Ophthalmologica, Basel 178: 337 347 (1979)

Augenbefunde bei der subakut sklerosierenden Panenzephalitis E. Damaske und L. Diekmann

Die subakut sklerosierende Panenzepha­ litis (SSPE) zählt zu den Virusinfektionen mit sehr langsamer Inkubation (Slow-VirusInfektion). Das Konzept Slow-Virus-Krankheiten wurde zuerst in der Beobachtung der chronisch verlaufenden Tierkrankheiten in Island entwickelt. Die Krankheiten führen nach langer Inkubationszeit in unaufhalt­ samer Entwicklung zum Tode. Histologische Manifestationen sind meist schon lange vor den manifesten Krankheitssymptomen vor­ handen. Die SSPE wird durch ein masern­ ähnliches defektives Virus hervorgerufen und stellt eine schleichend verlaufende, ent­ zündliche Erkrankung des Gehirns dar, die vorwiegend gesunde Kinder befällt. Nur in seltenen Fällen werden auch Personen im 3. Lebensjahrzehnt von dieser Krankheit be­ troffen. Einzelbeobachtungen wurden von Bodechtel und Gunman [ 19311 sowie von Fette und Döring [1939] beschrieben. Eine zusammenfassende Darstellung des Krank­ heitsbildes geht auf Dawson ¡1933] und van Bogaert [1945] zurück. Dawson hatte als erster intranukleäre eosino­ phile Cowdry-Typ-A-Einschlusskörperchen beob­ achtet, die er in Neuronen und in den Zellen der

Oligodendroglia fand. Connoly et at. |1967| beob­ achteten laborchemisch ungewöhnlich hohe Titer von Masernvirusantikörpern bei allen Patienten mit SSPE. die sie untersucht hatten. Später benutz­ ten sie Masernantikörper in Immunofluoreszenztests und fanden Antigenreaktionen in den Anti­ körpern der Neuronen und Gliazellen der an SSPE erkrankten Patienten. Die von SSPE-Patienten iso­ lierten Viren werden als Masernvarianten aufge­ fasst. Ein immunologisch nicht definierter Trägermechanismus könnte nach einer Inkubationszeit von Monaten bis Jahren zur SSPE führen. Wahr­ scheinlich ist auch, dass SSPE-Viren selbständig dieses Krankheitsbild machen. Der Grund für eine lange Viruspersistenz könnte die Unfähigkeit des Wirtes zur Bildung neutralisierender Antikörper sein oder aber das Ausbleiben einer immunologi­ schen Reaktion zwischen Virus und dem vom Wirt gebildeten neutralisierenden Antikörper. Offenbar besteht eine genetische. Wirtsselektion. Schliesslich sind bestimmte pathologische Vorgänge der SlowVirus-Krankheiten nicht direkt, sondern nur durch Autoimmunprozesse zu erklären, die lediglich durch das Virus in Gang gesetzt werden, dies ist in anderem Zusammenhang z. B. für die Mumps­ orchitis bekannt. Ätiologisch kommen also drei Fak­ toren zusammen, die man bisher zu sehr als alter­ nativ angesehen hat: Infektion, genetische Dispo­ sition, Autoimmunreaktion. Beim Menschen ist die «Slow-Virus»-Ätiologie durch Übertragung auf Pri­ maten bisher für die SSPE. für die Jakob-Creutzfeldtsche-Krankheit (präsenile Demenz mit Funk­ tionsstörungen in sämtlichen Anteilen des moto­

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Universitäts-Augenklinik und Universitäts-Kinderklinik. Münster i.W.

Damaske Diekmann

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Die Slow-Virus-Krankheiten zeigen bei voller Ausprägung degenerative Veränderun­ gen im Gehirn und in den Anhangsstruktu­ ren ohne entzündliche Zeichen. Eine Aus­ nahme bildet die SSPE, bei der ein entzünd­ licher Prozess der grauen und weissen Sub­ stanz unter Einschluss der Meningen und gelegentlich der Netzhaut vorliegt. Histolo­ gisch findet man in wechselnder Intensität plasmozytäre und lymphozytäre Infiltrate, ausgedehnten Markscheidenabbau und Glia­ wucherungen; Fettkörnchenzellen durchset­ zen diffus das Marklager und füllen die peri­ vaskulären Räume der Gefässe. Man sieht licht- und elektronenmikroskopisch eosino­ phile intranukleäre und intrazytoplasmati­ sche Einschlusskörperchen in Neuronen und Gliazellen. Die SSPE ist die einzige SlowVirus-Krankheit, bei der solche entzündli­ chen Veränderungen gefunden werden (Tab.

Tabelle I. Slow-lnfektion durch konventionelle Viren Infektion Subakut sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) Subakute Panenzephalitis als späte Folgeerscheinung nach kongeniialen Röteln Subakute Leukenzephalitis nach Masern Multiple Sklerose

Progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) Cytomegalovirus-Enzephalitis Progressive kongenitale Röteln-Enzephalopathie Subakute Enzephalitis

Virus

Masern-« defektiv»

Röteln-« defektiv» Masern-« defektiv» ? defektives Myxovirus oder Paramyxovirus Pa pova virus (.IC und SV-40) Cytomegalovirus Röteln Herpes simplex Adenovirus-Typ 32 Tick-borne encephalitis V. (RSSE)

I).

Partielle Kontinua-Epilepsie der UdSSR (Kozhevnikovs Epilepsie) Fokale Epilepsie mit chronischer Enzephalitis Crohnsche Erkrankung Colitis ulcerosa Homologer Serumikterus Infektiöse Hepatitis

Landers und Klintworth [1971] sahen als erste in ihren elektronenmikroskopischen Studien der Netzhaut eines 12jährigen Mäd­ chens, das an SSPE verstorben war, mikro­ tubuläre Strukturen, die sie als Viruspartikel chen deuteten. Klinisch beginnt die Erkrankung schlei­ chend mit psychischen Veränderungen, Kon­ zentrationsschwäche, Teilnahmslosigkeit und wird nach Malthes in drei Stadien eingeteilt: Im Stadium I überwiegen die beschriebenen psychoreaktiven Störungen. Im Stadium II kommt es mit zunehmendem dementionellem Abbau zur Verflachung der gesamten Persönlichkeit. Neurologische Herdsympto­ me treten auf, z. B. werden Choreoathetosen,

vor allem zunehmend häufiger fokale und generalisierte epileptische Anfälle beobach­ tet. Charakteristisch sind Myoklonien. Im Stadium III. im Endstadium, kommt cs zur Dezerebration und Kachexie. Die Gesamt­ krankheitsdauer erstreckt sich zwischen eini­ gen Monaten und Jahren. Interessant in diesem Zusammenhang sind Angaben aus der Literatur, dass die be­ fallenen Kinder meist Masern in den ersten beiden Lebensjahren durchgemacht haben.

9

? RNA-Virus 9

Hepatitis Hepatitis Hepatitis Hepatitis

B A B C

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rischen Systems) und für Kuru nachgewiesen, eine spongiöse Degeneration vorwiegend des Kleinhirns, welche bei den Foros auf Neuguinea endemisch ist und vermutlich durch Kannibalismus übertra­ gen wird.

Augenbefunde bei der subakut sklerosierenden Panenzephalitis

Aiigcnhcfundc bei SSPE

Nachdem sich in den letzten Jahren die Bezeichnung SSPE einheitlich durchgesetzt hat, sind die Augenbefunde, die unter der Diagnose Einschlusskörperchen-Enzephalitis Dawson, Panenzephalitis Pctte-Döring und subakut sklerosierende Leukenzephalitis van Bogaert beschrieben wurden, hier zusam­ menfassend aufzuführen. Unter den zur Uveitis posterior (Tab. 11) zählenden Krankheitserregern sind Viren sehr selten. Für die SSPE glauben Landers und Klintworth [1971) als erste virusähn­ liche Strukturen in der menschlichen Netz­ haut nachgewiesen zu haben. Dagegen wur-

Tabelle II. Ätiologie der Uveitis posterior Protozoen Bakterien Pilze Parasiten Viren Unbekannt

Toxoplasmose, Amöbiasis, Giardia lainblia Tuberkulose, Syphilis, Brucellose Histoplasmose Zystizerkus, Toxocara filaria Herpes simplex hominis, «Masern» Sarcoidose, sympathische Ophthalmie

den für die menschliche Retina Herpes-simplex-hominis-Virus-Infektionen von PavanLangston und Brockhurst [1969], Minckler et al. [1976] und Cihis et al. [1978] zum ersten Male mit ausführlichen klinischen und histopathologischen (licht- und elektro­ nenmikroskopischen) Befunden beschrieben; eine Augenbeteiligung in Form von Retino­ chorioiditis bei SSPE wurde durch Bornho­ len und Richardson [1966], van Bogaert [1957], Otradovec [1963], Robb und Wal­ ters [1970], Nelson et al. [1971], Landers und Klintworth [1971] sowie Timm [1962], Damaske [1972] und andere beschrieben. Auf die toxoplasmoseähnlichen Fundusver­ änderungen hat Damaske [1972] zur Ver­ meidung von Fehldiagnosen hingewiesen. Die aus Angaben der Literatur und eige­ nen Ergebnissen bei SSPE gefundenen Au­ genveränderungen sind in Tabellen III und IV zusammengefasst. Augenveränderungen werden im Stadium II bei der SSPE in 3040% der Fälle diagnostiziert und laufen mit den neurologischen Symptomen parallel. Treten in Einzelfällen die chorioretinitischen Herde vor der neurologischen Symptomatik auf (z. B. eigener Fall Nr. 10 und Fall von Landers und Klintworth), dann kann der Augenarzt einen wichtigen Beitrag zur Dia­ gnose leisten. Neuritis nervi optici und tem­ porale Papillenblässe werden im Stadium II als direkter Befall des Nervus opticus bei

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ferner Angaben über gehäuftes Auftreten in den 60er Jahren sowie die Beobachtung, dass in den letzten Jahren, nach Einführung der Masernschutzimpfung, die Erkrankung abnimmt. Im EEG finden sich typische «Radema­ ker- Komplexe»(•burst-suppression patterns’). Da bis zum heutigen Zeitpunkt trotz verbes­ serter immunologischer Forschung und Kenntnis der Virusgenese keine Therapie bekannt ist, ist die Prognose immer noch ab­ solut infaust. Charakteristische Laboruntersuchungen sind positive Komplement- und Hämagglutinationsreaktion auf Masern in Serum und Liquor. Beweisend sind die Hämagglutina­ tionshemmungsreaktion (HHT) in Serum und Liquor gegen SSPE-Virus. Im Liquor sind neben normaler Zellzahl leicht erhöhtes Gesamteiweiss mit starker Gammaglobulin­ vermehrung (IgG-Fraktion) auffällig. Eine neuere zusammenfassende Darstel­ lung der Slow-Virus-Infektionen findet sich bei ter Meiden und Kotz [1978],

339

Tabelle III. Augenbefunde bei SSPE Zentrale fokale Chorioretinitis Periphere Chorioretinitis Papillenödem Atrophia nervi optici Temporale Papillenblässe Zentrale Amaurose Nystagmus Gesichtsfelddefekte Neuritis nervi optici Augenmuskclparesen

Tabelle IV. Häufigste Augenbefunde aus der Li­ teratur (SSPE) Zentrale fokale Chorioretinitis Periphere Chorioretinitis Papillenödem Atrophia nervi optici Temporale Papillenblässe

15 8 12 7 9

SSPE beobachtet, kortikale Blindheit und Stauungspapille erst im Finalstadium. Der direkte Befall der Retina durch Viren sollte eigentlich zur Diagnose Virus-Retinitis al­ lein führen. Wenn jedoch in vielen Arbeiten von Chorioretinitis gesprochen wird, so ent­ sprechen die in der Netzhaut beobachteten Herde mehr dem klinischen Befund. Obwohl Robb und Wallers [1970] unter 8 Patienten (4mal Chorioretinitis) bei 2 Patienten zu­ sätzlich positive serologische Reaktionen für eine Toxoplasmose fanden, besteht an dem direkten Eindringen von masernvirusähnli­ chen (‘measle-like') Erregern in die Netz­ hautstruktur [Landers und Klintworth, 1971] heute kein Zweifel. Uber einen direk­ ten Infektionsweg in die Retina bei Herpes­ simplex-Retinitis haben Minckler et eil. [1976], Pavan-Langston und Brockhurst |1969] und Cibis et al. [1978] eingehend

berichtet. Über tierexperimentelle Studien berichtete Kurz [ 1978] ausführlich. In Übereinstimmung zu den von Landers und Klintworth, Nelson et al., Robb und Wal­ ters beobachteten ophthalmoskopischen Fun­ dusveränderungen stehen im Stadium II der SSPE zu Beginn der Erkrankung chorioretinitische bzw. retinitische Veränderungen im Vordergrund: zentrales Ödem des hinte­ ren Augenpols; in der makulären bzw. paramakulären Region werden deutlich rötliche, am Rand leicht pigmentierte, rundliche re­ tinitische Herde beobachtet. Die retinitischen Veränderungen in der Netzhautperipherie sind seltener. Im Bereich der Sehnerven­ scheibe kommt es anfänglich zur Unschärfe des Papillenrandes. Die zentralen Fundus­ veränderungen können ein- und beidseitig sein. Optikusatrophie wird selten, Stauungs­ papille wird im Finalstadium gefunden. Da­ gegen werden weder Fundushämorrhagien noch Zellen im Glaskörper angetroffen. Lichtmikroskopisch fanden Landers und Klintworth [1971] in der Retina zerstreut liegende Ödemherde und klare zystoide Hohlräume in der äusseren plexiformen Schicht sowie Kernverschiebungen in der Schicht der Bipolaren, elektronenmikrosko­ pisch sahen sie intranukleäre eosinophile Einschlusskörperchen in der Makularegion, mikrotubuläre Strukturen, wahrscheinlich Viruspartikelchen. Nelson et al. [1971] fan­ den als erste in der Retina makuläre Ein­ schlusskörperchen (bei einem 10jährigen Mädchen, das im Stadium III an SSPE ver­ storben war). Daneben fanden sie chorioretinitische Atrophie in der Gegend der Ora serrata, im Optikus zarte Gliose und Atro­ phie. Frühere histologische Mitteilungen von Machula et al. 11954] und Timm [1962, 1965] beschreiben zusätzlich eine zircumskripte Retinaatrophie, Netzhautverdünnung

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Damaske/Diekmann

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Augenbefunde bei der subakut sklerosierenden Panenzephalitis

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mit fehlenden Ganglienzellen und Neuroepithelien: Einschlusskörperchen wurden von diesen Autoren nicht gefunden.

Eigene Ergebnisse (10 Patienten)

1 Frau Dr. Kiickell, Univ.-Kinderklinik Göttin­ gen. und Herrn Prof. Dr. V. ter Meuten, Würzburg, danken wir für die serologischen Untersuchungen.

Abb. 1. Fall 2 aus Tabelle VI: SSPE im Sta­ dium 11/111. LA: beginnende Stauungspapille.

Fall 2 Kind M„ Roman. Kam 4 Monate nach Krank­ heitsbeginn zur stationären Aufnahme (Einwei­ sungsdiagnose: medikamentös nicht beherrschbare Krampfanfälle). A ugenbefund Visus beidseits: zentrale Amaurose, bei cnzephalitischem Befall der Sehrinde (Area 17, Fissura calcarina). Fundusbefund: beidseits randunscharfe Papille; der Papillenrand ist beidseits leicht pro­ minent. Gefässe: vermehrt gestaut im Sinne einer beginnenden Stauungspapille (Abb 1)

Fall 4 Kind H.. Uwe-Michael, geh. 12. Juli 1968. Dia­ gnose: SSEP zu Beginn des Stadiums III. Augenbefund Fundus rechts wie links: Papille leicht hyperämisch. geringgradig randunscharf, rund. Zentraler Gefässeintritt. Venen deutlich vermehrt gefüllt und geschlängelt. Arteriolcn auffällig geschlängelt. Arterien stärker gefüllt; sehr rcflexreicher hinterer

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In Münster wurden in den Jahren 1971-1978 10 Kinder pädiatrisch und augenärztlich mit dem typischen klinischen Bild einer SSPE (Tab. V) be­ handelt. Die Einweisung dieser Kinder erfolgte dabei in der Kegel unter der Diagnose therapieresistente Krampfanfälle. Die im Alter von 4-10 Jahren be­ obachteten Kinder erkrankten in 8 Fällen in den Jahren 1971-1975, je 1 F.rkrankungsfall wurde 1976 und 1978 registriert. Mit Ausnahme von 2 Pa­ tienten (Fälle 1 und 9) waren sie im Aller bis zu 3 Jahren an Masern erkrankt. Im Fall 2 wird eine Masernerkrankung angenommen. In der Hälfte unserer Fälle kamen die Kinder im Stadium II nach Matthes zur Aufnahme, in den übrigen Fäl­ len zu Beginn des Stadiums III. Die sämtlich aus ländlicher Umgebung stammenden Kinder wiesen die folgenden, für die Diagnose wichtigen Sym­ ptome auf: Bei allen 10 Patienten fand sich im Liquor cerebrospinalis eine Erhöhung der Gammaglobu­ line (IgG-Fraktion). Mit Ausnahme des Falles 3 war das Gesamteiwciss deutlich erhöht (Normal­ werte: Zeitzahl bis 30/3. Gesamteiwciss bis 20 mg% und Gammaglobuline bis 10%). Bei allen Patienten war der AK-Titer gegen Ma­ sernvirus deutlich erhöht und erreichte mit 1:1024 seinen höchsten Titer. Die serologischen Untersu­ chungen auf SSPE-Viren im Serum und Liquor fielen bei allen Patienten pathologisch aus; bewei­ sende Titeranstiege fanden sich bei allen 10 Kin­ dern*. Bei allen Patienten fanden sich im EEG über­ einstimmend im Stadium 1I-1II typische «Rade­ maker-Komplexe». Die von uns in regelmässigen Augenkonsilien erhobenen Augenbefunde sollen anhand von 4 kasuistischen Mitteilungen im ein­ zelnen beschrieben werden (vgl. Tab. VI).1

Damaske/Diekmann

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Tabelle V. Klinische und ophthalmoskopische Befunde bei 10 an SSPE erkrankten Kindern aus den Jahren 1971 1978 der Universitäts-Kinderklinik Münster i.W. Fall Nr.

Patient

Alter Jahre

Beginn

Masern

Stadium EEG

Augen­ befund

Liquor

Serologie HHT

SSPE CF

NF12

1

6 R.B. $ 26.9.761

9/76

nein

II typ.

ohne

26/3 GE 24%

1:640

1:1000

1:10

2

M.R. 9 24.4.78

4

4/78

7

II typ.

Amaurose bds.

3/3 31 30.8%

1:640

1:1000

1:100

3

M.F.,

11 typ.

ohne

0/3 24 15.1%

1:32

1: 1000

1:10(X)

G.R., 9 9.11.71

9

8/71

ja

II typ.

Retinitis bds.

0/3 24

1:1 280

1:3200

1:800

10

1:1600

1:500

1:110

1 Aufnahme-Datum 2 CF = Cycoplasmatische Faktoren, NF = Nucleocapsid-Faktor

Fall 5 Kind V„ Georgios, geb. 29. Dezember 1965. Einweisungsdiagnose: Therapicresistente Krampf­ anfälle, SSPE Stadium II bis Beginn Stadium III.

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Augenpol. Der Wallreflex ist verbreitert. Kein Nachweis solitärer retinitischer oder choriorctinitischer Herde. Diagnose: Beginnende Stauungspapille im End­ stadium einer SSPE.

Augenbefunde bei der subakut sklcrosierenden Panenzephalitis

Liquor

Verlauf

Region

1:10 negativ

nach 3 4 Monaten Exitus

ländlich

1:64 1:10

entlassen

ländlich

1:8 1:16

entlassen

ländlich

1:256 1:32

nach 4 6 Wochen Exitus

ländlich

1:32 1:8

verlegt

ländlich

343

CF NF

ländlich

1:10 1:10

nach 1 Monat Exitus

ländlich

1:320 1:32

verlegt

ländlich

1:10 1:10

entlassen

ländlich

1:64 1:10

entlassen nach 8 Wochen

ländlich

A iigenbefund

Rechter Augenhintergrund: Papille vital, im Niveau der Netzhaut. Temporaler Pigmentkonus. Flache zentrale Exkavation. Arterien vermehrt ge­ schlängelt. Venen leicht vermehrt gefüllt. Makula:

feine staubförmige Pigmentierung. Deutlich abge­ schwächter Fovcolarreflex. Wallreflex infolge Ödem­ bildung verbreitert. Zirka nur '/■> PD unterhalb der Makula längsovalärer heller retinitischer Herd mit umgebender staubförmiger Pigmentierung. Keine Prominenz zur Peripherie hin. Keine atypischen Pigmentierungen. Linkes Auge: Gleicher Befund an Papillen und Makula wie rechts. Kein solitärer retinitischer Herd nachweisbar. Diagnose: Rechtes Auge: Augenbeteiligung bei SSPF. in Form eines solitären retinitischen Herdes oberhalb der Makula, Netzhautödem (Abb. 2).

Fall 10 Kind R„ Gisela, geh. 23. Februar 1963. Vorge­ schichte: Beginn der Erkrankung mit typischen Zeichen des Stadiums I im August 1971. Stationäre Aufnahme in der hiesigen Kinderklinik im Novem­ ber 1971.1966 Masern ohne Komplikationen, Wind­ pocken. Schutzimpfungen ohne Komplikationen. Im Mai 1971 stellte die Klassenlchrerin psychische Veränderungen fest. 8 Wochen später Konzentra­ tionsschwäche. Verwirrtheitszustände. Leistungsab­ fall, zunehmende Wesensveränderung. Zurückver-

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1: 128 1:32

Abb. 2. Fall 5. RA: Makulaödem. Unterhalb des verbreiterten Wallreflcxes aktiver retinitischer Herd.

Damaske/Diekmann

344 a

b

[L u

5

Abb.3. Fall 10. a RA: makulärer und paramakulärer. dicht pigmentierter Narbenherd, b LA: zentrale retinitische Herde (Foto: II. November 1971) . e LA: Frischer retinitischer Saleilitenherd temporal unterhalb der Makula (Foto: 10. Mär/ 1972) .

setzung in die 2. Klasse. Oktober 1971: Generali­ sierte Krämpfe. Einweisung in die Poliklinik der hiesigen Kinderklinik. Anfang November 1971 Auf­ nahme unter Verdachtsdiagnose: subakut sklerosierende Leukencephalitis (van Bogaert), DD: To­ xoplasmose. Augenbefund Oktober 1971: Vordere Abschnitte beidseits regelrecht. Lider intakt. Keine Blickparese. Seh­ schärfe RA 0.3: LA 0.4 Kinderbilder Gl. b. n. Kei­ ne Zellen in Vorderkammer-Wasser und Glaskör­ per.

Augenhintergrund rechts: Typische chorioretinitische Herde im Bereich der Netzhautmitte mit reflexreichem Augenhintergrund (Abb. 3a). Maku­ la: Runder retinitischer Herd mit dichter sekundä­ rer Pigmentierung am Rand. Satellitenherd mit kleiner Pigmentierung in der Nähe des unteren Gefässbogens unterhalb der Makula. Augenhintergrund links: Auffälliges Ödem in der Makula mit Verbreiterung des Wallreflexes, mit benachbart gelegenen vier runden, hellroten chorioretinitischen Narbenherden. Papillen und Gefässe beidseits unauffällig, ln der Peripherie keine atypischen Pigmentierungen.

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c

Augenbefunde bei der subakut sklerosierenden Panenzephalitis

Zerebro-makuläre Degeneration Hereditäre Makuladegeneration Toxoplasmosis acquisita Histoplasmose Hypertensive Retinopathie Neuroretinitis nach Masern, Röteln u.a. Neuroretinitis nach Lues. Malaria, akuter Enzephalitis

Kontrolle des Augenhintergrundes Mitte No­ vember 1971: Keine Befundänderung (Abb. 3 b). Kontrolluntersuchung am 10. März 1972: Am linken Augenhintergrund zeigt sich temporal un­ terhalb der Makula ein frischer chorioretinitischer Herd, der cotton-wool-ähnlich imponiert (Abb. 3 c). Das Ödem in der Netzhautmitte hat zugenommen. Netzhautbefund rechts unverändert, ln der Makula auch hier am oberen Gefässbogen ein kleiner fri­ scher retinitischer Herd. Wegen der schweren neu­ rologischen Symptomatik konnte eine Visusprü­ fung nicht vorgenommen werden. Zusätzlich fiel eine Blickparese nach links auf. Die wegen der chorioretinitischen Veränderun­ gen am Augenhintergrund vorgenommenen serolo­ gischen Untersuchungen auf Toxoplasmose erga­ ben wie im Oktober 1971. Toxoplasmose KBR 1:5 positiv, Sabin-Feldman-Test 1:1000 positiv. We­ gen der hohen positiven Titer wurde augenärztlichcrseits zuerst die Diagnose Toxoplasmosis acqui­ sita gestellt. Im vorliegenden Eall dürfte es sich in Analogie zu den von Robb mul Walters [19701 beschriebenen Fällen um ein gleichzeitiges Vor­ kommen von erhöhten AK-Titern gegen Toxoplas­ mose und Masernvirus handeln. Die Diagnose SSPE im Stadium 11 wurde durch die erhöhten Masernantikörpertiter bzw. SSPE-Virus-Titer im Serum und Liquor bestätigt. Epikrise Typischer klinischer Krankheitsvcrlauf für SSPE. mit klassischen Laborbefunden. Kombina­ tion mit positiven Toxoplasmose-Titern, ln diesem Fall ging der Augenbefund der neurologischen

Symptomatik voraus und stützte die klinische Dia­ gnose. Dieser Fall unterstreicht eindeutig die Forde­ rung, dass in Fällen unklarer retinaler Läsionen ein Antikörper-Titer gegen Masernvirus vorzuneh­ men ist.

Zusammenfassung Über 10 Kinder, die an subakut sklerosierender Panenzephalitis (SSPE) erkrankt waren, wer­ den typische klinische und laborchemische Befunde und Augenbefunde mitgeteilt. Die Augenbefunde entsprechen im wesentlichen den in der Literatur mitgeteilten Läsionen und zeigen für den Einzel­ fall, dass die Augensymptomatik der klinischen Symptomatik vorausgehen kann. Der Augenarzt kann für die Diagnose einen wichtigen Beitrag lei­ sten. Die relinitischen Netzhautveränderungen kön­ nen Ähnlichkeit mit den Nctzhautbefunden bei To­ xoplasmose haben. Positive Antikörper-Titer ge­ gen Toxoplasmose, die parallel mit den typischen Masern- oder SSPE-Virus-Antikörper-Titern auftreten können, führen gelegentlich zur klinischen Fehldiagnose «Toxoplasmosis acquisita». In allen 10 zur Beobachtung kommenden Fällen wurde die Diagnose SSPE aufgrund der typischen klinischen und laborchemischen Ergebnisse bestätigt. In kei­ nem Fall wurde die Einwilligung zur Autopsie er­ reicht. Die Genese der Erkrankung SSPE wird im Rahmen eines genetischen Defektes, einer Auto­ immunreaktion oder als Folge einer masernvirus­ ähnlichen Infektion diskutiert. Unklare retinale Läsionen sollten durch Erhebung von AntikörperTitern gegen «Masernvirus» bzw. SSPE-Virus ab­ geklärt werden.

Summary A report is given on 10 children with subacute sclerosing panencephalitis (SSPE) whose clinical illness began with visual or mental impairment. All patients showed typical clinical and neurologic features and various ophthalmological manifesta­ tions. The latter correspond to lesions generally dealt with in a number of reports and demonstrate

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Tabelle VI. Klinische Diffcrcntialdiagnose der Augenvcränderungen bei SSPE

345

Damaske/Diekmann

346

Résume Les résultats typiques d'examens cliniques, ocu­ laires et de laboratoire faits chez 10 enfants at­ teints de panencéphalite sclérosante subaiguë (SSPE) sont rapportés: les lésions oculaires correspondent essentiellement à celles relevées dans la littérature et montrent que dans certains cas les symptômes oculaires peuvent précéder les symptômes cliniques, l'oculiste peut donc apporter une contribution im­ portante au diagnostic. Les modifications inflam­ matoires de la rétine peuvent ressembler aux lé­ sions rétiniennes de la toxoplasmose et la présence d'anticorps anti-toxoplasmiques, qui peut aller de pair avec celle d'anticorps du virus de la rougeole ou de la SSPE, conduit quelquefois au diagnostic clinique erroné de «toxoplasmose acquise». Dans les 10 cas étudiés, le diagnostic de SSPE a été confirmé par les résultats typiques des examens cliniques et de laboratoire. L’autorisation d'autopsier n'a été obtenue dans aucun cas. La pathogénèse de la SSPE est discutée dans le cadre d'un désordre génétique, d'une réaction d'auto-immunité ou de la suite d'une infection analogue à celle produite par le virus de la rougeole. Des lésions rétiniennes atypiques devraient être identifiées en recherchant les anticorps du virus de la rougeole ou de la SSPE.

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for the individual case that ophthalniological mani­ festation can precede clinical manifestation. The ophthalmologist can give an important contribu­ tion to the diagnosis. In some cases the focal reti­ nal lesions can be similar to retinal lesions in the case of toxoplasmosis. A positive antibody titer for toxoplasmosis, which can occur parallel with the typical measles or SSPE virus antibody titer, occasionally causes the misdiagnosis of toxoplas­ mosis acquisita. In the 10 cases reported on, the diagnosis SSPE was confirmed on the basis of the typical clinical features and elevated measles virus antibody titer. In no case the permission for autop­ sy was gained. The genesis of SSPE is discussed with reference to a genetic defect, to an autoim­ mune reaction, or as a result of a measles virus­ like infection. In the diagnosis, primarily unclear •focal retinal lesions' should be at any rate in­ vestigated with respect to measles or SSPE virus antibody titer.

Augenbefunde bei der subakul sklerosierenden Panenzephalitis

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Priv.-Doz. Dr. E. Damaske, Oberarzt der Universitäts-Augenklinik, Westring 15. D-4400 Münster i. W. (BRD)

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