DEUTSCHE

MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT

Nr. 21 Jahrgang 102

Stuttgart, 27. Mai 1977

Die Epilepsia partialis continua Koevnikov Zur Klinik und Pathophysiologie O. Meienberg und K. Karbowski Neurologische Universitätsklinik Bern (Direktor: Prof. Dr. M. Murnenthaler)

Bei drei Patienten wurden kontinuierliche Myokioni in einem umschriebenen Körperabschnitt beobachtet. Bei zweien gingen diese Myokloni gelegentlich in motorische Jackson-Anfälle über. Alle drei Patienten hatten auf der Seite ihrer Dauerzuckungen neurologische Ausfälle, die auf eine Läsion in der kontralateralen Hemisphäre hindeuteten. Das Oberflächen-EEG zeigte in keinem der drei Fälle Veränderungen, die als direktes Korrelat der kontinuierlichen Zuckungen hätten angesehen werden können. Als Ursache fand man in einem dieser Fälle eine Hemisphärenmißbildung, im zweiten eine frische Enzephalomalazie und im dritten eine schwere hyperosmolare diabetische Stoffwechselentgleisung. Phänomenologisch unterscheidet sich die Epilepsia partialis continua vom motorischen Jackson-Status durch ihren kontinuierlichen, nicht anfallsartigen Charakter sowie das Fehlen eines »march of convulsion«. Pathophysiologisch gesehen handelt es sich in

beiden Fällen um einen fokalen kortikalen Status epilepticus. Koevnikov*, einer der ersten russischen Neurologen, stellte 1894 an einer Sitzung der Moskauer Neuropsychiatrischen Gesellschaft vier Patienten vor, welche jahrelang in umschriebenen paretischen Abschnitten einer Körperseite ständige Myokionien hatten, die sich zeitweise verstärkten und dann in einen epileptischen Anfall übergingen (15). Er benannte das Krankheitsbild »Epilepsia partialis continua«. Mit der Zeit wurde diese Bezeichnung auch für Fälle verwendet, bei denen es nie zu motorischen Jacksonoder zu Grand-mal-Anfällen kam, deren übrige klinische Symptomatik aber den Originalfällen Koevnikovs entsprach (3, 4, 10, 12, 13, 18, 19, 23). Unterschiedliche Auffassungen über die Pathogenese der Koevnikovschen Epilepsie haben ferner die Grenzen zu den myoklonischen und Myoklonus-Epilepsien (17, 18), zu extrapyramidalen Syndromen (12, 18) und spinozerebellären Systemerkrankungen (24) verwischt, so daß der Wunsch nach einer klaren Begriffsbestimmung laut wird. *

vereinheitlichte, internationale Schreibweise (8, 18), früher vorwiegend »Kojewnikow« geschrieben

Epilepsia partialis continua of Koevnikov

Continuous myoclonus in a localised area of the body was observed in three patients. In two cases the myocloni sometimes developed into motor Jacksonian convulsions. All three patients had neurological signs on the same side as their continuous twitching indicating a lesion of the contralateral hemisphere. The surface EEG did not show changes which could be directly correlated with continuous convulsions in any of the cases. The cause was found to be a malformation of the hemisphere in one case, a recent encephalomalacia in the second and a severe hyperosmolar diabetic electrolyte imbalance in the third. Epilepsia partialis continua Koäevnikov differs from motor Jacksonian epilepsy in the continuous non-attack like character and the absence of a »march of convulsionsu. Pathophysiologically they are both forms of focal cortical status epilepticus.

Veranlaßt durch drei eigene Fälle mit kontinuierlichen umschriebeñen Muskeizuckungen, möchten wir der Frage nachgehen, wie aufgrund neuerer pathogenetischer Kenntnisse eine »Epilepsia partialis continua« heute definiert werden dürfte.

Kasuistik Fall 1: Bei der nun 2sjährigen Patientin Z. 5. traten erstmals im Alter von einem Jahr vereinzelte Attacken kurzer Bewußtlosigkeit mit Zuckungen am ganzen Körper auf, vom vierten Lebensjahr an typische Grand-mal-Anfälle, gelegentlich eingeleitet durch Kribbelparästhesien im rechten Bein. Neurologisch fand man damals ein leichtes motorisches Hemisyndrom rechts. Zahlreiche im anfallsfreien Intervall aufgenommene Elektroenzephalogramme zeigten eine diffuse, dysrythmische, rasche Grundaktivität, die über der linken Hemisphäre ein Spannungsmaximum aufwies und dort mit wechselnder Vorzugsiokalisation viele eingelagerte langsame sowie steile Potentiale enthielt. Die letzteren traten hie und da auch paroxysmal generalisiert auf. Typische Spitzenpotentiale konnten aber nicht beobachtet werden. Die eingehende neuroradiologische Abklärung ergab eine komplexe, nicht näher präzisierbare Mißbildung der ganzen linken Großhirnhemisphäre. In der Folge kam es während Behandlung mit Antiepileptika (Hydantoinen und Barbituraten) alle paar Monate zu èinem motorischen Jackson-Anfall mit Beginn im rechten Arm, Ausbreitung

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Dtsch. med. Wschr. 102 (1977), 781-784 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Meienbeeg, Karbowski: Epilepsia partialis continua Koevnikov

aufs rechte Bein und gelegentlicher Generalisierung. Im 22. Lebensjahr blieben, im Anschluß an einen solchen Anfall, während sechs Stunden mitteistarke, kontinuierliche Zuckungen des ganzen rechten Beines, weniger auch der Hand und rechtsseitigen Gesichtsmuskulatur bestehen. Sie ließen bis auf einzelne noch über Stunden anhaltende Zuckungen der Großzehe nach zusätzlicher parenteraler Gabe von Antiepileptika nach. Seither hatte die Patientin alle paar Wochen während Stunden kontinuierliche Zuckungen des rechten Daumens, teils isoliert, teils im Zusammenhang mit Jackson-Anfällen. Im Alter von 24 Jahren erfolgte die Hospitalisierung wegen ausgeprägter, seit Tagen bestehender kontinuierlicher, distal betonter Zuckungen des rechten Armes und zeitweise auch des rechten Beines. Zudem fand man ein leichtes, armbetontes motorisches Hemisyndrom rechts mit Hyperreflexie und fraglich positivem BabinskiReflex. Das während der ständigen Myokioni abgeleitete EEG ergab gegenüber den vielen früher registrierten Hirnstromkurven einen nahezu unveränderten Befund. Hochdosierte Kombinationsbehandlung mit Phenobarbital, Diphenyihydantoin und Carbamazepin führte zu starker Abnahme der Myokioni. Am rechten Daumen, diskret auch am Vorderarm, bestehen aber immer noch deutliche kontinuierliche Zuckungen, und zwar als Dauerzustand seit jetzt einem Jahr mit seltenem Übergang in Jackson-Anfälle. Fall 2: Die Sojährige Patientin W. M. war während der zwei Jahre vor Beginn ihres jetzigen Leidens wegen einer labilen Hypertonie in ärztlicher Kontrolle und Behandlung. Anfallsleiden, sonstige neurologische Erkrankungen oder Diabetes mellitus waren bisher nicht bekannt. Sie wurde notfallmäßig hospitalisiert wegen einer vor zwei Tagen aufgetretenen Schwäche der rechten Hand, begleitet von ständigen Zuckungen, welche sich zunehmend häufig, schließlich mehrmals stündlich, deutlich verstärkten und auf den ganzen rechten Arm ausbreiteten. Das Bewußtsein blieb dabei erhalten. Bei der Eintrittsuntersuchung fand man eine adipose, leicht somnolente Frau in etwas reduziertem Allgemeinzustand. Blutdruck 200/120 mm Hg (bei späteren Kontrollen normoton). Sonstiger internistischer Status ohne Besonderheiten. Neurologisch bestand neben den Zuckungen ein mittelschweres, armbetontes motorisches Hemisyndrom rechts. Das EEG zeigte während der ständigen Zukkungen der rechten Hand, neben einer leichten Allgemeinveränderung der Grundaktivität, intermittierend teils regelmäßige, teils 50j1V]

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Abb. 1. Fall 2: Übergang der Epilepsia partialis continua in einen Jackson-Anfall mit anschließend passagerem Sistieren der Myokloni. Auf der linken Bildhälfte mittelhoch gespannte, spärlich von rascheren Wellen überlagerte, ziemlich rhythmische 2I2-3 c/s-DeltaAbläufe im Bereich der rechten Hemisphäre. Spannungsärmere und im allgemeinen raschere Aktivität auf der Gegenseite. In der Oberflächen-EMG-Ableitung vom rechten Thenar (8. Linie) einige durch kontinuierliche Muskelzuckungen des Daumens hervorgerufene grobe Auslenkungen, die dann während der Ausbreitung und Intensitätszunahme der Krämpfe (rechte Bildhälfte) durch Muskelspitzen ersetzt werden. Gleichzeitig Unterdrückung der Delta-Aktivität. Fronto-präzentral links sowie median (4. und 7. Linie) vorerst unregelmäßige, mit einzelnen steileren Elementen gekoppelte 7-8 c/s-Wellenzüge, mit allmählicher Rhythmisierung, Amplitudenzunahme und Projektionstendenzen zur Gegenseite.

Deutsche Medizinische Wochenschrift

unregelmäßige spannungsreiche a-4-Abläufe mit Bevorzugung der rechten Temporal- und Frontalregion sowie Generalisierungstendenz. Während dieser Zeit keine Spitzenpotentiale. Im Laufe der Ableitung traten fünf Jackson-Anfälle auf, die im EEG hauptsächlich durch eine mittelhoch gespannte, rhythmische, fronto-präzentral links lokalisierte 7-8 c/s-Aktivität bzw. durch Mikro-SpikeWave-Komplexe gekennzeichnet waren (Abbildung 1 und 2). Die Laboratoriumsuntersuchungen ergaben einen Blutzucker von 64,9 mmol/l (11,7 gIl), eine Serumosmolalität von 350 mosm/l (obere Normgrenze: 300) sowie eine mäßige, nicht kompensierte metabolische Acidose. Liquor cerebrospinalis unauffällig. Innert drei Tagen konnte die diabetische Stoffwechselstörung (stark hyperosmolar, mäßig ketoacidotisch) weitgehend kompensiert werden. Parallel dazu und unter zusätzlicher Hydantoinbehandlung verschwanden sowohl die kontinuierlichen Zuckungen als auch die Jackson-Anfälle allmählich. Zugleich normalisierten sich Neurostatus und EEG. 501LV)

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Abb. 2. Fortsetzung des in Abbildung 1 gezeigten Anfalls. Die linksseitige fronto-präzentrale Anfallsaktivität wird unregelmäßiger und von steileren Elementen durchsetzt. Auf der Gegenseite sowie in der Mittellinie erscheinen spannungsreiche Wellen aus dem Theta-Frequenzbereich. Zugleich Zunahme der Amplitude und Abnahme der Frequenz der Muskelspitzen; schließlich abruptes Aufhören. Im selben Moment Normalisierung der EEG-Kurve.

Fall 3: Der 64jährige Patient St. O. stellte eines Morgens im rechten Arm eine Schwäche fest und bemerkte zugleich ständige Zukkungen der Bauchmuskulatur. Da diese ununterbrochen andauerten, suchte er am folgenden Tag den Arzt auf, welcher ihn notfallmäßig hospitalisierte. Man fand einen leicht reduzierten Allgemeinzustand. Klares Bewußtsein. Blutdruck 165/110 mm Hg (später immer normoton), sonstiger internistischer Status ohne Besonderheiten, Blutzucker 5,55 mmol/l (1 gIl). Neurologisch: linke Carotis nur schwach palpabel. Leicht- bis mittelgradige, proximal betonte Armparese rechts. Symmetrische Eigenreflexe. Babinski-Reflex rechts positiv. EEG: nahezu kontinuierliche unregelmäßige 0-Aktivität fronto-präzentral links mit Ausbreitung temporalwärts. Daneben im selben Gebiet, jedoch mit fronto-temporaler Akzentuierung, intermittierende, teils mit steilen Elementen gekoppelte noch langsamere Wellengruppen aus dem b-Frequenzbereich. Leichte Allgemeinveränderung der Grundaktivität. Trotz ununterbrochener Zuckungen der rechtsseitigen Bauchmuskeln während der Ableitung kommen weder typische Spitzenpotentiale noch andersartige Anfallsentladungen zum Vorschein. Das linksseitige Carotisangiogramm ergab einen frischen thrombotischen Verschluß der Arteria carotis interna auf Höhe der Cornmunis-Bifurkation mit einem ordentlichen Kollateralkreislauf über Externa-Aste. Behandlung der Zuckungen mit Diphenyihydantoin. Nach drei Tagen kam es zu langsamem Verebben der Myokloni. Seit nunmehr über einem Jahr sind keine solchen Störungen mehr aufgetreten.

Diskussion Gemeinsame Merkmale unserer drei Fälle sind kontinuierliche, über mehrere Stunden bis Monate anhaltende

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myoklonische Zuckungen, die auf eine Körperhälfte beschränkt waren. Zugleich lagen auf derselben Seite neurologische Ausfälle vor, welche auf eine Läsion in der kontralateralen Hemisphäre hinwiesen. In den Fällen 1 und 2 breiteten sich die umschriebenen, dauernden Zukkungen von Zeit zu Zeit aus und gipfelten in motorischen Jackson-Krisen. Letztere fehlten bei Fall 3. Das Oberflächen-EEG zeigte in keinem der drei Fälle epileptische Entladungen, welche mit den ständigen klonischen Muskeikrämpfen in direkten Zusammenhang gebracht werden konnten. Im ersten Fall wurde zwar eine Dysrhythmie mit Maximum über der kontralateralen Hemisphäre registriert, zahlreiche vor Beginn der kontinuierlichen Zuckungen abgeleitete Kurven zeigten aber bereits denselben Befund. Bei den Patienten 2 und 3 fand man im EEG unspezifische, herdförmig betonte Veränderungen. Die zeitweise aufgetretenen fokalen epileptischen Entladungen im Fall 2 entsprachen jeweils motorischen Jackson-Anfällen und dürfen somit nicht als elektroenzephalographisches Korrelat der Koevnikovschen Dauerzuckungen aufgefaßt werden. Koevnikov hob in seiner Mitteilung hervor, daß die von dauernden Myokioni betroffenen Extremitäten seiner Patienten zugleich auch neurologische Zeichen einer Läsion des zentralen motorischen Neurons aufwiesen. Löhler und Peters (18) konnten bei drei eigenen Beobachtungen und 159 Literaturfällen von Epilepsia partialis continua in 94% neurologische Symptome finden, die eine Schädigung in der Zentrairegion der zu den Myokioni kontralateralen Hemisphäre annehmen ließen. Man ist sich in der Literatur darüber einig, daß es keinen für die Koevnikov-EpiIepsie typischen EEG-Befund gibt (4, 5, 11, 12, 18, 19). Am häufigsten werden Spikes, Sharp-Waves oder Sharp- and Slow-wave-Komplexe mit einem Maximum über der kontralateralen Zentrairegion angetroffen (4, 5, 11, 12, 18, 19). Gelegentlich kommen auch generalisierte, bilateral-synchrone Spitzenpotentiale vor, die eine der lädierten Seite entsprechende Betonung aufweisen (2, 12). Nicht selten findet man, wie in unseren drei Fällen, keine eindeutigen Anfalisentladungen im Elektroenzephalogramm, sondern lediglich unspezifische fokale oder allgemeine Veränderungen. Wiederholt sind auch Fälle von Epilepsia partialis continua mit völlig normalen Befunden im konventionellen EEG beschrieben worden (2, 3, 5, 7, 10, 11, 17, 18, 19).

Ätiologische Faktoren Als ätiologische Faktoren der Koevnikovschen Epilepsie

überwiegen in westlichen Ländern zerebrovaskuläre Erkrankungen, intrakranielle raumfordernde Prozesse und Schädel-Hirn-Traumen (3, 4, 11, 12, 13, 16, 18, 19). In Osteuropa tritt die Epilepsia partialis continua vorwiegend als Folge von Arbo-Virus-Enzephalitiden auf (18). Singh und Mitarbeiter (23) haben fünf Fälle von Koevnikov-Epilepsie bei nichtketotischer Hyperglykämie beschrieben und betont, daß dieses Krankheitsbild in 6% aller Fälle von hyperosmolarer Diabetesentglei-

Meienberg, Karbowski: Epilepsia partialis continua Kolevnikov

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sung klinisches Leitsymptom sei. Der fokale Charakter der motorischen Phänomene wird mit schon bestehenden subklinischen zerebrovaskulären Herdläsionen in Zusammenhang gebracht, die wegen der zusätzlichen metabolischen Störung dekompensieren. In diesen Rahmen paßt auch unser FaIl 2. Von der Ätiologie hängt das therapeutische Vorgehen ab. Sicher wird man als erstes versuchen, die kontinuierlichen Zuckungen mit Antiepileptika zum Verschwinden zu bringen, wobei in Fällen mit Hyperglykämie der diabetogenen Wirkung der Hydantoine Rechnung zu tragen ist (6). Sofort soll aber - unabhängig vom Ansprechen auf die Antikonvulsiva die ätiologische Abklärung erfolgen, um nicht die oft neurochirurgisch oder internistisch erfolgreich zu behandelnden Fälle zu verpassen.

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Pathogenese

Über die Pathogenese der Epilepsia partialis continua sind die Auffassungen geteilt. Koevnikov selber postulierte einen kortikalen Ursprung. Juul-Jensen und Denny-Brown (13) hingegen kamen aufgrund von klinischen und autoptischen Untersuchungen zum Schluß, daß dieses Krankheitsbild durch Enthemmung des extrapyramidalen Systems infolge ausgedehnter, vorwiegend kortikaler Läsionen entstehe. Einige der zur Stützung dieser »extrapyramidalen Hypothese« vorgebrachten Argumente scheinen allerdings nicht stichhaltig zu sein. So halten Löhler und Peters (18) fest, daß 39 von 78 operativ oder autoptisch untersuchten Fällen der Literatur nur einseitige, rein kortikale und eng umschriebene Herdläsionen in der Zentrairegion aufwiesen. Auch sind weder die Unterdrückbarkeit der Myokioni durch passives Festhalten der betroffenen Extremität (15) noch ihre Verstärkung durch äußere Reize (2, 13, 18) ein Beweis gegen einen kortikalen Ausgangsort. Bei der motorischen Jackson-Epilepsie werden diese Phänomene ebenfalls beobachtet (11, 14, 21). Ein Fehlen epileptischer Entladungen im konventionellen EEG darf noch nicht auf eine subkortikale Genese der Muskeizuckungen schließen lassen (5, 7, 11, 18, 19). Bancaud und Mitarbeiter (2) haben an einem Fall Koevnikovscher Epilepsie durch gleichzeitige Oberflächen- und Stereo-EEG-Ableitungen eindrücklich demonstrieren können, daß eng umschriebene kortikale Anfallsaktivität mit an der Kopfoberfläche plazierten Elektróden nicht erfaßt werden muß. Die Hypothese eines Ursprungs der Koevnikovschen Dauerzuckungen in der Rinde des Gyrus praecentralis wird vor allem durch die Resultate simultaner EMG-, EEG- und Stereo-EEG-Ableitungen untermauert (2). Diese wie auch andere experimentelle Untersuchungen (1, 9, 20) weisen darauf hin, daß die Myokioni bei der Epilepsia partialis continua dem pyramidalen Typ (9) entsprechen und daß sie mit den EEG-Spitzen korrelieren. Es scheint von der Feinheit der angewandten Methode abzuhängen, ob im Einzelfall der Nachweis einer solchen Korrelation gelingt (2).

Wenn in unserem Fall 2 eine rein kortikale Genese der Myokioni denkbar wäre, so scheint dies im Fall 3 unsicher, im Fall 1 aber wenig wahrscheinlich. Die An-

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Meienberg, Karbowski: Epilepsia partialis continua Koäevnikov

falissymptomatik der letzterwähnten Patientin wechselte im Krankheitsverlauf mehrmals hinsichtlich Lokalisation und Schwerpunktbildung innerhalb derselben Körperhälfte. Ohne die Annahme eines subkortikal gelegenen epileptogenen Primärfokus, welcher bald diesen, bald jenen kortikalen Herd »entzündete«, wäre es kaum zu erklären, weshalb sich die epileptische Tätigkeit von Mal zu Mal in anderen, teils weit auseinanderliegenden Rindengebieten abspielte. Unabhängig davon aber, ob sich die primäre Störung im einzelnen Fall in der Hirnrinde selbst oder in subkortikalen Strukturen befindet, darf heute angenommen werden, daß den Myokloni der Koevnikovschen Epilepsie letztlich immer Anfalisentladungen im motorischen Cortex zugrunde liegen. Unterscheidung vom motorischen Jackson-Status Eine Verwandtschaft zwischen der Epilepsia partialis continua und der motorischen Jackson-Epilepsie kann schon deshalb vermutet werden, weil in 67% der Fälle von Koevnikov-Epilepsie begleitende Jackson-Krisen vorkommen. Koevnikov selber beobachtete bereits bei seinen Patienten, daß sich die Jackson-Anf alle langsam aus den kontinuierlichen Zuckungen heraus entwickelten. Jahrzehnte später demonstrierten Bancaud und Mitarbeiter (2) die entsprechende bioelektrische Ausbreitung der Entladungen stereoelektroenzephalographisch am Cortex. Unser Fall 2, der im Oberfiächen-EEG während der Dauerzuckungen keine Entladungen aufwies, zeigte gleichzeitig mit dem klinischen Übergang dieser Myokioni in Jackson-Anfälle ein Auftreten frontopräzentra-

Anfallsentladungen. Nach Ansicht verschiedener Autoren (4, 11, 18, 19), welcher wir uns anschließen, ist es lediglich eine Frage des Funktionierens zerebraler Hemmechanismen, ob eine kortikale epileptische Erregung wie bei der Epilepsia partialis continua lokal umschrieben bleibt oder ob sie sich ausbreitet und einen Jackson-Anfall hervorruft. Die Koevnikovsche Epilepsie kann so als ein Anfall verstanden werden, der wegen teilweise noch funktionierender intrakortikaler Hemmechanismen nicht voll zum Ausbruch kommt und sich dadurch auch nicht erschöpft (2, 4, 11, 18, 19). Ein Extremfall starker kortikaler Entladungen mit Erschöpfung zwischen den einzelnen Anfällen ist der motorische Jackson-Status. Unser Fall 2 stellt eine Kornbinationsform von Epilepsia partialis continua und Jackson-Status dar. Die Erschöpfung nach den einzelnen Jackson-Krisen führte hier vorübergehend auch zum Verschwinden der Koevnikovschen Dauerzuckungen. Die Existenz solcher Mischformen veranlaßte Janz (11), die Begriffe »Epilepsia partialis continua« und »motorischer Jackson-Status« synonym zu verwenden. Sicherlich stehen hinter diesen beiden Begriffen keine grundsätzlichen pathophysiologischen Unterschiede. Auch die Koevnikov-Epi1epsie ist ein fokaler motorischer Status epilepticus. Phänomenologisch aber fehlen der Epilepsia partialis continua zwei wesentliche Elemente, die in der Definition der Jackson-Attacken wie des Jackson-Status enthalten sind, nämlich der anfalisartige Charakter der Störung und der typische «march of convulsion«, die 1er

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Anfallsausbreitung. Geht man, wie ursprünglich Koevnikov, von den klinischen Manifestationen aus, so ist ein Gleichsetzen des motorischen Jackson-Status mit der Epilepsia partialis continua nicht gerechtfertigt. Wohl ebenfalls aus klinischen Gründen hat sich der Vorschlag von Penfield und Jasper (22) in der Literatur nicht durchgesetzt, wonach der Ausdruck »Epilepsia partialis continua« nicht nur für ein besonderes motorisches Phänomen, sondern für jegliche Art kontinuierlicher fokaler und lokalisiert bleibender also auch sensibler, sensorischer oder psychomotorischer - Anfälle gebraucht werden solle. Von anderen Anfalisleiden, die durch Myokioni gekennzeichnet sind, sowie von zerebellären und extrapyramidalen Erkrankungen dürfte die Epilepsia partialis continua immer abzugrenzen sein, wenn man neben der streng einseitigen und meist eng umschriebenen Lokalisation der Dauerzuckungen mit eventuellem Übergang in Jackson-Anfälle auch die begleitenden neurologischen Ausfälle beachtet, die auf eine Schädigung in der kontralateralen Zentrairegion hinweisen (18).

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Dr. O. Meienberg, Prof. Dr. K. Karbowski Neurologische Universitätsklinik, Inseispital CH-3010 Bern, Freiburgstr. 4

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[Epilepsia partialis continua of Kozevnikov (author's transl)].

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