Facharztwissen-HNO 121

Dysphagie Dysphagia

S. Meuret, A. Dietz, M. Fuchs

Zusammenfassung

Abstract

Schluckstörungen können in jedem Lebensalter auftreten und haben eine große Auswirkung auf die Morbidität von Patienten, sowie auch auf die Mortalität, besonders wenn zusätzlich auch eine Aspiration auftritt. Dieser Artikel beschreibt einerseits die Anatomie und Physiologie des Schluckaktes; andererseits auch Ursachen für eine Dysphagie, Untersuchungsmöglichkeiten sowie therapeutische Ansätze.

Difficulties in swallowing occur in every age and have a great impact on the morbidity as well as on the mortality in patients especially if also an aspiration occurs. This article reports on the one hand the anatomy and physiology in the normal process of swallowing. On the other hand the cause of dysphagia, the diagnostic possibilities and therapeutic approaches are described.

Dysphagie

Füttern einen integralen Bestandteil in der ElternKind-Beziehung darstellt: Das Kind erlebt einen lustvollen Umgang mit seiner Umwelt, die Bezugsperson kann seiner Fürsorge nachgehen. Ebenfalls bedeutet eine Schluckstörung beim erwachsenen Patienten eine ausgeprägte Einschränkung der Lebensqualität: Essen und Trinken haben in jeder Kultur einen hohen Stellenwert und gehören zum sozialen Leben untrennbar dazu. Durch eine gestörte Nahrungsaufnahme kann es zu einer geminderten Teilhabe und infolgedessen zu einer sozialen Ausgrenzung kommen. Daneben ist bei einer nonoralen Ernährung die dauerhafte Abhängigkeit von Hilfsmitteln oder Pflegekräften eine starke Belastung für die Patienten. Im höheren Lebensalter nimmt gerade bei Patienten mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten die Nahrungsaufnahme einen immer wichtigeren Stellenwert im Tagesgeschehen ein, sodass auch im Bezug auf unsere alternde Gesellschaft zu erwarten ist, dass der HNO-Arzt/Phoniater mit einer zunehmenden Anzahl an Patienten mit dysphagischen Beschwerden konfrontiert wird.

Einleitung



Schlucken gehört zu den häufigsten Bewegungsabläufen im menschlichen Körper. In der Literatur werden 580–2 000 Schlucke pro Tag als Normwerte angegeben [1]. Beim wachen Menschen, der nicht isst, zählt 1 Schluck pro Minute als Richtwert. Insgesamt ist der Schluckvorgang ein hochkomplexes Zusammenspiel von 50 Muskelpaaren, die durch 5 Hirnnerven und den Plexus myentericus/submucosus gesteuert werden. Bereits ab der 34. Schwangerschaftswoche ist das Schlucken jedoch schon so weit entwickelt, dass eine orale Ernährung möglich sein sollte [2]. Als Dysphagie wird der gestörte Schluckvorgang bezeichnet. Schluckstörungen treten in jedem Lebensalter auf und können für den Patienten eine vitale Bedrohung bedeuten: ▶ Mangelernährung ▶ Exsikkose ▶ Aspiration mit daraus resultierenden Problemen der tieferen Atemwege ▶ Gedeihstörung bei Kindern ▶ soziale Ausgrenzung Neben den physischen Auswirkungen einer Mangelernährung oder gar Aspiration müssen auch immer die psychischen Folgen einer Dysphagie bedacht werden. Eine kindliche Schluckstörung kann zu einer problematischen Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson führen, da das Stillen und

Physiologie Um die Pathophysiologie des Schluckaktes zu verstehen, muss zuerst der physiologische Schluckakt erläutert werden, ebenso einige Normvarianten des Schluckens.

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Beim Menschen ist die Schluckmuskulatur in beiden Großhirnhemisphären besonders im Bereich des frontoparietalen Operculums und der vorderen Insel repräsentiert. Es besteht eine Schluckdominanz einer Hemisphäre, diese ist jedoch unabhängig von der Händigkeit. Im Hirnstamm liegen auf jeder Seite je 2 sog. „Central Pattern Generators (CPG) for Swallowing“. Diese sind für das komplexe Zusammenspiel der Schluckmuskulatur zuständig [3]. Die äußerste Wichtigkeit der CPG für den Schluckablauf wird auch anhand von Läsionen des Hirnstamms deutlich: Infarkte der dorsolateralen Medulla oblongata (beim sog. Wallenberg-Syndrom) gehen mit einer ausgeprägten Dysphagie einher. Der Schluckakt selbst wird in folgende Phasen ▶ Abb. 1): eingeteilt (● ▶ orale Phase mit Vorbereitungs- und Transportphase

▶ pharyngeale Phase ▶ ösophageale Phase Die orale Vorbereitungsphase und die orale Transportphase sind individuell zentralnervös gesteuert und daher der Willkür unterworfen. Die pharyngeale und ösophageale Phase verlaufen reflexgesteuert und finden folglich unwillkürlich statt.

Orale Phase



Die orale Phase wird in die Vorbereitungs- und Transportphase aufgeteilt. Beide Phasen verlaufen zwar weitestgehend automatisiert, dennoch zählen sie zu den willkürlichen Schluckphasen. Zur oralen Vorbereitungsphase gehört das Aufnehmen der Nahrung in den Mund: ▶ abbeißen ▶ kauen ▶ vermischen mit Speichel

a

b

c

d

e

f

Abb. 1 Schematische Darstellung des Schluckablaufs [4]. a Ende der oralen Vorbereitungsphase: Glottis noch offen. b Ende der oralen Transportphase, Beginn der pharyngealen Phase: Schluckreflexauslösung. Bolustransport nach hinten, Verschluss des Nasopharynx durch angehobenes Velum. c Pharyngeale Phase: Larynxelevation, Rampenform der Zunge, Epiglottiskippung, beginnender Glottisschluss. d Pharyngeale Phase: Stempelbewegung des Zungengrunds, Pharynxkontraktion, Austreibung des Bolus in sich öffnenden oberen Ösophagussphinkter (OÖS) über die gekippte Epiglottis. e Späte pharyngeale Phase, beginnende ösophageale Phase: Durchtritt des Bolus durch geöffneten OÖS in den Ösophagus, Larynx noch angehoben. f Ösophageale Phase: Übertritt Bolus in tubulären Ösophagus. Larynx wieder in Ausgangsposition (Quelle: J. Wendler, W. Seidner, U. Eysholdt. Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie. 4. Aufl. 2005, Stuttgart: Thieme).

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Neuroanatomie des Schluckens

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Merke: Die orale Vorbereitungsphase beinhaltet das Kauen und Vermischen der Nahrung mit Speichel, sodass ein Bolus geformt werden kann. Anschließend folgt die Formierung des Nahrungsbreis zum Bolus: Die Zunge formiert eine Schüssel und hält den Speisebrei auf Höhe des vorderen bis mittleren Gaumenbereichs [1]. Dabei wird das Velum abgesenkt und kommt mit dem angehobenen Zungenrücken in Kontakt. Dadurch wird ein vorzeitiges Abgleiten des Bolus in den Pharynx verhindert. Das Volumen des Bolus ist von vielen Faktoren abhängig (u. a. Hunger, Temperatur, Geschmack). Man kann jedoch zusammenfassen, dass das Bolusvolumen umso kleiner wird, desto höher die Viskosität einer Flüssigkeit ist [1]. Die Dauer der oralen Vorbereitungsphase ist sehr individuell und abhängig von der Konsistenz der Nahrung. Mithilfe verschiedenster Rezeptoren wird das Essen auf Temperatur, Geruch, Geschmack, Beschaffenheit und Volumen analysiert. Die orale Transportphase dauert lediglich 1–1,5 s. Es gibt hierbei 2 physiologische Schlucktypen: ▶ Incisor Type (Schneidezahntyp) ▶ Dipper Type (Schöpflöffeltyp) Der „Incisor Type“ positioniert den Bolus auf dem Zungenrücken, sodass die Zungenspitze an der Hinterseite der oberen Schneidezähnen oder an den Alveolen zu liegen kommt. Der „Dipper Type“ hält den Bolus im vorderen Mundboden unter der Zunge. Er holt zu Beginn der oralen Transportphase mithilfe einer Zungenbewegung den Bolus auf den Zungenrücken, sodass ab dann die orale Transportphase für beide Schlucktypen gleich verläuft [1]. Die Zunge bildet median eine Furche, in die der vorgeformte Bolus durch Kontraktionen entlang dem Gaumendach nach dorsal transportiert werden kann. Durch Lippen- und Kieferschluss sowie die tonisierten Wangen entsteht ein negativer Sog, der die Beförderung des Bolus nach dorsal erleichtert. Anschließend senkt sich der Zungengrund, sodass der Bolus wie auf einer Rampe in den Pharynx gleiten kann. Mit Auslösen des Schluckreflexes endet die orale Phase. Merke: In der oralen Transportphase wird der Bolus in Richtung Oropharynx befördert, dann wird der Schluckreflex ausgelöst.

Pharyngeale Phase



Insgesamt stellt die reflexgesteuerte pharyngeale Phase den kritischsten Teil des Schluckvorgangs dar, da sich hier die Atem- und Speisewege kreuzen und so die Gefahr der Aspiration von Speichel und Nahrung besteht. Dieser komplexe Bewegungsablauf erfordert ein perfektes Zusammenspiel aller Muskeln, Sensoren und Reflexbögen. Die pharyngeale Phase beginnt mit der Schluckreflexauslösung. Es gibt folgende Triggerareale zur Schluckreflexauslösung [1]: ▶ vorderer Gaumenbogen ▶ Zungenbasis ▶ Valleculae ▶ Pharynxhinterwand ▶ Epiglottis Die Haupttriggerareale ändern sich im Lauf des Lebens [1]: Bei jüngeren Menschen wird der Schluckreflex meist am vorderen Gaumenbogen ausgelöst; später verschiebt sich das Haupttriggerareal in Richtung Zungenbasis. Der Bolus wird mithilfe des Zungenrückens, der angehoben und rückgeführt wird, wie ein Stempel vom Mund in den Pharynx geschoben. Gleichzeitig wird durch Anheben des Velums und die Kontraktion der Pharynxmuskulatur der Nasopharynx verschlossen, sodass die Nahrung nicht in die Nasenhaupthöhle gelangen kann. Merke: Beim Essen und Trinken wird die Nahrung an 2 Stellen in die richtige Richtung gelenkt: Das Velum verhindert mit einem suffizienten velopharyngealen Abschluss die nasale Regurgitation in die Nasenhaupthöhle; des Weiteren wird durch den laryngealen Abschlussmechanismus das Abgleiten des Bolus in die Trachea vermieden. Auf Höhe der Vallecula teilt sich der Bolus auf: Der Großteil fließt in die Recessus piriformes, ein geringerer Anteil überspült die Epiglottisspitze. Gleichzeitig macht der Larynx eine Bewegung nach kranial und anterior, sodass die Sicherung der unteren Atemwege erfolgen kann, der sog. 3-fache Larynxverschluss: ▶ Kippung der Epiglottis nach dorsal ▶ Annähern der Aryknorpeln, der Taschenfalten und der aryepiglottischen Falten ▶ Adduktion der Stimmlippen Merke: Der Larynx wird während der pharyngealen Phase auf 3-fache Weise verschlossen: Adduktion der Stimmlippen; Annähern der Aryknorpeln, der Taschenfalten und der aryepiglottischen Falten; Kippung der Epiglottis nach dorsal. Der Speisebolus wird unterdessen durch die Stempelbewegung der Zunge und die peristaltischen Kontraktionen des Pharynx in Richtung Ösopha-

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Dabei sind die Lippen geschlossen und die Wangen tonisiert, sodass ein Abgleiten der Nahrung aus dem Mund, in das Vestibulum oris oder die Wangentaschen verhindert wird. Obwohl das Kauen ein bilateraler Vorgang des Unterkiefers ist, kauen viele Menschen vorwiegend auf einer Seite.

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Ösophageale Phase



Die ösophageale Phase dient der Beförderung des Bolus mithilfe von peristaltischen Wellen in den Magen. Der Transport des Bolus vom OÖS bis zum Eintritt in die Kardia verläuft unwillkürlich mithilfe konzentrischer Kontraktionen der Ösophagusmuskulatur, der sog. primären peristaltischen Welle. Die darauffolgende sekundäre Welle dient der Reinigung des Ösophagus. Die primäre Peristaltik wird vom Schluckreflex ausgelöst. Die sekundäre Welle wird durch einen lokalen Dehnungsreiz im Ösophagus getriggert. Die ösophageale Phase ist nicht willentlich zu steuern und dauert 4–20 s [1]. Merke: Die ösophageale Phase dient der Beförderung des Bolus mithilfe von peristaltischen Wellen in den Magen.

Normvarianten des Schluckvorgangs Wie bereits beschrieben haben viele Menschen eine bevorzugte Kauseite. Ebenso schlucken viele Menschen über eine bevorzugte pharyngeale Seite ab [1]. In der oralen Phase gibt es die o. g. Dipper oder Incisor Types, was die Lagerung des Bolus vor Eintritt in die orale Transportphase betrifft. Das vorzeitige Abgleiten von Boluspartikeln in den Pharynx vor Auslösen des Schluckreflexes wurde mehrfach als physiologisch nachgewiesen. Ebenso kann die laryngeale Penetration mit

anschließender totaler Reinigung als physiologisch angesehen werden [1]. Insgesamt ist der physiologische Schluckvorgang vielen personenbezogenen Einflüssen unterworfen, davon ist das Lebensalter am besten untersucht.

Kindliches Schlucken



Bei Kindern ist jegliche Anatomie nicht nur kleiner, die anatomischen Strukturen stehen auch noch in anderen Größenverhältnissen zueinander als bei Erwachsenen: Die Mundhöhle ist kleiner, sodass Zunge und Gaumen näher zueinander stehen. Des Weiteren ist der Pharynx kürzer, die Epiglottis näher an der Zunge und Hyoid und Larynx stehen höher – man nimmt an, dass die kranialere Lage des Larynx optimal dafür ist, dass Säuglinge gestillt werden und währenddessen ▶ Abb. 2). Im Laudurch die Nase atmen können (● fe der ersten Monate senkt sich der Larynx ab und erreicht mit 5 Monaten ungefähr die Höhe, die dem eines Erwachsenen entspricht. Durch diesen Descensus laryngis wird eine größere Variabilität in der Stimmgebung sowie der Artikulation gewährleistet. Es wird jedoch ebenfalls diskutiert, ob durch den Descensus laryngis der Aspirationsschutz eingeschränkt ist, da die Epiglottis nun auch kaudaler liegt [2]. Ab dem 4.–6. Lebensmonat kann der Säugling den Zungenkörper heben und senken, sodass mit der Gabe von Breikost begonnen werden kann. Ab dem 7. Monat beginnt das Kind zu beißen. Des Weiteren zeigen sich laterale Zungenbewegungen, sodass das Kauen ab dem 7.–10. Lebensmonat möglich ist [1]. Im Alter von 3–6 Jahren reift das Schluckmuster aus, sodass ab diesem Zeitpunkt ein kindliches Schluckmuster als unphysiologisch gelten kann.

Schlucken im Alter



Im Allgemeinen lässt im Alter die Gewebselastizität nach, ebenso wird die Nervenleitgeschwindigkeit langsamer. Der Zahnverlust führt zu einer Veränderung des Kiefers bzw. der Kieferstellung. Spondylophyten können zu einer Einengung des Pharynx führen. All diese allgemeinen Alterungsprozesse führen zu einer unspezifischen Veränderung des Schluckaktes, der etwas verlangsamt sein kann oder der auch mehr Konzentration beansprucht. Man hat jedoch festgestellt, dass sich außerdem einige spezifische Schluckvariablen beim alten Menschen verändern: Der Bolus wird im Mund weiter hinten platziert, sodass bereits vor Auslösung des Schluckreflexes Nahrung in die Valleculae gelangen kann; dieses prädeglutitive Leaking kann bei einem hochbetagten Patienten als physiologisch angesehen werden. Des Weiteren relaxiert der OÖS meist unvollständig.

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guseingang befördert. Zum Übertritt des Bolus in den Ösophagus ist jedoch noch die Öffnung des oberen Ösophagussphinkters (OÖS) notwendig. Folgende Mechanismen tragen dazu bei: 1. Relaxation der Muskulatur 2. passives Öffnen durch die kranial-anteriore Bewegung des Larynx 3. Druck des Bolus (erweitert die Öffnung des OÖS, sodass diese jedem einzelnen Bolus angepasst werden kann) 4. negative Sogentwicklung durch Erweiterung des Raumes oberhalb des OÖS Nach Aufnahme des Bolus in den Ösophagus senkt sich das Velum, der Larynx bewegt sich wieder nach dorsokaudal in Ruhelage und der Larynx öffnet sich. Die Atmung, die im Lauf der pharyngealen Phase sistiert, wird wieder aufgenommen. Insgesamt dauert die pharyngeale Phase lediglich ca. 0,7 s [4]. In der pharyngealen Phase, die mit der Schluckreflexauslösung beginnt, wird bei 3-fachem Schutz der tieferen Atemwege der Bolus durch den Pharynx zum OÖS transportiert.

HNO-Facharztwissen 125

Torus tubarius mit lymphatischem Gewebe (Tonsilla tubaria) Tonsilla pharyngea Ostium pharyngeum tubae auditivae rechte Choane

„Seitenstrang“

Palatum molle

Atlas

Uvula palatina

Dens axis

Arcus palatoglossus Corpus linguae

Tonsilla palatina

Abb. 2 Medianer Halsschnitt. Die Pfeile zeigen den Descensus laryngis an: Bei Neugeborenen liegt das Hyoid auf Höhe C3 und die Mitte des Thyroids auf Höhe C4 (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2009).

Tonsilla lingualis

M.geniohyoideus Os hyoideum

Epiglottis

Lig.thyrohyoideum Plica vestibularis Plica vocalis

Cartilago cricoidea

Gl.thyroidea

9 Dysphagie

1

6 Zunahme der Dysphagie

2

10

Proteinmangelernährung

7

Letale Aspirationspneumonie Muskelschwäche

4

8

5

Vermehrte Infektionen

Abb. 3 Circulus vitiosus der Dysphagie im Alter.

Pharyngeale Residuen, die ein mehrfaches Nachschlucken notwendig machen, treten häufig auf. Studien haben gezeigt, dass 30 % der älteren Menschen während des Schluckens einatmen (normalerweise sistiert die Atmung bzw. man atmet aus). Durch dieses Einatmen im Rahmen von vermehrtem Schlucken kommt es zu häufigerem Husten während der Nahrungsaufnahme. Eine Protein-Mangelernährung kann zu einem gehäuften Auftreten von Infektionen führen, zusätzlich führt sie zu einer Muskelschwäche [5]. Damit kann ein Circulus vitiosus beginnen ▶ Abb. 3). (●

Pathophysiologie und Symptomatik Der oropharyngeale Schluckapparat (Mund, Pha▶ Abb. 4) hat 3 unterschiedliche rynx, Larynx; ● Funktionskreise zu bedienen:

Abb. 4 Larynxschema mit Kennzeichnung der Lokalisation von Residuen, Penetration, Aspiration 1–5: Residuen, 6–9: Penetration, 10: Aspiration. (Quelle: J. Wendler, W. Seidner, U. Eysholdt. Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie. 4. Aufl. 2005, Stuttgart: Thieme).

1. Respiration (Sicherstellung der oberen Atemwege) 2. Phonation und Artikulation 3. Schlucken Störungen im oropharyngealen Bereich können daher auf alle 3 Funktionen Auswirkungen haben. Dies muss bei therapeutischen Maßnahmen immer berücksichtigt werden, da eine Besserung z. B. der Schluckstörung sekundär eine Verschlechterung der Phonation/Artikulation nach sich ziehen kann. Unspezifische Zeichen einer Dysphagie können sein: ▶ verlängerte Dauer der Nahrungsaufnahme ▶ unklare Fieberschübe/Pneumonie ▶ unklarer Gewichtsverlust ▶ Vermeidung bestimmter Speisen ▶ Haltungsänderungen beim Schlucken ▶ häufiges Nachtrinken ▶ Probleme bei der Medikamenteneinnahme

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3

Alter

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Tab. 1 Definitionen und Begriffsklärungen.

Leaking anteriores Leaking posteriores Leaking pharyngeales Pooling laryngeale Penetration nasale Penetration Aspiration prädeglutitiv intradeglutitiv postdeglutitiv

Erklärung Liegenbleiben von Substanzen verbleibende Nahrungsreste unkontrolliertes Herauslaufen aus dem Mund → auch anteriores Leaking genannt unkontrolliertes Abgleiten der Nahrung aus dem Mund unkontrolliertes Herauslaufen aus dem Mund → auch Drooling genannt unkontrolliertes Abgleiten der Nahrung aus dem Mund in den Pharynx Auffangen von Nahrung im Pharynx (häufig in den Valleculae) vor Auslösen des Schluckreflexes Eindringen von Nahrung oder Speichel in den Larynx Eindringen von Nahrung oder Speichel in Nasopharynx/Nasenhaupthöhle Nahrung/Speichel gelangt in den subglottischen Raum vor Auslösen des Schluckreflexes → vor Beginn der pharyngealen Phase während der pharyngealen Phase nach Beendigung der pharyngealen Phase

Zum besseren Verständnis sind nachfolgend ▶ Tab. 1 einige spezifische Begriffe aus der in ● Dysphagiediagnostik genauer definiert. Im Allgemeinen lassen sich Schluckstörungen auf 3 hauptsächliche Pathomechanismen zurückführen [1]: 1. unvollständiger/ineffizienter Transport→Retentionen bzw. Residuen 2. falsche Richtung→nasale/laryngeale Penetration oder Aspiration 3. Rückfluss→Drooling oder Regurgitation

Nasopharynx

Oropharynx

Laryngopharynx

Störungen der oralen Phase



In der oralen Vorbereitungsphase kommt es durch mangelnden Lippenschluss zum Herauslaufen der Nahrung/Speichel aus dem Mund (Drooling). Des Weiteren sind Schwierigkeiten beim Abbeißen und Kauen aufgrund von Zahn-/Kieferproblemen möglich. Eine eingeschränkte Zungenbeweglichkeit sowie eine Xerostomie kann zu einer mangelhaften Bolusformierung führen und dadurch zu oralen Residuen. Bei einer Schwäche der Wangenmuskulatur kann es ebenso zu oralen Residuen kommen. In der oralen Transportphase dominieren folgende Störungsbilder: ▶ Der Bolus kann nicht nach dorsal in Richtung Oropharynx transportiert werden. ▶ Der Bolus kann vor Auslösen des Schluckreflexes nicht zwischen Zungenrücken und abgesenktem Velum gehalten werden, sodass es zu einem prädeglutitiven, posterioren Leaking kommt. ▶ Eine verspätete oder aufgehobene Schluckreflex-Triggerung lässt keinen kontrollierten Übergang des Schluckaktes in die pharyngeale Phase zu. Folglich tritt der Bolus in den Pharynx ein, obwohl der Larynx noch nicht verschlossen ist. Dies kann eine prädeglutitive Penetration oder Aspiration zur Folge haben.

Abb. 5 Kreuzung von Atem- und Speisewegen (Quelle: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2009).

Merke: Spezifische Symptome bei Störungen der oralen Phase: Drooling, orale Residuen, Husten vor dem Schlucken, mangelhaftes Kauen bzw. fehlende Initiierung des Kauens.

Störungen der pharyngealen Phase



In diesem Abschnitt des Schluckaktes kommt es aufgrund der Kreuzung von Atem- und Speise▶ Abb. 5) einerseits zu den häufigsten wegen (● dysphagischen Problemen, andererseits haben Störungen der pharyngealen Phase die dramatischsten Auswirkungen für den Patienten. Im Allgemeinen können die nasalen und laryngealen Verschlussmechanismen gestört sein, ebenso die Öffnung des OÖS sowie die Pharynxperistaltik. Folgende Störungsbilder treten daher vor▶ Tab. 2): rangig auf (●

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Begriff Retentionen Residuen Drooling

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Tab. 2 Aspirationsformen und dazugehöriger Pathomechanismus [1].

intradeglutitive Aspiration postdeglutitive Aspiration

Pathomechanismus – Störung der Boluskontrolle – gestörter oraler Bolustransport – verzögerte/fehlende Schluckreflexauslösung – mangelnder Larynxverschluss – eingeschränkte Larynxelevation – ungenügende Zungengrundretraktion (mangelhafte „Stempelfunktion“) – ineffiziente Pharynxkontraktion – eingeschränkte Larynxelevation – Störung der Öffnung des OÖS

▶ nasale Penetration bei insuffizientem velopharyngealen Verschluss ▶ laryngeale Penetration und intradeglutitive Aspiration bei ungenügendem laryngealen Verschluss ▶ pharyngeale Residuen bei ineffizienter pharyngealer Peristaltik ▶ postdeglutitive Aspiration bei Aufstau der Nahrung durch Störung der Öffnung des OÖS Merke: Spezifische Symptome bei Störungen der pharyngealen Phase: nasale Penetration, Husten, Würgen, Räusperzwang, gurgelige Stimme („wet voice“), „Steckenbleiben“ von Nahrung im Hals.

Störungen der ösophagealen Phase



Bei einer ösophagealen Passagestörung kann es zu Beschwerden kommen, die zeitlich auch unabhängig von der Nahrungsaufnahme sein können, wie einem Reflux oder retrosternalen Schmerzen. Des Weiteren kann es bei Divertikelbildung zur Regurgitation unverdauter Nahrung kommen. Insgesamt sind die Symptome einer ösophagealen Schluckstörung jedoch wesentlich unspezifischer als die einer oropharyngealen Dysphagie.

Merke: Spezifische Symptome bei Störungen der ösophagealen Phase: Reflux, „Steckenbleiben“ von Nahrung hinter dem Sternum, retrosternale Schmerzen, Regurgitation unverdauter Nahrung.

Epidemiologie und Ätiologie Man kann die Dysphagie nach der Ätiopathogenese einteilen: ▶ neurogene Dysphagie ▶ strukturelle Dysphagie ▶ Sonderformen – medikamentenassoziierte Dysphagie – psychogene Dysphagie

Neurogene Dysphagie



Die neurogene Dysphagie stellt die häufigste Dysphagieform dar. Zahlreiche neurologische Erkrankungen sind mit Schluckstörungen assoziiert. Ein Apoplex stellt insgesamt die häufigste Ursache einer Dysphagie dar: In der Akutphase leiden 50 % der Patienten an Schluckproblemen (60 % bei Hirnstammläsionen), in der chronischen Phase noch 25 % [1]. Beim idiopathischen ParkinsonSyndrom haben ebenso ca. 50 % der Patienten eine Dysphagie. Des Weiteren wird die Prävalenz einer Dysphagie in der älteren Bevölkerung (älter als 49 Jahre) auf 20 % geschätzt. Auch in verschiedenen Stadien der Demenz können bei ca. 50 % der Patienten Schluckbeschwerden auftreten [6]. Im Gegensatz dazu gibt es keine Angaben über die Prävalenz der Dysphagie im Kindesalter. Merke: Die Zunahme an Kindern mit einer oropharyngealen Schluckstörung korreliert mit der Zunahme des Überlebens von unreifen frühgeborenen Kindern, Kindern mit neurologischen Erkrankungen sowie Kindern mit komplexen Krankheitsbildern. Da Schlucken ein dynamischer Prozess ist, können folgende Faktoren zu einer Dysphagie führen: ▶ Verhaltensauffälligkeiten ▶ neurologische Störungen ▶ Entwicklungsprobleme ▶ Reflux ▶ Atemstörungen ▶ Fehlbildungen im Bereich des oberen Aerodigestivtrakts Jedoch kann bei einem Teil der kindlichen Patienten die genaue Ursache der Schluckstörung nicht geklärt werden [2].

Strukturelle Dysphagie



Zur strukturellen Dysphagie werden alle Schluckbeschwerden gezählt, die nach Operationen oder Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich auftreten. Daneben zählen Fehlbildungen (z. B. Choanalatresie,

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Aspiration prädeglutitive Aspiration

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Merke: Im Allgemeinen stehen die Verringerung der kontraktilen Kräfte im Mund und Pharynx sowie die Störung des laryngealen Verschlusses im Vordergrund. Nach Radio(chemo)therapie eines Kopf-Hals-Tumors resultieren die dysphagischen Beschwerden aus: ▶ reduzierter Larynxelevation ▶ eingeschränkter Pharynxkontraktion ▶ mangelnder Zungengrundbeweglichkeit ▶ reduzierter Beweglichkeit der Epiglottis Im systematischem Review von Wall et al. 2013 [7] schwanken dabei die Prävalenzangaben zwischen 21–100 %.

Sonderformen der Dysphagie



Außerdem können zahlreiche Medikamente ursächlich für eine Dysphagie sein oder bestehende Schluckbeschwerden verstärken. Einige Beispiele sollen erwähnt werden: ▶ Sedativa (z. B. Benzodiazepine) ▶ Neuroleptika (z. B. Haloperidol) oder Metoclopramid→Dopaminantagonismus ▶ Anticholinergika→Xerostomie Letztlich gibt es noch die psychogene Dysphagie, die bis zu einer Phagophobie führen kann. Insgesamt tritt die psychogene Dysphagie seltener auf als erwartet; Ravich untersuchte bereits 1989 23 Patienten mit der Diagnose „psychogene Dysphagie“. Bei 15 Patienten konnte ein organisches Korrelat für die Dysphagie gefunden werden [8]. Langmore zeigte, dass eine Reihe an Faktoren die Dysphagie und infolgedessen das Auftreten einer Aspirationspneumonie begünstigen kann [9]: ▶ Unselbstständigkeit bei der Nahrungszufuhr ▶ Unselbstständigkeit bei der Mundhygiene ▶ Anzahl kariöser Zähne ▶ Sondenernährung

▶ ≥ 2 medizinische Diagnosen ▶ Anzahl der Medikamente ▶ Nikotinabusus

Diagnostisches Vorgehen Bei der Dysphagie steht die Anamnese an erster Stelle. Neben Erhebung der Eigenanamnese und der Medikation sollten ebenso folgende Punkte abgefragt werden, die auf eine Dysphagie hinweisen können: ▶ verlängerte Dauer der Nahrungsaufnahme bis zur erschöpfenden Mahlzeit (damit wird eine Mahlzeit beschrieben, die so lange dauert, dass nur eine ungenügende Menge an Kalorien aufgenommen werden kann) ▶ unklare Fieberschübe ▶ Pneumonie ▶ unklarer Gewichtsverlust ▶ Vermeidung bestimmter Speisen ▶ Haltungsänderungen beim Schlucken ▶ häufiges Nachtrinken während des Essens ▶ Probleme bei der Medikamenteneinnahme ▶ vermehrtes Husten/Würgen während Mahlzeiten ▶ veränderter Stimmklang während/nach Nahrungsaufnahme („wet voice“) ▶ Sialorrhoe Zur dynamischen Untersuchung des Schluckakts stehen vor allem die Videofluoroskopie (VFS) als standardisierter und modifizierter BariumBreischluck sowie die fiberendoskopische Schluckuntersuchung (FEES) zur Verfügung. Die VFS und die FEES stehen dabei nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sind als Ergänzung zu sehen ▶ Tab. 3). (●

Merke: Bis dato gilt keine der Untersuchungen als „Goldstandard“. Die FEES hat eine höhere Sensitivität, die VFS eine höhere Spezifität [2].

Die Domäne des HNO-Arztes/Phoniaters zur Abklärung der anatomischen Verhältnisse im Pharynx und Larynx ist die Laryngoskopie. Dabei bietet es sich an, dass nach einer flexiblen Laryngoskopie gleich eine FEES angeschlossen wird.

Tab. 3 Darstellung der dynamischen Untersuchungsarten VFS und FEES. Darstellung

Testmaterial Dauer

Videofluoroskopie (VFS) radiologische Darstellung der Mundhöhle, des Pharynx, des Larynx, der Trachea und des oberen Ösophagus während aller 4 Phasen des Schluckakts kleine Mengen an Barium-Flüssigkeit, BariumBrei und von Barium ummantelter fester Kost 2–4 min während der Fluoroskopie

Fiberendoskopische Schluckuntersuchung (FEES) – Darstellung der Weichteile des Larynx und Pharynx vor und nach dem Schlucken – Sensibilität im Larynx/Pharynx – Überprüfung von kompensatorischen Techniken (Haltungsänderung, Schlucktechniken) reelle Nahrungsmittel, die zum besseren Kontrast mit Lebensmittelfarbe angefärbt werden können so lange wie nötig (bis zu einer kompletten Mahlzeit)

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Gaumenspalten) und entzündliche Erkrankungen (z. B. Soor) dazu. Dysphagische Beschwerden nach erfolgter Tumortherapie im Kopf-Hals-Bereich hängen ab von: ▶ Lokalisation ▶ Ausmaß des Defekts ▶ Wahl des Zugangsweges ▶ Rekonstruktionsmaßnahmen

HNO-Facharztwissen 129

3. Einschätzen des Benefits durch therapeutische Interventionen (Manöver/Haltungsänderungen)

Abb. 6 Larynx. 1–5 Residuen, 6–9 Penetration, 10 Aspiration.

Ergänzend sollte man als Vorteil der VFS die zusätzliche Beurteilung der ösophagealen Phase sehen, sowie die sichere Darstellung einer intradeglutitiven Aspiration. Die intradeglutitive Aspiration kann im Rahmen der FEES nur bei vorhandenem Tracheostoma sicher dargestellt werden.

Merke: Großer Nachteil der VFS (gerade bei pädiatrischen Untersuchungen) ist die zusätzliche Strahlenbelastung.

Fiberendoskopische Schluckuntersuchung (FEES)



Mithilfe eines flexiblen Laryngoskops wird eine Abfolge an Schluckversuchen untersucht und digital dokumentiert. Durch die digitale Dokumentation ist sowohl eine standardisierte Auswertung als auch Kontrolle möglich. Bei Bedarf kann die FEES im Bett, bei ausgeprägter Aspirationsgefahr mit Monitoring oder bei Abwehr (z. B. bei Kindern) mit einer milden Prämedikation durchgeführt werden. Die FEES stellt kein Screening, sondern eine vollständige Untersuchung des pharyngealen Schluckakts dar. Eine dezidierte Aussage über die ösophageale Phase kann nicht getroffen werden. Nach der Definition von Langmore [10] besteht die standardisierte FEES aus 3 Teilen: 1. Untersuchung der Anatomie und Physiologie der beteiligten Strukturen – Velum – Nasopharynx – Zungengrund – Oropharynx – Hypopharynx – Larynx 2. Schluckuntersuchung mit Flüssigkeiten und Speisen

Vor der Untersuchung kann mit einem Gel das Vestibulum nasi etwas betäubt werden; von einem Lokalanästhetikaspray sollte nur in Ausnahmen Gebrauch gemacht werden, da durch das Aufsprühen zusätzlich ein Sensibilitätsverlust der Schluckorgane erfolgen kann. Das flexible Endoskop wird transnasal eingeführt. Zunächst sollte die Spitze des Endoskops zur Beurteilung des Velums an der Grenze zwischen knöchernem und muskulärem Nasenboden zu liegen kommen. Zur weiteren Beobachtung sollte sie auf Ebene der Uvulaspitze sein. Insgesamt werden die willkürlichen und unwillkürlichen Bewegungsmöglichkeiten des Velums, des Zungengrunds, der Pharynxseitenwände, der Stimmlippen und Taschenfalten beurteilt. Hierbei ist die Überprüfung des 3-fachen Larynxverschlusses besonders wichtig: ▶ „leichtes Atemanhalten“ (Stimmlippenschluss) ▶ „festeres Atemanhalten“ (Taschenfaltenschluss) ▶ „Trockenschluck“ (Epiglottiskippung) Ebenso muss das Auslösen eines willkürlichen Hustenstoßes überprüft werden. Durch Berührung der Schleimhäute mit der Endoskopspitze kann dazu noch eine gewisse Aussage über die Sensibilität von Hypopharynx und Larynxeingang getroffen werden. Die Dokumentation von vorhandenem Speichel und ggf. Speichelpenetration ▶ Abb. 6). und -aspiration erfolgt ebenfalls hier (●

Schluckuntersuchung von Flüssigkeiten und Speisen Je nach Möglichkeit des Patienten werden Schluckversuche mit angefärbter Nahrung unterschiedlicher Konsistenz (flüssig, sämig, breiig, fest) durchgeführt. Die Bolusgröße variiert zwischen ½ Teelöffel bis zu einem eigenständigen Schluck/Biss. Folgende Parameter sollten nach den Möglichkeiten des Patienten jeweils für die verschiedenen Konsistenzen und Bolusgrößen untersucht werden: ▶ orale Phase: – velopharyngealer Verschluss – Zungengrundbewegungen – Bolustransport in den Pharynx – Dauer der oralen Phase – Leaking – Penetration – Aspiration – Drooling ▶ pharyngeale Phase: – Schluckreflexauslösung – Penetration – Aspiration

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Anatomische und physiologische Untersuchung

130 Dysphagie

Tab. 4 Schweregradeinteilung der Aspiration nach laryngoskopischem Befund [4]. Schweregrad 0 I II III IV

Laryngoskopischer Befund keine Aspiration gelegentliche Aspiration bei erhaltenem Hustenreflex permanente Aspiration bei erhaltenem Hustenreflex gelegentliche Aspiration ohne Hustenreflex mit gutem willkürlichen Abhusten permanente Aspiration ohne Hustenreflex mit gutem willkürlichen Abhusten permanente Aspiration ohne Hustenreflex ohne effektives willkürliches Abhusten

Tab. 5 Penetrations-Aspirations-Skala (PAS) nach Rosenbek. Score 1 2 3 4 5 6 7 8

Penetration/Aspiration keine laryngeale Penetration, keine Aspiration laryngeale Penetration oberhalb der Stimmlippen mit vollständiger Reinigung, keine Aspiration laryngeale Penetration oberhalb der Stimmlippen, keine Reinigung laryngeale Penetration bis zu den Stimmlippen mit vollständiger Reinigung laryngeale Penetration bis zu den Stimmlippen ohne Reinigung Aspiration mit Reinigung der Trachea (Husten in den Aditus laryngis oder außerhalb) Aspiration, keine Reinigung bei zu schwachem Hustenstoß Aspiration, kein Husten

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– Bolustransport – Epiglottiskippung – Residuen Bei den Residuen werden Lage, Volumen, Wahrnehmen der Residuen und Reinigungsmechanismen vermerkt. Die Beurteilung des Schweregrads der Aspiration ▶ Tab. 4) und der Reinigung des Larynx nimmt (● im Rahmen der FEES eine herausragende Stellung ein, da hiervon die Indikation zur Tracheostomie oder auch Änderungen des Ernährungsmodus abhängen. Bei Schweregrad I und II können diätetische Maßnahmen und eine funktionelle Dysphagietherapie ausreichend sein. Ab Schwergrad III muss immer über die Notwendigkeit einer Tracheostomie, geblockte Kanüle sowie über ein Verbot der oralen Nahrungszufuhr nachgedacht werden. Rosenbek hat 1996 die 8-stufige Penetrations-Aspirations▶ Tab. 5), die sowohl für Skala (PAS) eingeführt (● die VFS als auch für die FEES evaluiert ist [4] ▶ Abb. 7–9). (●

Einschätzen des Benefits durch therapeutische Interventionen Je nach Problemen im Verlauf des oropharyngealen Schluckakts können im Rahmen der FEES gleichzeitig Kompensationsmechanismen ausprobiert und auf ihre Effizienz hin untersucht werden. Hierfür sollen nur 2 Beispiele genannt werden: ▶ Kann durch das Senken des Kinns die Boluskontrolle verbessert und dadurch das prädeglutitive Leaking im Rahmen der oralen Phase verhindert werden? ▶ Kann der Patient das in der Therapie erlernte supraglottische Schlucken sinnvoll umsetzen? Zur Erleichterung der standardisierten Durchführung und Dokumentation der FEES wurden bereits Dokumentationssysteme etabliert, so-

Abb. 7 FEES bei einem 8 Monate alten Kind mit Cornelia-de-Lange-Syndrom. a Zustand nach rezidivierender Pneumonie. Deutliche Laryngitis gastrica mit zusätzlicher Irritation des Ösophaguseinganges durch die nasogastrale Sonde. b Erschwertes Abschlucken von Brei in den Ösophagus.

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HNO-Facharztwissen 131

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Abb. 8 Zustand nach supraglottischer Larynxteilresektion und postoperativer Radiatio. a Ruhebeobachtung: schaumiger Speichel als Zeichen einer Aspiration mit Hustenstoß. b Blick nach subglottisch durch das Tracheostoma: deutliche Speichelaspiration. c FEES: Aspiration auch von dünnflüssigem Brei (PAS 6, Aspirationsgrad II).

Abb. 9 Zustand nach primärer Radiochemotherapie eines T4-Larynxkarzinoms mit deutlichem radiogenen Ödem der Epiglottis und Supraglottis. Retentionen von Bananenbrei in die Valleculae (Aspirationsgrad 0; PAS 1).

dass außerdem der relative Zeitaufwand verringert und die Vergleichbarkeit der FEES-Berichte erhöht werden konnte [11].

Videofluoroskopie VFS



Bei der Videofluoroskopie sollte eine Darstellung von 25 Bildern pro Sekunde möglich sein, sodass klinische Fragestellungen geklärt werden können. Hierbei interessieren vor allem die intradeglutitive Aspiration sowie die Störung der ösophagealen Phase – beides kann in der FEES nur vermutet werden. Die Patienten müssen dazu sitzen können. Die Untersuchung wird im posterioren-anterioren und im latero-lateralen Strah▶ Abb. 10). lengang durchgeführt (● Weder mit der VFS noch mit der FEES wird eine Aussage über die Ernährungssituation des Patienten getroffen. Dies ist jedoch natürlich für die Lebensqualität und die Kontrolle von Therapiemaßnahmen äußerst wichtig. Zur besseren Ver-

Abb. 10 Patientin mit Polyneuritis cranialis. a 1 Bariumbolus auf dem Zungengrund, 2 gekippte Epiglottis, 3 Residuen in der Vallecula, 4 Übertritt des Bolus in OÖS. b 1 Epiglottis stellt sich wieder auf, 2 postdeglutitive Aspiration in den wieder geöffneten Larynx (Bilder mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. M. Reiss-Zimmermann, Abteilung für Neuroradiologie, Universitätsklinikum Leipzig).

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132 Dysphagie

Tab. 6 Schluckfunktion nach Prosiegel [13].

2 3 4 5 6

Charakteristika keine Einschränkung voll orale Ernährung mit Kompensation (z. B. Haltungsänderung, Schlucktechniken), aber ohne Konsistenzeinschränkung voll orale Ernährung ohne Kompensation, aber mit Konsistenzeinschränkung voll orale Ernährung mit Kompensation, mit Konsistenzeinschränkung partiell orale Ernährung, Sondenernährung zusätzlich nötig partiell orale Ernährung mit Kompensation, Sondenernährung zusätzlich nötig Ernährung ausschließlich über die Sonde

gleichbarkeit wurden dazu auch einige Scores ▶ Tab. 6). entwickelt (●

Therapeutisches Vorgehen Die Therapieziele bei einer Dysphagie lauten: ▶ Sicherstellung der Atmung und der Ernährung ▶ Vermeidung einer Aspiration ▶ Stimme und damit Sprache ermöglichen ▶ Trinken und Essen ohne Stress als Genuss Therapeutisch müssen unterschiedliche Konzepte je nach Störung verfolgt und kombiniert werden. Man sollte dazu immer das Verhalten während einer Mahlzeit beobachten, sodass bei Verdacht auf eine zusätzliche Essstörung gerade bei Kindern und Jugendlichen eine psychotherapeutische Mitbeurteilung bzw. Therapie erfolgen kann. Merke: Am Anfang jeder Dysphagietherapie muss die Vermeidung von Komplikationen durch eine Aspiration und Sicherung der Ernährung stehen.

Vermeiden von Komplikation durch Aspiration



Bei ausgeprägter Aspiration muss immer über eine Tracheostomie nachgedacht werden. Einerseits zur Verbesserung der Trachealpflege, andererseits zum Schutz der tieferen Atemwege durch Einsetzen einer blockbaren Kanüle. Da sich ein vorhandenes Tracheostoma jedoch zusätzlich negativ auf eine Dysphagie auswirken kann, sollte – sobald Speichel und Sekret sicher abgeschluckt werden können bzw. ein ausreichend guter willkürlicher Hustenstoß besteht – immer über ein Dekanülement nachgedacht werden.

Sicherstellung der Ernährung



Gerade Patienten mit einem Kopf-Hals-Tumor leiden häufig bereits vor Beginn der Therapie an einer Mangelernährung. Zunächst kann durch hochkalorische Zusatznahrung versucht werden, einer Mangelernährung vorzubeugen bzw. diese einzugrenzen. Falls dies nicht ausreichend oder möglich ist, muss über eine nonorale Sondenernährung

nachgedacht werden. Dabei sollte sowohl dem Patienten als auch dem betreuenden Personal immer wieder bewusst gemacht werden, dass zwischen einer oralen Vollkost und ausschließlicher Sondenernährung eine große Bandbreite an möglichen Übergängen der Ernährung liegt.

Funktionelle Dysphagietherapie (FDT)



Die FDT stellt bei der oropharyngealen Dysphagie die Therapie der Wahl dar. Sie lässt sich in 3 Therapiesäulen einteilen: 1. Restitution 2. Kompensation 3. Adaption

Restitution Ziel ist die Verbesserung von Restfunktionen bzw. die Wiederherstellung von gestörten Funktionen. Dazu gehört die Stimulation des Schluckreflexes mithilfe von thermotaktilen und gustatorischen Reizen. Des Weiteren zählt hierzu die Kräftigung der Muskulatur.

Kompensation Durch Kopfhaltungsänderungen wird mit Nutzung der Schwerkraft der oropharyngeale Schluckweg modifiziert und somit der Bolustransport erleichtert (z. B. verhindert die Kopfneigung nach vorn ein prädeglutitives Leaking). Das Erlernen von komplexen Schlucktechniken setzt einen kooperativen und lernfähigen Patienten voraus. Zu den bekannten Schlucktechniken gehören z. B. das supraglottische Schlucken zur Verbesserung des Larynxverschlusses (Durchführung: Inspiration – Atemanhalten – Schlucken – Abhusten – Schlucken – Exspiration) oder das Mendelsohn-Manöver zur Verbesserung der Zungenschubkraft, der Larynxelevation und der Öffnung des OÖS (Durchführung: „Versuchen Sie, während des Schluckens die Zunge länger an den Gaumen zu pressen“).

Adaptation Einerseits kann die Ernährung angepasst werden, andererseits können Ess- und Trinkhilfen das selbstständige Ernähren erleichtern. Prothesen

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Grad 0 1

HNO-Facharztwissen Dysphagie 133

Chirurgische Dysphagietherapie



Die Domäne der chirurgischen Dysphagietherapie liegt im Bereich der ösophagealen Dysphagie. Des Weiteren steht jedoch außerdem eine Reihe an operativen Therapiemaßnahmen zur Verfügung: ▶ Korrektur einer Fehlbildung ▶ bei Obstruktion des Naso-/Oropharynx kann eine Adenotomie oder Tonsillotomie eine deutliche Verbesserung bringen ▶ Velopharynxplastik bei velopharyngealer Insuffizienz ▶ bei vorliegender Stimmlippenparese kann durch eine Thyroplastik der laryngeale Verschluss verbessert werden ▶ bei zu geringer Kalorienzufuhr ist die Anlage einer PEG sinnvoll ▶ bei massiver Aspiration wird in sehr seltenen Indikationen als Ultima Ratio die laryngotracheale Separation oder eine Laryngektomie durchgeführt

▶ Bei dauerhaft bestehender problematischer Sialorrhoe besteht die Möglichkeit, Botulinumtoxin in die großen Speicheldrüsen zu applizieren. Dazu wird Botox meist unter Ultraschallkontrolle in die Glandula parotis injiziert, da diese am leichtesten zu erreichen ist. Obwohl die Glandula parotis in Ruhe wesentlich weniger zur Speichelproduktion beiträgt als die Glandulae submandibulares, ist die Botoxinjektion in die Parotis meist für eine Speichelreduktion ausreichend. Die Wirkung hält ca. 2–4 Monate an. Die chirurgische Entfernung oder Radiatio der Speicheldrüsen stellt eine seltene Therapiemaßnahme im Sinne einer Ultima Ratio dar.

Xerostomie



Die Xerostomie ist vor allem nach Radiatio im Kopf-Hals-Bereich ein häufig auftretendes Problem. Leider besteht jedoch nach wie vor keine wirksame Therapie der radiogenen Xerostomie. Zunächst sollte das Umsetzen von Medikamenten geprüft werden, die eine Speichelreduktion zur Folge haben. Des Weiteren sollte der Patient auf eine ausreichende Trinkmenge achten. Manchmal können Kaltinhalationen zu einer Linderung der Beschwerden führen. Künstlicher Speichel wird lediglich von wenigen Patienten als wirklich hilfreich empfunden.

Sialorrhoe



Dysphagie bei Demenz

Die deutsche Gesellschaft für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie hat 2013 zur Sialorrhoe eine Leitlinie publiziert [12]. Der Sialorrhoe liegt entweder eine echte Hypersalivation zugrunde oder aber eine Pseudohypersalivation, die durch vermindertes Abschlucken des Speichels entsteht. Zunächst stellt die Sialorrhoe ein ästhetisches Problem dar. Andererseits haben bei ausgeprägter Sialorrhoe, z. B. nach Tumoreingriffen im Kopf-Hals-Bereich, die Patienten bereits so viele Probleme, den Speichel abzuschlucken, dass keine Kapazität mehr besteht, um überhaupt Nahrung aufzunehmen. Hier kann die Speichelreduktion deutliche Vorteile bringen. Neben der funktionellen Dysphagietherapie, dem Überprüfen der Medikamenteneinnahme (Neuroleptika können zu einer Hypersalivation führen) sowie kieferorthopädischen Maßnahmen zur Verbesserung der Okklusion besteht ebenso die Möglichkeit einer medikamentösen Speichelreduktion: ▶ Eine Reduktion des Speichels kann kurzfristig durch anticholinerge Medikamente erfolgen: Scopolamin (auch in Form von Pflastern) oder Amitriptylin. Dabei muss bedacht werden, dass diese Medikamente off-label zur Speichelreduktion eingesetzt werden.



Bei 50 % der dementen Patienten tritt eine Dysphagie auf. Es gibt nur sehr begrenztes Wissen über die Aussagekraft einer FEES oder VFS bei diesen Patienten. Es liegt ebenso kaum Evidenz über die Verbesserung der Dysphagie durch Haltungsänderung, dietetische Anpassungen oder medikamentöse Therapien vor. Mehrfach konnte jedoch nachgewiesen werden, dass der Einsatz einer PEGSonde zur Ernährung bei fortgeschrittener Demenz weder einen Einfluss auf das Aspirationsrisiko hat, noch das Überleben verlängert [6].

Fazit



Aufgrund der alternden Bevölkerung und dem verbesserten Überleben von Frühgeborenen wird der HNO-Arzt/Phoniater immer häufiger mit Dysphagie-Patienten unterschiedlichsten Alters konfrontiert werden. Jegliche Einschränkung im Bereich der Nahrungsaufnahme bedeutet für den Patienten auch immer eine eingeschränkte Lebensqualität. Um der Komplexität der Dysphagie gerecht zu werden, sollte die Diagnostik und Therapie einer Dysphagie in Zusammenarbeit mit einem multiprofessionellen Team erfolgen, bestehend aus Ärzten, Therapeuten, Diätassis-

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können bei Defekten im Mundraum hilfreich sein. Hierzu zählt ebenfalls die Obturatorprothese: Sie senkt das Gaumendach ab und kann so auch bei stark eingeschränkter Zungenbeweglichkeit eine palatolinguale Annäherung ermöglichen und damit den oralen Bolustransport erleichtern.

134 Dysphagie

Literatur 1 Bartolome G, Schröter-Morasch H. Schluckstörungen, Diagnostik und Rehabilitation. München: Urban & Fischer, 2010; 1–444 2 Meuret S, Fuchs M. Kindliche Dysphagie aus Sicht der HNO-Heilkunde und Phoniatrie. Kinder- und Jugendmedizin 2013; 13: 92–96 3 Meyer S, Ptok M. Diesseits der „pattern generators“ kortikale Steuerung des Schluckaktes. HNO 2011; 59: 68–72 4 Schröter-Morasch H. Schlucken. In: Wendler J, Seidner W, Eysholdt U, Hrsg. Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie. Stuttgart: Thieme, 2005; 333–352 5 Hudson HM, Daubert CR, Mills RH. The interdependency of protein-energy malnutrition, aging and dysphagia. Dysphagia 2000; 15: 31–38 6 Alagiakrishnan K, Bhanji RA, Kurian M. Evaluation and management of oropharyngeal dysphagia in different types of dementia: a systemic review. Arch Gerontol Geriatr 2013; 56: 1–9 7 Wall LR, Ward C, Cartmill B, Hill A. Physiological changes to the swalloing machanism following (chemo) radiotherapy for head and neck cancer: a systemic review. Dysphagia 2013; 9: 28 8 Ravich WJ, Wilson RS, Jones B, Donner MW. Psychogenic dysphagia and globus: reevaluation of 23 patients. Dysphagia 1989; 4: 35–38 9 Langmore SE, Terpenning MS, Schork A, Chen Y, Murray JT, Lopatin W, Loesche WJ. Predictors of aspiration pneumonia: how important is dysphagia? Dysphagia 1998; 13: 69–81 10 Langmore SE. Scoring a FEES examination. In: Langmore SE, Hrsg. Endoscopic Evaluation and Treatment of Swallowing Disorders. New York: Thieme, 2001; 101–143 11 Hey C, Pluschinski P, Stanschus S, Euler HA, Sader RA, Langmore S, Neumann K. A documentation system to save time and ensure proper application of the fiberoptic endoscopic evaluation of swallowing (FEES®). Folia Phoniatr Logop 2011; 63: 201–208 12 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Aktueller Stand: 01/2013. Publiziert bei: AWMF-Register Nr. 017/075. Klasse: S2k: Hypersalivation

Über die Autoren



Sylvia Meuret Dr. med.; Seit 2002 an der Klinik für HNO-Heilkunde des Universitätsklinikums Leipzig. Nach dem Medizinstudium in Rostock und Leipzig promovierte sie 2004 zur Qualität der Ösophagusersatzstimme nach Laryngektomie und legte 2007 die Facharztprüfung für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde ab. Im Herbst 2009 folgte die Anerkennung zur Fachärztin für Phoniatrie und Pädaudiologie, sowie die Ernennung zur Oberärztin und stellvertretenden Leiterin der Sektion Phoniatrie und Audiologie. Ihr besonderer Schwerpunkt liegt dabei in der engen Zusammenarbeit mit der Kinderklinik als auch der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie zur interdisziplinären Betreuung von Kindern mit Trachealkanülen, Schwerhörigkeiten und Schluckbeschwerden. Andreas Dietz Prof. Dr. med.; nach Medizinstudium ab 1991 Facharztausbildung und Oberarzttätigkeit an der HNO-Universitätsklinik Heidelberg; 2000 Habilitation; 2004 Ruf an die Universität Leipzig, Ordinarius für HNO Heilkunde und ärztlicher Direktor der HNO-Universitätsklinik Leipzig. Seit 2010 medizinisch wissenschaftlicher Leiter des Departments für Kopf- und Zahnmedizin des Universitätsklinikums Leipzig. Seit 2001 Vorstandsmitglied und seit 2011 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Onkologie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Vizesprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Kopf-Hals-Tumoren der Deutschen Krebsgesellschaft; Tätigkeit in zahlreichen Verbänden und Gremien, darunter der Deutschen Krebsgesellschaft. Seit Januar 2005 Vertrauensarzt des Deutschen Kehlkopflosenverbands. Vorstandsmitglied des Innovation Zentrums für computerassistierte Chirurgie (ICCAS) Leipzig. Ehrenmitglied der Indian Head and Neck Foundation, der belgisch königlichen HNO-Gesellschaft sowie der österreichischen HNO-Gesellschaft; Gründungsmitglied der mitteldeutschen Facharztkurse; Tagungspräsident der Vereinigung Mitteldeutscher HNO-Ärzte 2013.

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tenten und Pflegepersonal. Nicht zu vernachlässigen ist dabei die enge Zusammenarbeit mit dem Patienten und seinen Angehörigen, sodass therapeutische Maßnahmen und dietetische Vorgaben sinnvoll in den Alltag des Patienten aufgenommen werden können. Die FEES stellt für den HNO-Arzt/Phoniater ein etabliertes, sicheres und praktikables diagnostisches Instrument dar; des Weiteren kann mit der FEES außerdem unkompliziert die Effizienz einer Therapie kontrolliert werden.

HNO-Facharztwissen 135

Korrespondenzadresse Dr. med. Sylvia Meuret Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Sektion Phoniatrie und Audiologie Universität Leipzig Liebigstraße 12 Haus 1 04103 Leipzig Tel.: 0341/9721800 [email protected]

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Michael Fuchs Prof. Dr. med.; Leiter der Sektion Phoniatrie und Audiologie und des Cochlea-Implantat-Zentrums am Universitätsklinikum Leipzig. Facharzt für HNO-Heilkunde und Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie. 2009 Universitätsprofessur an der Universität Greifswald, Ernennung zum außerplanmäßigen Professor und Verleihung der Hochschullehrerrechte an der Universität Leipzig. Spezialisierte Betreuung von Sängern und Musikern mit Hör- und Stimmstörungen, spezialisierte Betreuung der Kinder- und Jugendstimme. Weitere klinische und Forschungsschwerpunkte: Lehrerstimme, Kopf-HalsOnkologie, zentrale Hörverarbeitung, operatives Spektrum in der Phonochirurgie. Sächsischer Landesarzt für Menschen mit Hör-, Sprach-, Sprech- und Stimmbehinderungen. Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, des Collegium Medicorum Theatri, der Voice Foundation und des Beirates des Arbeitskreises Musik in der Jugend.

136 Dysphagie

CME-Fragen Dysphagie

A B C D E

2 A B C D E

3 A B C D E

4 A

5 A B C D E

6

C D E

7 A B

Welcher Faktor korreliert mit dem Anstieg der Dysphagie bei Kindern? Anstieg von Zahnschäden durch das Nursing-BottleSyndrom Anstieg der kraniofazialen Fehlbildungen Anstieg der ösophagealen Fehlbildungen Anstieg des Überlebens nach Frühgeburt Es gibt keinen Anstieg der kindlichen Dysphagie; sie war vorher nur zu wenig diagnostiziert. Welche Aussage zur Öffnung des OÖS trifft zu?

Wann gilt das Schlucken welcher Kost im Rahmen der Entwicklung als physiologisch? Trinken ab der 30. Schwangerschaftswoche Breikost ab 3 Monaten kauen ab 12 Monaten ausgereiftes Schluckmuster ab dem 1.–2. Lebensjahr ausgereiftes Schluckmuster ab dem 3.–6. Lebensjahr

8

Welche Faktoren können das Auftreten einer Aspirationspneumonie begünstigen? 1 Unselbstständigkeit bei der Nahrungszufuhr und Mundhygiene 2 Anzahl kariöser Zähne 3 Sondenernährung 4 Nikotinabusus 5 Alkoholabusus 1, 2 und 4 sind richtig. 1, 2, 4 und 5 sind richtig. 1, 2, 3 und 4 sind richtig. 1, 3, 4 und 5 sind richtig. Alle sind richtig.

9

Was gehört nicht zur Adaptation im Rahmen der funktionellen Dysphagietherapie? supraglottisches Schlucken Schnabeltasse Obturatorprothese abgewinkelte Löffel Andicken von Flüssigkeiten

A B C D E

A B C D E

10 A B C D

E

Welche Aussage zur FEES trifft zu? Die FEES hat eine höhere Spezifität als die VFS. Der Einsatz von Lokalanästhetikasprays vor der Untersuchung ist unproblematisch. Die FEES hat eine höhere Sensibilität als die VFS. Kinder werden meist unter Sedierung untersucht. Beim Gesunden ist der oropharyngeale Schluckakt vollständig zu sehen.

C D E

Was beinhaltet der Larynxverschluss während der pharyngealen Phase nicht? Kippung des Larynx nach dorsoventral Adduktion der Stimmlippen Annähern der Aryknorpel Annähern der Taschenfalten und der aryepiglottischen Falten Kippung der Epiglottis nach dorsal

aktives Öffnen durch die kranial-anteriore Bewegung des Larynx Druck des Bolus Sogentwicklung durch Peristaltik im Pharynx Anspannung des OÖS durch die Peristaltik im tubulären Ösophagus

B C D E

A B

Wo liegen die Haupttriggerareale des Schluckreflexes nicht? vorderer Gaumenbogen hinterer Gaumenbogen Zungenbasis Valleculae Epiglottis

Welche Aussage zur Sialorrhoe trifft zu?

Meist liegt eine Hypersalivation zugrunde. Die funktionelle Dysphagietherapie ist hier nicht sinnvoll. Neuroleptika verringern die Speichelproduktion. Botox wird vornehmlich in die Glandulae submandibulares injiziert, da diese den meisten Speichel produzieren. Als Ultima Ratio kann auch eine Submandibulektomie erfolgen.

Welche Aussage zur VFS trifft zu? Sie ist der Goldstandard in der Dysphagiediagnostik. Kompensationsmechanismen werden im Rahmen einer VFS beurteilt. Ganze Mahlzeiten werden untersucht. Alle Schluckphasen können beurteilt werden. Unkooperative Patienten können problemlos untersucht werden.

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HNO-Facharztwissen 137

CME-Fortbildung mit der Laryngo-Rhino-Otologie

Die Fortbildungseinheit In den einheitlichen Bewertungskriterien der Bundesärztekammer ist festgelegt: „Die Grundeinheit der Fortbildungsaktivitäten ist der Fortbildungspunkt. Dieser entspricht in der Regel einer abgeschlossenen Fortbildungsstunde (45 Minuten)“. Für die erworbenen Fortbildungspunkte muss ein Nachweis erbracht werden. Hat man die erforderliche Anzahl von 250 Punkten gesammelt, kann man das Fortbildungszertifikat bei seiner Ärztekammer beantragen, welches man wiederum bei der KV (niedergelassene Ärzte) oder bei seinem Klinikträger (Klinikärzte) vorlegen muss. Anerkennung der CME-Beiträge Die Fortbildung in der Laryngo-Rhino-Otologie wurde von der Nordrheinischen Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung für das Fortbildungszertifikat anerkannt, das heißt, die Vergabe der Punkte kann direkt durch die Thieme Verlagsgruppe erfolgen. Die Fortbildung in der Laryngo-Rhino-Otologie gehört zur Kategorie „strukturierte interaktive Fortbildung“. Entsprechend einer Absprache der Ärztekammern werden die von der Nordrheinischen Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung anerkannten Fortbildungs-

veranstaltungen auch von den anderen zertifizierenden Ärztekammern anerkannt.

Datenschutz Ihre Daten werden ausschließlich für die Bearbeitung dieser Fortbildungseinheit verwendet. Es erfolgt keine Speicherung der Ergebnisse über die für die Bearbeitung der Fortbildungseinheit notwendige Zeit hinaus. Die Daten werden nach Versand der Testate anonymisiert. Namens- und Adressangaben dienen nur dem Versand der Testate. Die Angaben zur Person dienen nur statistischen Zwecken und werden von den Adressangaben getrennt und anonymisiert verarbeitet. Teilnahme Jede Ärztin und jeder Arzt soll das Fortbildungszertifikat erlangen können. Deshalb ist die Teilnahme am CME-Programm der Laryngo-Rhino-Otologie nicht an ein Abonnement geknüpft! Die Teilnahme ist im Internet (http://cme.thieme.de) möglich. Im Internet ist eine Registrierung erforderlich, wobei die Teilnahme an Fortbildungen abonnierter Zeitschriften ohne Zusatzkosten möglich ist. Teilnahmebedingungen Für eine Fortbildungseinheit erhalten Sie 3 Fortbildungspunkte im Rahmen des Fortbildungszertifikates. Hierfür müssen 70% der Fragen richtig beantwortet sein. CME-Wertmarke für Nicht-Abonnenten Teilnehmer, die nicht Abonnenten der Laryngo-Rhino-Otologie sind, können für die Internet-Teilnahme dort direkt ein Guthaben einrichten, von dem pro Teilnahme ein Unkostenbeitrag abgebucht wird. Teilnahme online möglich unter http://cme.thieme.de

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Zertifizierte Fortbildung Hinter der Abkürzung CME verbirgt sich „continuing medical education“, also kontinuierliche medizinische Fort- und Weiterbildung. Zur Dokumentation der kontinuierlichen Fortbildung der Ärzte wurde das Fortbildungszertifikat der Ärztekammern etabliert. Hauptzielgruppe für das Fortbildungszertifikat sind Ärzte mit abgeschlossener Facharztausbildung, die im 5-jährigen Turnus einen Fortbildungsnachweis erbringen müssen. Es ist jedoch auch für Ärzte in der Facharztweiterbildung gedacht.

[Dysphagia].

Difficulties in swallowing occur in every age and have a great impact on the morbidity as well as on the mortality in patients especially if also an a...
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