasehemmer, Sympathomimetika und β-Blocker – wirken kardiogen und vasoaktiv und können somit systemische Blutdruckveränderungen hervorrufen [19]. Auch wenn sich in dieser Arbeit keine signifikanten Unterschiede des systemischen Blutdrucks zwischen den einzelnen Gruppen zeigten, kommt dem systemischen Blutdruck eine wichtige Bedeutung bei der Progression eines Glaukomschadens zu. Für Erkennen und Therapie pathologischer Blutdruckwerte und ‑schwankungen sind eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit internistischen Fachabteilungen, z. B. im Rahmen eines stationären Tagestensioprofils, wichtig.

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Zusammenfassend zeigte sich in dieser Arbeit, dass neben dem Augeninnendruck auch Augeninnendruckschwankungen, ein fehlender nächtlicher Blutdruckabfall („Non-Dipper“) und ein niedriger okulärer Perfusionsdruck mit der Defekttiefe bei Glaukompatienten korrelierten. Karboanhydrasehemmer könnten hierbei positive Effekte auf den okulären Perfusionsdruck haben. Ein stationäres Tagestensioprofil bietet die Möglichkeit, alle genannten Glaukomrisikofaktoren zu erfassen und Pathologien früh zu erkennen. Auf dieser Grundlage kann eine interdisziplinäre Therapie eingeleitet oder über eine Operationsindikation entschieden werden. Bei Patienten mit 4-fach-Therapie nimmt die Tropfcompliance stark ab. Gegebenenfalls sollte eine operative Intervention zur Stabilisierung der Augeninnendruckwerte hier frühzeitiger überdacht werden. Die Schwäche dieser Studie ist eindeutig das retrospektive Studiendesign. Für zielführende Therapieempfehlungen, insbesondere zur genauen Klärung der Augeninnendruckwerte und deren Effekte bei unterschiedlichen

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die Tropfcompliance bei 4-fach-Therapie erheblich nachlässt, sodass die schlechteren Ergebnisse in dieser Gruppe durch eine geringe Compliance erklärt sein könnten [12]. Analog hierzu ist eine große Anzahl an Tropfpräparaten ein bekanntes Risiko für eine geringe Therapietreue durch z. B. Vergessen der Augentropfen, Probleme bei der Tropfenapplikation oder die Tropfenapplikation zum falschen Zeitpunkt [9, 13]. Auch die Augeninnendruckschwankungen, die bei Glaukompatienten nachweislich erhöht sind, lagen unter antiglaukomatöser Therapie in unserer Studie in normwertigen Bereichen, wobei unter Monotherapie mit Karboanhydrasehemmern die niedrigsten Schwankungen des Augeninnendrucks beobachtet wurden. Andere Studien konnten bereits zeigen, dass Karboanhydrasehemmer die tageszeitlichen Schwankungen des Augeninnendrucks konstant senken, da ihre Wirkung während der Nacht erhalten bleibt. Die Langzeitschwankungen konnten teilweise unter 1 mmHg gesenkt werden [14]. Unsere Ergebnisse bestätigen die positiven Effekte von Karboanhydrasehemmern. Patienten mit einer 4-fachKombinationstherapie aus Sympathomimetika, Prostaglandinen, β-Blockern und Karboanhydrasehemmern zeigten die höchsten mittleren Augeninnendruckwerte und Augeninnendruckschwankungen und die größte Defekttiefe im Gesichtsfeld. Wie bereits oben erwähnt, kann dies auf eine geringere Tropfcompliance unter 4-fach-Therapie zurückzuführen sein. Allerdings ist es auch möglich, dass Patienten mit 4-fach-Kombinationstherapie diejenigen waren, die schon einen fortgeschrittenen Glaukomschaden und somit größere Gesichtsfelddefekte hatten. Bei Befundprogression ist in Fällen ineffektiver 4-fach-Therapie daher die chirurgische Intervention das Mittel der Wahl.

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Klinische Studie

Ätiologien des chronischen Offenwinkelglaukoms, sind prospektive Studien an größeren Patientenkollektiven erforderlich.

Danksagung

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11

!

Diese Arbeit wurde mit der Unterstützung des Dekanats der Medizinischen Fakultät in Münster angefertigt.

12 13

14

Interessenkonflikt !

Nein.

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Literatur

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[Diurnal Fluctuations of Intraocular Pressure, Blood Pressure, and Ocular Perfusion Pressure in Glaucoma Patients].

An elevated intraocular pressure remains the main risk factor for the development and progression of glaucoma but other factors such as fluctuations o...
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