Nr. 4, 24. Januar 1975,

lOO.

Jg.

Secker, Hofmann: Hodenatrophie bei Dystrophia myotonica

'49

Dtsch. med. Wschr. loo (1975), 149-152 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

H. Becker und N. Hofmann Universitäts-Frauenklinik (Direktor: Prof. Dr. K. G. Ober) und Dermatologische Universitätsklinik (Direktor: Prof. Dr. O. P. Hornstein), Erlangen

Die Hodenatrophie bei Dystrophia myotonica ist durch eine primäre und progressive Atrophie der Tubuli seminiferi bedingt. Auf Grund endokrinologischer Untersuchungen mit dem synthetischen LH (ICSH)-RH bei zwei Patienten stellten wir das völlige Fehlen des FSH-Rückkopplungsmechanismus fest. Bei histochemischen Untersuchungen war sowohl in den morphologisch intakten als auch in den geschädigten Tubuli seminiferi das Glykogen stark vermindert oder fehlte ganz. Die vergleichenden endokrinologischen und morphologischen Untersuchungen weisen übereinstimmend auf eine Sertoli-Zellinsuffizienz als primäre Schädigung in der Pathogenese der Hodenatrophie bei Dystrophia myotonica hin. Die Hodenatrophie wird bei der Dystrophia myotonica (Curschmann-Steinert-Batten-Gibb-Syndrom) als eine der kardinalen Krankheitsformen dieses autosomal-dominanten Erbleidens angesehen, das sich spät manifestiert und eine ungewöhnliche, in der Penetranz und im Ausprägungsgrad zudem variable Kombination der Krankheitsformen aufweist: Myotonie, Muskeldystrophie, Katarakt, Stirnglatze, Innenohrschwerhörigkeit (2-4, 7, 9, 16, 19-21, 23-25, 30, 31, 33). Beim Mann tritt die Gonadenstörung als (post)puberale und progressive beidseitige Hodenatrophie auf. Steinert (zitiert bei Kuhn [20]) hatte, sie bei vier seiner sechs Kranken gefunden, Thomasen (30) bei 31 unter 43, Clarke und Mitarbeiter (4) bei 65 unter 81, was einer Häufigkeit von 80 bis 90% entsprechen würde. Auf Grund einer umfassenden Literaturübersicht und einer Analyse der eigenen Fälle muß nach Kuhn (20, 21) mit einer Häufigkeit von mehr als 50% bei erkrankten Männern gerechnet werden, wobei sich im zeitlichen Ablauf der Erkrankung die Muskelstörung früher manifestiert und der Ausprägungsgrad der muskulären und testikulären Dystrophie keine Abhängigkeit voneinander aufweist. Die bisherigen histomorphologischen und endokrinologischen Untersuchungen. haben eindeutig aufgezeigt, daß die Involution der Testes als eine primäre, ab der Pubertät sich manifestierende Parenchymschädigung aufgefaßt werden muß, die vorwiegend die Tubulus*

Diese Arbeit ist mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft entstanden.

Endocrinological and histomorphological studies of testicular atrophy in myotonic dystrophy

Testicular atrophy in myotonic dystrophy is caused by a primary and progressive atrophy of the seminiferous tubules. Endocrinological studies with synthetic LH(lCSH)-RH in two patients demonstrated the complete absence of FSH feed-back mechanism. Glycogen content was markedly diminished or completely absent, as demonstrated histochemically, both in the morphologically intact and in damaged tubules. The endocrinological and morphological results both demonstrate that insufficiency of the Sertoli cells is the primary damage in the pathogenesis of testicular atrophy in myotonic dystrophy.

funktion betrifft (8, 15, 16, 20, 21, 24, 25, 31, 34): Es besteht eine hyalin-fibröse Schrumpfung zunächst einzelner Tubulusgruppen mit Zeilverödung, im weiteren Verlauf kommt es zur Ausbreitung dieser Veränderungen auf größere Areale, in einzelnen Fällen schließlich zu völliger Tubulusatrophie des gesamten Hodenparenchyms, während das Zwischengewebe häufig eine Hyperpiasie der Leydig-Zellen aufweist und erst in den späten, und schweren Verlaufsformen sich ebenfalls regressiv umwandelt. Bei einer derart unterschiedlichen Ausprägung der primären Hodenparenchymschädigung sind die uneinheitlichen Ergebnisse endokrinologischer Untersuchungen erklärlich. Je nach Art und Ausmaß der Schädigung und den dadurch bedingten Regelmechanismen des Hypothalamus und der Adenohypophyse sind unterschiedliche Analysenergebnisse zu erwarten, so bei der Basisausscheidung des Testosterons, der Gesamt-Ketosteroide sowie der einzelnen Steroidfraktionen, der Östrogene und der Gonadotropine LH(ICSH) und FSH, ferner hinsichtlich der Plasmaspiegel des LH(ICSH) und des FSH, schließlich der Funktionstests durch HCGStimulierung der Testes bei Dexamethason-Suppression der ACTH-Sekretion (3, 4, 7, 19, 20, 23, 28). Die bisherigen Untersuchungen sprechen jedoch in ihrer Gesamtheit für eine primäre Hodenschädigung und erlauben keinen Rückschluß auf eine sekundäre, hypothalamisch-hypophysäre Genese. Ein Mangel dieser Untersuchungen besteht darin, daß die histomorphologischen Befunde und endokrinologi-

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Endokrinologische und histomorphologische Untersuchungen zur Hodenatrophie bei Dystrophia myotonica*

Becker, Hofmann: Hodenatrophie bei Dystrophia myotonica

Deutsche Medizinische Wochenschrift

schen Untersuchungsergebnisse bisher kaum exakt korreliert worden sind. Nachfolgend berichten wir über zwei Patienten mit Dystrophia myotonica, bei denen diese Korrelation versucht wird.

60

Methodik

50

ng/ml

100 JLQ

i.v.

I

Bei beiden Patienten wurde eine eingehende klinische Untersuchung

durchgeführt. Im Radioimmunassay nach Wide (32) wurden das Plasma-Testosteron und die Plasmakonzentration der Gonadotropine LH(ICSH) und FSH bestimmt. Erstmals bei diesem Syndrom wurde das synthetische LH(ICSH)-RH [hypothalamisches Freisetzungshormon des LH(ICSH)] zum Funktionstest angewendet. Dabei wurde LH(ICSH)-RH in einer Dosierung vop 100 pg intravenös appliziert; anschließend wurden die Plasmawerte des LH(ICSH) und des FSH über 2 Stunden kontrolliert und mit den Basiswerten verglichen. Die endokrinologischen Ergebnisse wurden zu den histomörphologischen und histochemischen Befunden der Hodenbiopsien in Vergleich gesetzt.

LH(ICSH)-RH

40

30

FSH

20

Kasuistik Fall 1: Wilhelm Z., 26 Jahre, Angestellter.

Anamnese: Urgroßmutter mütterlicherseits und Schwester gleichartige Muskelerkrankungen. Mit etwa 20 Jahren zunehmende Steifheit der Hände, Gefühllosigkeit, besonders in der Kälte; angefaßte Gegenstände können nut schwer losgelassen werden; Verkrampfungen der Kiefer- und Zungenmuskulatur. Unauffällige puberale Entwicklung. Keine Hinweise auf andere fertilitätsmindernde Erkrankungen. Seit 3 Jahren verheiratet, unauffällige Libido, ungestörte Kohabitationen; trotz Kinderwunsch bisher kinderlose Ehe. Befunde: untersetater Mann von vorwiegend leptosomer Konstitution und maskulinem Habitus. Akrozyanose, Cutis marmorata, Blutdruck 120/80 mm Hg. Beginnende Stirnglatze, dichte Stamm-, Achsel- und Schambehaarung, mitteldichter Bartwuchs. Beide Hoden je 12 ml Volumen messend, intraskrotal gelagert, in der Konsistenz aufgelockert. Nebenhoden kongestioniert, geringe idiopathische Varicocele links, Prostata von normaler Größe. Neurologischer Befund (Frau Dr. I. Hornstein, Universitäts-Nervenklinik Erlangen): angedeutete Ptose, leichte Parese der Facialismuskulatur, der oberen Halsmuskulatur und der Fingerstrecker. Bei Schlag auf den Thenar verbleibt der Muskeiwulst für längere Zeit. Pupillenreaktion auf Licht und Konvergenz sehr träge. EMG: charakteristische myotone Reaktion. Ophthalmologischer Befund (Privatdozent Dr. Meythaler, Universitäts-Augenklinik Erlangen): Myotonie-Katarakt. Hodenbiopsie: hyalin-flbröse Obliteration und Schrumpfung der meisten Tubuli, völlige Zellverödung. Lediglich vereinzelt noch entfaltete, in den Wandungen jedoch deutlich sklero-hyalinisierte Tubuh mit stark gelichteter Spermiogenese, die nur wenige Spermatiden und morphologisch reife Spermatozoen aufweisen. Histochemisch intratubulär kein Glykogen nachweisbar, lediglich spärlich diastaseresistente, PAS-positive Granula. Deutliche, zum Teil dystrophischhyperplastische Darstellung der elastischen Faserlamellen der Tubuluswandungen. Entfaltete Leydig-Zelinester mit unauffälliger Kernund Zytoplasmastrukturierung der Zellen. In der Nachbarschaft atrophisierter Tubuli regressive Leydig-Zellveränderungen mit Kernschrumpfung und fibrozyten-ähnlicher Konfiguration (Abbildung l). Spermiogramm (Karenz S Tage): Volumen 2,1 ml, pH 7,5. Verflüssigung des Koagulates nach 60 Minuten. Initiale Fructosekonzentration 2,31 mg/ml. Weder im Nativpräparat noch im gefärbten Ausstrich sind Spermatozoen und Spermiogenesezellen nachweisbar.

Hormonanalysen Plasma-Testosteron Plasma-ICSH Plasma-FSH z

Abbildungen

1

(vormittags zwischen 8 und 9 Uhr): (Normbereich 0,4-0,75 ng/ml) 0,4 ng/ml (Normbereich 1,0-5,7 ng/mI) 3,3 ng/ml (Normbereich 1,1-4,8 ng/mI) 16,5 ng/ml

und 3 siehe Tafel Seite 144

10

CSN

-10 0 102030

¿.5

60

90

120

Min.

Abb. 2. Fall 1: LH(ICSH)-RH-Test. Das Ergebnis des LH(ICSH)-RH-Tests (100 pg intravenös) ist in Abbildung 2 dargestellt. 17-Ketosteroid-Ausscheidung mit 7,8 bzw. 7,3 mg/d, 17-OHCSAusscheidung mit 5,9 bzw. 5,3 mg/d im Normbereich. Im ACTH-, Dexamethason- und Metopiron-Test unauffällige Nebennierenrinden-Funktion und -Regulation. Fall 2: Hans Sch., 40 Jahre. Anamnese: seit 6 Jahren Muskelsymptomatik mit Steifheit der Hände, Zungenschwere, verwaschener Sprache. Unauffällige puberale Entwicklung. Verheiratet, keine Kinder. Seit einem Jahr langsam nachlassende Libido, Erektionsschwäche und frühzeitige Ejakulationen. Seit 3 Jahren wird eine zunehmendeHodenverkleinerung bemerkt. Befunde: kräftiger, pyknisch-athletischer Mann mit maskuhinem Habitus. Weiche, pigmentarme Haut. Akrozyanose, Lingua plicata et geographica, hoher Gaumen. Blutdruck 115/70 mm Hg. Deutliche Stirnglatze, dichter Bartwuchs, sehr dicht stehende und kräftige Stamm-, Achsel- und Schambehaarung. Beide Hoden je 8 ml Volumen messend, intraskrotal gelagert, in der Konsistenz vermindert. Idiopathische Varicocele links. Nebenhoden und Samenleiter unauffällig, Prostata deutlich verkleinert. Neurologische und ophthalmologische Untersuchungen bestätigen die Diagnose einer Dystrophia myotonica. Hodenbiopsie: Areale hyalin-atrophisierter Tubuhi bei völliger Zellverödung wechseln nahezu stufenlos mit Arealen entfaltetet Tubuh, deren Spermiogenese kaum eingeschränkt ist. Vereinzelt pentubuläre Rundzehhinfiltrate bei erheblicher Fibrosierung der Tubuluswandung und fortgeschrittener Depopulation des Keimepithels sowie intratubulären Phagenzellen. Histochemisch kein oder nur geringer intratubulärer Glykogen-Nachweis. Ausgeprägte Hyperplasie der in Kern- und Zytoplasmastruktur unauffähligen Leydig-Zellen (Abbildung 3). Spermiogramm (Karenz 30 Tage): Volumen 0,6 ml, pH 7. Verflüssigungszeit 25 Minuten. Initiale Fructosekonzentration 1,08 mg/ml. Spermatozoen 5,9 X 106/ml, 30-40% beweglich, zu 60% normal konfiguniert. Die pathologischen Formen betreffen zu 13% amorphe Kopfformen, 2% Mikroformen, 16% Halsveränderungen und 9% pathologische Zytoplasma-Anhänge.

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150

60

LH(ICSH) RH i.V.

50 'L 40

30

20

FS H

10

-1b61'o2o'o

0

0

ICSH 10 Min.

Abb. 4. Fail 2: LH(ICSH)-RH-Test.

Hormonanalysen (vormittags zwischen 8 und 9 Uhr): Piasma-Testosteron (Normbereich 0,4-0,75 ng/mi) 0,15 ng/mI (Normbereich 1,0-5,7 ng/mi) 2,3 ng/mi Piasma-ICSH (Nörmbereich 1,1-4,8 ng/mi) 6,6 ng/mI Piasma-FSH Das Ergebnis des LH(ICSH)-RH-Tests (100 tg intravenös) zeigt Abbildung 4. 17-Ketosteroid-Ausscheidung mit 20,4 bzw. 18,2 mg/d, 17-OHCSAusscheidung mit 13,3 bzw. 14,1 mg/d im oberen Normbereich. 1m ACTH-, Dexamethason- und Metopiron-Test unauffällige Nebennierenrinden-Funktiön und -Reguiation.

Diskussion Die Hodenatrophie war bei den beiden Patienten klinisch deutlich ausgeprägt. Sie hatte bei dem jüngeren in der dritten, bei dem älteren in der vierten Lebensdekade begonnen, wobei die Muskelsymptomatik etwa 2-3 Jahre vorher aufgetreten war. Der Genitalstatus war vor der Erkrankung, soweit aus der Anamnese eruierbar, unauffällig gewesen. Der jüngere Patient wies eine mitteigradige Hodenatrophie auf. Libido ünd Kohabitationen waren ungestört. Klinisch fanden sich keine Zeichen eines Androgendefizits. Das Plasma-Testosteron lag im Normbereich; entsprechend waren Spermavolumen und Fructosekonzentration trotz Azqospermie normal. Der ältere Patient litt dagegen an eider fortgeschrittenen Hodenatrophie mit langsam verringerter Libido und Potenz. Auch das Plasma-Testosteron war erniedrigt. Bei Oligo-Asthenozoospermie waren Spermavolumen und ithtiale Fructosekonzentration eingeschränkt. Als klinisches Zeichen des Androgenmangls fiel die Verkleinerung der Prostata auf, nicht dagegen eine Abnahme der androgenabhängigen Sekundärbehaarung, die im Gegensatz zur

Stirnglatze im Bart-, Achsel-, Stamm- und Schambereich sehr dicht war. Dieser auch bei anderen Fällen von Curschmann-Steinert-Syndrom mit Hodenatrophie und Stirnglatze beschriebene Befund weist auf ein eigenständiges Symptom hin. Durch Androgenmedikation (Proviron 75 mg/d) konnte die Prostataverkleinerung beeinflußt werden, nicht dagegen die Hodenatrophie. Das Hodenparenchym zeigte in beiden Fällen das histologische Bild einer postpuberalen, primären Schädigung, die vorwiegend die Tubulusfunktion betroffen hatte: herdförmig waren Tubulusgruppen hyalin-fibrös obliteriert und hochgradig geschrumpft. Die basalen Plasmaspiegel für FSH waren hoch, insbesondere bei dem jüngeren Patienten, dessen Tubuli stark geschädigt waren und kaum noch Spermatiden aufwiesen. Die basalen Plasmaspiegel für ICSH lagen dagegen im Normbereich. Diese Befunde entsprechen genau dem Typ des primären Hypogonadismus, bei dem keineswegs immer eine Erhöhung beider Gonadotropine vorliegt, sondern eine dissoziierte Sekretion mit ausgeprägten FSH- und häufig normalen ICSH-Werten gegeben sein kann (12, 29). Zur weiteren Analyse des neurohormonalen Funktionskreises konnten wir erstmals beim CurschmannSteinert-Syndrom das synthetische LH(ICSH)-RH einsetzen (13, 18, 29, 33). In Vorversuchen erwies sich bei intravenöser Applikation eine Dosierung von loo ig als geeignet. Der Test wurde morgens zur Zeit des zirkadianen Gipfels der ICSH-Sekretion - für FSH ist ein vorgezirkadianer Rhythmus bisher nicht bekannt LH(ICSH)-RH nommen. Bei gesunden Männern führt zu einer kurzfristigen und signifikanten Erhöhung des ICSH und weniger ausgeprägt des FSH. Beim hypophysär bedingten Typ des sekundären Hypogonadismus ist im Gegensatz zum hypothalamisch bedingten eine Stimulierung der hypophysären Gonadotropine LH(ICSH) und FSH nicht möglich, so daß mit Hilfe dieses Tests eine Unterscheidung beider Formen durchgeführt werden kann. Beim primären Hypogonadismus äußert sich der Releasing-Effekt stärker in einer Stimulierung des LH(ICSH) als des FSH, was sich besonders in den Fällen einer hohen basalen FSH-Aktivität ausprägt.

-

Bei unseren beiden Patienten fiel dieser Test ungewöhnlich aus: In beiden Fällen wurden die hohen basalen Plasmaspiegel des FSH durch die LH(ICSH)-RHStimulierung stark erhöht, im raschen Anstieg, in der absoluten Höhe und im nachfolgenden Plateau. Einen derartigen Befund konnten wir bei anderen im ReleasingTest untersuchten Formen eines primären Hypogonadismus bisher nicht erheben; auch von anderen Autoren ist er bisher noch nicht beschrieben worden. Er läßt sich lediglich durch. das völlige Fehlen der FSH-Gegenregulation erklären. Wenn diese nach den Untersuchungen von Johnsen (17) auf der spermiogenetischen Stufe der Spermatiden einsetzt, so hätte die Gegenregulation zwar bei dem jüngeren Patienten mit weitgehender Depopulation des Keimepithels fehlen können, nicht jedoch bei dem älteren, dessen Hodenparenchym in weiten Arealen eine ungestörte Spermiogenese aufwies. Man muß daraus folgern, daß das die Gegenregulation vermittelnde

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ng/mt

100fr9

I5 I

Becker, Hofmann Hodenatrophie bei Dystrophia myotonica

Nr. 4, 24. Januar 1975, 100. Jg.

Becker, Hofmann: Hodenatrophie bei Dystrophia myotonica

Zelisystem der tubulären Sertoli-Zellen (5, 6, 17) in dieser Hinsicht funktionsuntüchtig war. Weitere Hinweise auf eine derartige Schädigung erbrachten unsere histomorphologischen und histochemischen Untersuchungen des Hodenparenchyms. Die Zahl der Sertoli-Zellen war bei dem jüngeren Patienten erheblich, bei dem älteren jedoch kaum reduziert; morphologisch waren die Sertoli-Zellen hier zudem unauffällig. Bei beiden Patienten war jedoch die intratubuläre Glykogensynthese der Sertoli-Zellen entweder nicht vorhanden oder stark gemindert, was sowohl in den regressiv veränderten als auch in den unauffälligen Tubuli seminiferi nachgewiesen werden konnte. Glykogen ist für den Ablauf der Spermiogenese beim Menschen ein essentielles Substrat (14). Es wird in den Sertoli-Zellen synthetisiert aus Glucose, die von den Kapillaren aufgenommen wird, Ob darüber hinaus die Sertoli-Zellen durch Aufnahme des kohienhydrathaltigen Zytoplasmarestes der Spermatiden ihren Glykogengehalt regulieren können, ist bisher noch nicht zu übersehen (14). Intratubulär wird Glykogen in geringem Ausma lediglich noch in den Spermatogonien gefunden (1, 10, 22). Seilicovich und Lloret (26) konnten in präpuberalen kryptorchen Testes weniger Glykogen, Phosphorylasen und Transglucosidasen nachweisen als in vergleichbaren normal deszendierten Testes und schlossen daraus auf eine Unreife der Sertoli-Zellen. Fabrini und Mitarbeiter (10, 11) fanden bei der iridiopathischens Form der Germinalzellaplasie im Gegensatz zu der erworbenen Form einer Depopulation kein intratubuläres Glykogen und keine Phosphorylasen, was sie im Sinne einer angeborenen Insuffizienz der Sertoli-Zellen interpretieren.

in unseren Fällen weist das Fehlen bzw. die Minderung des intratubulären Glykogens auch in den morphologisch noch nicht geschädigten Tubuli seminiferi auf eine Funktionsschwäche der Sertoli-Zellen, die mit den endokrinologischen Befunden des Fehlens einer FSH-Gegenregulation korrespondiert. Beim Curschmann-SteinertSyndrom müssen wir als Ausgangspunkt der Testesschädigung die Sertoli-Zellen zur Diskussion stellen, die heute als die Zellelemente angesehen werden, die mit ihrer Resorptions- und Sekretionsleistung die Kommunikation des kapillaren Blutsystems und des Tubulussystems regulieren (27). Auf Grund unserer vergleichenden endokrinologischen und histomorphologischen Untersuchungen erhebt sich ferner die Frage, warum die ICSH-Stimulierung bei dem jüngeren Patienten unauffällig, bei dem älteren mit Leydig-Zelihyperplasie bei klinisch und hormonanalytisch nachgewiesenem Androgendefizit dagegen ungenügend war. Exogenes Testosteron, das die Hypophysenfunktion im Releasing-Test hemmen würde, hatte der Patient bei der Durchführung der Untersuchung nicht erhalten. Da angesichts der hohen FSH-Regulation im Releasing-Test eine selektive Insuffizienz des ICSH unwahrscheinlich ist, stellt sich die Frage nach einer weiteren Substanz der ICSH-Gegenregulation als dem Testosteron, die in den hyperplastischen, in der Funktion jedoch gestörten Leydig-Zellen gebildet und abgegeben werden kann. Literatur Arzac, J. P.: Glyrogen irr human testicular biopsy material. J. clin. Endocr. 10 (1950), 1456. (1)

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Dr. H. BecÏ

[Endocrinological and histomorphological studies of testicular atrophy in myotonic dystrophy (author's transl)].

Nr. 4, 24. Januar 1975, lOO. Jg. Secker, Hofmann: Hodenatrophie bei Dystrophia myotonica '49 Dtsch. med. Wschr. loo (1975), 149-152 © Georg Thiem...
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