Leitthema Med Klin Intensivmed Notfmed 2015 · 110:264–271 DOI 10.1007/s00063-015-0028-9 Eingegangen: 15. März 2015 Angenommen: 18. März 2015 Online publiziert: 28. April 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Redaktion

P. Heering, Solingen M. Schmitz, Solingen

Die Intensivmedizin hat sich in den letzten Jahrzehnten stetig nach vorne entwickelt. Technologische Fortschritte in Diagnostik und Überwachung, aber auch die Einführung neuer Medikamente haben das Spektrum der Intensivmedizin erweitert [11]. Die Erfolge der modernen Medizin schlagen sich deutlich in einer veränderten Demographie nieder. Die mittlere Lebenserwartung hat in den letzten Jahren zugenommen, der Anteil älterer und ältester Patienten wächst ständig (. Abb. 1). Diese Veränderung der allgemeinen Altersstruktur und der eindeutig zunehmende Anteil sehr alter Patienten auf der Intensivstation [2] stellt die Intensivmediziner vor neue Herausforderungen. Die z. T. hochbetagten Patienten weisen einen hohen Anteil an relevanten Komorbiditäten auf. Chronische Erkrankungen, wie Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Diabetes und andere Organdysfunktionen, sind für die Prognose der Patienten – neben dem Alter – von herausragender Bedeutung. DDDer demographische Wandel bedingt einen steigenden Versorgungsbedarf mit höheren Ausgaben. Der medizinisch-technische Fortschritt erlaubt immer neue nicht selten kostspielige(re) Diagnose- und Therapieverfahren. Diese treiben Bedarf und Nachfrage nach medizinischen Leistungen und damit die Gesundheitsausgaben in die Höhe [28]. Mit einer längeren Lebensdauer sind in der Regel mehr durchlebte Krankheiten verbunden, die ihrerseits Kosten verursachen. In Deutschland werden 47 % der gesamten Krankheitskos-

U. Janssens Klinik für Innere Medizin, St.-Antonius-Hospital, Eschweiler, Deutschland

Ökonomie in der Intensivmedizin – ein Widerspruch? ten für Patienten > 65 Jahre ausgegeben. Aus Hochrechnungen lässt sich ableiten, dass bei anhaltender demographischer Entwicklung und unter Ausklammerung von Innovationen oder Preisveränderungen die Krankenversorgung der Bevölkerung auf gegenwärtigem Niveau im Jahr 2060 zu einer Erhöhung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf bis zu 52 % des sozialversicherungspflichtigen Bruttoeinkommens führen wird [4, 7]. Gleichzeitig kommt es im umlagefinanzierten System der GKV angeblich zu sinkenden Einnahmen [18]. In den letzten Jahren stellt sich die Situation allerdings etwas anders dar. Im Jahr 2011 lagen die Einnahmen der GKV bei 183,77 Mrd. €, die Ausgaben bei 179,61 Mrd. € (Überschuss 4,2 Mrd. €). Die Einnahmen betrugen 2 Jahre später 195,85 Mrd. €, die Ausgaben 194,49 Mrd. € (Überschuss „nur noch“ 1,36 Mrd. €; www.gbe-bund.de. Zugegriffen: 15 März 2015). Unter dem Strich steigen die Reserven der Krankenkassen auf 16,4 Mrd. € an (www.faz.net.de. Zugegriffen: 15. März 2013). Unabhängig von diesem Überschuss verweisen die Krankenkassen immer wieder darauf, dass sie für die Zeiten eines schlechteren wirtschaftlichen Gesamtergebnisses Rücklagen bilden müssen. Die Kosten für das medizinisch Mögliche und das solidarisch Finanzierbare werden unweigerlich in den kommenden Jahren stetig auseinanderdriften [18]. Das Statistische Bundesamt Deutschland (www.destatis.de. Zugegriffen: 8. März 2015) legt jährlich Zahlen zur Entwicklung und zu den Kosten der Krankenhäuser, der stationären Bettenzahlen, der Anzahl von Pflegekräften und Ärzten im Bereich der stationären Krankenversorgung und vieles mehr vor. Die Anzahl der Krankenhäuser hat in den ver­

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gangenen Jahren in Deutschland nachweislich abgenommen. Im Jahr 1991 wurden noch 2411 Krankenhäuser betrieben, im Jahr 2013 waren es noch 1996 Krankenhäuser, das entspricht einer Abnah­ me um 17,2 % (www.destatis.de). Der An­ teil der Intensivbetten lag im Jahr 2013 bei 5,3 % (n = 26.579) der 500.671 aufgestellten Krankenhausbetten. Insgesamt wurden 2.397.199 Belegungstage in einer Fachab­ teilung Intensivmedizin registriert. Im gleichen Zeitraum wurden 403.907 Beat­ mungsfälle behandelt. In den Jahren 1991-­ 2009 stieg die Intensivbettenzahl in klei­ nen Krankenhäusern (plus 60 %) und gro­ ßen Krankenhäusern (plus 63 %). Lag die durchschnittliche Zahl der Intensivbetten in großen Krankenhäusern Anfang der 1990er-Jahre noch > 60 beträgt sie 2009 > 110. Trotz der absoluten Zunahme von Intensivbetten war die Auslastung mit 70-­ 85 % unverändert hoch mit einer aller­ dings steigenden Tendenz [25]. Die Intensivmedizin wird jedoch in keinem dieser Berichte als eigenständige Organisationseinheit erwähnt. Alle vorhandenen Zahlen beruhen somit lediglich auf groben Schätzungen oder Berichten einzelner Krankenhäuser bzw. Intensivstationen. Im Krankenhaus gehört die Intensivmedizin zu den kostenintensivsten Bereichen [14] und beansprucht einen überproportional hohen Anteil der Ressourcen der stationären Krankenversorgung und des Krankenhausbudgets [15, 22].

»

Die Intensivmedizin gehört zu den kostenintensivsten Bereichen Der Anteil der Intensivkosten an den Gesamtkosten eines Krankenhauses liegt in verschiedenen Ländern bei ungefähr 20 % [6, 14, 21]. Die Kosten der Intensivmedi-

100%

4.8

5.8

7

90%

12.7

14.4

16.6

80%

8.9

11

12

18

17.6

17.5

70% 60% 50%

66.9

64.3

61.7

59

57

56.2

15.6

15.5

14.7

14.2

14.3

14.2

2011

2020

2030

2040

2050

2060

0–14 Jahre

15–64 Jahre

40% 30% 20% 10% 0%

65–79 Jahre

80+ Jahre

Abb. 1 8 Entwicklung der Altersstruktur in der Europäischen Union in den Jahren 2011-2060. Angegeben sind die prozentualen Anteile in den jeweiligen Altersstrata. (Nach Daten der Europäischen Kommission, www.http://ec.europa.eu/eurostat. Zugegriffen: 8. März 2015)

Medizinischer Fortschritt

Demographischer Wandel

Nachfrage

Reduzierte Einnahmen

Effizienzsteigerungen (Rationalisierungen)

Leistungsbegrenzungen (Rationierungen)

Priorisierung

Abb. 2 8 Strategien im Umgang mit der Mittelknappheit im Gesundheitswesen. Medizinischer Fortschritt, der demographische Wandel und gleichzeitig reduzierte Einnahmen führen zu einer Mittelknappheit. Erhöhung der Finanzmittel, Rationalisierung und Rationierung sind Möglichkeiten, um der zunehmenden Diskrepanz zwischen steigenden Ausgaben und sinkenden Einnahmen zu begegnen. Die Priorisierung bezeichnet die systematisch begründete Bildung von Ranglisten und stellt eine Vorbereitung von Leistungsbegrenzungen dar [7]. (Adaptiert nach [18])

zin in Deutschland sind bei Unkenntnis jeglicher Strukturdaten für die Gesamtheit der Intensivmedizin jedoch nicht zuverlässig abzuschätzen, auch wenn einzelne Intensivstationen in der Vergangenheit ihre individuellen Zahlen publiziert haben [10]. Der demographische Wandel, medizinische Innovationen sowie eine Vielzahl von Fehlanreizen im Gesundheitssystem

Dennoch besteht zunehmend die Gefahr einer einseitigen Ausrichtung der Medizin an ökonomischen Zielen und Fehlentwicklungen in den Anreizsystemen [30]: 55Aus ökonomischen Gründen wird zu viel operiert und aufwendige Technologien werden zu häufig eingesetzt. 55Die Anzahl der medizinischen Behandlungen in Kliniken hat in den Jahren 2006-2010 um 13 % zugenommen; aufwendige und finanziell gut entlohnte Behandlungen nahmen überproportional zu. 55Klinisch tätige Ärzte berichten von ökonomischen Zwängen. 55Es besteht im Hinblick auf den Stellenwert ökonomischer Ziele und deren Gewicht gegenüber medizinischen und sozialen Ausgaben eine mangelnde Transparenz [30].

Wirtschaftlichkeit und Ökonomisierung

(Finanzierbares) Angebot

Mittelknappheit im Gesundheitswesen

Erhöhung der Mittel im Gesundheitswesen

DDDie Gesellschaft hat ein berechtigtes Interesse an Wirtschaftlichkeit und Kostenbewusstsein.

werden die Finanzierungsschwierigkeiten im Gesundheitssystem weiter verstärken [29]. Der Gesundheitssektor konkurriert mit anderen öffentlich finanzierten Bereichen um grundsätzlich begrenzte Mittel. Daher sprechen nicht nur ökonomische, sondern auch gerechtigkeitsethische Argumente dafür, die Gesundheitsausgaben zumindest in der GKV nicht immer weiter steigen zu lassen [16].

Die Aufgabe der Medizin besteht nicht nur darin, eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung bereitzustellen, sie muss auch Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit beachten [30]. Im Sozialgesetzbuch (SGB) V § 12 Abs. 1 wird dazu ausgeführt: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen“. Dem praktisch klinisch tätigen Arzt eröffnet sich hier direkt ein eklatanter Gegensatz: Zum einen soll der medizinische Fortschritt berücksichtigt werden, der in der Regel mit überproportionalen Kostensteigerungen assoziiert ist, die in der Regel von den Krankenkassen nur mit jahrelanger Verzögerung – wenn überhaupt – gegenfinanziert werden. Gleichzeitig sind die Ausgaben auf das Notwendige zu beschränken.

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Zusammenfassung · Abstract Unter den Bedingungen eines solidargemeinschaftlich finanzierten Gesundheitssystems ist eine möglichst wirtschaftliche Verwendung der zur Verfügung gestellten Mitteln jedoch nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein moralisches Gebot [30].

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Die wirtschaftliche Mittelverwendung ist ein ökonomisches und moralisches Gebot Wirtschaftlichkeit bedeutet eine möglichst effiziente Allokation von Gütern und Dienstleistungen sowie die Ausrichtung auf einen sowohl sparsamen als auch wirksamen Einsatz vorhandener Mittel [30]. Eine Ökonomisierung liegt dagegen vor, wenn betriebswirtschaftliche Parameter jenseits ihrer Dienstfunktion für die Verwirklichung originär medizinische Aufgaben eine zunehmende Definitionsmacht über individuelle und institutionelle Handlungsziele gewinnen [30].

Strategien zum Umgang mit der Mittelknappheit Knappe Ressourcen beziehen sich in der Intensivmedizin nicht ausschließlich auf die finanziellen Mittel. Die Verfügbarkeit von Betten und ausreichendem Personal im pflegerischen und im ärztlichen Bereich sowie gleichzeitig die Zunahme notfall- und intensivmedizinisch erkrankter Patienten erweisen sich im klinischen Alltag in Relation zum Fehlen finanzieller Mittel immer mehr als das größere Problem in der Versorgung kritisch kranker Patienten. Prinzipiell bestehen 3 Möglichkeiten, der zunehmenden Mittelknappheit zu begegnen (. Abb. 2) [19]: 55Erhöhung der Mittelzuweisung, 55Effizienzsteigerungen („Rationalisierung“) und 55Leistungsbegrenzungen („Rationierung“).

Erhöhung der Mittelzuweisung Eine Erhöhung der verfügbaren Mittel steht in den meisten Fällen nicht zur Verfügung und es gibt gute Gründe, die

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Ökonomie in der Intensivmedizin – ein Widerspruch? Zusammenfassung Hintergrund.  Der medizinische Fortschritt und die sich daraus ergebenden demographischen Veränderungen werden in den kommenden Jahren zu einer zunehmenden Mittelknappheit im Gesundheitswesen führen. Die Intensivmedizin nimmt unter ökonomischen, medizinisch-fachlichen, aber auch ethischen Gesichtspunkten eine Sonderrolle ein, wird aber zukünftig sich auch mit Fragen der Leistungseinschränkung beschäftigen müssen. Material und Methode.  Es wurde eine Literaturrecherche durchgeführt. Ergebnisse.  Es werden die Strategien im Umgang mit der Mittelknappheit diskutiert. Effizienzsteigerungen („Rationalisierung“) sowie Leistungsbegrenzung („Rationierung“) sind notwendig und unvermeidbar. Die Zuteilung der Gesundheitsleistungen wird in jedem Bereich der Medizin zukünftig über Prio-

risierung („Rangreihenbildung“) erfolgen. Individualethische und gerechtigkeitsethische Überlegungen sind in diesem Zusammenhang unverzichtbar. Schlussfolgerung.  Ökonomie und ethisch ausgerichtetes Handeln schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Die Grundprinzipien eines ethischen Handelns werden zukünftig vor dem Hintergrund des erheblich zunehmenden Kostendrucks im Gesundheitssystem gerade in der Intensivmedizin von erheblicher Bedeutung sein. Wohltun, Nichtschaden, Patientenautonomie und Gerechtigkeit sind hierbei die Kernelemente. Schlüsselwörter Kosten · Intensivmedizin · Bioethik · Rationierung im Gesundheitswesen · Priorisierung

Economy in intensive care medicine—a contradiction? Abstract Background.  Medical progress and demographic changes will lead to increasing budgetary constraints in the health care system in the coming years. With respect to economic, medical, and ethical aspects, intensive care medicine has a particular role within the health system. Nonetheless, financial restriction will be inevitable in the near future. Materials and methods.  A literature review was performed. Results.  In an era of economic decline accompanied by widespread recognition that healthcare costs are on a consistent upward spiral, rationalization and rationing are unavoidable. Priorization models will play a piv-

Gesundheitsausgaben nicht immer weiter steigen zu lassen. Eine weitere Erhöhung der Gesundheitsausgaben kann nur mit Einschränkungen in anderen sozi­ alstaatlichen Bereichen erkauft werden. Dies wäre nicht nur ethisch unvertretbar, sondern hätte auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung. Darüber hinaus weisen viele medizinische Verfahren einen abnehmenden Grenznutzen auf: Der oft (geringe) Nutzengewinn durch aufwendige und kostspielige neue Behandlungsverfahren erfordert überproportional hohe Ausgaben [17].

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otal role in allocation of resources. Individual ethics (respect for autonomy, nonmaleficence, beneficence) as well as justice are essential in daily practice. Conclusions.  Economic thinking and acting as well as being ethically responsible are not mutually exclusive. On the contrary, acting in an ethically responsible manner will be of considerable significance given the pressure of increasing costs in intensive care medicine. Keywords Costs · Intensive care · Bioethics · Health care rationing · Health priorities

Rationalisierung Unter Rationalisierung versteht man in der Regel das Ausschöpfen von Wirtschaftlichkeitsreserven. Es geht hierbei um das Verhältnis zwischen Zielerreichung und Mitteleinsatz. Entweder wird mit einer gegebenen Ressourcenmenge das bisherige Ergebnis verbessert (Maximalprinzip) oder ein definiertes Ergebnis mit einem geringeren Ressourceneinsatz (Minimalprinzip) erreicht [7].

Neben staatlicher Gesundheitsversorgung kein Zukauf von Leistungen

Primäre Rationierung

Hart

Sekundäre Rationierung

Anteil der öffentlichen Gesundheitsausgaben am Bruttosozialprodukt

Makroebene I

Versorgungsunterschiede werden durch den Zukauf von Leistungen ausgeglichen

Weich

Makroebene II

Wie werden die Mittel sektorintern verteilt?

Mikroebene I

Festlegung von Prinzipien, nach denen Ressourcen an Einzelpersonen zugeteilt werden.

Indirekt

Sekundäre Rationierung

Ausarbeitung von Rationierungsverfahren

•Explizit •Implizit Sekundäre Rationierung

DDRationalisierungsmaßnahmen sollen Effizienz- und Produktivitätssteigerungen im Rahmen einer Leistungserstellung ermöglichen. Prozesse und Abläufe, die 55unwirksam, 55weniger wirksam als alternative Maßnahmen mit den gleichen Kosten oder 55nicht wirksamer als kostengünstigere Mittel sind, können identifiziert und nicht mehr durchgeführt werden [9]. Somit können Einsparungen vorgenommen werden, ohne dass den Patienten Notwendiges oder Nützliches vorenthalten werden muss. Durch organisatorische und verwaltungstechnische Strukturverbesserungen sollten objektiv Nutzloses, Überflüssiges und bisweilen sogar Schädliches gestrichen werden. Dieses gilt insbesondere auch für diagnostische und therapeutische Verfahren in der Medizin [7, 9]. Die Umverteilung von Mitteln an den nutzenproduktivsten Ort ihrer Verwendung (sog. „effiziente“ Mittelverwendung) wirft ethisch brisante Fragen der Verteilungsgerechtigkeit auf, da effizienzorientierte Maßnahmen für bestimmte Versicherte mit Absenkungen des Versorgungsniveaus verbunden sind [7]. Die Konzentration von Spezialleistungen auf Zentren

Mikroebene II

Konkrete Ressourcenzuteilung an einzelne Personen

der Maximalversorgung könnte beispielsweise in bestimmten strukturschwachen Gebieten zu Problemen in der Primärversorgung der Bevölkerung führen. Rationalisierungen werden auf Dauer allein nicht ausreichen, den Kostendruck im Gesundheitswesen auszugleichen. Leistungseinschränkungen sollten aber nur dann vorgenommen werden dürfen, wenn alle Rationalisierungsreserven ausgeschöpft wurden.

Rationierung Rationierung beschreibt die Zuteilung von knappen Gesundheitsgütern unter der Bedingung, dass die Nachfrage das Angebot überschreitet.

Hart vs. weich Eine harte Rationierung bedeutet, dass kein Bürger sich die aus der solidarisch finanzierten Versicherung ausgeschlossen Leistungen privat zukaufen kann. Eine weiche Rationierung würde eine solche Zusatzversorgung zulassen [7].

Explizit vs. implizit Von expliziter (offener) Rationierung spricht man, wenn diese transparent und öffentlich gemacht wird. Erfolgen Leistungsbegrenzungen ohne transparente

Direkt

Abb. 3 9 Rationierung in der öffentlichen Gesundheitsversorgung. In der Makroebene I wird der Anteil der öffentlichen Gesundheitsausgaben am Bruttosozialprodukt festgelegt. Auf der Makroebene II erfolgt die Verteilung der für das Gesundheitssystem vorgesehenen Mittel sektorintern. Die Mikroebene I legt die Prinzipien fest, nachdem Ressourcen der Gesundheitsversorgung an Einzelpersonen zugeteilt wird. Auf der Mikroebene II erfolgt die konkrete Ressourcenzuteilung an den Patienten, (Adaptiert nach [13])

Kriterien spricht man von impliziter (verdeckter) Rationierung [7].

Direkt vs. indirekt Während bei der direkten Rationierung die Versorgung bestimmter Patienten oder Patientengruppen ausgeschlossen wird, erfolgt die indirekte Rationierung über Budgetierungen oder vergleichbare Maßnahmen [7]. Für die Strukturierung des Allokationshandelns im Gesundheitswesen wird primär ein 4-Stufen-Modell verwendet [8, 13]. DDEs werden 4 Allokationsstufen unterschieden: Makroebene I und II sowie Mikroebene I und II (. Abb. 3). Tatsächlich kommt es nur auf der Mikroebene II zu einer direkten oder auch personenorientierten Rationierung. Auf allen anderen Ebenen spricht man von einer indirekten bzw. ressourcenorientierten Rationierung. Somit ist der klinisch tätige Arzt der Einzige, der explizit oder implizit eine Leistung für einen individuellen Patienten begrenzen kann. Gleichzeitig kann er bei zur Verfügung stehenden Mitteln diese einsetzen, auch wenn sich hieraus keine Effizienz entwickelt. Die Entscheidungen, Mittel einzusetzen oder vorzuenthalten, sind z. T. sehr komplex,

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Leitthema bedürfen einer sehr differenzierten Betrachtungsweise und erfordern ein hohes Verantwortungsbewusstsein.

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In der Intensivmedizin besteht die Tendenz zum maximalen Ressourceneinsatz Gerade in der Intensivmedizin besteht sicherlich die Tendenz, angesichts schwerstkranker Patienten einen maximalen Ressourceneinsatz zu betreiben und ökonomische Gesichtspunkte ganz in den Hintergrund zu stellen: frei nach dem Motto „Medizin um jeden Preis“.

Priorisierung Generell versteht man unter Priorisierung „die ausdrückliche Feststellung einer Vorrangigkeit bestimmter Indikationen, Patientengruppen oder Verfahren vor anderen“ [27, 28]. Dabei entsteht eine mehrstufige Rangreihe, in der nicht nur Methoden, sondern auch Krankheitsfälle, Kranken-und Krankheitsgruppen, Versorgungsziele und v. a. Indikationen in einer Rangfolge angeordnet werden können [9]. Der Begriff selbst lässt offen, nach welchen Kriterien und mit welcher Motivation die Vorrangigkeit bestimmt wird. Sie könnte etwa nach Maßgabe des finanziellen Aufwands, der Neuartigkeit, der quantitativen Bedeutung oder der individuellen medizinischen Nützlichkeit der sortierten Maßnahmen erfolgen [7]. Vertikale Priorisierung bezeichnet die Bildung einer Rangfolge von Interventionen bei bestimmten Erkrankungen. Bei der horizontalen Priorisierung erfolgt eine Rangbildung über unterschiedliche Krankheit- und Krankengruppen bzw. Versorgungsziele hinweg. Erfolgt Priorisierung mit der primären Motivation, bei knapper Ressourcenlage Leistungsbegrenzungen zu begründen, werden Priorisierung und Rationierung fast zu einem Synonym [7]. Folgende formale Kriterien sind für eine gerechte Schwerpunktsetzung in der medizinischen Versorgung Voraussetzung [19, 29]. 55Transparenz: Priorisierung sollten nach klar erkennbaren Kriterien und

öffentlich zugänglichen Verfahren erfolgen. 55Begründung: Jede Priorisierung sollte auf nachvollziehbaren Begründungen beruhen. 55Evidenzbasierung: Zuteilungsentscheidungen sollten die verfügbare Evidenz hinsichtlich des gesundheitlichen Nutzens und der zu erwartenden Kosten berücksichtigen. 55Konsistenz: Bei allen Patienten sollten die gleichen Zuteilungskriterien und Bewertungsstandards angewendet werden, sodass Patienten in vergleichbaren medizinischen Situationen auch die gleiche Behandlung erhalten, sofern dem nicht individuelle Patientenpräferenzen entgegenstehen. 55Legitimität: Bindende Priorisierungsentscheidungen sollten durch demokratisch legitimierte Institutionen erfolgen. 55Offenlegung und Ausgleich von Interessenkonflikten: Interessenkonflikte bei Priorisierungsentscheidungen sollten offen gelegt und die involvierten Interessen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. 55Widerspruchsmöglichkeiten: Patienten, denen der Zugang zu einer gewünschten Leistung verwehrt wird, sollten Widerspruchsmöglichkeiten offen stehen Die nachfolgenden 3 inhaltlichen Kriterien sind bei der Prioritätensetzung zu berücksichtigen [29]: 55medizinische Bedürftigkeit: Schweregrad und Gefährlichkeit der Erkrankung, Dringlichkeit des Eingreifens, 55erwarteter medizinischer Nutzen, 55Kosteneffektivität. Somit entwickelt die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer (ZEKO) ein Stufenmodell, an dem sich der behandelnde Arzt orientieren kann [29]. 551. Stufe: Lebensschutz und Schutz vor schwerem Leid und Schmerzen; 552. Stufe: Schutz vor dem Ausfall oder der Beeinträchtigung wesentlicher Organe und Körperfunktionen; 553. Stufe: Schutz vor weniger schwerwiegenden oder nur vorübergehen-

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den Beeinträchtigungen des Wohlbefindens; 554. Stufe: Verbesserung und Stärkung von Körperfunktion. Der Intensivmediziner betreut v a. Patienten der 1. und 2. Stufe. Insofern besitzen schwer erkrankte Patienten auch angesichts beschränkter Ressourcen zunächst eine hohe Priorität. DDDer Wert einer Priorisierungsmethode hängt letztlich von der Qualität der zugrunde liegenden Werte und Kriterien ab [5]. Der Vorstand der Bundesärztekammer hat deshalb eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um diesen Diskurs (zunächst) auf innerärztlicher Ebene anzustoßen [23]. Die Frage der Priorisierung medizinischer Leistungen bleibt eine politische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Ärzteschaft sollte den Prozess aus medizinischfachlicher und -ethischer Sicht unterstützen [23].

Umgang mit knappen Ressourcen in der Intensivmedizin Gewinnorientierung ist nicht von vornherein unethisch. Medizinische Einrichtungen benötigen Gewinne, um nötige Investitionen (z. B. neue Technologien) zu tätigen. Ebenso wenig ist die ethische Ausrichtung medizinischen Handelns nicht von vornherein „unwirtschaftlich“ [30]. Es ist nahezu unausweichlich, dass Ärzte nicht nur auf der Intensivstation Verantwortung für den Einsatz knapper Gesundheitsressourcen übernehmen [19]. Dabei stellen die Kernelemente der „Prinzipienethik“ die Basis für fast alle relevanten Entscheidungen dar [3]: 55Respekt vor der Autonomie, 55Wohltun („beneficence“) 55Nichtschaden („nonmaleficence“), 55Gerechtigkeit. Ein Stufenmodell (.   Tab. 1) beschreibt anschaulich das ethisch abgesicherte Vorgehen bei schwierigen auch ökonomisch relevanten Therapieentscheidungen [17, 18, 20].

Tab. 1  Ethisches Kostenbewusstsein auf Intensivstationen: ein Stufenmodell. Die Stufen 1-3

folgen individualethischen, Stufe 4 gerechtigkeitsethischen Überlegungen. (Adaptiert nach [19]) Stufe 1 2 3 4

Maßnahme Unterlassung ineffektiver Maßnahmen im Sinne einer evidenzbasierten Medizin Konsequente Berücksichtigung individueller Patientenpräferenzen Minimierung des Ressourcenverbrauchs für das Erreichen eines bestimmten Therapieziels Unterlassung von teuren Maßnahmen mit einem geringen Nutzengewinn für den Patienten 1. Lokale Versorgungsstandards (explizit) 2. Im Einzelfall (implizit) 55Berücksichtigung prozentualer Mindeststandards 55Durchführung von Kosten-Fall-Besprechungen 55Beratung durch ein klinisches Ethikkomitee

Verschiedene ethische Anforderungen an ärztliches Handeln gewinnen bei Mittelknappheit über die individualethische hinaus auch eine gerechtigkeitsethische Bedeutung [20]. Unwirksame bzw. nutzlose Maßnahmen müssen zwingend unterlassen werden [12]. Unter Anwendung des Prinzips des Nichtschadens, das im Hinblick auf den Patienten im Einzelfall geboten ist, können Ressourcen gespart werden, die dann anderen Patienten zugutekommen.

Ethische Begründung Wohltun/Nutzen, Nichtschaden Respekt der Autonomie Nichtschaden Gerechtigkeit

deren Bereichen des Krankenhaus immer vorrangig beachtet werden [19]. Ohne Kosten von intensivmedizinischen Behandlungen primär im Auge zu haben, kann die konsequente Beachtung der ethischen Grundprinzipien, eine daran ausgerichtete Indikationsstellung und die Berücksichtigung des Patientenwillens durchaus zu einer Reduktion von Kosten führen.

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DDEine klinische Ethikberatung kann den Mittelverbrauch bei den im Krankenhaus versterbenden Intensivpatienten signifikant reduzieren [24].

Richtet sich der (mutmaßliche) Patien­ tenwille gegen eine Behandlung, so darf diese nicht durchgeführt werden. Ebenfalls sind unnötige Maßnahmen zu unterlassen. Wenn beispielsweise bei einer (geringfügigen) Gesundheitsstörung eine sehr teure Therapie mit einem nur marginalen Nutzengewinn durchgeführt wird, fehlen diese Ressourcen für die Versorgung anderer Patienten, die möglichweise bedürftiger gewesen wären oder mehr von den verfügbaren Ressourcen profi­ tiert hätten [19]. Hier steht nicht mehr Wohlergehen und Wille des einzelnen Patienten im Vordergrund, sondern die gerechte Verteilung knapper Gesundheitsressourcen. Wohltun, Nichtschaden und Respekt der Autonomie sollten jedoch auf der Intensivstation sowie in an-

Die Patienten der Studie, bei denen eine klinische Ethikberatung erfolgte, verbrachten vor ihrem Tod weniger Tage im Krankenhaus, auf der Intensivstation und am Beatmungsgerät ohne Zunahme der Sterblichkeit. Der Therapieverzicht erfolgte nach individualethischen Gesichtspunkten – Kostenüberlegungen spielten hierbei keine Rolle. Somit hatte dieses Vorgehen auch positive gerechtigkeitsethische Konsequenzen [19]. Wie wichtig auch Vorausverfügungen („advanced care planing“) außerhalb der Intensivmedizin sein können, zeigt eine Studie an 145 hospitalisierten Karzinompatienten, die alle während des Krankenhausaufenthalts verstarben [26]. Zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme waren 79 % der Patienten entscheidungsfähig. Im weiteren Verlauf kam es bei 46 von 115 Patienten (40 %) bezüglich wei-

Unter Anwendung des Nichtschaden-Prinzips können Ressourcen gespart werden

terer Maßnahmen zu einer Stellvertreterentscheidung, da diese im Verlauf nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten keine Vorausverfügung abgestimmt und hinterlegt hatten. Das Fehlen einer Vorausverfügung und Festlegung der Patientenpräferenz vor Verschlechterung hatte für die Weiterbehandlung erhebliche Folgen. Die Stellvertreter entschieden sich deutlich häufiger für eine Beatmung, Chemotherapie, künstliche Ernährung oder Intensivbehandlung. Dieser Einsatz sehr invasiver und schließlich aussichtsloser Therapiemaßnahmen war sicherlich Folge der Unsicherheit von Stellvertreterentscheidungen und hat neben dem möglichen Schaden und der Belastung für die betroffenen Patienten sicher auch mittelbare ökonomische Folgen.

Risiko einer Unter- oder Ungleichversorgung Gewisse Patientengruppen haben ein Risiko für Unter- oder Ungleichversorgung [1]. Dabei spielen soziale und krankheitsspezifische Kriterien für Benachteiligung oder Unterversorgung eine Rolle. Dieses gilt v. a. für alleinstehende Personen, ein fortgeschrittenes Lebensalter, das weibliche Geschlecht, einen schlechten sozioökonomischen Status, aber auch für ethnische Minderheiten. Psychische Erkrankungen, Demenz, Multimorbidität oder hohe Pflegeintensität können bei Therapieentscheidungen ebenfalls nachteilige Folgen für den Patienten haben. Sog. „informelle ethische Therapieentscheidungen“ sind Einzelentscheidungen, die in einer konflikthaften kritischen Patientensituation nach persönlichem Ermessen oder persönlichen Wertevorstellungen erfolgen. Diese Entscheidungen bergen das Risiko, dass sie von nichtreflektierten nichtbegründeten Normen und Werten in einer unerwünschten Weise beeinflusst werden [1]. Folge ist möglicherweise eine implizite Rationierung bei bestimmten Patienten oder Krankheiten, die v. a. bei ökonomisch bedeutsamen Therapieentscheidungen zum Tragen kommen kann. In der Notfall-, aber auch Intensivmedizin kommt es immer wieder vor, dass alleinstehende, alte, weibliche, demente und gebrechliche Patienten a priori von invasiven und kostspieli-

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Leitthema Individualethischer Therapieverzicht? • Prognoseabschätzung • Patientenverzicht

Teure medizinische Maßnahme

Ja

Maßnahme nicht durchführen

Nein Gerechtigkeitsethischer Therapieverzicht?

Lokaler Versorgungsstandard

Ja

Nein

Nach Versorgungsstandards behandeln Ja

Indikation durch Leitlinie belegt?

Maßnahme durchführen

Nein Kostengünstigere Alternative? Ja Maßnahme durchführen

Niedrig

Evidenzgrad für Nutzen?

Hoch

Maßnahme durchführen

Nein Maßnahme ggf. durchführen

Abb. 4 8 Algorithmus zur Abklärung des Einsatzes einer teuren medizinischen Maßnahme. (Adaptiert nach [19, 20])

gen Maßnahmen ausgeschlossen werden, ohne dass objektive und explizite Gründe hierfür geltend gemacht werden. Auch bei Triageentscheidungen spielen die genannten Aspekte immer wieder eine nicht unerhebliche Rolle.

Ethische Kriterien für Rationierung am Krankenbett Der Einfluss impliziter Rationierungsentscheidungen auf das Wohlergehen des Patienten sollte möglichst gering bleiben. Maßnahmen mit einem nur geringen oder sehr unwahrscheinlichen Nutzen für den Patienten bei vergleichsweise hohen Kosten sollten sehr kritisch überprüft werden und im Einzelfall dem Patienten vorenthalten werden. DDJe kleiner der erwartete Nutzengewinn für den Patienten ist, desto höhere Anforderungen sollten an die wissenschaftliche Evidenz gestellt werden [19]. Je kleiner der vorenthaltene Nutzen ist, desto weniger weicht der Arzt von seiner ethischen Verpflichtung ab, die optimale Therapie für seinen Patienten auszuwählen. An dieser Stelle kommt der ärztlichen Indikation eine ganz entscheidende Rol-

le zu. Diese stellt die fachlich begründete Einschätzung dar, dass eine Therapiemaßnahme geeignet ist, um ein bestimmtes Therapieziel mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erreichen. Eine Indikation kann also nur gestellt werden, wenn zuvor ein Therapieziel definiert wurde. In einem 1. Schritt wird möglichst evidenzbasiert geprüft, ob die geplante Maßnahme prinzipiell geeignet ist, das angestrebte Therapieziel zu erreichen: Ist diese Krankheit mit der vorgesehenen Therapie erfolgreich zu behandeln [12]? In einem 2. Schritt wird geprüft, ob die geplante Maßnahme auch geeignet ist, dem individuellen Patienten in seiner konkreten Situation zu helfen: Profitiert dieser Patient mit dieser Erkrankung, ihrem Schweregrad, der Prognose und den vorliegenden Begleiterkrankungen von dieser Therapie? Es bleibt sicherlich außerordentlich schwierig, patientenindividuell eine Kosten-Nutzen-Betrachtung zu erstellen, nicht zuletzt weil es gerade in der Intensivmedizin kaum Daten dazu gibt. Des Weiteren sollten jederzeit prozedurale Mindeststandards eingehalten werden, wie sie bereits bei der Darstellung der Priorisierung angeführt wurden (z. B. Transparenz, Konsistenz etc.). Bei sehr schwierigen Entscheidungen empfiehlt sich eine Besprechung im multiprofessionellen Team. Hierbei können auch Fra-

270 |  Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 4 · 2015

gen zu Kosten erörtert und gegebenenfalls erläutert werden. In Konfliktfällen, die nicht im Team zu lösen sind, kann und sollte eine ethische Fallberatung einberufen werden. Ressourcenüberlegungen kommen in der Intensivmedizin dann ins Spiel, wenn eine sehr kostenträchtige medizinische Maßnahme dem Patienten möglicherweise nur einen geringen Nutzengewinn bietet, oder wenn es aufgrund der Evidenzlage unsicher ist, ob der Patient von ihr profitieren wird (.  Abb. 4; [19]). Zunächst sollte geprüft werden, ob es individualethische Argumente gibt, auf die Durchführung der Maßnahme zu verzichten.

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Individualethische Argumente zum Verzicht einer Maßnahme sollten geprüft werden Hier spielen die ärztliche Indikation vor dem Hintergrund von Nutzen und Schaden sowie der Patientenwille eine zentrale Bedeutung. Kann ein Nutzengewinn für den Patienten nicht ausgeschlossen werden und spricht kein Patientenwille gegen die Durchführung der Maßnahme gewinnen gerechtigkeitsethische Gesichtspunkte eine wichtige Rolle [20]. Dabei sollte überprüft werden, ob es lokale Versorgungsstandards zum Einsatz des teuren Verfahrens gibt. Als Ergebnis dieser Prüfungen ist ein Kontinuum unterschiedlicher Fallkonstellationen denkbar [19]. Therapieverfahren, die mit großer Verlässlichkeit ein nachgewiesenes Nutzenpotenzial für den Patienten haben, sollten trotz hoher Kosten durchgeführt werden. Ist dieser Nutzengewinn nur sehr gering oder sogar unwahrscheinlich, sollte nochmals sehr genau überprüft werden, ob kostengünstigere Alternativen vorhanden sind. Steht keine Alternative zur Verfügung, ist sehr kritisch zu evaluieren, ob die kostenintensive Maßnahme dennoch durchgeführt werden soll und die vorhandenen Ressourcen ausreichen. Je geringer jedoch der Nutzengewinn ist, desto eher sollte dann – auch ethisch begründbar – von einer solchen Maßnahme Abstand genommen werden [19].

Fazit für die Praxis 55Trotz derzeit stabiler Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen mit erheblichen Überschüssen wird es aufgrund der demographischen Entwicklung in den kommenden Jahren zu einer erheblichen Unterfinanzierung im Gesundheitssystem kommen. 55Der sehr kostenintensive Bereich der Notfall- und Intensivmedizin wird in den kommenden Jahren stetig wachsen. Neben den damit verbundenen medizinischen Herausforderungen wird auch in diesem High-end-Bereich der Medizin der Kostendruck erheblich zunehmen. 55Rationalisierung, Rationierung und Priorisierung sind ebenso wie eine Medizin, die auch das Wirtschaftlichkeitsgebot berücksichtigt, unumgänglich. 55Dabei muss sich das wirtschaftliche Handeln an den ethischen Grundprinzipien Wohltun, Nichtschaden, Achtung der Patientenautonomie sowie der Gerechtigkeit ausrichten.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. U. Janssens Klinik für Innere Medizin St.-Antonius-Hospital, Dechant-Deckers-Str. 8 52249 Eschweiler uwe.janssens@ sah-eschweiler.de

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  U. Janssens gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Dossier Notfallmedizin Hier finden sich Beiträge zur präund innerklinischen Notfallmedizin, zum Qualitätsmanagement oder der Katastrophenmedizin. 7 www.springermedizin.de/

ains-notfallmedizin

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 4 · 2015 

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[Economy in intensive care medicine--a contradiction?].

Medical progress and demographic changes will lead to increasing budgetary constraints in the health care system in the coming years. With respect to ...
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