Leitthema Nervenarzt 2014 DOI 10.1007/s00115-013-3935-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

E. Haen1, 2 1 Klinische Pharmakologie am Lehrstuhl mit Poliklinik für Psychiatrie

und Psychotherapie, Universität Regensburg, Regensburg 2 AGATE e. V., Pentling

Arzneimittelinteraktionen Interaktionen zwischen körperfremden Substanzen

„Arzneimittelinteraktionen“ ist ein unter Ärzten ziemlich angstbesetztes Thema. Organisatoren von Fortbildungsveranstaltungen können unter diesem Thema einen vollbesetzten Saal erwarten. Häufig hört man dann eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger dramatisch klingenden Kasuistiken, die darstellen, was alles passieren kann. Die Zuhörer verlassen später kopfschüttelnd den Raum, in der Sicherheit verzweifelnd, die Fülle der Dinge, die sie gerade gehört haben, ohnehin nie im Kopf behalten zu können. Zurück bleibt das Prinzip Hoffnung „Hoffentlich passiert mir das nie!“. Geschürt wird die Angst der Ärzte durch Darstellungen von „Arzneimittelinteraktionen“ als groben ärztlichen Kunstfehlern, die wiederum durch Computerprogramme unterstützt werden, welche die Abfrage einer „Arzneimittelinteraktion“ mit der Ausgabe eines großen roten Ausrufezeichens beantworten bzw. Medikamentenkombinationen mit einem Ampelsystem nach „rot“ (= Risiko einer schweren Arzneimittelinteraktion), gelb (= Risiko einer mäßigen Arzneimittelinteraktion) und „grün“ (= kein Risiko) bewerten, ohne die besonderen Aspekte des individuellen Einzelfalls bei der Bewertung zu berücksichtigen. Tatsächlich ist schon der Begriff falsch gewählt: Klinisch relevante Interaktionen treten nicht nur zwischen Arzneimitteln auf. Betroffen sind alle körperfremden Stoffe (sog. Xenobiotika), also vor allem

auch die Genussmittel Tabakrauch, Alkohol und Koffein, aber auch Lebensmittel wie Brokoli, Grapefruitsaft und gegrillte Lebensmittel. Außerdem sind Interaktionen zwischen Xenobiotika nicht automatisch ärztliche Kunstfehler! Vielmehr gehören sie zum ärztlichen Alltag und können häufig gar nicht vermieden werden. Die theoretisch auftretende Zahl von Interaktionen hängt von der Zahl gleichzeitig aufgenommener oder angewendeter Xenobiotika ab und errechnet sich mathematisch nach der Formel:

21). Und selbst diese mathematische Betrachtung erfasst das Problem noch immer nicht vollständig: Die eine bei der Behandlung von Psychosen immer wieder vorkommende Zweifachmedikation aus Clozapin und einem Benzodiazepin kann zu vier völlig unterschiedlichen klinischen Zustandsbildern führen: F verstärkte Müdigkeit und Sedierung bis zum Bewusstseinsverlust; F Atemdepression bis zum Atem-/ Herzstillstand; F Senkung des Blutdrucks und F erhöhtes Risiko für das Auftreten eines malignen neuroleptischen Syndroms [2].

Die praktische Bedeutung dieser mathematischen Formel geht aus . Abb. 1 hervor: Hier sind Daten der Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei psychiatrischen Erkrankungen (AGATE) dargestellt [1], die zeigen, welcher Anteil der im Jahr 2000 in den bayerischen Fachkrankenhäusern für Psychiatrie unter der Hauptdiagnose Depression behandelten Patienten mit einer Monotherapie (Zahl der mathematisch möglichen Interaktionen: 0) bzw. einer Mehrfachtherapie behandelt wurden: Zweifachmedikation (Zahl der mathematisch möglichen Interaktionen: 1), Dreifachmedikation (Zahl der mathematisch möglichen Interaktionen: 3), etwa 16% der erfassten Patienten waren vier Medikamente verordnet (Zahl der mathematisch möglichen Interaktionen: 6), 1% der erfassten Patienten waren sieben Medikamente verordnet (Zahl der mathematisch möglichen Interaktionen:

Das vom behandelnden Arzt zu lösende medizinische Problem besteht also nicht in der unbedingten Vermeidung einer Interaktion von Xenobiotika, sondern darin, wie mit den Folgen der Interaktion umzugehen ist, wenn sie nicht vermieden werden kann. Aus diesem Grund nennt der PSIAC, eine über das Internet zugängliche Datenbank zur Abfrage von Interaktionen mit Psychopharmaka (http://www.psiac. de, [3]), nicht nur die bei einer Interaktion möglicherweise auftretenden Effekte, sondern legt großen Wert auch auf einen ausführlichen Abschnitt zur Vorgehensweise. Nur in wenigen Fällen ist ein vollständiges Absetzen eines der interagierenden Partner wirklich notwendig.

Klassifikation von Interaktionen Die Fülle der Einzelbeispiele mehr oder weniger dramatischer Interaktionen lässt Der Nervenarzt 2014 

| 1

Zahl der kombinierten Wirkstoffe

Leitthema pharmakodynamisch

(21)

7

i = (n2 -n)/2

(15)

6

PD1 Gleiche Wirkstoffe

(10)

5

(6)

4

(3)

3

PD3 Gleiche Wirkungen

(1)

2 (0)

1 0

5

10

15

20

pharmakokinetisch

25

30

35

PD2 Interaktion am Rezeptor

PK2 Interaktion bei der Verteilung

PD4 Interaktion verschiedener Wirkungen

PK1 Interaktion bei der Aufnahme

PK3 Interaktion bei der Elimination

Anteil der Patienten mit einer Depressionsdiagnose (F32, F33) [%]

Abb. 1 8 Kombinationsvielfalt von Psychopharmaka im Jahr 2000 in den AGATE-Fachkrankenhäusern für Psychiatrie bei Patienten mit der Hauptdiagnose Depression (F32, F33), erhoben an 1149 Patienten. In Klammern theoretisch mögliche Zahl (i) an Arzneimittelinteraktionen bei Einnahme von (n) Medikamenten. (Nach [1])

sich ganz handlich in nur sieben Kategorien einteilen (. Abb. 2): Zunächst einmal ist zwischen pharmakodynamischen (PD, Interaktion tritt auf der Ebene der pharmakologischen Wirkungen auf) und pharmakokinetischen (PK, Interaktion tritt bei der Wanderung des Wirkstoffs durch den Körper auf) Interaktionen zu unterscheiden. Für den Apotheker, der ein Rezept entgegen nimmt, auf dem mehrere Präparate verschrieben sind, ergibt sich noch eine weitere „Interaktionskategorie“, die krankheitsbezogene Interaktion: Er kann aus den verordneten Medikamenten auf die Beschwerden des Patienten zurückschließen und kann deshalb eine Interaktion eines Wirkstoffs mit durch einen anderen Wirkstoff markierten Beschwerden des Patienten erkennen. Üblicherweise nennt man diese „Interaktion“ eine Kontraindikation. Bei den pharmakodynamischen Interaktionen können vier Subkategorien unterschieden werden: F PD1: Pharmakodynamisch gleiche Wirkstoffe haben gleiche erwünschte und unerwünschte Wirkungen, die sich miteinander addieren. F PD2: Chemisch unterschiedliche Wirkstoffe wirken über denselben pharmakologischen Rezeptor. Hierbei können sich erwünschte wie unerwünschte Wirkungen verstärken (PD2a) oder abschwächen (PD2b). F PD3: Pharmakologisch unterschiedliche Wirkstoffe wirken über unterschiedliche Wirkmechanismen auf

2 | 

Der Nervenarzt 2014

Abb. 2 8 Einteilung der Fremdstoffwechselwirkungen. Vorschlag zur Einteilung der Interaktionen zwischen Xenobiotika in vier pharmakodynamische (PD) und drei pharmakokinetische (PK) Kategorien

dieselbe Körperfunktion. Hierbei können sich erwünschte wie unerwünschte Wirkungen verstärken (PD3a) oder abschwächen (PD3b). F PD4: Wirkstoffe haben völlig unterschiedliche Wirkungen, die sich aber auf der Ebene der Wirkungen überlagern und neue, ganz andersgeartete Beschwerden verursachen. Bei den pharmakokinetischen Interaktionen können drei Subkategorien unterschieden werden: F PK1: Die Wirkstoffe interagieren auf der Ebene der Aufnahme in den Körper. F PK2: Die Wirkstoffe interagieren auf der Ebene der Verteilung im Körper. F PK3: Die Wirkstoffe interagieren auf der Ebene der Elimination aus dem Körper. Hierbei können sich erwünschte wie unerwünschte Wirkungen verstärken (PK3a) oder abschwächen (PK3b). Diese Klassifikation kann als eine Art Checkliste benutzt werden, anhand derer der Arzt überlegt, ob in einer Polymedikation Interaktionsrisiken verborgen sind. Details werden dann in Datenbanken nachgeschlagen, z. B. http://www.psiac.de, http://www.mediq.ch (beide decken alle sieben Kategorien ab) oder http:// www.flockard.us (nur PK3-Interaktionen) oder der Arzt nutzt Informationsdienste wie den AID der AGATE.

Pharmakodynamische Interaktionen PD1-Interaktionen Interaktionen vom Typ der pharmakodynamisch gleichen Wirkstoffe klingen so, als wenn sie am leichtesten zu erkennen und zu vermeiden wären. Dahinter verbergen sich aber Wirkstoffe, die nicht ohne weiteres als „pharmakologisch gleich“ zu erkennen sind, sei es, weil F die einzelnen Wirkstoffe unterschiedliche Namen tragen und/oder F die dazugehörenden Handelspräparate für die Behandlung unterschiedlicher Beschwerden zugelassen sind und/oder F die Medikamente von verschiedenen Ärzten verschrieben wurden, die zwar denselben Patienten behandeln, gegenseitig von ihrer Arbeit aber nichts wissen. Die Kasuistik (. Infobox 1) zeigt als Beispiel die Verordnung von drei Benzodiazepinen gegen unterschiedliche Beschwerden. D Jede medizinische Fachdisziplin

hat ihr Lieblingsbenzodiazepin. In der Neurologie hört man gerne, dass Clonazepam die besten antikonvulsiven Eigenschaften habe, in der Psychiatrie war und ist Lorazepam das mit Abstand am häufigsten verordnete Psychopharma-

Zusammenfassung · Summary Nervenarzt 2014 · [jvn]:[afp]–[alp]  DOI 10.1007/s00115-013-3935-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 E. Haen

Arzneimittelinteraktionen. Interaktionen zwischen körperfremden Substanzen Zusammenfassung Keine Angst vor Arzneimittelinteraktionen! Sie stellen nicht automatisch einen ärztlichen Kunstfehler dar, sondern gehören als Interaktionen mit Fremdstoffen jeglicher Art, also auch Lebens- (z. B. Grapefruitsaft, Brokkoli, Grillfleisch) und Genussmitteln (z. B. Tabakrauch, Koffein, Alkohol), zum ärztlichen Berufsalltag. Der Arzt muss Interaktionen nicht auf jeden Fall vermeiden, sondern er muss im Einzelfall ärztlich therapeutisch entscheiden, wie die Therapie unter diesen Umständen geführt, ggf. abgeändert werden muss. Hierbei nutzt er zunächst seine medizinische Fachkompetenz, mit deren Hilfe er anhand der in diesem Artikel vorgeschlagenen Einteilung der Fremdstoffinteraktionen (PD1–PD4, PK1– PK3) abschätzt, ob die Medikation eines individuellen Patienten Interaktionsrisiken birgt. Um diese dann im Einzelnen zu bewerten

und zu entscheiden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, kann er sich dem mittlerweile großen Angebot an Informationsquellen im Internet bedienen, z. B. PSIAConline (http:// www.psiac.de) oder MediQ (http://www.mediq.ch). Pharmakokinetische Interaktionen können einfach durch Wirkstoffkonzentrationsbestimmungen („therapeutic drug monitoring“, TDM) entdeckt, verfolgt und überwacht werden. Wichtig ist, dass niemand alles weiß, auch nicht der Arzt! Es ist also nichts dabei, jemanden zu fragen, der weiter helfen kann. Zu diesem Zweck bietet die AGATE als unabhängiges, interdisziplinäres Pharmakokompetenzzentrum unter http://www. amuep-agate.de ihren Arzneimittelinformationsdienst (AID) an. Nicht hilfreich, unmedizinisch und sogar eher kontraproduktiv sind Computerprogramme, die automatisch und

ohne Berücksichtigung des individuellen Einzelfalles Medikationsbewertungen vornehmen. Fälschlicherweise wird dann davon gesprochen, dass „in einer Medikation soundso viel Arzneimittelinteraktionen aufgedeckt“ wurden, ohne zu berücksichtigen, ob bei dem betreffenden Patienten tatsächlich neue Symptome aufgetreten sind. Sollten sie auch noch ihre Bewertungen durch rote Ausrufezeichen oder Bewertungen nach Ampelsystem veranschaulichen, so verbreiten sie nur Angst und Schrecken, statt zu helfen. Schlüsselwörter Arzneimittelinteraktionen · Klassifikation · Therapeutisches DrugMonitoring · Medikationsbewertungen · Medikationsfehler

Drug-drug interactions. Interactions between xenobiotics Summary Drug-drug interactions (DDI) are a major topic in programs for continuous medical education (CME). Many physicians are afraid of being trapped into charges of malpractice; however, DDI cannot be avoided in many cases. They belong to routine medical practice and it is often impossible to avoid them. Moreover, they do not just occur between drugs but between any kind of foreign substance (xenobiotica), such as food (e.g. grapefruit juice, broccoli, barbecue) as well as legal (e.g. tobacco smoke, caffeine and alcohol) and illegal drugs. Therefore, the medical challenge is not just to avoid any interaction. Instead the physician faces the question of how to proceed with drug treatment in the presence of such interactions. Based on the med-

kon (z. B. [4, 5]), weil es die besten angstlösenden Eigenschaften habe. Wirklich klare pharmakodynamische Unterschiede in der Wirkqualität wurden aber bislang zwischen den einzelnen Benzodiazepinen in der Weltliteratur nicht publiziert. Alle Benzodiazepine wirken F anxiolytisch (Wirkqualität, die zur Entwicklung der Benzodiazepine führte), F sedierend, F antikonvulsiv und F muskelrelaxierend.

ical education a physician has to judge first of all whether there is a risk for interactions in the prescription being planned for an individual patient. The classification of interactions proposed in this article (PD1–PD4, PK1–PK3) might help as a sort of check list. For more detailed information the physician can then consult one of the many databases available on the internet, such as PSIAConline (http://www.psiac.de) and MediQ (http:// www.mediq.ch). Pharmacokinetic interactions can be easily assessed, monitored and controlled by therapeutic drug monitoring (TDM). Besides these tools it is important to keep in mind that nobody knows everything; even physicians do not know everything. So take pride in asking someone who might

Alle Wirkstoffe führen auch wegen „Rebound“-Phänomenen zur Entwicklung einer körperlichen Medikamentenabhängigkeit. Die Benzodiazepine sind also „pharmakodynamisch gleiche Wirkstoffe“. Dagegen unterscheiden sich die einzelnen Wirkstoffe sehr deutlich in ihren pharmakokinetischen Eigenschaften und in ihrer Wirkstärke. Die Eliminationshalbwertszeiten als Maß für die Ausscheidung aus dem Körper schwanken zwischen wenigen Stunden (2–5 h) und Tagen bis Wochen (wegen Bildung des akti-

help and for this purpose AGATE offers a drug information service AID (http://www.amuepagate.de). Just good for nothing, without being based on any kind of medical approach are computer programs that judge prescriptions without taking into account a patient’s individual peculiarities. In case these types of programs produce red exclamation marks or traffic lights to underline their judgment, they might even work in a contrapuntal way by just eliciting insecurity and fear. Keywords Drug-drug interactions · Classification · Therapeutic drug monitoring · Clinical decision support systems · Medication error

ven Metaboliten N-Desmethyldiazepam, der noch langsamer verstoffwechselt wird als die Muttersubstanz Diazepam, kann man nach einer 10-mg-Tablette Diazepam Benzodiazepine bis zu 40 Tage lang im Blut nachweisen; [5]). Die Unterschiede in der Wirkstärke, die sich eventuell über die Unterschiede in der Ausscheidung erklären lassen, können an den Empfehlungen zur Einmaldosis abgelesen werden, aus dem Verhältnis der Einzeldosen lassen sich Äquivalenzfaktoren errechnen. Der Nervenarzt 2014 

| 3

Leitthema Tab. 1  Umrechnung der Dosierungen dreier Benzodiazepine in eine Lorazepamdosis Wirkstoff Lorazepam Lormetazepam Oxazepam

Eliminationshalbwertszeit [t1/2] 10–20 h 8–16 h 5–12 h

Auffallend sind die vom Patienten geklagten Rückenschmerzen. Sehr viele benzodiazepinabhängige Patienten klagen über Rückenschmerzen, die wir als „Rebound“-Phänomen zur muskelrelaxierenden Wirkung der Benzodiazepine interpretieren. Belege für diese Hypothese wurden bislang international nicht veröffentlicht. Das Ausmaß der Interaktion zeigte sich erst, als die Behandlung mit den drei Präparaten auf eines umgestellt wurde.

PD2-Interaktionen Interaktionen, bei denen chemisch unterschiedliche Wirkstoffe über denselben pharmakologischen Rezeptor wirken, sind die Klassiker unter den möglichen Interaktionsmechanismen. Hierunter fallen die Verordnungen von zwei Agonisten bzw. Antagonisten bzw. eines Agonisten und eines Antagonisten, die über denselben Rezeptor wirken. Die erwünschten wie die unerwünschten Wirkungen werden dadurch verstärkt (PD2a) bzw. abgeschwächt (PD2b), für die Einstufung ist der jeweilige klinische Effekt entscheidend.

»

Agonisten und Antagonisten heben sich dosisabhängig in ihrer Wirkung auf Ein für die Neurologie relevantes Therapieproblem in diesem Bereich ist die Behandlung von Psychosen bei Morbus Parkinson. Etwa 6% der Parkinson-Patienten entwickeln im Laufe ihrer Erkrankung schwere psychotische Verhaltensstörungen [6]. Für die Behandlung des Morbus Parkinson werden u. a. Dopaminagonisten eingesetzt, die ihrerseits Störungen der Sinneswahrnehmungen auslösen können (z. B. Ropinirol häufige UAW [unerwünschte Arzneimittelwirkung] =1– 10% der Anwendungen: Halluzinationen; gelegentlich auftretende UAW =0,1–1%

4 | 

Der Nervenarzt 2014

Tagesdosis

Umrechnungsfaktor

1–5 mg 1 mg 20–50 mg

1 1 0,05

der Anwendungen: psychotische Reaktionen [andere als Halluzinationen], einschließlich Delir, Wahnsymptome, paranoide Störungen [7]). Die zur Behandlung psychotischer Reaktionen eingesetzten Wirkstoffe sind andererseits Dopaminantagonisten, die wiederum als unerwünschte Wirkungen extrapyramidalmotorische Störungen verursachen, also die Parkinson-Symptomatik verschlechtern. Die gleichzeitige Verordnung von Dopaminagonisten und -antagonisten hebt also dosisabhängig zunächst gegenseitig die erwünschten Wirkungen auf und verschlechtert dann sowohl die psychotischen Verhaltensstörungen als auch die Parkinson-Symptomatik. Da Antipsychotika aber keine einheitliche Wirkstoffklasse darstellen, sondern individuelle Wirkprofile haben, kann durchaus versucht werden, durch eine entsprechende Auswahl der Wirkstoffe die erwünschten und unerwünschten Nebenwirkungen so auszutarieren, dass antipsychotische Wirkungen unter nur geringer Verschlechterung der ParkinsonSymptomatik möglich werden. So gehört zum Wirkungsspektrum von Clozapin und seinen pharmazeutisch-chemischen Verwandten Olanzapin und Quetiapin eine mehr oder weniger stark ausgeprägte antimuskarinerge Wirkung [8, 9], die bei der Behandlung der Parkinson-Psychose als erwünschte Nebenwirkung auch zur Dämpfung der Parkinson-Symptomatik ausgenutzt werden kann. Die AGATE hat die Problematik in einer Stellungnahme aufgearbeitet [10].

PD3-Interaktionen Bei PD3-Interaktionen führen pharmakologisch unterschiedliche Wirkstoffe über unterschiedliche Wirkmechanismen zu den gleichen Wirkungen, die entweder verstärkt (PD3a) oder abgeschwächt (PD3b) werden. Derartige Interaktionen werden immer wieder klinisch relevant, wenn unterschiedliche Fachme-

diziner denselben Patienten behandeln. In der UAW-Datenbank der AGATE ist z. B. der Fall einer 54-jährigen Patientin dokumentiert, die gegen ihre schizoaffektive Psychose (gegenwärtig depressiv, F21.5) 350 mg Quetiapin/Tag und zur Einstellung eines hohen Blutdrucks 5 mg Ramipril/Tag verordnet hatte (AGATE Fall-Nr. LL-07-057). Die Frau kollabierte bei einem Blutdruck von 70/30 mmHg und einer Pulsfrequenz von 124 Schlägen/ min, was als orthostatische Dysregulation mit reflektorischer Tachykardie diagnostiziert wurde. Die Blockade von α1-Adrenozeptoren ist bei der Indikation, unter der Quetiapin bei dieser Patientin verordnet wurde, eine unerwünschte Nebenwirkung von Quetiapin, die zur Blutdrucksenkung und zum Ausfall der reflektorischen Gefäßverengung bei Wechsel der Körperlage führt (Orthostasephänomen). Zur Blutdrucksenkung führt ebenfalls die Hemmung des Angiotensin-Umwandlungs („converting“)-Enzyms (ACE-Hemmung) durch Ramipril, die bei der Indikation, unter der Ramipril bei dieser Patientin verordnet wurde, den Wirkmechanismus für die erwünschte Wirkung von Ramipril darstellt. Die beiden Mechanismen sind zwar unterschiedlich, verstärken sich aber in ihrer blutdrucksenkenden Wirkung, weshalb dieser Fallbericht als PD3a-Interaktion einzustufen ist. Der Umgang mit dieser Arzneimittelinteraktion richtet sich nach den klinischen Umständen. In jedem Fall ist die antipsychotische Wirkung führend! Wird eine antipsychotische Medikation unter bestehender antihypertensiver Medikation notwendig, so muss der antipsychotische Wirkstoff unter Blutdruckkontrolle bis zu erforderlichen Höhe eindosiert und die antihypertensive Medikation im erforderlichen Maße reduziert werden. Wird dagegen unter bestehender antipsychotischer Medikation eine (zusätzliche) antihypertensive Medikation notwendig, so muss diese ebenfalls unter Blutdruckkontrolle langsam eindosiert werden, in der Erwartung, dass sich eine niedrigere Dosis als üblich als ausreichend herausstellen wird. Eine weitere PD3a-Interaktion, die in naher Zukunft klinische Relevanz erreichen wird, kann unter der gleichzeitigen Verabreichung des neuen Multiple-Skle-

rose-Wirkstoffs Fingolimod mit Metamizol, Thiazid-Diuretika, dem Antipsychotikum Clozapin oder dem Antidepressivum Mirtazapin entstehen. Alle diese Wirkstoffe können, zwar nur selten, aber immerhin, das weiße Blutbild beeinträchtigen. Für Metamizol ist eine Häufigkeit von 1:30.000 bis 1: 100.000 beschrieben. Der Mechanismus ist offenbar völlig unterschiedlich: Bei Clozapin, Mirtazapin und Thiazid-Diuretika scheinen es dosisabhängige Prozesse zu sein, die durch regelmäßige Blutbildkontrollen in der Regel frühzeitig erkannt und erfolgreich beherrscht werden können; bei Metamizol steckt wohl ein immunologisch ausgelöster Prozess dahinter, der unerkannt binnen weniger Tage zum Tode führen kann [11]. Zum Wirkmechanismus von Fingolimod gehört eine Leukopenie, da das aktive Prinzip, Fingolimod-Phosphat, ein funktioneller Antagonist am Sphingosin-1-Rezeptor ist und die Wanderung der Lymphozyten aus den Lymphknoten hemmt. In Kombination mit den genannten Wirkstoffen ist also eine Leukopenie nur sehr schwierig in ihrer klinischen Relevanz zu beurteilen, da unter Fingolimod-Phosphat zwar überwiegend die Lymphozytenzahl erniedrigt gefunden wird, aber eben nicht ausschließlich: Auch die Zahl der neutrophilen Granulozyten nimmt auf 80% des Ausgangswertes ab.

PD4-Interaktionen Bei PD4-Interaktionen haben pharmakologisch unterschiedliche Wirkstoffe völlig unterschiedliche Wirkungen. Erst auf der Ebene dieser Wirkungen treten dann die Interaktionen auf. Ein Beispiel ist die seit Jahrzehnten bekannte Interaktion zwischen Herzglykosiden (Digitaliswirkstoffen) und Diuretika oder Laxanzien. Herzglykoside können dosisabhängig jede Art von elektrokardiographischen (EKG-)Veränderungen verursachen und klinisch relevante Herzrhythmusstörungen auslösen. Diuretika und Laxanzien können durch die verstärkte Elektrolytausscheidung die Kaliumkonzentration senken. Eine niedrige Kaliumkonzentration erhöht wiederum die Empfindlichkeit des Herzmuskelgewebes für Rhythmusstörungen.

»

Herzrhythmusstörungen vom Typ der QTc-Verlängerungen sind heute als UAW erkannt Nachdem die Verordnung von Digitalispräparaten zur Behandlung der Herzinsuffizienz seit Jahren zurückgeht, hat die Bedeutung dieser PD4-Arzneimittelinteraktion deutlich abgenommen. Betrachtet man sie allerdings von hinten nach vorne, so ist ihre Bedeutung ungebrochen: In den letzten Jahren hat die Diskussion über arzneimittelbedingte Herzrhythmusstörungen vom Typ der QTc-Verlängerungen ständig zugenommen. Speziell unter den Psychopharmaka gibt es praktisch keinen Wirkstoff, der als frei von diesem Risiko gelten kann, die Kombination mit einem anderen Wirkstoff der die QTcZeit verlängern kann, gilt als Kontraindikation [12]. Gefürchtet ist bei Überschreitung einer QTc-Zeit von 500 ms die Torsade-de-pointes-Tachykardie, die in ein Kammerflimmern übergehen kann [13], was wohl eine der häufigsten Ursachen für den plötzlichen Herztod darstellt. Bei Verordnung von Wirkstoffen mit QTc-Risiko hilft es, prophylaktisch die Kalium- (und Magnesium-)Konzentration im Blut des Patienten hochnormal einzustellen [14].

Pharmakokinetische Interaktionen Alle pharmakokinetischen Interaktionen haben letztendlich Konsequenzen für die Wirkstoffkonzentration, die im Körper des Patienten nach einer bestimmten Dosis erreicht wird. Durch unterschiedliche genetische Dispositionen (z. B. bei den Enzymen des Fremdstoffmetabolismus), durch altersbedingte Funktionsschwankungen der Aufnahme- und Ausscheidungsorgane sowie durch Erkrankungen gibt es ohnehin schon sehr große interindividuelle Unterschiede, die durch die pharmakokinetischen Interaktionen noch weiter verstärkt werden. Alle diese individuellen, patientenspezifischen Veränderungen lassen sich jedoch durch eine einfache quantitative Bestimmung der Wirkstoffkonzentration erkennen [15], wenn die Konzentration nicht nur anhand des für den Wirkstoff gültigen therapeu-

tischen Referenzbereichs, sondern vor allem anhand des für den Wirkstoff zu berechnenden dosisbezogenen Referenzbereichs beurteilt [16, 17] und das Ergebnis dem behandelnden Arzt in einem klinisch-pharmakologischen Befund mitgeteilt wird [18, 19].

PK1-Interaktionen PK1-Interaktionen treten auf der Ebene der Aufnahme von Fremdstoffen in den Körper auf. So bilden mehrwertige Ionen (z. B. Fe++, Ca++, Mg++, Al+++ in Elektrolytpräparaten bzw. Antacida) Komplexe mit Arzneistoffen und behindern die Aufnahme (z. B. von Antiinfektiva wie Tetrazyklinen oder Gyrasehemmstoffen). Solche Ionen können auch in Lebensmitteln enthalten sein (z. B. Ca++-Ionen in Milchprodukten), wodurch aus Arzneimittelinteraktionen Interaktionen mit Lebensmitteln werden. Lebensmittel können aber auch die Aufnahme von Wirkstoffen in den Körper verbessern: Milch ist z. B. ein hervorragender Emulgator, der vor allem die Aufnahme lipophiler Fremdstoffe sowohl nach Geschwindigkeit als auch nach Menge verbessert. Eine generelle Regel ist leider nicht ableitbar, die entsprechenden Effekte sind für jeden einzelnen Wirkstoff gesondert zu überprüfen, entsprechende Nachschlagewerke sind auf dem Büchermarkt verfügbar (z. B. [20]). Ein für die Psychiatrie relevantes Beispiel ist das Antipsychotikum Ziprasidon: Die orale Bioverfügbarkeit von Ziprasidon verdoppelt sich, wenn die Hartkapseln zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen werden [21]. Die Einnahme von Ziprasidon Hartkapseln zusammen mit einer Mahlzeit gilt heute als absolute Voraussetzung für eine zuverlässige und wirksame Therapie mit Ziprasidon [22].

PK2-Interaktionen Der Klassiker der PK2-Interaktionen ist die Verdrängung eines Wirkstoffes aus der Plasmaproteinbindung durch einen zweiten. Derartige Untersuchungen lassen sich ganz einfach im Reagenzglas mittels Gleichgewichtsdialyse an einer semipermeablen Membran durchführen, die Patientenplasma von der Lösung eines radioaktiv markierten Wirkstoffes trennt. Der Nervenarzt 2014 

| 5

Leitthema Quetiapin

1

CYP 2

Carbamazepin

3

A

1 2

A B

6 6

C

Induktion

D E

6 1

A

4 5

Abb. 3 8 CYP-Isoformen des Fremdstoffmetabolismus. Darstellung der 12 für den Arzneimittelmetabolismus relevanten Cytochrom-P450-Isoenzyme (CYP). Linke Zahl Bezeichnung der Genfamilie, Buchstabe in der Mitte Bezeichnung der Subfamilie, Rechte Zahl Bezeichnung der Isoform. Dargestellt sind die Stoffwechselwege des Antipsychotikums Quetiapin und des Antiepileptikums Carbamazepin

Sie wurden deshalb auch vielfältig durchgeführt und so die Verdrängung aus der Plasmaproteinbindung nachgewiesen. Aus den Ergebnissen wurde abgeleitet, dass sich durch Veränderung der Plasmaproteinbindung auch die Wirksamkeit eines Wirkstoffes ändert. Im Unterschied zu einem Reagenzglas besteht der Körper aber aus Organen, deren Funktion anpassungsfähig ist: Steigt etwa der freie Anteil eines Wirkstoffes im Blut eines Patienten an, wird dieser erhöhte freie Anteil über die Nieren auch verstärkt ausgeschieden. Es stellt sich ein neues Gleichgewicht ein, in dem sich der ursprüngliche freie Anteil wieder einstellt, die Gesamtkonzentration dagegen abgenommen hat. Der Grund liegt darin, dass für die meisten Wirkstoffe die Elimination proportional zu ihrer freien Konzentration ist, da nur die nicht an Plasmaproteine gebundenen Wirkstoffmoleküle in den Nieren frei filtriert bzw. in die Tubulus- und Leberzellen aufgenommen werden können [23]. Die Bedeutung dieser Interaktion wurde und wird vielerorts immer noch viel zu sehr überschätzt. Klinisch relevante Beispiele für den Bereich der Nervenheilkunde liegen nicht vor bzw. lassen sich durch andere Mechanismen wie PK3-Interaktionen erklären.

PK3-Interaktionen Zu den PK3-Interaktionen gehören alle Interaktionen bei der Ausscheidung. Interaktionen bei der Ausscheidung über die Nieren wurden in früheren Jahrzehnten

6 | 

Der Nervenarzt 2014

intensiv diskutiert, wie z. B. Lithium- und Na+-Ionen-ausscheidende Wirkstoffe wie Diuretika und/oder ACE-Hemmer oder Lithium und Analgetika vom Typ der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR, Cyclooxidase [COX]-Hemmstoffe), bei denen es zu einem Anstieg der Lithiumkonzentration im Körper kommt. Gleichwohl haben diese Interaktionen auch heute noch nichts von ihrer klinischen Bedeutung verloren. Diskutiert wird heute aber vor allem über Interaktionen an den Enzymen des Leberstoffwechsels. Der Fremdstoffmetabolismus hat das Ziel, aus einem lipophilen Fremdstoff einen hydrophilen zu machen, der über die Nieren ausgeschieden werden kann. Der Metabolismus verläuft in zwei Phasen, F Oxidationsreaktionen (Phase I) durch die Cytochrom-P450-Enzyme (CYP), die wie alle Sauerstoff verarbeitenden Strukturen (z. B. auch Hämoglobin) in ihrem aktiven Zentrum einen Cytochrom-Ring besitzen. In der Phase I werden in das Fremdstoffmolekül durch Oxidations-/Reduktions-Reaktionen reaktive Gruppen wie OHoder NH2-Gruppen eingebaut. Bereits durch diesen enzymatischen Schritt wird die Hydrophilie des Fremdstoffs erhöht. F Kopplungsreaktionen (Phase II) durch die Transferasen (z. B. die Uridindiphosphat-Glucuronosyltransferase, UGT), durch deren Tätigkeit weitere hydrophile Reste an die zuvor eingebauten reaktiven Gruppen an-

gehängt werden. Die UGT vermittelt z. B. die Kopplung von Glucuronsäure, der aus Glukose gebildeten Säure, die mit einem Molekül 6 OH-Gruppen in das Fremdstoffmolekül einbaut, was die Hydrophilie sehr stark erhöht. Von den CYP-Enzymen wurden mittlerweile anhand ihres genetischen Codes zahlreiche Isoenzyme identifiziert, die mehr oder weniger spezifisch Fremdstoffe verstoffwechseln. . Abb. 3 gibt die für den Arzneistoffwechsel relevanten 12 Isoenzyme wieder. Sie werden nach ihrer Genfamilie mit einer Zahl, der Subfamilien mit einem Buchstaben und der Isoformen wieder mit einer Zahl bezeichnet. In . Abb. 3 können anschaulich die Stoffwechselwege einzelner Fremdstoffe eingezeichnet werden. In dem gezeigten Beispiel ist zu erkennen, dass das Antipsychotikum Quetiapin und das Antiepileptikum Carbamazepin, das in der Psychiatrie häufig auch als Phasenprophylaktikum verordnet wird, den gleichen Stoffwechselweg (CYP3A4/5/6) benutzen, der von Carbamazepin induziert wird.

»

Tabakrauch ist ein starker Induktor des CYP1A2-Stoffwechselweges Die Aktivität der CYP-Enzyme, wahrscheinlich auch der Enzyme der Kopplungsphase, können durch Fremdstoffe sowohl induziert als auch gehemmt werden. Physiologischer Sinn ist die Entgiftung des Körpers, weshalb die Menge und die Aktivität der Enzyme bei Anwesenheit ihrer Substrate zunehmen (Enzyminduktion). Häufiger ist die Enzymhemmung, bei der im Prinzip derselbe Mechanismus abläuft, verschiedene Substrate aber um das aktive Zentrum des (möglicherweise ebenfalls vermehrt gebildeten) Enzyms konkurrieren. Welcher Fremdstoff verstoffwechselt und welcher in seinem Abbau behindert wird, hängt von der Affinität der Komponenten zum aktiven Zentrum des Enzyms ab und kann für ein und denselben Fremdstoff in Kombination mit einem anderen von generellen Regeln abweichen. Carbamazepin ist ein Beispiel für einen ungewöhnlich starken Polyin-

Infobox 1  Darstellung einer Arzneimittelinteraktion vom Typ PD1 am Beispiel einer Benzodiazepinabhängigkeit Zugewiesen wurde ein 35-jähriger Mann mit einer schwersten Borderline-Störung zur Tavorentgiftung. Er wurde seit 15 Jahren von den unterschiedlichsten Ärzten (aktuell drei niedergelassene Kollegen, ein Psychiater, ein Neurologe und der Hausarzt) betreut. Die Krankenakte vermerkte als weitere Beschwerden „Rückenschmerzen“. Als Aufnahmemedikation wurde dokumentiert: F Tavor®: 9 mg/Tag gegen Angstzustände; bei Bedarf darf der Patient jeden Tag zusätzlich bis zu weitere 3 mg einnehmen, F Noctamid®: 4 mg/Tag gegen Schlafstörungen, F Durazepam®: 50 mg/Tag gegen Spannungszustände, F Aktren®: 1200 mg/Tag gegen seine Rückenschmerzen. Um eine Vorstellung vom Ausmaß der notwendigen Entgiftung zu bekommen, empfahlen wir, zunächst zwei der drei Benzodiazepine abzusetzen und ihre pharmakologische Aktivität durch entsprechende Erhöhung der Dosis des übrigbleibenden Benzodiazepins zu ersetzen. Psychiatriegemäß fiel die Wahl für das übrigbleibende Benzodiazepin auf Lorazepam. Die Dosen der beiden anderen Benzodiazepine wurden mithilfe eines Faktors, der sich aus dem Verhältnis der Einzeldosen zur Lorazepameinzeldosis ergab, in Lorazepam umgerechnet (. Tab. 1). Danach wurde die Benzodiazepinmedikation wie folgt umgesetzt: F Tavor® inkl. Bedarfsmedikation: 12,0 mg Lorazepam/Tag, F Noctamid®: 4,0 mg Lorazepam/Tag, F Durazepam®: 2,5 mg Lorazepam/Tag. Zusammen: 17,5 mg Lorazepam/Tag Erst jetzt wurde das vollständige Ausmaß des Benzodiazepinabusus des Patienten offenbar. Verlauf Die Lorazepamdosis wurde langsam (0,5 mg/ Woche) reduziert. Bis zu einer Tagesdosis von 5 mg Lorazepam war dies ohne größere Probleme möglich. Dann wurde auf 50 mg Diazepam in Tropfen zu 10 mg/ml umgestellt, eine weitere Reduktion der Diazepamdosis war jedoch nicht mehr möglich. Die Rückenschmerzen besserten sich nicht.

duktor unterschiedlicher Stoffwechselwege, in dessen Gegenwart von kaum einem anderen Wirkstoff klinisch wirksame Konzentrationen aufgebaut werden können. Auch die Inhaltsstoffe des Tabakrauchens machen als Genussmittel in der Psychopharmakotherapie relativ viele Probleme, da sie als starke Induktoren des CYP1A2-Stoffwechselweges wirken. Im Unterschied zu Carbamazepin, das durch ein anderes Antiepileptikum ersetzt werden kann, ist die Aufforderung an den Patienten, das Rauchen einzustellen, weltfremd. Hier muss das Psychopharmakon durch ein anderes ersetzt werden, das nicht nur klinisch vergleichbare Wirkungen entfaltet, sondern auch über andere Stoffwechselwege als die Inhaltsstoffe des Tabakrauches abgebaut und ausgeschieden wird. Welche Ausscheidungswege von welchen Fremdstoffen benutzt und ob diese gehemmt oder induziert werden, kann im Internet in zahlreichen Tabellen nachgeschlagen werden. Auch in der Konsensusleitlinie für die Durchführung von Wirkstoffkonzentrationsbestimmungen („therapeutic drug monitoring“, TDM) der TDM Arbeitsgruppe der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP; [24]) sind Wirkstoffe mit ihren Stoffwechselwegen aufgelistet. Über die Informationsseite der AGATE (http://www.amuep-agate.de) kann eine aus 14 Seiten bestehende Tabelle abgerufen werden, die nach Wirkstoffnamen alphabetisch sortiert ist. In der Interaktionsdatenbank PSIAConline (http://www.psiac.de) können die Stoffwechselwege einer individuellen Medikation abgefragt werden.

AGATE Die Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei psychiatrischen Erkrankungen (AGATE, . Infobox 2) ist aus der AMÜPStudie (Arzneimittelüberwachung in der Psychiatrie) hervorgegangen, die in den 1980er Jahren mithilfe einer Anschubfinanzierung des damaligen Bundesgesundheitsamtes (BGA) in der Psychiatrischen Universitätsklinik München durchgeführt wurde. Damals haben Renate Grohmann und Eckhart Rüther die Phar-

makovigilanzinstrumente geschaffen, um schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu erfassen, zu dokumentieren und zu bewerten [25]. Als die Anschubfinanzierung auslief, übernahm Helmfried E. Klein, damals Ärztlicher Direktor des Bezirksklinikums Regensburg, zusammen mit seinen Kollegen Anfang der 1990er Jahre die AMÜP als AMÜP-Bayern in den Bereich der bayerischen Bezirkskrankenhäuser [26]. Nach 1997 wuchs die Überzeugung, die große fachliche Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen, die sich seit Jahren mit Arzneimittelrisiken befassten, auch anderen zur Verfügung zu stellen. So wurde aus der AMÜP-Bayern die AGATE, die aus der Pharmakovigilanz heraus auch Arzneimittelinformation anbietet [27, 28]. Sie betreibt einen Arzneimittelinformationsdienst (AID), bietet über das Institut für Reproduktionstoxikologie (Dr. Wolfgang Paulus, Ravensburg) Beratung bei der Verordnung von Medikamenten in Schwangerschaft und Stillzeit und unterhält die AGATE-Akademie für Aus-, Fort- und Weiterbildung. Mittlerweile ist aus der AGATE ein überregionales Pharmakokompetenzzentrum geworden, dessen Markenzeichen die interdisziplinäre kollegiale Zusammenarbeit ist [29]. Die AGATE bietet Wirkstoffkonzentrationsbestimmungen mit klinisch-pharmakologischer Befundung ([19], http:// www.konbest.de) an, mit dem PSIAConline [http://www.psiac.de] steht im Internet eine Datenbank zur Abfrage von Arzneimittelinteraktionen zur Verfügung, mit KONBEST wird eine Internetplattform zur Bewertung von Arzneimittelverordnungen aufgebaut. Im Jahr 2009 wurde das Instrumentarium der AGATE auf den Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie übertragen und die KinderAGATE gegründet [30]. 2012 hat sich die AGATE die juristische Struktur eines eingetragenen Vereins gegeben, in dem juristische (Kliniken, Arztpraxen, Apotheken) und natürliche Personen Mitglied sind und werden können, „die durch uneigennützigen Einsatz oder materielle Hilfe den Vereinszweck, die Förderung der Arzneimitteltherapiesicherheit (Steigerung der Wirksamkeit bei Verringerung der Risiken) im Rahmen einer sowohl rationalen wie ratioDer Nervenarzt 2014 

| 7

Leitthema Infobox 2 

Korrespondenzadresse

AGATE e. V., Nelkenweg 10, 93080 Pentling, Tel. 0941/9428910 

Prof. Dr. Dr. E. Haen Klinische Pharmakologie am Lehrstuhl mit Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Regensburg Universitätsstr. 84, 93053 Regensburg [email protected]

Informationsseite im Internet: http://www. amuep-agate.de

nellen Arzneimitteltherapie, fördern wollen“ ([31], http://www.amuep-agate.de). Die AGATE finanziert sich frei von jeglichen Lobbyinteressen im Gesundheitssystem aus Beiträgen ihrer Mitglieder.

Fazit für die Praxis F Arzneimittelinteraktionen gehören als Interaktionen mit Fremdstoffen jeglicher Art, also auch mit Lebens(z. B. Grapefruitsaft, Brokkoli, Grillfleisch)und Genussmitteln (z. B. Tabakrauch, Koffein, Alkohol), zum ärztlichen Berufsalltag. Der Arzt muss im Einzelfall entscheiden, wie eine Therapie unter diesen Umständen geführt werden muss. F Um beurteilen zu können, ob die Medikation eines individuellen Patienten Interaktionsrisiken birgt und welche Maßnahmen dann zu ergreifen sind, kann sich der Arzt aus dem mittlerweile großen Angebot an Informationsquellen im Internet bedienen. Hierzu zählt z. B. der PSIAConline (http://www.psiac.de), aber auch andere Quellen, von denen beispielhaft das Schweizer Projekt MediQ (http://www.mediq.ch) genannt sein soll (Übersicht bei [32]). Computerprogramme, die automatisch und ohne Berücksichtigung des individuellen Einzelfalles Medikationsbewertungen vornehmen, sind nicht hilfreich. F Pharmakokinetische Interaktionen können einfach durch Wirkstoffkonzentrationsbestimmungen entdeckt, verfolgt und überwacht werden. F Auch der Arzt kann nicht alles wissen und muss sich deshalb trauen, Fragen zu stellen. Zu diesem Zweck bietet die AGATE als unabhängiges, interdisziplinäres Pharmakokompetenzzentrum unter http://www.amuep-agate.de ihren Arzneimittelinformationsdienst (AID) an.

8 | 

Der Nervenarzt 2014

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  E. Haen: Vortragstätigkeit, Mitarbeit in wissenschaftlichen Beiräten und Teilnahme als Prüfarzt an klinischen Studien im Auftrag von Janssen-Cilag, Lilly, Pfizer, GlaxoSmithKline, AstraZeneca, Bristol-Myers Squibb, Otsuka, Bayer Vital, Servier, Südmedica GmbH.     Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur   1. Haen E (2002) Bedeutung von Arzneimittelsicherheitsnetzwerken für die Qualitätssicherung der medikamentösen Depressionsbehandlung. In: Gastpar M, Müller WE (Hrsg) Depressionen. Versorgungsstrukturen und Behandlungsperspektiven. Springer, Berlin, S 119–132   2. z. B. Interaktion Clozapin und Diazepam. In: Hiemke C, Dobmeier M, Eckermann G, Haen E (Hrsg) PSIAC – der Interaktionscomputer für die Psychiatrie. Springer, Heidelberg, 2006 (wird laufend aktualisiert). http://www.psiac.de   3. Köstlbacher A, Hiemke C, Haen E et al (2007) PsiacOnline – Fachdatenbank für Arzneimittelwechselwirkungen in der psychiatrischen Pharmakotherapie. In: Osswald A, Stempfhuber M, Wolff C (Hrsg) Open Innovation. Proceedings des 10. Internationalen Symposions für Informationswissenschaften. Universitätsverlag Konstanz, S 321–326   4. Dobmeier M, Haen E, Spindler P, Klein H (2000) Pharmakotherapie der Schizophrenie in den bayerischen Bezirkskrankenhäusern: Ergebnisse der AMÜP Bayern. Psychiat Prax 27:S15–S16   5. In: Fülgraff-Palm: Lemmer B, Brune K (Hrsg) Pharmakotherapie/Klinische Pharmakologie. 14. Aufl. Springer Heidelberg, S 29–52   6. Aarsland D, Larsen JP, Cummins JL, Laake K (1999) Prevalence and clinical correlates of psychotic symptoms in parkinson disease: a community-based study. Arch Neurol 56:595–601   7. GlaxoSmithKline GmbH & Co KG: Fachinformation zu Requip®, Stand Juni 2013   8. Bymaster FP, Hemrick-Luecke SK, Perry KW, Fuller RW (1996) Neurochemical evidence for antagonism by olanzapine of dopamine, serotonin, alpha 1-adrenergic and muscarinic receptors in vivo in rats. Psychopharmacology (Berl) 124:87–94   9. Arnt J, Skarsfeldt T (1998) Do novel antipsychotics have similar pharmacological characteristics? A review of the evidence. Neuropsychopharmacology 18:63–101 10. Haen E, Mößner-Haug B (2004) Off-label-use bei Parkinson-Psychose. NeuroTransmitter 15:68 11. Haen E, Höffler D, Stammschulte T (2013) Tödliche Agranulozytose unter Novaminsulfon – aus Fehlern lernen. Arzneiverordnung in der Praxis 40:45– 46

12. Wenzel-Seifert K, Wittmann M, Haen E (2011) QTc prolongation by psychotropic drugs and the risk of Torsade de Pointes. Dtsch Arztebl Int 108:687–693 13. Selzer A, Wray HW (1964) Quinidine Syncope. Paroxysmal ventricular fibrillation occurring during treatment of chronic atrial arrhythmias. Circulation 30:17–26 14. Wenzel-Seifert K, Haen E (2012) Rote-Hand-Briefe zu Citalopram und Escitalopram. Psychopharmakotherapie 19:25–29 15. Haen E (2011) Therapeutic drug monitoring in pharmacovigilance and pharmacotherapy safety. Pharmacopsychiatry 44:254–258 16. Greiner C, Haen E (2007) Therapeutisches Drug Monitoring in der Psychiatrie – Erstellung von Referenzbereichen für die Dosis-Konzentrations-Beziehung. Psychiat Prax 34:90–92 17. Haen E, Greiner C, Bader W, Wittmann M (2008) Wirkstoffkonzentrationsbestimmungen zur Therapieleitung – Ergänzung therapeutischer Referenzbereiche durch dosisbezogene Referenzbereiche. Nervenarzt 79:558–566 18. Haen E (2005) Bedeutung der klinisch-pharmakologischen Befundung von Wirkstoffkonzentrationsmessungen zur Therapieleitung. Psychopharmakotherapie 12:138–143 19. Haen E (2012) Der TDM-Befund. Psychopharmakotherapie 19:129–134 20. Wunderer H (2000) Arzneimittel richtig einnehmen: Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Nahrung; mit Einnahmeempfehlungen zu allen wichtigen Arzneistoffen. Govi, Eschborn 21. Miceli JJ, Wilner KD, Hansen RA et al (2000) Single- and multiple-dose pharmacokinetics of ziprasidone under nonfasting conditions in healthy male volunteers. Br J Clin Pharmacol 49:5 22. Thombre AG, Herbig SM, Alderman JA (2011) Improved ziprasidone formulations with enhanced bioavailability in the fasted state and a reduced food effect. Pharm Res 28:3159–3170 23. Ficht B (2001) Arzneistoffkonzentration im Organismus in Abhängigkeit von der Zeit: Pharmakokinetik im engeren Sinn. In: Forth W, Henschler D, Rummel W, Förstermann U, Starke K (Hrsg) Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 8. Aufl. Urban & Fischer, München, S 56–77 24. Hiemke C, Baumann P, Bergemann N et al (2011) AGNP consensus guidelines for therapeutic drug monitoring in psychiatry: update 2011. Pharmacopsychiatry 44:195–235 25. Grohmann R, Rüther E, Schmidt LG (1994) Unerwünschte Wirkungen von Psychopharmaka: Ergebnisse der AMÜP-Studie. Springer, Berlin 26. Haen E, Aigner J-M, Jost D et al (1999) Die Arzneimittelüberwachung in der Psychiatrie Bayerns (AMÜP-Bayern). Arzneimitteltherapie 17:93–96 27. Haen E (2004) AGATE: Qualitätssicherung in der Psychopharmakotherapie. Neurotransmitter 15:34–43 28. Haen E (2010) Der Klinikverbund AGATE: Ein Pharmakokompetenzzentrum flächendeckend in und für Bayern. Bayer Arztebl 65:702–703 29. Haen E, Laux G (2011) Arzneimitteltherapiesicherheit/Pharmakovigilanz in der klinischen Psychopharmakotherapie – Das Kliniknetzwerk AGATE. Psychopharmakotherapie 18:238–243 30. Haen E (2011) Die KinderAGATE. In: Rexroth CA Die klinische Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bayern. Entwicklungen – Gegenwart – Perspektiven. V&R Unipress, Göttingen, S 287–306 31. Satzung der Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei psychiatrischen Erkrankungen (AGATE) e. V., Stand 27.06.2012 32. Böhm R, Reinecke K, Haen E et al (2012) Arzneimittelinteraktionen – verstehen, vermitteln und vermeiden. Dtsch Apothek Z 152:64–74

[Drug-drug interactions: interactions between xenobiotics].

Drug-drug interactions (DDI) are a major topic in programs for continuous medical education (CME). Many physicians are afraid of being trapped into ch...
590KB Sizes 4 Downloads 3 Views