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Frühe enterale oder späte Ernährung nach Wunsch bei schwerer akuter Pankreatitis? Early or late enteral nutrition in severe acute pancreatitis? Z Gastroenterol 2015; 53: 244–245 J. Rosendahl Bakker OJ, van Brunschot S, van Santvoort HC, Besselink MG, Bollen TL, Boermeester MA, Dejong CH, van Goor H, Bosscha K, Ahmed Ali U, Bouwense S, van Grevenstein WM, Heisterkamp J, Houdijk AP, Jansen JM, Karsten TM, Manusama ER, Nieuwenhuijs VB, Schaapherder AF, van der Schelling GP, Schwartz MP, Spanier BW, Tan A, Vecht J, Weusten BL, Witteman BJ, Akkermans LM, Bruno MJ, Dijkgraaf MG, van Ramshorst B, Gooszen HG; Dutch Pancreatitis Study Group. Early versus on-demand nasoenteric tube feeding in acute pancreatitis. N Engl J Med 2014; 371: 1983 – 1993.

Hintergrund Die schwer verlaufende akute Pankreatitis ist bis heute ein komplexes Krankheitsbild, dessen Behandlung schwierig ist. Bisher ist die Therapie symptomatisch, da kausale Ansätze nicht vorhanden sind. In den letzten Jahren hat sich das Verständnis zur Therapie durch evidenzbasierte Studien verbessert. Unter anderem setzen sich minimalinvasive interventionelle Therapiestrategien bei der nekrotisierenden akuten Pankreatitis durch, die ebenso wie andere Interventionen möglichst spät erfolgen. Weiterhin kontrovers diskutiert wird der Einsatz einer prophylaktischen Antibiose, wobei diese in keiner Leitlinie empfohlen wird. Eventuell ist die Studienlage zu diesem Thema noch nicht ausreichend. Ein weiterer Aspekt der Behandlung kritisch Kranker ist eine ausreichende, wenn möglich enterale Ernährung. Ob eine frühe enterale Ernährung bei schwer verlaufender akuter Pankreatitis „günstig“ für den Patienten ist, wurde in unterschiedlichen Studien untersucht. Die Ergebnisse dieser Arbeiten sind teilweise kontrovers und manche Studien hatten einen nicht „idealen“ Aufbau, da sie bspw. den Einsatz einer enteralen Ernährung mit einer parenteralen Ernährung verglichen. Pathophysiologisch ging man davon aus, dass eine enterale Ernährung die Darmflora stabilisiert, somit die Barrierefunktion aufrechterhält und eine Translokation von Bakterien aus

dem Gastrointestinaltrakt bspw. in Nekrosen verhindert. Dies könnte dann die Infektion von Nekrosen vermeiden und sich somit für den Verlauf der Erkrankung positiv auswirken. Die Annahme einer Stabilisierung der Barrierefunktion im Gastrointestinaltrakt war teilweise Grundlage für den Einsatz von Probiotika in einer randomisierten, doppelblinden Studie bei Patienten mit schwerer akuter Pankreatitis (Besselink et al., Lancet 2008; 371: 651 – 659). In dieser Arbeit konnte keine Verbesserung des Krankheitsverlaufs gesehen werden, im Gegenteil lag die Sterblichkeit im Behandlungsarm über der im Placeboarm, weshalb die Studie vorzeitig beendet werden musste. Anzumerken bleibt, dass ein schädlicher Effekt von Probiotika bei der akuten Pankreatits damit nicht sicher nachgewiesen ist und, dass einige Aspekte der Studie Diskussionsbedarf lassen. Es scheint jedoch sicher zu sein, dass der Einsatz von Probiotika keinen positiven Effekt auf den Verlauf der akuten Pankreatitis hat. Fragestellungen zur „richtigen“ Ernährungstherapie bei akuter Pankreatitis bleiben weiterhin unbeantwortet, sodass es mit den kürzlich veröffentlichten Ergebnissen der holländischen Arbeitsgruppe zur Erforschung von Pankreaserkrankungen einen weiteren Mosaikstein bei der Behandlung der schweren akuten Pankreatitis gibt.

Zusammenfassung In der multizentrischen Studie (Bakker OJ et al., N Engl J Med 2014; 371: 1983 – 1993) wurde bei Patienten mit einer prognostiziert schwer verlaufenden akuten Pankreatitis eine Randomisierung in einen Arm mit einer frühen enteralen Ernährung über eine nasojejunale Sonde oder einen Arm mit einer späten oralen Nahrungsaufnahme nach Wunsch durchgeführt. Der Schweregrad der Pankreatitis wurde anhand eines APACHE-II-Wertes (Acute Physiology and Chronic Health Evaluation) von ≧ 8, einem Imrie oder modifiziertem Glasgow-Wert von ≧ 3, oder einem Wert des C-reaktiven Proteins von mehr als 150 mg/l als schwer eingestuft. Für die Studie wurden insgesamt 867 Patienten gesichtet, wobei 659 die Einschlusskriterien nicht erfüllten (z. B. milde Pankreatitis, bekannte chronische Pankreatitis). Die Charakteristika der 208 Patienten bei Studieneinschluss waren in den beiden Gruppen (frühe enterale Ernährung innerhalb von 24 h nach Rando-

misierung vs. späte orale Nahrungsaufnahme nach Wunsch nach 72 h nach Randomisierung) ohne signifikante Unterschiede. Die Randomisierung erfolgte innerhalb von 24 h nach Vorstellung in einer Notaufnahme. Als primärer Endpunkt wurde ein zusammengesetzter Endpunkt aus schwerwiegenden Infektionen (Pneumonie, infizierte Pankreasnekrosen, Bakteriämie) und Tod innerhalb von 6 Monaten Nachbeobachtungszeit definiert. Wenn Patienten im Arm mit später Ernährung nach Wunsch nach 72 h keine Nahrung zu sich nehmen konnten oder wollten, wurde nach weiteren 24 h erneut nachgefragt und bei weiterhin fehlender Nahrungsaufnahme eine enterale Ernährung über eine nasojejunale Sonde 96 h nach Erstvorstellung begonnen. Die statistische Auswertung erfolgte als eine „Intention-to-treat“-Analyse. Beim Vergleich des primären Endpunkts zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied in beiden Gruppen (früh: 30 % (30/101) vs. spät: 27 % (28/104); P-Wert 0,76, Risk Ratio 1,07, 95 % CI 0,79 – 1,44). Das Auftreten von schwerwiegenden Infektionen (früh: 25 %; spät 26 %; P-Wert 0,87) ebenso wie die Sterblichkeit (früh: 11 %; spät: 7 %; P-Wert 0,33) waren in beiden Gruppen vergleichbar. In der Gruppe mit später Ernährung nach Wunsch musste bei 32 Patienten (31 %) eine enterale Ernährung über eine nasojejunale Sonde begonnen werden, da diese Patienten oral keine Nahrung zu sich nehmen konnten (9/32 aufgrund einer Beatmung) oder wollten. Auch in einer Subgruppenanalyse von Patienten mit einer schweren akuten Pankreatitis und einem APACHE-II-Wert ≧ 13 ergab sich bez. des primären Endpunkts kein signifikanter Unterschied. In der Gruppe mit einem frühen Beginn der Ernährung wurde die ausreichende Zufuhr von notwendigen Kilokalorien pro Kilogramm Körpergewicht früher erreicht.

Kommentar Die vorgestellte Studie, in der die frühe (innerhalb von 24 h nach Vorstellung in einer Notaufnahme) mit der Ernährung nach Wunsch des Patienten (spätester Beginn der Ernährung nach 96 h) verglichen wurde, zeigt bez. des primären Endpunkts schwerwiegende Infektion oder Tod keinen Unterschied in beiden Gruppen. Dies ist insofern interessant, da es in der Literatur Daten gibt, die darauf hindeuten, dass eine frühe enterale Ernährung den Krankheitsverlauf von „schwer“ erkrank-

Rosendahl J. Frühe enterale oder … Z Gastroenterol 2015; 53: 244–245 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1398871

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Schweregrad der akuten Pankreatitis zwischen den Studien vergleicht. Ob, wie von den Autoren diskutiert, der Beginn der enteralen Ernährung nach spätestens 24 h möglicherweise zu spät ist, bleibt spekulativ. Führt man sich den „normalen“ Ablauf in der Betreuung von Patienten mit einer akuten Pankreatitis vor Augen, scheint es momentan im Durchschnitt kaum realistisch, die Platzierung einer nasojejunalen Sonde viel schneller als innerhalb von 24 h zu ermöglichen. Dies wäre vielleicht dann denkbar, wenn man ähnlich wie bei einem Myokardinfarkt oder einem Apoplex die Auffassung über die Therapiestrategie ändern würde, um durch eine frühzeitige Intervention das Endergebnis der Behandlung zu verbessern. Um dies zu rechtfertigen, müssten weitere Studien die Sinnhaftigkeit solch eines Vorgehens belegen. Möglicherweise könnte eine frühe Ernährung über eine Magensonde erfolgen, deren Anlage weitaus geringeren Aufwand erfordert. Zusammenfassend legt die hochrangig publizierte Arbeit nahe, dass auch bei Patienten mit einer schweren akuten Pankreatitis eine frühe enterale Ernährung über eine nasojejunale Sonde nicht zwingend erforderlich ist. Wahrscheinlich kann die Ernährung nach Wunsch der Patienten erfolgen und muss erst nach 96 h enteral appliziert werden, wobei zukünftige Studien mit größeren Patientenzahlen dieses Konzept überprüfen und einen möglichen

positiven Effekt einer frühen Ernährung (enteral?) belegen könnten. PD Dr. Jonas Rosendahl Department für Innere Medizin, Neurologie und Dermatologie, Klinik für Gastroenterologie und Rheumatologie, Universitätsklinikum Leipzig AöR Liebigstraße 20 04103 Leipzig Tel.: ++ 49/3 41/9 71 32 23 Fax.: ++ 49/3 41/9 71 22 09 [email protected]

Kommentierte Referate können von jedem interessierten Kollegen verfasst werden. Sie sollten zuvor beim Koordinator angemeldet werden. Die formale Gestaltung orientiert sich an den publizierten Referaten (Kurzzitate im Text!). Einreichung nicht über die Online-Manuskripteinreichung des Thieme Verlags, sondern via E-mail an den Koordinator der Kommentierten Referate. Prof. Dr. Stefan Müller-Lissner Park-Klinik Weißensee Schönstraße 80, 13086 Berlin Tel. + 49 30 96 28 36 00, Fax 36 05, [email protected]

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ten Patienten günstig beeinflusst, sodass Empfehlungen zu einer frühen enteralen Ernährung in verschiedenen Leitlinien bestehen (Kreymann et al., Clin Nutr 2006; 25: 210 – 223). In früheren Studien zeigte sich bei der akuten Pankreatitis eine Verbesserung des Krankheitsverlaufs, wenn eine frühe enterale Ernährung begonnen wurde. Auch eine Metaanalyse 8 randomisierter Studien zeigte für die enterale Ernährung im Vergleich zu einer total parenteralen Ernährung eine Verbesserung der Infektionsrate und der Sterblichkeit (Al-Omran M et al., Cochrane Database Syst Rev 2010; 1: CD002 837). Sicherlich ist der Vergleich zur total parenteralen Ernährung nicht günstig, dennoch ist das Ergebnis der hier diskutierten Studie im Hintergrund der bisher vorhandenen Daten anders als erwartet. Wichtig ist anzumerken, dass die holländische Studie nicht dafür ausgelegt wurde, einen substanziellen positiven Effekt der frühen enteralen Ernährung aufzudecken, sondern primär die Frage beantworten sollte, ob eine Ernährung innerhalb von 24 h begonnen werden muss oder ob Patienten nahezu frei (sprich 96 h lang) entscheiden können, wann sie essen wollen, um schwerwiegende Komplikationen zu reduzieren. Man könnte vermuten, dass die Patienten, die in der aktuellen Studie eingeschlossen wurden, möglicherweise „gesünder“ waren als in vorangegangenen Studien, aber auch dies scheint nicht der Fall gewesen zu sein, wenn man den

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