Referiert – kommentiert

Referat

P. Kovacs

Beeinflussen epigenetische Faktoren das Körpergewicht? Ref rierkom entiert Lancet 2014; 383: 1990–1998 Hintergrund: Übergewicht stellt in vielen Ländern ein großes gesundheitliches und volkswirtschaftliches Problem dar. Deshalb befassen sich auch Humangenetiker mit der Frage, ob hier Erbfaktoren ein Rolle spielen und ob sich diese beeinflussen lassen. Auch wenn bereits einige Assoziationen zwischen Genvarianten und BMI belegt sind, ist über die Rolle epigenetischer Faktoren bisher noch wenig bekannt. Dick et al. untersuchten den Zusammenhang zwischen BMI und der Methylierung der CpG-Genorte, die ein wichtige Rolle in der Genregulation spielen. Methoden: Die Forscher testeten zunächst das Genom von 479 Europäern auf Assoziationen zwischen BMI und der Methylierung der CpG-Genorte. Die signifikanten Ergebnisse überprüften sie erneut an einer weiteren Kohorte von 339 europäischen Probanden. Genorte, deren Methylierungsgrad

auch im zweiten Durchlauf eine signifikante Korrelation zum BMI aufwiesen, dienten als Zielparameter einer Analyse an 1789 weißen Personen europäischen Ursprungs. Außerdem untersuchte das Studienteam, ob das Methylierungsniveau der identifizierten Genorte auch in Fettgewebs(n=635) und Hautproben (n=395) von weißen weiblichen Testpersonen einen signifikanten Zusammenhang zum BMI zeigte. Ergebnisse: Die Genorte cg22891070, cg27146050 und cg16672562, die sich alle in Intron 1 des HIF3A-Gens befinden, erwiesen sich in allen Kohorten mit dem BMI assoziiert. Für das HIF3A-Gen war bisher kein Zusammenhang mit Adipositas bekannt. Jede Zunahme des Methylierungsgrades von cg22891070 um 10% ging mit einem erhöhten BMI einher: in der ersten Kohorte um 3,6% (95%-Konfidenzintervall [KI] 2,4– 4,9), in der zweiten um 2,7% (1,2–4,2) und in der dritten Kohorte um 0,8% (0,2–1,4).

Dieser Effekt zeigte sich bei Patienten, die bereits einen Herzinfarkt erlitten hatten, deutlicher als in einer Subgruppe von Blutspendern. Im Fettgewebe fand sich eine hochsignifikante Korrelation zwischen BMI und dem Methylierungsgrad mit p=1,72 × 10-5 . Im Hautgewebe gab es dagegen keine signifikante Korrelation (p=0,882).

Folgerung: Ein erhöhter BMI geht bei Europäern mit einer verstärkten Methylierung des HIF3A-Gens in Blut- und Fettzellen einher, so die Autoren. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass eine Störung des HIF(hypoxia inducible transcription factor-) -Signalwegs mit Übergewicht assoziiert ist. Obwohl der erhöhte Methylierungsgrad an diesem Genort nicht Auslöser, sondern Folge des Übergewichts zu sein scheint, hoffen die Wissenschaftler hier einen Ansatzpunkt zur Therapie der Adipositas zu finden. Dr. med. Peter Pommer, Oberammergau

Kommentar

Die Ära der epigenome-association-studies in der Adipositas hat begonnen Die genomweiten Assoziationsstudien haben zur Identifizierung von zahlreichen Adipositas-assoziierten Genen beigetragen. Allerdings sind aufgrund der funktionalen Komplexität des Genoms wie auch der Prof. Dr. P. Kovacs, komplexen Ätiologie Leipzig der Fettleibigkeit weitere Forschungsstrategien notwendig. Dabei scheinen jene Ansätze relevant zu sein, die sich mit der genomischen Variabilität beschäftigen, die nicht auf die Sequenzänderungen zurückzuführen ist. In diesem Kontext rückten vor allem epigenetische Prozesse wie DNA- oder Histon-Modifikationen in den Fokus der Forschung. Dick und Kollegen veröffentlichten im renommierten „The Lancet“ ihre Studie, in der erstmals eine systematische Analyse der Assoziation zwischen der DNA-Methylierung und dem BMI durchgeführt wurde. Die Autoren berichten von einem starken, positiven statistischen Zusammenhang zwischen der Methylierung

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139, Nr. 38

des HIF3A-Gens und dem BMI. Dabei wird gezeigt, dass ein Anstieg der Methylierung an bestimmten Positionen dieses Gens um 10% mit einem erhöhten BMI (um 0,98 kg/ m2) einhergeht. Dies mag aus der klinischen Sicht zunächst wenig spektakulär erscheinen. Im Vergleich zu den bekannten Effektstärken genetischer Risikovarianten für Adipositas sind die hier beschriebenen Auswirkungen jedoch relativ hoch. Betrachtet man beispielsweise das Adipositas-Risikoallel im Polymorphismus des FTO-Gens, das bis dato die stärksten Effekte auf den BMI vermittelt, geht dieses „nur“ mit einem BMI-Anstieg von 0,39 kg/ m2 einher. Trotz der Hoffnungen, die die Studie von Dick et al. bei der Erklärung der Pathomechanismen der Adipositas wecken könnte, müssen in epigenetischen Studien eine Reihe von Faktoren wie das Alter, das Geschlecht sowie auch verschiedene Umwelteinflüsse (Ernährung, Medikation) berücksichtigt werden. Ein wichtiger Aspekt der Epigenetik ist deren organspezifischer Charakter. Hier zeigt die Arbeit, dass das Blut – manchmal das einzig verfügbare Biomaterial – zum initia-

len Screening sehr gut geeignet ist und gekoppelt mit einer Validierung im spezifischen Organ (z.B. Fettgewebe) zur Entdeckung neuer krankheitsrelevanter Gene führen kann. Ein weiterer Punkt besteht darin zu klären, ob die Veränderung in der DNAMethylierung die Ursache oder die Konsequenz der Adipositas ist. Hier haben die Autoren gezeigt, dass die Hypermethylierung des HIF3A-Gens höchstwahrscheinlich eine Folge der erhöhten Gewichtszunahme darstellt. Allerdings könnte auch eine nichtkausale Assoziation der Methylierung mit einem bestimmten Phänotyp informativ sein, z.B. als diagnostischer oder prognostischer Biomarker. Zusammenfassend könnte die Studie von Dick et al. in der Adipositasforschung eine aufregende Ära der epigenomeassociation-studies eröffnen, die auch bei anderen Krankheitsbildern (z.B. Multiple Sklerose) gerade angefangen hat. Prof. Dr. Peter Kovacs Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen, Medizinische Fakultät, Universität Leipzig Interessenkonflikte: keine DOI 10.1055/s-0033-1353916

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[Do epigenetic factors have an influence on body weight? The era of epigenome-association-studies in adipositas research has begun].

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