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Arzneimittelsicherheit in der klinischen Praxis – Teil 2: Klinisch relevante Aspekte aus Medizinhistorie, Wissenschaft, Ökonomie und Forensik Drug Safety in Clinical Practice – Part 2: Psychopharmacological Treatment S. Stübner1, R. Grohmann2, M. Schmauß1 Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Akademisches Krankenhaus der LMU München, Augsburg Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München

Lernziele !

Der vorliegende Beitrag soll kleine Übersichten, Hilfestellungen und Anregungen für die Beschäftigung mit arzneimittelsicherheitsrelevanten Aspekten bieten.

des Arztes, durch die Behandlung nicht zu schaden. Dabei sind iatrogene Störungen selten vorherzusehen und nicht immer zu vermeiden, um Schlimmeres zu verhindern. Es geht jedoch stets darum, Leiden durch Behandlungen möglichst gering zu halten.

Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie Einleitung !

Arzneimittelsicherheit umfasst viele Aspekte. Um die eigentliche klinische Kernproblematik herum existieren viele Bereiche, die die Arzneimittelsicherheit betreffen. Während sich der erste Teil dieser Arbeit [1] mit den einzelnen Schritten der klinischen Behandlung unter Arzneimittelsicherheitsaspekten beschäftigte, soll der vorliegende zweite Teil einige Einblicke in eine Auswahl benachbarter und klinisch relevanter Themen geben " Abb. 1). (● Einen Zugang zum Verständnis von Arzneimittelsicherheit und ihrer Bedeutung speziell in der Psychiatrie gibt die Betrachtung der historischen Wurzeln. Ferner ist im Kontext maßgeblich die Problematik von Compliance und Adherence. Weitere Beachtung erfordert der Komplex von Aufklärung und Dokumentation, auch unter Hinweis auf forensische Implikationen. Ökonomische Faktoren sind ebenfalls von Relevanz. Zur sinnvollen Integration wissenschaftlicher Erkenntnisse in die klinische Praxis ist ein Verständnis der verschiedenen Methoden und ihrer Besonderheiten zur kritischen Interpretation und Wertung der Ergebnisse hilfreich.

Medizinhistorische und gesellschaftspolitische Aspekte !

Arzneimittelsicherheit in der Medizin „Primum nil nocere“, lautet einer der ältesten ärztlichen Grundsätze. Es ist wesentliche Aufgabe

Innerhalb der Medizin weist die Fachdisziplin der Psychiatrie einige spezifische Besonderheiten auf: Bei psychiatrischen Erkrankungen liegt häufig mangelnde Krankheitseinsicht vor oder ist sogar krankheitsimmanent. Die Behandlungsbereitschaft ist oft fragil. Meist werden psychisch kranke Patienten nicht von sich aus beim Arzt vorstellig, sondern von den Angehörigen oder sogar von Behörden dazu veranlasst. Und einzig bei Vorliegen psychiatrischer Erkrankungen wird unter bestimmten Voraussetzungen eine weitere ärztliche Regel verlassen und eine Behandlung ohne bzw. sogar gegen den Willen des betroffenen Patienten durchgeführt. Juristische, forensische, geschichtliche, ethische, gesellschaftspolitische und psychodynamische Überlegungen beschäftigen sich mit dieser besonderen Thematik. Gewalt, die u. U. von psychisch kranken Personen ausgeht oder diesen angetan wird, ist einer der Gründe, die zu einer Stigmatisierung psychia-

Aufklärung und Dokumentation Compliance

Ökonomie

VNR 2760512013141213489 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1355883 Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81: 715–729 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0720-4299 Korrespondenzadresse PD Dr. med Susanne Stübner Psychiatrie, BKH Augsburg Dr.-Mack-Straße 1 86156 Augsburg [email protected]

Abb. 1 Um die eigentliche klinische Kernproblematik herum existieren viele Bereiche, die Arzneimittelsicherheit betreffen.

Klinik

Historische und gesellschaftspolitische Aspekte

Wissenschaft

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Tab. 1 Besonderheiten der psychiatrischen Behandlung.

krankheitsbezogen

trischer Patienten und Einrichtungen geführt haben. Gespeist wird diese Stigmatisierung u. a. sowohl durch eine tatsächliche historische Last – deren Bearbeitung sich die große psychiatrische Dachgesellschaft (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde; DGPPN) als Ziel mit hoher Priorität gesetzt hat [2] – als auch durch eine in der Öffentlichkeit tradierte und mystifizierte Rezeption, die mitunter überformt wird durch Verarbeitung psychiatrischer Themen in Kriminalromanen, -filmen oder Thrillern, sowie durch mangelnde Information und fehlenden Realitätsabgleich. Natürlich sind auch Patienten, Angehörige und ärztliche Kollegen anderer Fachdisziplinen diesen Einflüssen ausgesetzt. Daher besteht in der Psychiatrie eine besondere Verpflichtung zur intensiven Beschäftigung mit den verschiedensten problematischen Aspekten – darunter auch der unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) – und deren Entgegenwirken. Spezielle Bündnisse beschäftigen sich mit Anti-Stigma-Projekten (z. B. BASTA, Bündnis für psychisch erkrankte Menschen [33]).

therapie werden Substanzen hauptsächlich nach Zielsymptomatik, aber auch nach Nebenwirkungsprofil unter Berücksichtigung der spezifischen Vulnerabilität des betreffenden Patienten ausgewählt (s. Teil 1; [1]). In den Leitlinien zur Wahl eines Antipsychotikums z. B. wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung nicht nur nach Schwere der Erkrankung und der vorherrschenden Symptomatik, sondern auch nach „vorliegenden Komorbiditäten und den individuell hinnehmbaren Nebenwirkungen“ zu treffen sein muss (z. B. [3, 4]). Ferner treten lästige UAW unter Psychopharmaka häufig auf, sodass eine Behandlung oft subjektiv nicht als Verbesserung des Zustands, sondern zunächst sogar als Verschlechterung erlebt werden kann. Im klinischen Alltag zeigen sich Differenzen zwischen der Sicht der Patienten und der Ärzte: Viele Patienten haben besondere Bedenken hinsichtlich einer etwaigen Abhängigkeit, einer unspezifischen „Ruhigstellung“ und einer „Persönlichkeitsveränderung“ – während unter erfahrenen Psychiatern Dyskinesien und Akathisien besonders gefürchtet sind.

Die Wahrnehmung psychiatrischer Patienten und Behandlungen in der Öffentlichkeit ist komplex und von verschiedenen Einflüssen geprägt. Informationsdefizite, historische und faktische Belastungen, aber auch Mythen und Phantasien bilden eine problematische Amalgamierung. Das Stigmatisieren von psychiatrischen Patienten und Institutionen erschwert die Behandlung. Dem ist durch Entwirren der Einflussfaktoren, durch das Ernstnehmen begründeter Bedenken bei gleichzeitigem Enttarnen von Vorurteilen und Phantasien und durch sachliche Informationen und Aufklärung zu begegnen.

Compliance, Adherence und Concordance in der Psychiatrie

Psychopharmakologische Behandlungen weisen " Tab. 1). einige spezifische Besonderheiten auf (● Sehr häufig sind sie auf Dauer ausgelegt, in deren Verlauf es zu relevanten Änderungen der Verträglichkeit kommen kann, auf die eingegangen werden muss (s. Teil 1; [1]). In der Psychopharmako-

behandlungsbezogen

situationsbezogen

(psychopharmakologisch) – fehlende Krankheitseinsicht häufig krankheitsimmanent – fragile Behandlungsbereitschaft – oft chronische oder lang dauernde Erkrankungen

– häufig dauerhafte Behandlungen notwendig – öfters lästige oder schwere UAW – mitunter zunächst subjektive Verschlechterung – spät auftretende UAW möglich – erwünschte Wirkung nicht sicher vorhersehbar – UAW nicht sicher vorhersehbar

– Sonderfall der Zwangsbehandlung – historische Belastung – Mystifizierung – Informationsmangel – Stigmatisierung

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!

Die Begriffe Compliance und Adherence werden häufig synonym verwendet, wobei es Unterschiede gibt. Der Terminus „Compliance“ beschreibt ursprünglich die „Therapietreue“ eines Patienten dahingehend, ob dieser die medizinischen Ratschläge befolgt. Adherence, die „Einhaltung“, ist die Höhe der Übereinstimmung des tatsächlichen mit dem vereinbarten Verhalten. Wenn auch im Begriff der Adherence die Zusammenarbeit von Arzt und Patient wie etwa in einer Behandlungsplanvereinbarung eher enthalten ist, so sind doch beide Größen auf das Verhalten des Patienten bezogen. Demgegenüber bezieht sich die Concordance, die „Übereinstimmung“, mehr auf die Art der Interaktion und der Beziehung zwischen Arzt und Patient [5]. Für das Gelingen der Behandlung sind viele Faktoren relevant, neben gesellschaftspolitischen (s. o.) und allgemein patientenbezogenen auch therapeuten- und therapiebezogene Größen. Hierzu zählen u. a. die Wirkungen und Nebenwirkungen einer Behandlung und auch die Vermittlung der Sinnhaftigkeit einer Therapie. In der Psychiatrie spielen unter den medizinischen Disziplinen krankheitsbedingte Faktoren wohl die größte Rolle, da Krankheitskonzepte bei psychiatrischen Krankheitsbildern morbiditätsimmanent häufig verschoben sind oder ganz fehlen. Eine nicht vorliegende oder fragile Behandlungskontinuität führt oft zu Krankheitsrezidiven, damit zu Leiden des betroffenen Patienten und/oder seiner Umgebung, aber auch zu nicht zu ignorierenden ökonomischen Belastungen (s. u.). Es wird derzeit in der

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dingt direkt bzw. invers mit erwünschter bzw. unerwünschter Wirkung korreliert sind und einen ganz eigenen Bereich darzustellen scheinen. Wie oben dargelegt, sind die eigentlichen behandlungsbezogenen Faktoren im engen Sinn mit einem komplexen System verschiedenster Einflüsse verwoben.

Behandlungskontinuität ist anzustreben. Unterbrechungen können zu Rezidiven und zu Verschlechterungen des Verlaufs führen, damit zu individuellem Leid, aber auch zu allgemeinen ökonomischen Belastungen. Die Behandlungskontinuität ist von vielen Einflussgrößen abhängig, darunter von gesellschaftspolitischen, patienten- und krankheitsbezogenen, aber auch therapeuten- und therapiebezogenen Faktoren. Maßnahmen zur Gewährleistung müssen daher an verschiedenen Stellen angreifen.

Arzneimittelsicherheit in Aufklärung und Dokumentation !

Verbesserung der Medikamentenverträglichkeit Das Bemühen um die Verbesserung der Medikamentenverträglichkeit hat in der psychiatrischen psychopharmakologischen Forschung und Entwicklung traditionell (s. o.) einen besonderen Stellenwert, gestaltet sich jedoch schwierig. Große Hoffnungen wurden z. B. in die sog. „Atypischen Neuroleptika“ gesetzt, deren reduziertes Risiko zur Ausbildung extrapyramidalmotorischer Störungen (EPMS) die Behandlungstreue revolutionieren sollte. In einer retrospektiven Studie fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen Compliance unter „typischen“ und „atypischen“ Neuroleptika [7]; in einer prospektiven Studie konnte eine Compliance von 50,1 % nach zwölf Monaten unter typischen Antipsychotika und von 54,9 % unter Atypika festgestellt werden [8]. Dieses Phänomen dürfte in vielen komplex verwobenen Faktoren begründet sein; Skepsis gegenüber einer Behandlung muss nicht in der aktuellen Situation, sondern kann auch durch eine längst zurückliegende schlechte Erfahrung bedingt sein. Jedoch ist das Risiko der Entwicklung von EPMS unter den „atypischen“ Neuroleptika unterschiedlich, so dass eher von einer heterogenen Gruppe auszugehen ist, und eher die individuelle Einzelsubstanz betrachtet werden sollte. Inzwischen wird insofern auch eher der Terminus „Second Generation Antipsychotics“ (SGA) verwendet, in Abgrenzung zu den „First Generation Antipsychotics (FGA)“, bei denen das Zulassungsdatum bereits länger zurückliegt. Eine weitere Größe stellen subjektives Wohlbefinden und Lebensqualität dar, die nicht unbe-

Aufklärung Aus klinischer Sicht ist die Aufklärung über eine Behandlung bereits ein wesentlicher Teil derselben. Sie vermittelt bereits in der Interaktion eine Zuwendung und in der Information ein Krankheitskonzept und ein Therapieprinzip und ist somit im Idealfall Teil des psychoedukativen, einordnend-anxiolytischen, verarbeitenden und letztlich heilenden Prozesses. Eine ehrliche, sorgfältige, wohlwollende und individuelle Aufklärung kann zudem zum Aufbau der therapeutischen Beziehung beitragen. Das Phänomen, dass die ärztliche Verordnung selbst einen Teil der Wirksamkeit eines Medikaments darstellt, mitunter beschrieben als „die Droge Arzt“ und Part des sog. Placebo-Effekts, ist bereits lange bekannt. In letzter Zeit wird auch Augenmerk gelenkt auf das inverse Geschehen und den sog. „Nocebo-Effekt“ (Übersicht bei [9]): Durch bestimmte Aspekte der Informationsweitergabe können negative Folgen induziert werden. Beide Effekte gilt es bei einer guten Aufklärung zu beachten. Der interaktionelle Aspekt der Aufklärung darf als Teil der Behandlung begriffen und genutzt werden, sollte aber nicht in Manipulation ausarten. Die Information sollte umfassend und ehrlich weitergegeben werden, ohne jedoch den Patienten zu verstören. Es können z. B. positive Formulierungen gewählt und Hinweise auf die Seltenheit und Unwahrscheinlichkeit des Auftretens von UAW gegeben werden. Die klinische Erfahrung lehrt, dass mitunter die Vorwegnahme des möglichen Auftretens einer UAW und die dann zu ergreifenden Maßnahmen vom Patienten als vertrauensfördernd erlebt wer-

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Behandlung der Schizophrenie empfohlen, eine konsequente Therapie möglichst frühzeitig einzuleiten [6]. Die klinische Erfahrung zeigt zudem, dass bei Unterbrechungen einer wirksamen Behandlung diese bei Neuansetzen ihre Wirksamkeit u. U. nicht mehr in dem ursprünglichen Maß entfaltet. Insofern muss das Bemühen um eine möglichst hohe Adherence und Concordance in der Psychiatrie einen hohen Stellenwert haben und an allen Punkten ansetzen. Es wird versucht, der allgemeinen gesellschaftspolitischen Problematik (s. o.) mit verbesserter Öffentlichkeitsarbeit wie mit speziellen Anti-Stigma-Konzepten zu begegnen. Auf patienten-, krankheits-, behandlungs- und therapeutenbezogene Faktoren muss in der individuellen klinischen Behandlung eingegangen werden. Hierbei kommen viele Maßnahmen zum Einsatz, darunter Vermittlung von Krankheitskonzepten und Therapieprinzipien in Einzelgesprächen und psychoedukativen Gruppen, Angehörigenarbeit und Behandlungsaufklärung. Die Beachtung von Arzneimittelsicherheitsaspekten ist demnach lediglich Teil eines Gesamtkonzepts, jedoch während der gesamten Therapie von zentraler Bedeutung (s. Teil 1; [1]).

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den – sowohl den Arzt als auch die Behandlung betreffend. Falls eine UAW eintritt, wird der Patient nicht erschrecken und wissen, was zu tun ist. Im Idealfall werden dem Patienten also Informationen vermittelt, die er selbst verwalten kann und durch die er somit Autarkie behält. Das wiederum fördert Selbstwirksamkeit und gerät somit erneut zur therapeutischen Maßnahme. Der Patient hat Mitgestaltungspotenzial und behält auch Verantwortung über seine Gesundheit. Auch für den Arzt ist dieses Vorgehen von Vorteil. Der Patient trägt mit ihm die Last von Verantwortung und Entscheidung. In der Medizin gilt dieses Prinzip der informierten partizipativen und gemeinsamen Entscheidungsfindung bzw. „Shared Decision Making“ inzwischen als Standard [10]. Das Ziel eines Zusammenwirkens von Arzt und Patient bei der Behandlung spiegelt sich auch im neuen Patientenrechtegesetz wider, das am 26. Februar 2013 in Kraft trat (§§ 630a ff. BGB; [11]). Aufklärungsmaßnahmen müssen den gesamten therapeutischen Prozess begleiten. Es kann z. B. notwendig werden, auf sich im Verlauf neu ergebende Risiken hinzuweisen, wie bei Änderungen von Komorbiditäten, Komedikationen, des Lebensstils u. a. Im Verlauf sollte immer wieder auch gemeinsam überlegt und entschieden werden, ob und wie eine Behandlung fortgeführt werden sollte. Ferner müssen ggf. notwendige Kontrolluntersuchungen besprochen werden. Und auch das Absetzen von Medikamenten erfordert meist einige Vorsichtsmaßnahmen (s. Teil 1; [1]).

Die Aufklärung über eine Behandlung ist bereits Teil derselben. Sowohl Placebo- als auch Nocebo-Effekte sind zu berücksichtigen. Das Prinzip der partizipativen Entscheidungsfindung („Shared Decision Making“) bringt für Patient und Arzt erhebliche Vorteile und wird in der modernen Medizin bevorzugt. Aufklärungsmaßnahmen sind nicht nur vor, sondern auch während und bei Beendigung einer Behandlung erforderlich und müssen den gesamten therapeutischen Prozess begleiten.

Besonderheiten in der Psychiatrie Wiederum sind in der Psychiatrie im Gegensatz zu den meisten anderen medizinischen Fachdisziplinen einige Besonderheiten zu beachten. Durch psychiatrische Erkrankungen können psychische Funktionen in einer Weise beeinträchtigt sein, die eine Entscheidungsfindung erschwert oder sogar unmöglich macht. In diesen Fällen muss die Umgebung die notwendigen psychischen Funktionen des Patienten vorrübergehend oder dauerhaft vertretungsweise übernehmen. Eine solche Beeinträchtigung kann die verschiedenen psychischen Bereiche betreffen, wie Orientierung, Kognition,

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Realitätsbezug, aber auch in starken affektiven Verfärbungen. Die Übernahme der psychischen Funktionen ist ein erhebliches Eingreifen in die persönlichen Belange eines Menschen, kann aber unter bestimmten Umständen notwendig sein. Dabei können sowohl Angehörige als auch staatliche Institutionen und therapeutisches Personal gefordert sein. Unter Umständen müssen dem Patienten die Entscheidungen teilweise oder ganz abgenommen werden. In der Psychiatrie gibt es daher verschiedene und veränderbare Positionen in einem Kontinuum des komplementären Arzt-PatientenVerhältnisses zwischen folgenden Extrempositionen: – auf Seiten des Patienten zwischen einer kompletten Regression und Passivität bis zur vollkommenen Autonomie und Aktivität – auf ärztlicher Seite zwischen patriarchalischer und autoritärer Führung und völliger Zurücknahme Das hat auch Auswirkungen auf Art und Möglichkeiten einer Aufklärung, die dementsprechend zwischen den Varianten einer im Extremfall lediglich bestehenden Mitteilung eines ohne den Patienten gefällten Beschlusses (s. u.) und eines ausführlichen gemeinsamen Entscheidungsprozesses gestaltet werden muss. Klinisch ist dies wiederum als ein dynamischer Vorgang innerhalb eines Kontinuums zu begreifen: Ist ein Patient möglicherweise in der akuten Phase seiner Erkrankung außerstande, sich am Behandlungskonzept zu beteiligen, so ist er doch vielleicht nach Anbehandlung bereits in einem gebesserten Zustand, der ihm erlaubt, zumindest bereits Teilaspekte mitzuverfolgen, um schließlich in remittiertem Befinden den gesamten Behandlungsplan mitzuerstellen und zu tragen. Insofern muss dieser Plan – wie auch die Aufklärung – gestaffelt erfolgen. Falls der Patient zu einer Teilnahme am Entscheidungsprozess nicht in der Lage ist und dieser für ihn übernommen werden muss, sind rechtliche Aspekte zu beachten (s. u.).

Durch psychische Erkrankungen können seelische und geistige Funktionen in einer Weise beeinträchtigt sein, die eine Entscheidungsfindung erschwert oder sogar unmöglich macht. Ziel jeder Behandlung ist die Wiederherstellung der psychischen Autonomie des Patienten. Die vertretungsweise Übernahme der psychischen Funktionen ist ein erhebliches Eingreifen in die persönlichen Belange eines Menschen, kann aber unter bestimmten Umständen notwendig sein. In der Psychiatrie muss dann vorrübergehend auf einen patriarchalischen Behandlungsstandpunkt zurückgegriffen und die ideale Position der gemeinsam mit dem Patienten erfolgenden Entscheidungsfindung verlassen werden. Klinisch ist das als dynamischer

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Bei der Verordnung von Psychopharmaka sind die generellen Aufklärungsregeln zu beachten (s. u.). Im klinischen Alltag treten einige Fragen häufig auf: Viele Patienten und Angehörige haben Befürchtungen bezüglich einer Abhängigkeitsentwicklung, einer „Ruhigstellung“ und einer Persönlichkeitsveränderung durch Medikamente. Diese sollten möglichst ausgeräumt werden. Bei Verordnung von tatsächlich Abhängigkeit erzeugenden Substanzen sollte dies, wenn möglich, sofort mitgeteilt werden (z. B. bei sofort als vorrübergehend deklarierter Gabe von Benzodiazepinen oder schlafanstoßenden Substanzen in der akuten Krankheitsphase), sodass der Patient von Anfang an informiert ist und Verantwortung übernimmt. Häufig wird auch die Einschätzung geäußert, dass Medikamente nichts an den eigentlichen Problemen ändern. Hier hat sich oft die Argumentation bewährt, dass Arzneien helfen können, eine bessere Ausgangsposition zur Problemlösung zu erzielen. Klinisch wichtig erscheint ferner der Hinweis auf eine evtl. zu erwartende Wirklatenz (z. B. bei Gabe von Antidepressiva) und die nicht sichere Vorhersagbarkeit von Ansprechen und unerwünschten Wirkungen. Das Verabreichen einiger Psychopharmaka, z. B. mit geringer therapeutischer Breite, besonders gefahrvollem Nebenwirkungsspektrum oder der Notwendigkeit spezieller Einnahme- oder diätetischer Regelungen erfordert besondere Aufklärungsmaßnahmen (z. B. bei Lithium, Clozapin, Tranylcypromin).

Bei der Verordnung von Psychopharmaka sind die generellen Aufklärungsrichtlinien zu beachten. Die klinische Praxis lehrt, dass bei Patienten und Angehörigen oftmals Befürchtungen bezüglich einer Abhängigkeitsentwicklung, einer „Ruhigstellung“ und einer Persönlichkeitsveränderung durch Medikamente bestehen, denen im Gespräch möglichst begegnet werden sollte. Ratsam sind zudem Hinweise auf eine evtl. zu erwartende Wirklatenz und die nicht sichere Vorhersagbarkeit von erwünschten und unerwünschten Wirkungen. Geringe therapeutische Breiten oder spezielle Einnahmeregelungen müssen genau erklärt werden.

Dokumentation Aus klinischer Sicht ermöglicht die Dokumentation des Ausgangsbefunds, der einzelnen therapeutischen Schritte und ihrer Wirkung das Nachvollziehen der jeweiligen diagnostischen und therapeutischen Überlegungen und damit insgesamt eine Verlaufsbeurteilung [12]. Sie erleichtert damit die Behandlung und auch eine evtl. Übergabe an mitoder weiterbehandelnde Therapeuten. Damit dient sie auch Sicherheitsaspekten. Sie schützt den Patienten vor falschen Behandlungen. Neben weiteren Funktionen wie der Grundlage für Abrechnung und Qualitätssicherungsmaßnahmen stellt sie zudem auch die Datenbasis für wissenschaftliche Arbeiten dar, die ihrerseits wiederum den Ausgangspunkt für die Erforschung weiterer Arzneimittelsicherheitsaspekte darstellt (s. u.). Nicht nur aus forensischer Sicht (s. u.), sondern aus intrinsischem klinischen Interesse ist deshalb eine gute Dokumentation erstrebenswert. Sie sollte möglichst leserlich, ausreichend ausführlich, leicht nachvollziehbar und in sich konsistent erfolgen. Bewährt hat sich in der klinischen Praxis eine strikte Trennung von anamnestischen Informationen, Untersuchungsbefunden und den abgeleiteten Interpretationen. Eine diesbezügliche Disziplin ermöglicht auf der Basis der erfassten Informationen zu einem späteren Zeitpunkt – ggf. unter Einbeziehung weiterer und/ oder aktuellerer Kenntnisse – auch abweichende Schlussfolgerungen.

Die Dokumentation des Ausgangsbefundes und der einzelnen therapeutischen Schritte und ihrer Wirkung ermöglicht eine Verlaufsbeurteilung. Die Dokumentation dient der Behandlung, der Übergabe und der Sicherheit, zudem der Abrechnung, der Qualitätssicherung und der Wissenschaft. Sie sollte möglichst leserlich, ausreichend ausführlich, leicht nachvollziehbar und in sich konsistent erfolgen.

Arzneimittelsicherheit – Forensische Aspekte !

Eine eingehende Erörterung aller klinisch relevanten Aspekte kann in der vorliegenden Arbeit nicht gegeben werden. Es darf hierzu auf Kapitel in Lehrbüchern der Forensischen Psychiatrie verwiesen werden sowie auf Fachartikel zu entsprechenden Themen wie zu Aufklärung, Dokumentation, Einwilligungsfähigkeit, Schweigepflicht u. a. [13]. Kurz zusammengefasst sind die im Folgenden beschriebenen forensischen Aspekte zur Arzneimittelsicherheit aus klinischer Sicht von Relevanz.

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Vorgang zu begreifen. Behandlungsplan und Aufklärung müssen häufig gestaffelt erfolgen. Falls der Patient zu einer Teilnahme am Entscheidungsprozess nicht in der Lage ist, und dieser für ihn übernommen werden muss, sind rechtliche Aspekte zu beachten.

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Aufklärung und Dokumentation Diagnoseaufklärung Die Diagnoseaufklärung beinhaltet das Darlegen des ärztlichen Befundes. Dabei besteht die Verpflichtung, den Patienten über die ganze Tragweite seiner Erkrankung zu informieren. Sind jedoch das Leben oder die Gesundheit eines Patienten durch die Mitteilung eines schwerwiegenden Befundes ernsthaft gefährdet, darf die Diagnoseaufklärung aus therapeutischen Erwägungen heraus eingeschränkt werden. Bei der Information von Angehörigen sind die aus der ärztlichen Schweigepflicht resultierenden Vorgaben zu beachten.

Therapeutische Aufklärung Die therapeutische Aufklärung (Behandlungs- und Verlaufsaufklärung) hat im Wesentlichen zum Gegenstand, den Patienten über den unbehandelten Verlauf seiner Erkrankung und die zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten zu informieren. Dabei müssen die zur Verfügung stehenden Behandlungsalternativen dargelegt werden. Wenn eine bestimmte Vorgehensweise (z. B. medikamentöse Behandlung mit einem konkreten Präparat) geplant wird, ist im Rahmen einer umfassenden Aufklärung auch auf die evtl. Versagerquote und den u. U. medizinisch sinnvollen „OffLabel-Use“ von Medikamenten hinzuweisen (auch hierzu siehe §§ 630a ff. BGB, „neues Patientenrechte-Gesetz“; BGB 2013). Bei Verordnung ist stets zu prüfen, ob das gewählte Medikament in der beabsichtigten Dosierung für die zu behandelnde Störung zugelassen ist [1]. Auch wenn das nicht der Fall ist, kann eine Behandlung im Sinne eines sog. „Heilversuchs“ erfolgen; es handelt sich dann um eine sog. „Off-Label“Therapie. Zu bedenken ist neben der Frage der Kostenübernahme auch die Notwendigkeit der expliziten Informierung der Patienten hierüber. Seit der sog. „Nikolaus-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 [34] besteht in folgenden Fällen ein Anspruch auf Kostenerstattung für Arzneimittel oder Behandlungsmethoden: – bei lebensbedrohlicher oder regelmäßig tödlich verlaufender Erkrankung – wenn keine Standardtherapie zur Verfügung steht bzw. die Standardtherapie ausgeschöpft ist – wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Bestehende Leitlinien sind für eine Behandlung nicht verbindlich, sondern lediglich ein Anhaltspunkt. Das Abweichen von Richtlinien bzw. Leitlinien erhöht jedoch in forensischem Kontext den Rechtfertigungsdruck. Das begründet die Empfehlung einer umso genaueren und sorgfältigeren Dokumentation, je weiter sich eine Maßnahme von den üblichen Vorgehensweisen entfernt.

Risikoaufklärung Bei der Risikoaufklärung (auch Komplikationsaufklärung) steht das Informieren des Patienten über

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Risiken, Gefahren und Komplikationen im Vordergrund. Hierbei ist v. a. auf Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten von Medikamenten hinzuweisen und das konkrete, spezifische Risikospektrum des angewandten Therapieverfahrens im Auge zu behalten. Evtl. Dauerschäden (z. B. Spätdyskinesien, metabolisches Syndrom) sind zu beachten. Der Patient ist „im Großen und Ganzen“ über bedeutsame Risiken zu informieren [12]. Dabei spielt die persönliche Lebensführung des Patienten für die erforderliche Intensität des Aufklärungsgesprächs eine Rolle. Die Patienten sind auch über selten auftretende Komplikationen aufzuklären, wenn diese für sie überraschend und in ihren speziellen Lebensverhältnissen erkennbar besonders schwerwiegend wären. Therapie- und Risikoaufklärung müssen insg. folgende Punkte umfassen: – Vorgehen bei Diagnostik und Therapie – Folgen einer Behandlung und von Behandlungsalternativen – Risiken einer Behandlung – Folgen einer Nichtbehandlung Die ärztliche Aufklärung muss im persönlichen Gespräch des Arztes mit dem Patienten oder seinem gesetzlichen Vertreter (i. d. R. Betreuer) erfolgen. Bei elektiven Maßnahmen, die ein gewisses Risiko beinhalten, ist den Aufzuklärenden auch eine ausreichende Bedenkzeit (ca. ein Tag) einzuräumen. Die ärztliche Aufklärung kann prinzipiell nur durch einen Arzt erfolgen. Die Verwendung von Aufklärungsbögen kann evtl. zweckmäßig sein. Sie können jedoch das persönliche Gespräch nie ersetzen, sondern dienen lediglich der besseren Strukturierung. Sprachliche Barrieren müssen überwunden werden. Die evtl. abgestuft vorgenommenen Aufklärungsmaßnahmen sind zuverlässig (handschriftlich und in Stichworten) zu dokumentieren [12]. Aufzuführen sind Teilnehmer, Ort, Zeitpunkt des Gesprächs und der Hinweis, dass der Patient oder sein rechtlicher Vertreter Gelegenheit hatten, Fragen zu stellen. Eine Unterschrift des Patienten ist in der klinischen Praxis nicht üblich. Auch die Dokumentation der Aufklärung hat aus forensischer Sicht eine maßgebliche Bedeutung im Sinne einer Beweisfunktion im Fall einer Klage. Bei Fragen nach etwaigen Mängeln einer Therapie wird unterschieden zwischen eigentlichen Behandlungsfehlern (im Sinne eines fehlerhaften Tuns oder Unterlassens) und Aufklärungsfehlern.

Die ärztliche Aufklärung umfasst Diagnose-, Therapie- und Risikoaufklärung und beinhaltet das Vorgehen bei Diagnostik und Therapie, die Folgen einer Behandlung und von Behandlungsalternativen, die Risiken einer Behandlung und die Folgen einer Nichtbehandlung. Die ärztliche Aufklärung muss im persönlichen Gespräch des Arztes mit dem Patienten oder

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Fort- und Weiterbildung seinem gesetzlichen Vertreter (i. d. R. Betreuer) erfolgen. Bei elektiven und risikobehafteten Maßnahmen ist eine ausreichende Bedenkzeit einzuräumen. Sprachliche Barrieren müssen überwunden werden. Die Dokumentation muss zuverlässig erfolgen (handschriftlich und in Stichworten) und Angaben zu Teilnehmer, Ort und Zeitpunkt des Gesprächs umfassen sowie den Hinweis, dass dem Patienten oder seinem rechtlichen Vertreter Gelegenheit gegeben wurde, Fragen zu stellen. Es besteht die Verpflichtung zur Dokumentation der Behandlung und der Aufklärung.

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Bei einwilligungsunfähigen Patienten bedürfen ärztliche Behandlungen der Ersatzeinwilligung des Bevollmächtigten oder Betreuers. Eine betreuungsrichterliche Zustimmung ist zusätzlich erforderlich, wenn bei einem einwilligungsunfähigen Patienten durch die Untersuchung, die Heilbehandlung oder den ärztlichen Eingriff die Gefahr besteht, daran zu sterben oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden zu erleiden (§ 1904 BGB). Ist ein Bevollmächtigter noch nicht benannt und/oder ein Betreuer noch nicht bestellt, muss eine gesetzliche Betreuung angeregt werden.

Die Zustimmung zu einer Behandlung kann nur dann rechtswirksam erfolgen, wenn der Patient einwilligungsfähig ist. Einwilligungsfähigkeit wird in verschiedenen Gesetzen erwähnt und dabei etwas unterschiedlich aufgefasst. Übereinstimmung besteht darin, dass von einer Relativität auszugehen ist: Je komplexer oder schwerwiegender ein Eingriff ist oder je nachhaltiger dessen Folgen sind, desto höher sind die juristischen Anforderungen, die an die Einwilligungsfähigkeit gestellt werden. Von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP; www. agnp.de) wurde eine klinisch relevante Konzeption der Einwilligungsfähigkeit entwickelt, die sich an in Gesetz und Rechtsprechung gängigen Prinzipien orientiert [14]: – Dem erwachsenen Menschen ist primär Einwilligungsfähigkeit zu unterstellen. – Einwilligungsunfähigkeit ist zu definieren und Einwilligungsfähigkeit anzunehmen, falls Einwilligungsunfähigkeit nicht besteht. – Die Definition der Einwilligungsunfähigkeit erfolgt zweistufig: „Einwilligungsunfähig ist derjenige, der wegen Minderjährigkeit, psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung (1. Stufe) unfähig ist, den für die Entscheidung relevanten Sachverhalt zu verstehen (Verständnis), ihn im Hinblick auf seine gegenwärtige Situation und die sich daraus ergebenden Folgen und Risiken zu verarbeiten (Verarbeitung), zu erfassen, welchen Wert die betroffenen Interessen für ihn haben und zwischen welchen Möglichkeiten er wählen kann (Bewertung), und den eigenen Willen auf der Grundlage von Verständnis, Verarbeitung und Bewertung der Situation zu bestimmen (Bestimmbarkeit des Willens), (2. Stufe).“ [14] Das bedeutet, dass nicht allein das Vorliegen einer Erkrankung die Annahme von Einwilligungsfähigkeit begründet, sondern nur unter der Bedingung, dass psychische Funktionen so sehr gestört sind, dass einer oder mehrere der oben genannten Prozesse, die zur Bildung und Abgabe einer Einwilligung notwendig sind, nicht mehr möglich sind.

Explizit muss über etwaige Beeinträchtigungen der Fahrtauglichkeit aufgeklärt werden. Umfassende Darstellungen rechtlicher und psychiatrischer Implikationen finden sich in entsprechenden Übersichtsarbeiten [15, 16]. Zusammengefasst sind in der klinischen Praxis zumeist folgende Faktoren relevant: Die Fahrtauglichkeit kann primär eingeschränkt sein durch eine psychische Erkrankung. Beeinträchtigungen folgender psychischen Bereiche geben Anlass zur Sorge: Orientierung, Kognition (Konzentration, Aufmerksamkeit), formales Denken (z. B. i. S. einer Verlangsamung, einer Reduktion der Flexibilität oder Zerfahrenheit) und Belastbarkeit. Aber auch Störungen anderer psychischer Bereiche können u. U. Fahruntauglichkeit bedingen. Wesentlich sind auch die Haltung des Patienten sowie seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Verantwortlichkeit. Hinweisend hierfür können seine Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie Krankheitseinsicht sein. Für die Beurteilung einer evtl. Fahruntauglichkeit ist mehr das Ausmaß der tatsächlichen Störung als die zugrundeliegende Diagnose von Relevanz. Die Fahrtauglichkeit kann ferner sekundär eingeschränkt sein durch die Behandlung. Es stehen hierbei insgesamt wenige systematische Untersuchungen zur Verfügung. Die arzneimittelbedingte Fahruntüchtigkeit ist im medizinisch-juristischen Gesamtzusammenhang nur individuell zu beurteilen [16]. Psychiatrische Erkrankungen können u. U. durch Psychopharmaka so weit gebessert oder geheilt werden, dass die Voraussetzungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs erst geschaffen werden [16]. Wenn aber durch Psychopharmaka körperliche (z. B. Akkomodationsstörungen bei anticholinerg wirksamen Substanzen; Parkinsonoid bei antipsychotischer Behandlung) oder psychopathologische Beeinträchtigungen (z. B. Konzentrationsstörungen oder Verlangsamung bei sedierenden Wirkstoffen) hervorgerufen werden, kann das zur Fahruntauglichkeit führen. Relativ eindeutig scheint die Situation in Bezug auf Benzodiazepine: Hier wird von einem 1,5- bis 6,5-fach erhöhten relativen Verkehrsunfallrisiko ausgegangen [17].

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Fahrtauglichkeit Exkurs: Einwilligungsunfähigkeit

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Hinsichtlich Antipsychotika und Antidepressiva wird zu Beginn einer Behandlung, bei Dosisänderungen und bei Umstellungen vom Führen eines Kraftfahrzeugs abgeraten [16]. In der klinischen Praxis scheint es empfehlenswert, zwei Wochen bei stabiler Dosierung abzuwarten. In Zweifelsfällen empfiehlt sich eine spezielle neuropsychologische Testung zur Fahrtauglichkeit an einer darauf spezialisierten Klinik. Auch wenn fahrtauglichkeitsbedingende Beeinträchtigungen offensichtlich scheinen, darf die explizite Aufklärung nicht vergessen werden. Diese ist unbedingt zu dokumentieren.

Psychische Krankheiten können mit Beeinträchtigungen einhergehen, die eine Fahrtauglichkeit ausschließen. Durch Behandlung können sie gelindert oder geheilt werden. Medikamente können jedoch ihrerseits zu Beeinträchtigungen führen, die Fahruntauglichkeit bedingen. Die Beurteilung kann nur individuell erfolgen. Bei sedierenden Substanzen sowie generell bei Neueinstellung, Dosisänderungen und Umstellungen ist besondere Vorsicht geboten. Als klinisch hilfreich gilt die Empfehlung, zwei Wochen bei stabiler Dosierung abzuwarten. Die Aufklärung ist vorzunehmen und zu dokumentieren.

auf ökonomische Faktoren hingewiesen werden. Untersuchungen im Rahmen des Projekts „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMSP)“ (s. u.) ergaben, dass UAW (N = 2944) zu hohen Anteilen diverse kostenintensive Maßnahmen nach sich ziehen: In 21 % der Fälle waren Konsile anderer Fachdisziplinen notwendig, in 11 % Verlegungen in andere Kliniken, zu Aufenthaltsverlängerungen kam es in 42 % der Fälle. Ein anderer Auswertungsansatz zeigte, dass bei Patienten mit UAW die durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Vergleich zur gesamten überwachten Population etwa doppelt so hoch lag. Wie oben ausgeführt, ist die Thematik der Behandlungstreue in der Psychiatrie von zentraler Bedeutung. Non-Compliance, die u. a. auch durch UAW begünstigt wird, kann ihrerseits zu gravierenden Folgen führen: zu Krankheitsrückfällen mit allen Komplikationen, zu stationären Wiederaufnahmen, insgesamt höherer Inanspruchnahme medizinischer Interventionen und damit auch zu hohen ökonomischen Belastungen [19, 20].

UAW können erhebliche Mehrkosten verursachen, u. a. durch Verlängerungen stationärer Aufenthalte, Gegenmaßnahmen, darunter Verlegungen. Non-Compliance nach UAW kann ihrerseits zu Rezidiven und weiteren damit verbundenen Kosten führen.

Meldepflicht von unerwünschten Arzneimittelwirkungen Für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) besteht gemäß der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte (Stand 2011; B I § 6) eine Meldepflicht bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Entsprechende Formulare und Hinweise sind über die Website (www.akdae.de) erhältlich [18]. UAW sind bereits bei Verdacht zu melden (zeitlicher Zusammenhang und Fehlen einer offensichtlichen anderen Ursache). Von besonderem Interesse sind: UAW von klinischer Schwere, UAW unter neu eingeführten Wirkstoffen (bis 5 Jahre nach Zulassung), UAW, die bisher unbekannt bzw. nicht in der Fachinformation aufgeführt sind, UAW bei Kindern, UAW, die nach längerer Anwendung oder mit zeitlicher Verzögerung auftreten (Spätfolgen), Häufungen einer bestimmten UAW sowie UAW bei Anwendung außerhalb der Zulassung.

Arzneimittelsicherheit – Ökonomische Aspekte

Arzneimittelsicherheit – Wissenschaftliche Aspekte !

Verständnis physiologischer und pathophysiologischer Prozesse Erforschung von Arzneimitteln und Anwendungsbeobachtungen können zum Verständnis physiologischer und pathophysiologischer Prozesse beitragen. In der Psychiatrie z. B. war der Wirkmechanismus der Antipsychotika zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung vollkommen unbekannt [21]. Kurz nach Einführung beobachteten die Kliniker allerdings bereits parkinson-ähnliche Symptome unter der Medikation [22]. U. a. dieses Phänomen gab entscheidende Hinweise auf zugrundeliegende neurobiologische Prozesse, da Morbus Parkinson bereits als Störung des Dopaminstoffwechsels bekannt war, und trug zur Postulierung der sog. „Dopaminhypothese“ der Psychose bei ([23]; Übersichten zur Geschichte s. z. B. bei [21, 24].

!

Eingehende wirtschaftswissenschaftliche Erörterungen würden sowohl die medizinische Kompetenz als auch den Rahmen der vorliegenden Arbeit übersteigen. Im Zusammenhang mit Arzneimittelsicherheit muss jedoch zumindest auch

Stübner S et al. Arzneimittelsicherheit in der … Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81: 715–729

Untersuchungen von Arzneimittelwirkungen können zum Verständnis physiologischer und pathophysiologischer Prozesse beitragen.

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Fort- und Weiterbildung

Untersuchungen zur Arzneimittelsicherheit Im Zusammenhang mit Arzneimittelsicherheit kommen i. d. R. zwei wissenschaftliche Ansätze in Kombination zum Einsatz: die Pharmakoepidemiologie und die Pharmakovigilanz.

Pharmakoepidemiologie Die Pharmakoepidemiologie dient der Arzneimittelsicherheit und beschäftigt sich deskriptiv mit Verordnungs- bzw. Einnahmegewohnheiten in der Bevölkerung sowie analytisch mit Signalgenerierungen bei der Ermittlung von UAW.

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ler für seine Medikamente auf internationaler Ebene durchgeführt, und zum anderen von verschiedenen Regierungsbehörden und/oder berufsständischen Stellen für alle zugelassenen Arzneimittel auf nationaler Ebene. Beispiele hierfür sind „Medwatch“ in den USA, das „Centre National de Pharmacovigilance“ in Frankreich, die „Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel“ in der Schweiz sowie die „Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKdÄ)“ und das „Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)“ in Deutschland.

Pharmakovigilanz

Bei Untersuchungen zur Arzneimittelsicherheit kommen i. d. R. kombinierte Methoden der Pharmakoepidemiologie und Pharmakovigilanz zum Einsatz.

Methoden Die Einschätzung des Spektrums von UAW eines Medikaments ist ein Prozess, der die gesamte Zeit andauert, in der die betreffende Substanz angewandt wird. Die Methoden, die eingesetzt werden, hängen dabei von der jeweiligen Phase ab (vor und nach der Zulassung; zum folgenden Abschnitt vgl. [25] und Referenzen darin).

Vor Zulassung Vor Zulassung kann ein Medikament nur innerhalb begrenzter klinischer Studien eingesetzt werden, die durch den Hersteller finanziert sind. Diese Studien schließen eine systematische Erfassung aller unerwünschten Ereignisse (UE) bzw. „Adverse Events“ (AE) und aller schweren unerwünschten Ereignisse (SUE) bzw. „Serious Adverse Events“ (SAE) ein. Dann muss beurteilt werden, ob ein Zusammenhang mit der Medikation besteht, ob es sich also um eine UAW bzw. „Adverse Drug Reaction“ (ADR) handelt. Da sowohl die Anzahl der UAW als auch die ausgegebenen Medikamente bekannt sind, können exakte Auftretenswahrscheinlichkeiten berechnet werden. Die meisten klinischen Studien werden unter kontrollierten und streng standardisierten Bedingungen durchgeführt, sodass die Raten auch für Vergleiche herangezogen werden können. Nach Zulassung Nach Zulassung eines Medikaments werden weiterhin Fallmeldungen von (schweren) UAW gesammelt. Dies wird zum einen von jedem Herstel-

Die Einschätzung des Spektrums von UAW eines Medikaments ist ein Prozess, der die gesamte Zeit andauert, in der die betreffende Substanz angewandt wird. Es kommen vor und nach Zulassung unterschiedliche wissenschaftliche Methoden zum Einsatz.

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Unter Pharmakovigilanz werden Aktivitäten verstanden, die sich mit Aufdeckung, Bewertung, Verstehen und Prävention von UAW oder von anderen arzneimittelbezogenen Problemen befassen, d. h. mit Risikoanalyse, -abwehr, -minimierung und -management, und einer rationalen Arzneimitteltherapie dienen.

Methodenunterschiede Die vor und nach Zulassung eines Medikaments angewandten Methoden im Einzelnen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Schwerpunkts " Tab. 2). (● Randomisierte klinische Studien können mit hoher methodischer Genauigkeit UAW aufzeigen, jedoch lediglich häufig auftretende UAW und nur unter der Voraussetzung, dass einige tausend Patienten eingeschlossen worden sind. Eine UAW wird als häufig definiert, wenn sie bei mehr als 1 % der behandelten Patienten auftritt [26]. Seltene UAW (die bei weniger als 0,1 % aller behandelten Patienten auftreten) können im Gegensatz dazu kaum entdeckt oder von zufällig gleichzeitig eintretenden Ereignissen unterschieden und als UAW zugeschrieben werden. UAW, die mit einer Häufigkeit zwischen 1 % und 0,1 % der Anwendungen auftreten, können entdeckt, aber auch übersehen werden. Metaanalysen weisen zwar große Fallzahlen und eine hohe statistische Genauigkeit auf, basieren jedoch auf klinischen Studien und unterliegen somit deren Einschränkungen. Die nach Zulassung erfolgenden Systeme fokussieren im Gegensatz hierzu primär auf die seltenen

Randomisierte klinische

Tab. 2 Vor- und Nachteile verschiedener Untersuchungsmethoden zur Arzneimittelsicherheit.

Metaanalysen

Post-Marketing

Studien (RCTs)

Surveillance

Systematik

+

+



Vollständigkeit

+

+



Robustheit bzgl. Bias

+

+



Evidenzniveau

+

+



Homogenität (Design)

+



+

Repräsentativität





+

Fallzahlen



+

+

seltene Ereignisse





+

Risikogruppen





+

Langzeitfolgen





+

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Fort- und Weiterbildung

und v. a. auf die deutlichen und/oder schweren UAW. Insbesondere drei Faktoren machen die Erfassung von UAW im Sinne von Anwendungsbeobachtungen nach der Zulassung des Medikaments erforderlich. Zum ersten ist dies die Erfassung von Langzeitfolgen oder UAW, die im Vorfeld der klinischen Erprobung angesichts eines umschriebenen Überwachungszeitraums evtl. unbemerkt bleiben, zum zweiten die Erfassung von sehr seltenen UAW und zum dritten von UAW, die bei bestimmten Risikogruppen auftreten – hierzu zählen auch Kombinationsbehandlungen, die in kontrollierten klinischen Studien meist ausgeschlossen, aber im klinischen Alltag oft angewandt werden. Beispiele für die Erkennung relevanter unerwünschter Arzneimittelwirkungen erst nach der Zulassung sind die Thalidomid-Nebenwirkungen in den frühen Sechzigerjahren [27] sowie des Clozapins, bei dem erst nach Zulassung und breiterer Anwendung (1972) Agranulozytosen beobachtet wurden [28].

Die vor und nach Zulassung eines Medikaments angewandten Methoden unterscheiden sich hinsichtlich ihres Schwerpunkts. Klinische Studien können mit hoher methodischer Genauigkeit UAW aufzeigen.

Tab. 3

Studien nach Zulassung sind erforderlich für die Erfassung von – Langzeitfolgen – seltene UAW – UAW bei Risikogruppen

Das Spektrum der Methoden der UAW-Erfassung nach Zulassung (Post-Marketing Surveillance) ist breit und beinhaltet neben den behördlichen nationalen Meldesystemen auch Kohortenstudien und Fallkontrollstudien sowie spezifische UAW" Tab. 3). Erfassungssysteme (●

Nationale Spontanfallmeldungssysteme Die verschiedenen nationalen Spontanfallmeldungssysteme nehmen prinzipiell auf die Zahl aller Patienten innerhalb des betreffenden Landes Bezug. Ärzte und Apotheker werden i. d. R. aufgefordert, UAW an nationale und/oder berufsständische Stellen zu melden. Trotzdem liegen die geschätzten Quoten von gemeldeten zu tatsächlichen nur zwischen 0,1 – 4 % für nicht-schwere und zwischen 10 – 20 % für schwere UAW [29]). Das Hauptproblem stellt hierbei nicht die niedrige Melderate, sondern die Ergebnisbeeinflussung durch ein starkes Fluktuieren der Aufmerksamkeit dar. Immer dann, wenn von einem Medikament oder einer neuen, unerwarteten oder besonders

Übersicht einiger Post-Marketing-Arzneimittelüberwachungssysteme (modifiziert nach [25])

Population

Erhebung der Medikamen-

Erfassung von Ereignissen

tenanwendungen

Beurteilung des potenziellen

Basis für Risikokalkulation

Kausalzusammenhangs

Nationale Spontanmeldungssysteme alle Patienten eines Landes

indirekt, nur über die allg. Arzneimittelanwendungsdaten

unsystematisch, geschätzte Quote 5 – 10 %, sehr fluktuierend je nach Fokus

auf nationaler Ebene, i. d. R. auf der Basis der gemeldeten Fallberichte

Schätzungen der Inzidenzraten und Risiken nicht möglich, Risikovergleich nicht möglich

UAW für ausgewählte Arzneimittel retrospektiv erfasst durch verschreibenden Arzt (ein Jahr zurück), Rücklaufrate etwa 60 %

auf nationaler Ebene, i. d. R. auf der Basis der gemeldeten Fallberichte

wirkliche Inzidenzrate für UAW unbekannt, Risikovergleiche aber möglich

vollständige Erfassung aller Anwendungen an zwei Referenztagen/Jahr

systematische Überwachung; Nicht-Meldung weniger abhängig von externen Faktoren

Fallkonferenzen, persönliche Kommunikation zwischen Drug Monitor und behandelndem Klinikarzt; Einbeziehung aller verfügbaren Falldaten in die Entscheidung

Einschätzung von Inzidenz und Risiko möglich, Bezugsgröße: Patienten der teilnehmenden Kliniken

systematisch und vollständig

systematisch und vollständig

innerhalb des Rahmens einer Studie, unter Einbeziehung aller verfügbaren Daten

alle Berechnungsmöglichkeiten, aber Begrenzung auf die Population der Studienstichprobe

unsystematisch, meist unvollständige Erfassung

innerhalb des Rahmens einer Studie, Anwendung eines Kriterienkatalogs

theoretisch alle Berechnungsmöglichkeiten, aber Verfälschung durch die Stichprobe wahrscheinlich

„Prescription Event Monitoring“ (DSRU; Southampton, UK) alle ambulanten Patienten in Großbritannien

Verschreibungen erfasst→ Non-Compliance möglicher Faktor einer Verfälschung

Projekt „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMSP)“ ca. 30.000 stationäre Patienten/Jahr aus über 30 Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Kohortenstudie (Prospektiv) Patienten mit bestimmten Diagnosen und Behandlungen, zusätzlich Kontrollgruppe

Fall-Kontroll-Studie (retrospektiv) Patienten mit einer retrospektiv aus Verschreibestimmten UAW, bungsdaten unbestimmte Population, kriteriendefinierte Kontrollgruppe ohne UAW

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spektakulären Nebenwirkung in den öffentlichen Medien berichtet wird, werden mehr Fälle gemeldet. Dieses Phänomen kann in unsystematischen Spontanmeldungssystemen auch nicht vermieden werden. Die Bewertung eines evtl. Kausalzusammenhangs zwischen einem unerwünschten Ereignis (UE) und dem verabreichten bzw. verschriebenen Medikament wird in der Zentralstelle der jeweiligen Meldebehörde vorgenommen, für gewöhnlich basierend auf dem erhaltenen Fallbericht. Nur selten werden die für die Feststellung eines Kausalzusammenhangs notwendigen Fragen direkt von den meldenden Ärzten gestellt. Nationale Daten über den allg. Medikamentengebrauch liegen inzwischen in nahezu jedem Land vor.

Kohortenstudien In prospektiven Kohortenstudien werden Patienten mit bestimmten Diagnosen und unter bestimmten Behandlungen gemeinsam mit einer Kontrollgruppe, die gelegentlich randomisiert gebildet wird, systematisch beurteilt. Hierbei sind die angewandten Medikamente bekannt, alle aufgetretenen UE sowie weitere Daten. Die Risikokalkulation ist somit gut möglich, Inzidenzraten und Anwendungsdaten sind bekannt. Die Problematik liegt in der beschränkten Untersuchungsstichprobe. Insofern erlauben Kohortenstudien nur sehr begrenzt Verallgemeinerungen der Ergebnisse. Fallkontrollstudien Bei Fallkontrollstudien werden Patienten, die eine bestimmte UAW entwickelt haben, gezielt gesucht. Bei diesen Studien sind die Quellpopulationen häufig wenig klar beschrieben, da der Fokus primär auf der Erfassung des Ereignisses liegt. Eine Kontrollgruppe aus vergleichbaren Patienten wird i. d. R. erst im Nachhinein gebildet. Dies beschränkt den Umfang der verfügbaren Daten: Weder die Angaben bezüglich der Medikamentenanwendungen sind vollständig noch die Angaben unerwünschter oder anderer Ereignisse. Insofern wird die Qualität des Prozesses der Kausalitätsbeurteilung gemindert. Systematisierte Erfassungen Um Beeinflussungen zu reduzieren, wurden andere UAW-Forschungsprogramme ins Leben gerufen, in denen methodische Regeln aufgestellt wurden. Das „Prescription Event Monitoring Project“ der „Drug Surveillance Research Unit (DSRU)“ in Southampton nutzt die Strukturen des British National Health Service. In diesem System wird jeder Patient registriert und alle Verschreibungen werden gemeldet. Da die Untersuchung an ambulanten Patienten durchgeführt wird, kann jedoch die Einnahme der verordneten Medikamente nicht überprüft werden und ein Mangel an Compliance ist somit ein potenzieller Störfaktor. Die Bereitschaft der Ärzte, die Fragebögen auszufüllen, wird mit etwa 60 % angegeben [30]. Die Beurteilung des Kausalzusammenhangs

wird durch einen ärztlichen Wissenschaftler durchgeführt. In Deutschland arbeitet das Projekt „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMSP)“ (www.amsp. de; [31]), an dem zahlreiche universitäre und Institutionen der Versorgung auch aus Österreich und der Schweiz teilnehmen. Ärzte fungieren als DrugMonitore und erfassen systematisch schwere und ungewöhnliche UE. Kausalitätsbeurteilungen erfolgen mehrstufig, mit der letzten Instanz großer Fallkonferenzen unter der Leitung auf dem Gebiet besonders erfahrener Ärzte und Wissenschaftler. Alle Informationen, die den einzelnen Institutionen verfügbar oder rekrutierbar sind, können in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Die Daten zur Anwendung von Psychopharmaka werden aus einer Kompletterfassung aller Medikationen an zwei Stichtagen im Jahr hochgerechnet. Innerhalb des durch die Methodik gesteckten Rahmens können Raten und Anwendungshäufigkeiten für verschiedene Medikamente eingeschätzt und untereinander verglichen werden. Neben AMSP sind in Deutschland auch die „Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei psychiatrischen Erkrankungen (AGATE)“ (www.agate-klinikverbund.de) und auf Länderebene z. B. das „Bayerische Institut für Daten, Analysen und Qualitätssicherung (BIDAQ)“ tätig. Es handelt sich bei AMSP, AGATE und BIDAQ um Multizenterprojekte, die sich mit psychopharmakologischen Anwendungspraxen und unerwünschten Arzneimittelwirkungen unter naturalistischen Bedingungen beschäftigen und mit AKdÄ und BfArM zusammenarbeiten (s. o. sowie [1]).

Kritische Interpretation wissenschaftlicher Ergebnisse Nachdem vormals lange Zeit in der streng hierarchisch-patriarchalisch geprägten medizinischen Gesellschaft ein eher „eminenzbasiertes“ Vorgehen geherrscht hatte mit der Festlegung klinischer Strategien durch wenige führende Köpfe auf der Basis unterschiedlicher Legitimationen, kam es zu einem kritischen Umschwung und der Forderung nach mehr sachbezogenem, transparenten und wissenschaftlich begründeten Vorgehen und der Etablierung der sog. „evidenzbasierten Medizin“ („Evidence-based Medicine“, EbM). Aber auch dieses Prozedere war nicht makellos und erntete Kritik: Klinische Erfahrung und klinisches Wissen gingen in einige Bewertungen nicht mehr mit ein. Zudem zeichnete sich ab, dass einige Sachverhalte auch durch wissenschaftlich hochwertige Methoden nicht abbildbar waren. Ein Höhepunkt der kritischen Diskussion wurde durch einen Artikel im renommierten British Medical Journal erreicht, in dem die Autoren darauf hinwiesen, dass es bisher keine randomisierten klinischen Studien (Randomized Clinical Trials, RCTs) über die Wirksamkeit der Benutzung von Fallschirmen gegen Verletzungen bei Stürzen aus

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Fort- und Weiterbildung

Fort- und Weiterbildung

Fachgebiet

Internetlink

Interaktionsdatenbanken (Beispiele) PsiacOnline – Interaktionscomputer für die Psychiatrie

http://www.psiac.de

Qualitätszentrum für Medikamentensicherheit und Diagnostik; Psychiatrische Dienste Aargau AG (PDAG).

http://www.mediQ.ch

Risikopatienten Medikamente in der Schwangerschaft

http://www.embryotox.de

Therapeutisches Drug Monitoring (TDM) Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie e. V. (AGNP); Arbeitsgruppe TDM

http://www.agnp.de

lende mit Arzneimitteln versorgt werden müssen, da unbehandelte Erkrankungen sowohl die Mutter als auch das Kind gefährden können. Der Zugang zu aktuellen wissenschaftlichen Daten kann es erleichtern, Entscheidungen zu treffen und zu vermeiden, dass es zu Komplikationen, Therapieabbrüchen, unnötiger vorgeburtlicher Diagnostik sowie zu Abbrüchen gewünschter und intakter Schwangerschaften oder unnötigem Abstillen kommt. Das Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie stellt aktuelle Informationen zur Verfügung (www.embryotox.de).

Forensische Fragen Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie e. V. (AGNP); Arbeitsgruppe Forensik

http://www.agnp.de

Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN); Forensik

http://dgppn.de

Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte (Stand 2011)

http://www.bundesaerztekammer.de

Zusammenfassung !

Leitlinien Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN); Leitlinien

http://dgppn.de

Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft; http://www.akdae.de Wissenschaftlicher Fachausschuss der Bundesärztekammer Klinisch-wissenschaftliche Projekte Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie e. V. (AMSP) http://www.amsp.de Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei Psychiatrischen Erkrankungen e. V. (AGATE) Tab. 4

http://www.agate-klinikverbund.de

Hilfreiche Links.

großer Höhe gebe [32]). Inzwischen hat die Überzeugung, auch klinische Erfahrungen im Sinne einer „Experience-based Medicine“ in wissenschaftliche Betrachtungen mit einbeziehen zu müssen, eine radikale EbM abgelöst. Bei der Interpretation wissenschaftlicher Ergebnisse ist stets " Tab. 2). die Methodik zu berücksichtigen (s. o. u.●

Bei der Interpretation wissenschaftlicher Ergebnisse ist stets die Methodik zu beachten.

Arzneimittelsicherheit – Risikogruppen !

Wie bereits im ersten Teil ausgeführt [1], gibt es eine Reihe von Risikogruppen. Es wurde bereits dargelegt, dass gerade bei älteren und hirnorganisch vorgeschädigten Personen Vorsicht zu walten hat, ferner bei Multimorbidität und im Hinblick auf Arzneimittelinteraktionen. Hinsichtlich der spezifischen Gegebenheiten bei Kindern und Jugendlichen muss auf entsprechend spezifische Literatur verwiesen werden. Auch eine Erörterung der Besonderheiten während Schwangerschaft und Stillzeit kann an dieser Stelle nicht eingehend erfolgen. Es sei jedoch erwähnt, dass Fehlbildungen durch Medikamente besonders gefürchtet sind, jedoch auch Schwangere und Stil-

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Arzneimittelsicherheit ist ein wichtiges und hochkomplexes Thema. Vorliegend sollte ein Zugang zu vielen verschiedenen relevanten Bereichen ermöglicht werden: der speziellen Bedeutung in der Psychiatrie, den historischen Entwicklungen, der Problematik von Compliance, Adherence sowie Concordance und von Aufklärung und Dokumentation, einigen forensischen Implikationen, ökonomischen Faktoren und wissenschaftlichen Herangehensweisen. Die vielen Bereiche konnten lediglich kurz angerissen werden. Zu eingehenden Abhandlungen muss auf die diversen Spezialgebiete verwiesen werden. Beigefügt ist eine Liste von hilfreichen " Tab. 4). Links (●

Verzeichnis der Abkürzungen !

ADR AE AGATE

Adverse Drug Reaction Adverse Event Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei Psychiatrischen Erkrankungen e. V. AGNP Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie e. V. AKdÄ Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft AMSP Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie e. V. BfArM Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte BGB Bürgerliches Gesetzbuch BIDAQ Bayerisches Institut für Daten, Analysen und Qualitätssicherung DGPPN Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde; vormals Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde DSRU Drug Surveillance Research Unit EbM Evidence-based Medicine EPMS Extrapyramidalmotorische Störungen FGA First Generation Antipsychotics

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RCT SAE SGA SUE TDM UAW UE WHO

Randomized Clinical Trial Schweres unerwünschtes Ereignis Second Generation Antipsychotics Schweres unerwünschtes Ereignis Therapeutisches Drug Monitoring unerwünschte Arzneimittelwirkung unerwünschtes Ereignis World Health Organization

15

16 17 18

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 19

Literatur 01 Stübner S, Gromann R, Schmauß M. Arzneimittelsicherheit in der klinischen Praxis – Teil 1: Psychopharmakologische Behandlung. Fortschr Neurol Psychiatr 2012; 80: 468 – 481 02 Schneider F Hrsg. Psychiatrie im Nationalsozialismus – Erinnerung und Verantwortung. Dokumentation der Gedenkveranstaltung am 26. November 2010. Heidelberg: Springer; 2011 03 DGPPN. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychopharmakotherapie, Band 6. Psychopharmakotherapie. Heidelberg: Springer; 2003 04 Schmauß M. Zertifizierte Fortbildung: Akuttherapie der Schizophrenie. Nervenarzt 2005: 76 Beilage 05 Bell JS, Airaksinen MJ, Lyles A et al. Concordance is not synonymous with compliance or adherence. Br J Clin Pharmacol 2007; 64: 710 – 711 06 DGPPN. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Hrsg. Behandlungsleitlinie Schizophrenie. Reihe: S3 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie, Band 1. Heidelberg: Springer; 2006 07 Cabeza I, Amador M, Lopez C et al. Subjective response to antipsychotics in schizophrenic patients: clinical implications and related factors. Schizophr Res 2000; 41: 349 – 355 08 Dolder C, Lacro J, Dunn L et al. Antipsychotic medication adherence: is there a difference between typical and atypical agents? Am J Psychiatry 2002; 159: 103 – 108 09 Häuser W, Hansen E, Enck P. Nocebophänomene in der Medizin. Dt. Ärzteblatt 2012; 109: 459 – 465 10 Towle A, Godolphin W. Framework for teaching and learning informed shared decision making. BMJ 1999: 766 – 769 11 BGB. Bürgerliches Gesetzbuch. 71. Aufl. München: dtv-Verlag; 2013, Im Internet: http://www.gesetzeim-internet.de/bgb/index.html Stand 27.07.2013 12 Spießl H, Hausner H. Ärztliche Dokumentation in der Psychiatrie. Fortschr Neurol Psychiatrie 2012; 80: 53 – 60 13 Nedopil N, Müller JL. Forensische Psychiatrie: Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht. Stuttgart: Thieme; 2012 14 Nedopil N, Aldenhoff J, Amelung K et al. Einwilligungsfähigkeit bei klinischen Prüfungen. Stellungnahme der Arbeitsgruppe „Ethische und rechtliche Fragen“

20 21 22

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34

der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP). Pharmacopsychiatry 1999; 32: I – IV Brunnauer A, Laux G. Verkehrssicherheit unter Psychopharmaka. Fortschr Neurol Psychiatr 2008; 76: 366 – 377 Laux G. Psychische Störungen und Fahrtauglichkeit. Nervenarzt 2002; 73: 231 – 238 van Laar M, Volkerts E. Driving and benzodiazepine use. CNS Drugs 1998; 10: 383 – 396 Gundert-Remy U, Stammschulte T. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen: Jetzt einfach und schnell zu melden. Dtsch Arztebl 2010; 107: A-1434/B-1277/C1257 Terkelsen K, Menikoff A. Measuring the costs of schizophrenia: implications for the post-institutional era in the US. Pharmacoeconomics 1995; 8: 199 – 222 Weiden P, Olofson M. Cost of relapse in schizophrenia. Schizophr Bull 1995; 21: 419 – 429 Stip E. Happy birthday neuroleptics! 50 years later: la folie du doute. Eur Psychiatry 2002; 17: 115 – 119 Haase H, Janssen P. The action of neuroleptic drugs: a psychiatric, neurologic and pharmacological investigation. Chicago: Year Book Medical; 1965 Van Rossum J. The significance of dopamine-receptor blockade for the action of neuroleptic drugs. In: Brill H, Cole J, Deniker P et al. eds. Neuropsychopharmacology, Proceedings 5th Collegium Internationale Neuropsychopharmacologicum Amsterdam: Excerpta Medica; 1967 Seeman P. Atypical antipsychotics: mechanism of action. Can J Psychiatry 2002; 47: 27 – 38 Engel R, Grohmann R, Rüther E et al. Research Methods in Drug Surveillance. Pharmacopsychiatry 2004; 37 (Suppl 1): S12 – S15 World Health Organization. Guidelines for preparing core clinical safety information on drugs. Report from CIOMS Working Group III. Geneva: World Health Organization; 1995 Lenz W. Thalidomide embryopathy in Germany 1959–1961. Prog Clin Biol Res 1985; 163C: 77 – 83 Idänpään-Heikkilä J, Alhava E, Olkinuora M et al. Agranulocytosis during treatment with clozapine. Eur J Clin Pharmacol 1977; 11: 193 – 198 Heeley E, Riley J, Layton D et al. Prescription-event monitoring and reporting of adverse drug reactions. Lancet 2001; 358: 1872 – 1873 Mann RD, Wilton LV, Pearce GL et al. Prescriptionevent monitoring (PEM) in 1996 – A method of non-interventional observational cohort pharmacovigilance. Pharmacoepidemiol Drug Safety 1997; 6: S5 – S11 Grohmann R, Engel R, Rüther E et al. The AMSP drug safety program: Methods and global results. Pharmacopsychiatry 2004; 37 (Suppl 1): S4 – S11 Smith GCS, Pell JP. Parachute use to prevent death and major trauma related to gravitational challenge: systematic review of randomised controlled trials. BMJ 2003; 327: 1459 – 1461 BASTA. Bündnis für psychisch erkrankte Menschen. Im Internet: http://openthedoors.de/de/ueber_uns_ orga.php; Stand 27.07.2013 Bundesverfassungsgericht; 2005, Im Internet http:// www.bverfg.de/entscheidungen/rs20051206_ 1bvr034798.html Stand 28.04.2013

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Fort- und Weiterbildung

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Fort- und Weiterbildung

CME-Fragen Arzneimittelsicherheit in der klinischen Praxis – Teil 2 A B C D

E

Eine Stigmatisierung psychischer Erkrankungen spielt in der modernen Psychiatrie keine Rolle mehr. Das gesellschaftliche Verständnis und der Umgang mit psychisch Kranken kann die Adhärenz beeinflussen. Leiden durch Behandlungen müssen i. d. R. in Kauf genommen werden. Arzneimittelsicherheit spielt in der inneren Medizin eine große Rolle, ist jedoch in der Psychiatrie eher zu vernachlässigen. Informationen über psychische Erkrankungen führen i. d. R. zu einer Steigerung von Stigmatisierung.

0 Welche Antwort ist richtig? 2 █ A B C D E

Psychiatrische Patienten sind i. d. R. einwilligungsunfähig. Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist eine Aufklärung überflüssig. Eine etwaige Einwilligungsunfähigkeit ist vor Behandlung zu überprüfen. Eine Aufklärung führt i. d. R. zu einer Verminderung der Compliance. Durch Aufklärung kann die Compliance i. d. R. gar nicht beeinflusst werden.

0 Welche Antwort ist falsch? 4 █ A

B

C

D

E

0 Welche Antwort ist richtig? 5 █ A

B C

0

3 █

Welche Antwort ist richtig?

A

Psychopharmakologische Behandlungen sind i. d. R. von kurzer Dauer. Während einer Behandlung kommt es nicht zu einer Veränderung der Verträglichkeit. Bei psychopharmakologischen Behandlungen wird ein Medikament nach Zielsymptomatik und nach zu vermeidenden UAW ausgesucht. In der modernen Psychiatrie ist es bereits möglich, das Ansprechen auf ein Medikament beim individuellen Patienten vorauszusagen. Angehörigenarbeit spielt im Zusammenhang mit Compliance allenfalls eine untergeordnete Rolle.

B C

D

E

Untersuchungen zur Arzneimittelsicherheit nach Zulassung sind wichtig, um auch UAW zu erkennen, die nach langer Anwendungsdauer auftreten. Untersuchungsmethoden zur Arzneimittelsicherheit nach Zulassung sind wichtig, um UAW unter naturalistischen Bedingungen, z. B. auch bei Risikopatienten, zu erfassen. Untersuchungsmethoden zur Arzneimittelsicherheit nach Zulassung sind wichtig, um auch besonders selten auftretende UAW zu erfassen. Untersuchungsmethoden zur Arzneimittelsicherheit nach Zulassung haben den Vorteil einer großen methodischen Genauigkeit. Untersuchungsmethoden zur Arzneimittelsicherheit nach Zulassung sind in Deutschland und vielen anderen Ländern etabliert.

D

E

Bereits kurz nach Einführung der sog. „Atypika“ konnte eine erhebliche Verbesserung der Compliance beobachtet werden. Neben sog. „Placebo-Effekten“ können auch sog. „NoceboEffekte“ eine Rolle in der Behandlung spielen. Aufklärungsprozesse müssen am Anfang einer Behandlung erfolgen, sind jedoch im Folgenden oder bei Beendigung einer Therapie nicht von Bedeutung. Das sog. „Shared Decision Making“ oder Prinzip der partizipativen Entscheidungsfindung hat in der somatischen Medizin große Bedeutung, ist jedoch auf die Psychiatrie nicht zu übertragen. Falls der Patient nicht zu einer Teilnahme am Entscheidungsprozess in der Lage ist, kann dieser ohne Weiteres mit den Angehörigen geregelt werden.

0 Welche Antwort ist falsch? 6 █ A

B C D E

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Die Dokumentation des Ausgangsbefundes, der einzelnen therapeutischen Schritte und ihrer Wirkung ermöglicht das Nachvollziehen der Behandlung. Die Dokumentation bildet die Grundlage für Abrechnung und Qualitätssicherung. Die Dokumentation hilft bei einer Übergabe an weiterbehandelnde Ärzte. Die Dokumentation dient dem Schutz von Arzt und Patient. Die Dokumentation muss maschinengeschrieben bzw. PC-gestützt erfolgen.

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0 Welche Antwort ist richtig? 1 █

Fort- und Weiterbildung

A B C D

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0 Welche Antwort ist richtig? 9 █

Bei der Aufklärung muss eine etwaige bestehende Sprachbarriere überwunden werden. Unter Psychopharmaka darf kein Fahrzeug geführt werden. Unter Antidepressiva, nicht aber unter Antipsychotika darf ein Fahrzeug geführt werden. Unter Benzodiazepinen ist bei stabiler Erhaltungsdosis nicht mit einer Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit zu rechnen und das Führen eines KFZ unbedenklich. Da unbehandelt nicht von einer Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit bei psychischen Erkrankungen auszugehen ist, sollte im Zweifel eine medikamentöse Therapie unterbleiben.

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0 Welche Antwort ist falsch? 8 █ A B C D E

UAW können erhebliche Kosten verursachen. UAW können eine Verlängerung der stationären Aufenthaltsdauer zur Folge haben. UAW können Aufnahmen nötig machen oder Verlegungen in andere Krankenhäuser zur Folge haben. Ökonomische Aspekte sind in der Betrachtung von Arzneimittelsicherheit unbedeutend. UAW können zu Non-Compliance und Rezidiven führen.

0 Welche Antwort ist richtig? 10 █ A

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Bei Schwangerschaft und Stillzeit sollten Psychopharmaka abgesetzt werden. Heute sind keine potenziell teratogenen Medikamente mehr auf dem Markt. Falls Psychopharmaka trotz Schwangerschaft eingenommen werden sollen, muss umgehend eine genetische Untersuchung erfolgen. Es gibt Datenbanken (z. B. www.embrytox.de) und Institute, bei denen umgehend aktuelle Informationen und Beratungen bezüglich Pharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit eingeholt werden können. Bei Patientinnen jenseits der Menopause sind keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen im Hinblick auf Arzneimittelsicherheit mehr vonnöten.

Metaanalysen sind die Untersuchungen von höchster wissenschaftlicher Aussagekraft und anderen Methoden in jeder Hinsicht überlegen. Randomisierte klinische Studien eignen sich zur Untersuchung jeglicher Thematik. Das klinische Erfahrungswissen ist zu vernachlässigen. Spontanerfassungssysteme sind sehr genau und bilden die tatsächlichen Auftretenshäufigkeiten von UAW real ab. Bei der Interpretation wissenschaftlicher Daten sollte die Methodik beachtet werden.

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Stübner S et al. Arzneimittelsicherheit in der … Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81: 715–729

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[Drug safety in clinical practice--part 2: psychopharmacological treatment].

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