Originalien Nervenarzt 2014 DOI 10.1007/s00115-014-4185-5 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J. Sauter · T. Voss · K.-P. Dahle Institut für Forensische Psychiatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Berlin

Wirksamkeit ambulanter Nachsorge bei Strafvollzugsentlassenen Erste Evaluation der Forensisch Therapeutischen Ambulanz für Gewaltund Sexualstraftäter in Berlin

Die ambulante forensisch therapeutische Nachsorge nach Straf- und Maßregelvollzug hat in den letzten Jahren spürbar an Bedeutung gewonnen. Während eine Entlassung bei MaßregelvollzugspatientInnen schrittweise erfolgt, findet eine Gewährung von (selbstständigen) Lockerungen aus dem Strafvollzug immer seltener statt (vgl. [16]). Gerade in der für den ehemaligen Straffälligen schwierigen Zeit kurz vor und nach der Entlassung, in welcher er „vielen Anpassungsleistungen ausgesetzt ist, […] und gerade hier in besonderem Maße der therapeutischen Begleitung bedarf“ [17], fällt eben diese weg [18, 28]. In Fachkreisen ergab sich daher die Forderung, dass die therapeutische Arbeit nicht mit der Entlassung enden solle. So betonte Egg bereits 1990 im Rahmen seiner Evaluationsstudie der bundesdeutschen Sozialtherapie die Wichtigkeit ambulanter Maßnahmen, um nicht die Gefahr einzugehen, dass die im intramuralen Bereich erzielten Effekte mit einiger zeitlicher Verzögerung ins Leere laufen [5]. Vielmehr sollten sich die im intramuralen Bereich durch therapeutische Maßnahmen erreichten positiven Veränderungen des zu Entlassenden im extramuralen Bereich bewähren und durch ambu-

lante Maßnahmen erprobt, stabilisiert und weiter ausgebaut werden [7, 28]. Gleichermaßen stellt die professionelle forensische Nachsorge für Patienten mit geringen Entlassungsaussichten aus dem Maßregelvollzug, einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder der Sicherungsverwahrung eine Chance dar [20]. Und auch aufgrund der bis vor kurzem zu beobachtenden steten Zunahme freiheitsentziehender strafrechtlicher Sanktionen (sowohl hinsichtlich des Anstiegs der Unterbringungszahlen als auch der Verlängerung der durchschnittlichen Verweildauer) wurde die Forderung nach Alternativen laut [13]. Im Jahr 2007 wurde den Strafvollstreckungskammern die Möglichkeit geschaffen, über gesetzliche Weisungen (§ 68b Abs. 1, 2 Strafgesetzbuch [StGB]) rückfallgefährdete Gewalt- oder Sexualstraftäter an eine ambulante forensische Nachsorgeeinrichtung weiterzuleiten. Mit dem nunmehr erfolgten Ausbau der forensischen Nachsorgelandschaft sind viele Erwartungen verbunden, deren wissenschaftlicher Begleitung und Überprüfung es bedarf.

Bisherige Ergebnisse aus Wirksamkeitsstudien ambulanter Nachsorge Die bislang in Deutschland durchgeführten Evaluationsstudien über die Wirksamkeit ambulanter forensischer Nachsorge

beziehen sich zum größten Teil auf ehemalige psychiatrische MaßregelvollzugspatientInnen. Sie konnten durchgängig einen rückfallpräventiven Effekt feststellen (vgl. [3, 7, 8, 14, 15, 21, 22, 23, 26]). Jedoch stößt der Nachweis eines rückfallpräventiven Effekts ambulanter Maßnahmen auf methodische Schwierigkeiten. Schon aus rechtlichen Gründen ist es nicht möglich, eine tatsächlich randomisierte Kontrollgruppe zu bilden [25]. Herangezogene Vergleichsgruppen bestehen daher zumeist aus Entlassenen, die nicht ohne Grund für eine ambulante Nachsorge gar nicht vorgesehen waren, eine ambulante Nachsorge verweigerten oder an alternativen Maßnahmen teilnahmen. Hieraus ergeben sich Störvariablen, welche kaum hinreichend kontrolliert werden können. Um dennoch Aussagen über die Effizienz ambulanter forensischer Einrichtungen treffen zu können, wurden unterschiedliche Wege beschritten. Neben deskriptiven Studien (z. B. [15, 21, 23, 26]) untersuchte beispielsweise Freese [7, 8] alle Wiederaufnahmen zwischen den Jahren 1990 und 2001. Von den ambulant Nachbetreuten seien deutlich weniger Probanden wieder aufgenommen worden (24 vs. 82%), zudem seien die Delikte weniger gravierend gewesen [7, 8]. Um Aussagen über etwaige Ursachen einer Rückfälligkeit machen zu können, analysierten Seifert und Möller-Moussavi [24] EntlasDer Nervenarzt 2014 

| 1

Originalien Tab. 1  Eckdaten der strafrechtlichen Entwicklung und Diagnose nach ICD-10 der beiden

Untersuchungsgruppen Variablen   Tatsächliche Verbüßungsdauer (Indexdelikt) in Monaten Alter bei Entlassung Anzahl der Vorstrafen Vorhafterfahrung in Monaten   Einschlägig vorbestraft Erstdiagnose bei Entlassung – Persönlichkeitsstörung – Substanzstörung – Schizophrenie – Keine Diagnose

B-FTA (n=32) M 85,0 37,4 4,2 34,5   53%   41% 22% 9% 13%

SD 60,8 10,4 4,4 45,1  

V-SK (n=32) M 86,6 38,4 4,2 21,7   53%   34% 13% 9% 28%

SD 55,5 8,8 3,8 30,1  

χ2 bzw. tTest T-Wert −0,107



−0,389 −0,030 1,331 χ2-Werta 0,231 6,229        

0,699 0,976 0,798   1000 0,712        

p 0,915

aWiesen 20% der Zellen eine erwartete Häufigkeit

[Effectiveness of aftercare treatment after release from prison: A first evaluation of the forensic therapeutic outpatient clinic for serious violent and sexual offenders in Berlin].

The Forensic Therapeutic Outpatient Clinic (FTA) in Berlin targets the professional aftercare treatment of classified high-risk violent and sexual off...
402KB Sizes 1 Downloads 7 Views