DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT

Nr. 46 Jahrgang 104

Stuttgart, 16. November 1979

Dtsch. med. Wsche. 104 (1979), 1619-1622

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

- ein therapeutischer Irrweg?

Gewisse Aspekte der Arzneitherapie haben in letzter Zeit wiederholt in unliebsamer Weise das Interesse der Öffentlichkeit geweckt, einmal ausgehend von vereinzelten Auswüchsen der Produktentwicklung oder Produkt-

vermarktung, zum anderen generell wegen der expansiven Kostenentwicklung auf diesem Sektor.

Arzt und Apothekçr sind dieser Problematik sehr eng konfrontiert, da sie die Schlüsselstellungen bei der Arzneirnittelanwendung innehaben. Von ihnen wird deshalb eine rationale Verhaltensweise erwartet.

Wenn man erfahrenen Ärzten die Frage stellt, wie viele Medikamente sie für die übliche Ailgemeinpraxis bei kritischer Indikationsstellung zu benötigen glauben, so bekommt man meist Zahlen in der Größenordnung von einigen Hundert genannt. Das stimmt mit Erhebungen des National Health Service in den USA überein, die

ergeben haben, daß der durchschnittliche Arzt kaum mehr als 400 Mittel verordnet. Bei Berücksichtigung der verschiedenen speziellen Fachrichtungen kommt man natiirlich insgesamt zu einer größeren Anzahl notwendiger

Präparate, aber selbst Universitätskliniken mit einem breiten Fächer von Anwendungsgebieten vermögen mit einer Gesamtpräparatezahl von 1500 bis 2500 auszukommen.

Bekanntlich ist das Arzneimittelangebot jedoch weitaus größer. Daraus ergeben sich bereits auch die ersten praktischen Schwierigkeiten, nämlich die der Auswahl der für ein bestimmtes Therapieziel geeigneten Medika-

mente aus dem Cbermaß des Angebotes. Durch den rapiden Fortschritt bei der Entwicklung neuer Präparate werden die Ärzte in ihrem Bestreben nach einer rationalen Arzneimitteltherapie teilweise überfordert, weil sie überhaupt nicht mehr Gelegenheit haben, sich mit der

Spezialist Mühe hat, sich im Dschungel dieser Phantasiebezeichnungen zurechtzufinden.

Diese Problematik ist jedoch noch relativ gering im Vergleich mit anderen gängigen Praktiken der Arzneimittelvermarktung, nämlich der Kombination von mehreren Wirkstoffen in einem Präparat. Betrachtet man allein das Arzneimittelangebot in der Roten Liste, so kann man feststellen, daß in manchen Indikationsbereichen über 90% der angebotenen Medikamente in Form von Kombinationen mehrerer Inhaltsstoffe vorliegen. Dieses Übermaß an fixen Kombinationen trägt vor allem zur Unübersichtlichkeit des Präparateangebotes bei und ist ein wesentlicher Ansatzpunkt für die öffentliche Kritik am Arzneimittelmarkt.

Die in neuerer Zeit von verschiedenen Seiten unternommenen Bemühungen, dem Arzt mit Hilfe sogenannter Transparenzlisten einen zuverlässigen Überblick über das Arzneimittelangebot zu vermitteln, vermögen leider nur sehr beschränkt zur Erhellung dieser Szene beizutragen, da als entscheidendes Vergleichskriterium immer nur die Arzneimittelpreise gewählt werden, nicht aber die für eine sachgerechte Auswahl wesentlicheren pharmazeutischen und therapeutischen Qualitätsmerkmale der Präparate.

Vorteile von Kombinationspräparaten Neben vordergründigen wirtschaftlichen Erwägungen lassen sich für die Entwicklung von Kombinationspräparaten mitunter allerdings auch therapeutisch bzw. anwendungsmäßig begründete Argumente finden (Tabelle 1). Tab. 1. Mögliche Vorteile von Kombinationspräparaten

Anwendung und mit der individuellen Auswirkung

Verstärkung der therapeutischen Wirkung Verminderung der unerwünschten Wirkungen Erweiterung des Wirkungsspektrums Verbesserung der Pharmakokinetik Bequemlichkeit der Applikation

mancher Medikamente ausreichend vertraut zu machen,

denn allzu rasch wird in neuerer Zeit für denselben Zweck ein neues Medikament angeboten, welches das Therapieziel noch besser, noch gefahrloser oder noch einfacher erreichen lassen soll, als dies mit allem anderen, was bisher auf dem Markt war, möglich ist.

Die Orientierung wird noch besonders dadurch erschwert, daß ein und derselbe Wirkstoff häufig von verschiedenen Herstellern unter verschiedenen Namensbezeichnungen angeboten wird, wobei mitunter selbst der 0012-0472/79

So besteht beispielsweise die Möglichkeit, die therapeutisch angestrebte Wirkung durch geeignete Kombination verschiedener Wirkstoffe zu verstärken, wie es etwa

bei bestimmten chemotherapeutischen Medikamenten

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Mischpräparate

Mischpräparate - ein therapeutischer Irrweg?

der Fall ist, bei denen durch sequentiellen Angriff der Einzelsubstanzen in einer biochemischen Reaktionskette der Mikroorganismen eine stärkere Wirkung erzielt wer-

den kann als dies bei noch so hoher Applikation der Einzelkomponenten allein möglich wäre. Das Paradebeispiel hierfür ist die Anwendung von Trimethoprim kombiniert mit einem Sulfonamid. Ein anderes Prinzip besteht in der Ausnutzung von Parallelbiockaden, wodurch zum Beispiel bei kombinierter Anwendung von Chemotherapeutika nicht nur eine Wirkungsverstärkung erhalten wird, sondern auch einer Resistenzentwicklung der Mikroorganismen entgegengewirkt werden kann. Ideal ist ein solches Vorgehen auch, wenn in einem komplexen physiologischen Regulationssystem an verschiedenen Stellen gleichzeitig eingegriffen wird und aus der Kombination der Einzeiwirkungen dann ein größerer therapeutischer Effekt als mit einem einzigen Wirkstoff allein resultiert.

Das Paradebeispiel hierfür ist die Behandlung des Bluthochdrucks, bei dem eine Fülle prinzipiell verschiedener Angriffsmöglichkeiten gegeben ist, die - bei geeigneter Auswahl - nicht nur eine ausreichende Senkung des Blutdruckes ermöglichen, sondern auch das Nebenwirkungsrisiko vermindern, weil (a) die erforderlichen Dosen der einzelnen Substanzen im Vergleich zu einer Monotherapie verringert werden können, (b) die unerwünschten Effekte der einzelnen Substanzen zum Teil verschieden sind, sich infolgedessen nicht addieren, und (c) bei geeigneter Auswahl die von den Einzelwirkstoffen verursachten unerwünschten Effekte sich eventuell sogar gegenseitig aufheben können. Das gilt zum Beispiel für die Kombination von Reserpin mit Diuretika oder Dihydralazin. Die Erweiterung des Wirkungsspektrums ist bekanntlich speziell bei der Therapie mit Antibiotikakombinatio-

nen von Bedeutung. Auf diesem Gebiet werden auch Verbesserungen der Pharmakokinetik bei kombinierter Anwendung, zum Beispiel eines rasch wirkenden mit einem lange wirkenden Präparat, benutzt, um beide therapeutischen Vorteile miteinander zu verknüpfen. In anderen Bereichen kann eine Verbesserung der Pharmakokinetik etwa dadurch erzielt werden, daß Arzneimittel auch mit solchen Substanzen kombiniert werden, welche die Resorption des Wirkstoffes fördern oder seinen Metabolismus bzw. seine Ausscheidung durch die Niere hemmen. Dadurch kann bei relativ niedriger Do-

sierung ebenfalls über längere Zeit ein höherer Wirkspiegel der betreffenden Substanz im Organismus erzielt werden. Diesen aus pharmakologischen Grundwirkungen ab-

leitbaren Kombinationsprinzipien steht noch die Bequemlichkeit der Applikation als weiterer Pluspunkt zur Seite, ein Argument, das in praxi immer wieder hervorgehoben wird. Es liegt natürlich auf der Hand, daß bei gleichzeitiger Applikation von mehreren Wirkstoffen - die aus medizinischen Gründen durchaus berechtigt sein kann - die Fehlermöglichkeiten bei der Einnahme mit der Zahl der Eihzelgaben ansteigen.

Dieses Problem ist vor allem dann von Bedeutung, wenn die verschiedenen Präparate nach unterschiedli-

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chen Dosierungsschemata appliziert werden oder wenn es sich um wenig kooperative oder auch ältere Patientçn handelt, die durch ein komplexes Einnahmeschema überfordert werden. Der behandelnde Arzt sieht dann häufig das kleinere Ubel darin, auch im Prinzip nicht sehr sinnvoll erscheinende Kombinationen zu verordnen, in der Hoffnung, daß doch noch ein gewisser therapeutischer Effekt eintreten möge, den er auf dem eigentlich empfehlenswerten Weg der individuellen Applikation der Einzelsubstanzen in diesen Fällen nicht erreichen kann. Selbstverständlich findet dieses Vorgehen - die Kombination von Wirkstoffen alleixi zum Zweck einer Verbesserung der »Compliance« - bei den Pharmakologen wenig Verständnis, aber die theoretischen Erwägungen stoßen beim Versuch ihrer Realisation in praxi leider allzu häufig an gewisse Grenzen, woraus jedoch noch lange keine Rechtfertigung für ein derartiges Vorgehen abgeleitet werden darf. Man hat mitunter sogar den Eindruck, daß diese Art der Verordnung eher der Bequemlichkeit des betreffenden Arztes entgegenkommt, als daß sie tatsächlich durch therapeutische Erfordernisse begründet wäre. Auf der Basis der angeführten Vorteile von Arzneimittelkombinationen lassen sich allerdings nur relativ wenige Einsatzmöglichkeiten für fixe Kombinationspräparate ableiten. Sie beschränken sich weitgehend auf folgende Bereiche: die Chemotherapie von Infektionskrankheiten, die Behandlung des Bluthochdruckes, von Schmerzen und Rheuma, sowie die hormonale Konzeptionsverhütung. Diese positive Aussage zu den Kombinationspräparaten gilt jedoch nur für jene Medikamente, deren einzelne Wirkkomporienten tatsächlich alle zur therapeutischen Wirkung beitragen und die nach pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Gesichtspunkten sinnvoll ausgewählt worden sind - was in vielen Fällen nicht zutrifft.

Nachteile von Kombinationspräparaten Die Mehrzahl der Kombinationspräparate vermag diesen Ansprüchen leider nicht gerecht zu werden. Sie weisen vielmehr gravierende Nachteile gegenüber einer siñnvollen Monotherapie auf (Tabelle 2). Tab. 2. Nachteile von Kombinationspräparaten Verlust der individuellen Dosierbarkeit pharmakokinetische Probleme Komplikationen durch Interferenzen überflüssige oder unwirksame Begleitstoffe erhöhtes Nebenwirkungsrisiko ungünstige Preisgestaltung

Ein prinzipielles Problem besteht darin, daß die mengenmäßige Zusammensetzung aus den Einzelkomponenten sich nur an der therapeutischen Wirkung bei einem Standardpatienten, einer fiktiven oder statistischen

Größe gewissermaßen, orientieren kann. Daraus geht hervor, daß keine individuelle Anpassung der Dosierung der einzelnen Wirkstoffkomponenten im fixen Gemisch möglich ist.

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Mischpräparare - ein therapeutiseher Irrweg?

Nr. 46, 16. November 1979, 104. Jg.

sind bereits mit niedrigen Dosen, andere erst mit relativ hohen Dosen ausreichend zu behandeln -, ist jede Festlegung auf eine fixe Dosis willkürlich und vermag nicht den individuellen Erfordernissen zu entsprechen. Liegen gleichzeitig mehrere Wirkstoffe in einem Ge-

misch vor, so gilt diese Beziehung natürlich für alle Komponenten unabhängig voneinander. Das kann im

muß und erst danach zusätzlich Medikamente zur Ergänzung der Therapie hinzugefügt werden dürfen und obwohl bereits seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt ist, daß - zur Vermeidung von Störungen der zirkadianen Rhythmik der Nebennierenrindenfunktion - die erforderliche Glucocorticoidapplikation in Form einer einmaligen täglichen Gabe frühmorgens erfolgen soll, im

Gegensatz zu den Antiphiogistika, die zum Teil gleichmäßig verteilt über den ganzen Tag verabreicht werden müssen.

Einzelfall bedeuten, daß der Patient vielleicht schon ausreichend gut auf eine niedrige Dosis der Komponente A anspricht, dagegen von der Komponente B möglicherweise eine besonders hohe Dosis benötigt. Die quantitative Relation beider Wirkstoffe ist jedoch in der Kombination fest vorgegeben - meist entsprechend den Dosen

Die Komplikationen durch Wechselwirkungen zwischen mehreren Stoffen spielen sich auf verschiedenen

mit dem häufigsten Wirkungserfolg -, so daß nur fol-

sowie die Beeinflussung der Löslichkeit und Freisetzung der Wirkstoffe aus der Arzneizubereitung. Derartige Pro-

gende Möglichkeiten bestehen, die Applikation in einem

solchen Fall vorzunehmen: entweder an der niedrigen Dosierung der einen Komponente orientiert, wobei dann die zweite Komponente nur in unwirksamer Menge zugeführt werden kann, therapeutisch also überhaupt nicht zu nutzen ist, oder an der hohen Dosis der zweiten Komponente orientiert, wobei die erste Komponente in über-

mäßig hoher Dosis mitverabreicht werden muß, wodurch überflüssigerweise unerwünschte Effekte ausgelöst werden könnten. In praxi wird meist der harmlosere erste Weg beschritten, zum Teil ist er bereits vom Hersteller sicherheitshalber durch die Wahl des Mischungsverhältnisses der verschiedenen Komponenten vorprogrammiert.

Neben diesem prinzipiellen Mangel aller Kombinationspräparate sind jedoch noch spezielle Probleme zu berücksichtigen.

Unterschiede im zeitlichen Wirkungsverlauf der einzelnen Komponente führen bei vielen unkritisch zusammengestellten Präparaten zu unliebsamen Problemen in der Praxis. Bekannt ist dies zum Beispiel bei einem Zu-

satz von Barbituraten, um etwa die zentralanregende Wirkung von Theophyllinpräparaten zu kompensieren oder um die analgetische Wirkung einer Mischung zu ergänzen. Hierbei überdauert die Wirkung des Schlafmittels häufig die der anderen Komponenten, so daß sich eine unerwünschte Beeinträchtigung zentralnervöser

Funktionen ergeben kann. Das ist natürlich besonders ausgeprägt, wenn derartige Präparate chronisch eingenommen werden, was erfahrungsgemäß bei einer Reihe dieser Medikamente zu erwarten ist. Umgekehrt wird beispielsweise aber auch versucht, die unerwünschte sedierende Wirkung von Antihistaminika durch Coffeinzusätze zu kompensieren, ohne zu bedenken, daß dies wegen des unterschiedlithen zeitlichen Verlaufs der Wir-

kungen dieser einzelnen Komponenten nur vorübergehend möglich ist.

Als typische Fehlentwicklung auf diesem Gebiet sollen

Ebenen ab:

- Physikochemische Interferenzen betreffen vorwiegend chemische Reaktionen zwischen den einzelnen Partnern -

hierher gehören die sogenannten Inkompatibilitäten bleme sollten jedoch bereits bei der Entwicklung von Kombinationspräparaten im pharmazeutischen Bereich eliminiert werden.

- Pharmakodynamische Interferenzen betreffen Änderungen der Wirkungsstärke, der Wirkungsdauer und Wirkungsart, die sich aus den Eigenwirkungen der verschiedenen Komponenten ergeben. Solche Probleme soilten ebenfalls schon während der Entwicklung eines Kornbinationspräparates im Rahmen der pharmakologischen Prüfung erkannt werden. - Die pharmakokinetischen Interferenzen, welche die gegenseitige Beeinflussung der Resorption, der Verteilung, der metabolischen Inaktivierung und der Elimination der

Wirkstoffe umfassen, sind jedoch häufig erst bei der praktischen Anwendung der Präparate am Menschen in voller Konsequenz festzustellen. Das trifft vor allem auf

die Möglichkeit des gehemmten oder beschleunigten Arzneirnittelabbaus infolge einer Interferenz mit den zuständigen Enzymsystemen zu.

Die theoretisch denkbare Zahl derartiger Wechselwirkungen ist außerordentlich groß und nur noch vom Spezialisten zu überschauen. Die inzwischen bekannten Interferenzmöglichkeiten füllen bereits zahlreiche Bände in den Bibliotheken, und es steht zu befürchten, daß dieser Umfang der quantitativen Bedeutung des Problems noch nicht annähernd gerecht wird. Allerdings muß be-

tont werden, daß viele dieser Interaktionen nur von akademischem Interesse sind und das tatsächliche Risiko unter praxisrelevanten Bedingungen meist erheblich überschätzt wird. Mindestens ebenso problematisch wie diese Risiken, die sich aus gewissen pharmakologischen Grundeigenschaften der Wirkstoffe ergeben, sind gewisse Auswüchse

der Kombinationssucht in Form seltsam anmutender polyvalenter Kompositionen, die seitenweise die Arzneimitteiregister füllen. Sie zeichnen sich üblicherweise dadurch aus, daß eine Fülle wirkungsloser Komponenten

auch die zahlreichen Kombinationen von Glucocorticoiden und Antiphiogistika erwähnt werden, die zur (manchmal sogar zusammen mit wirksamen Stoffen) Rheumabehandlung empfohlen werden, obwohl als all- nach oft nur zu erahnenden Regeln gemischt werden, gemeine Regel zur Verminderung der Nebenwirkungs- wobei weder pharmakodynarnische Grundeigenschaften, gefahr gilt, daß die optimale Dosierung von Glucocor- noch pharmakokinetisches Verhalten, noch klinischticoiden zunächst immer individuell ermittelt werden therapeutische Erfordernisse berücksichtigt werden.

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Da der therapeutische Erfolg bei der Anwendung eines

Mittels an einer größeren Zahl von Patienten immer einer Gaussschen Verteilung folgt - manche Patienten

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Mischpräparate - ein therapeutischer Jrrweg?

Um nur ein Beispiel herauszugreifen: die bereits im Prinzip widersinnige Kombination von Antitussiva und Expektorantien. Wenn beide Komponenten tatsächlich in wirksamer Dosierung im Gemisch enthalten wären (was in praxi vermieden wird), bestünde die Gefahr der Retention von vermehrt gebildetem Sekret in den Bronchien und damit ein erhöhtes Bronchopneumonierisiko.

In die Reihe der fragwürdigen Kombination gehören zum Beispiel auch zahlreiche der beliebten »Mehrzweck-

präparate«, deren Namen meist mit Tranquo-, Seda-, Spasmo-, Dolo-, Nitro-, Broncho-, Asthmo-, Neuro- oder

ähnlichen Bezeichnungen beginnen, sowie vor allem auch die zahllosen Präparate mit Zusätzen von Vitaminen, Mineralien, Spurenelementen, Hormonen, Antibiotika und sonstigen »biodynamischen« Komponenten, deren mögliche physiologische oder pharmakologische Bedeutung oftmals selbst mit viel Phantasie noch nicht einmal erahnt werden kann. Außer der Möglichkeit, daß die für solche »Breitbandspecifica« in Aussicht gestellte therapeutische Wirkung

ausbleibt (weil die hierfür zuständige Komponente falls überhaupt vorhanden - im starren Gemisch nicht adäquat dosiert werden kann), besteht für den Patienten bei einer solchen »Schrotschußtherapie« noch die Gefahr, zusätzlichen Schaden zu erleiden.

So haben zum Beispiel englische Statistiken gezeigt, daß das Risiko unerwünschter Arzneimittelnebenwirkungen um so größer wird, je mehr Wirkstoffe gleichzeitig

eingenommen werden. Vergleicht man etwa nur zwei Häufigkeitsklassen - die Gruppe, die weniger als fünf Mittel gleichzeitig und die mehr als fünf Mittel einnimmt -. so findet sich in der zweiten Gruppe eine siebenfach höhere Nebenwirkungsrate. Es ist verständlich, daß mit steigender Zahl der Komponenten die mangelnde individuelle Dosierbarkeit immer größere Probleme (im Sinne einer relativen Unter-

oder Oberdosierung) mit sich bringt und daß die verschiedenen Möglichkeiten der physikochemischen, pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Interferen-

zen immer weniger kalkulierbar werden: Sie können meist nur noch bei drei gleichzeitig verabfolgten Stoffen vorhergesehen werden, schon bei fünf Substanzen sind sie nur noch zu erahnen; wenn dagegen 20 bis 30 verschiedene Komponenten erhalten sind - derartige Präpa-

rate finden sich in unserem Arzneischatz -, kann man sich vom Resultat nur noch überraschen lassen.

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Hinzu kommen bei Verwendung von Multikomponentenpräparaten noch besondere Risiken durch Allergisierung gegen eventuell überflüssige Begleitstoffe (zum Beispiel Antibiotika in lokal zu applizierenden Arzneiformen) oder durch Maskierung oder Verschlechterung des Grundleidens (zum Beispiel durch Folsäurezusatz zu Antianämika bei Anwendung im Falle einer perniziösen Anämie). Eine ungünstige Preisgestaltung ergibt sich daraus, daß

in vielen Präparaten unnötige oder unterdosierte Komponenten enthalten sind, die zwar nicht zum Therapieerfolg beitragen, jedoch in der Kalkulation berücksichtigt werden müssen.

Folgerungen Aus den genannten Gründen wird offenkundig, wie problematisch auf verschiedenen Ebenen die Anwendung von Mischpräparaten sein kann. Deshalb sind alle Bestrebungen zu begrüßen, die einer solchen Entwicklung entgegenwirken. Dazu gehört die

Bevorzugung der Monotherapie oder, falls bei kornplexem Krankheitsbild oder bei Multimorbidität erforderlich, die kombinierte Anwendung individuell dosierbarer Einzelsubstanzen. Diese im Prinzip anzustrebende Therapieform würde bei einer besseren Transparenz des Angebotes durch Verwendung von Generic-Bezeichnungen anstelle von Phantasienamen noch weiter an Zuverlässigkeit und Sicherheit gewinnen. Die Anwendung fixer Kombinationspräparate -sollte auf die erwähnten relativ wenigen, theoretisch begründeten und praktisch bewährten Indikationsbereiche beschränkt bleiben und ist auch hierbei nur dann als sinnvoll zu bezeichnen, wenn die Auswahl der Wirkkompo-

nenten nach anerkannten pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Kriterien vorgenommen wurde. Die auf dem Markt vorherrschenden polyvalenten Ge-

mische siñd demgegenüber therapeutisch oft unzuverthssig und zeichnen sich durch ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko aus. Ihr häufiger Einsatz im Sinne einer »Schrotschußtherapie« oder einfach aus Bequemlichkeit stellt tatsächlich einen therapeutischen Irrweg dar, unter dem die ganze Arzneimittelbranche zu leiden hat. Prof. Dr. W. Klaus Pharmakologisches Institut der Universität 5000 Köln 41, Gleueler Straße 24

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[Drug combinations--a therapeutic error?].

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