D)J DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT
Nr. 51 Jahrgang 104
Stuttgart, 21. Dezember 1979
Dtsch. med. Wschr. 104 l979), 1791-1793 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart
Die extrakorporale Fertilisierung in vitro, auch schlecht als »Embryo-Ubertragung« oder »Testtubenbaby« bezeichnet, hat nach der Geburt des ersten Retortenbabys, Louise Brown, in der Fach- und Tagespresse ebenso wie in der übrigen Öffentlichkeit engagierte Diskussionen hervorgerufen, die bis in weltanschauliche Bereiche hineingingen. Worum es sich handelt und was geschah, ist bekannt: Der Gynäkologe P. Steptoe und der Genetiker R. G. Edwards haben eine Methode entwickelt, mit der es möglich ist, unfruchtbaren Frauen bei fehlenden oder verschlossenen Eileitern doch noch zur gewünschten
Gravidität zu verhelfen (1, 2) Anstatt wie früher ein Kind zu adoptieren, können sie jetzt selbst eine Frucht, mit dem Sperma ihres Mannes gezeugt, normal austragen und zur Welt bringen. Bisher sind vier Schwangerschaften und die Geburt zweier Kinder auf diese Weise erreicht worden. Voraussetzungen für die extrakorporale Befruchtung in vitro sind: verheiratete Patientin mit verschlossenen oder feh-
regelrecht erhalten. Die Stimulation der Follikel durch Hormonbehandlung wurde daher in letzter Zeit wieder verlassen, zumindest bei Frauen mit normalem Zyklus. Man ist jetzt dazu übergegangen, den natürlichen Zyklus der Frau durch Hormonbestimmungen, insbesondere der Gonadotropine (LH), zu verfolgen, so daß man die LHSpitze, die der Ovulation kurzfristig vorangeht, genau bestimmen kann. Einige Stunden nach einem deutlichen LH-Anstieg wird dann die Laparoskopie vorgenommen und die präovulatorische Oozyte durch Ansaugen aus dem Follikel mit einer feinen Kanüle (0,8 mm) gewonnen. Sobald man die Oozyte im Invert-Mikroskop aufgefunden hat, wird sie in einen Tropfen geeigneten Nährmediums (Tyrode-Lösung, Brinster-3-Medium) überführt. Danach werden frisch gewonnene und gewaschene Spermatozyten des Ehemannes hinzugegeben. Erfolgt eine Befruchtung, so sind die beiden Pronuclei im befruchteten Ei nach sechs Stunden erkennbar. Zu dieser
Zeit wird dann das Ei in ein anderes Kulturmedium lenden Eileitern, aber gesunder Gebärmutter, sowie übertragen, in dem es sich weiter teilen kann. Steptoe
Fruchtbarkeit des Ehemanns. Methodisch geht man folgendermaßen vor: Im ersten Schritt werden ein oder mehrere Oozyten, also reife Eier, durch Laparoskopie und Punktion aus den Ovarien der Patientinnen im Stadium unmittelbar vor dem spontanen Eisprung gewonnen. Um ein optimales Follikelwachstum und und eine bestmögliche Reifung der Eier zu erzielen, werden die Patientinnen mitGonadotropinen (HMG und HCG) individuell vorbehandelt. Hierdurch werden
mehrere Follikel in den Ovarien stimuliert, die sich gleichzeitig entwickeln, so daß auch mehrere präovula-
torische Oozyten etwa 30-35 Stunden nach der Gabe von HCG gewonnen werden können. Bei der Laparoskopie müssen oft Verwachsungen überwunden werden, die als Folge genitaler Infekte den Verschluß der Eierstöcke bewirkt haben oder die bei vorausgegangener operativer Entfernung der Eileiter entstanden sind. Die Hormonbehandlung hat die unerwünschte Nebenwirkung, daß der Östrogenspiegel relativ hoch liegt und dadurch
die Corpus-luteum-Phase etwas verkürzt wird. Unter solchen Bedingungen findet die Zygote bei der Implantierung oft ungünstige hormonale Verhältnisse und ein schlecht vorbereitetes Endometrium vor: Eine Schwangerschaft tritt deshalb nicht ein oder bleibt zumindest nicht 0012-0472/79 1221 - 1791
und Edwards benutzten dabei als Kulturmedium Ham's F10 unter Zusatz von Pyruvat und des eigenen Serums der Patientin. Das künstlich befruchtete Ei entwickelt sich in der Retorte langsamer als ein natürlich befruchtetes Ei im Eileiter und der Gebärmutter der Frau (105 gegen 145 Stunden). Der Transplantationserfolg hängt in besonderem Maße von der Übereinstimmung (Synchronizität) zwischen dem postovulatorischen Alter der befruchteten Eizelle und dem postovulatorischen Zustand des Endometriums ab. Die Überlebenschance steigt mit dem Grade der Synchronizität. Bei günstigen Kultur-
bedingungen rechnet man damit, daß die Hälfte der Embryonen das 2-Zellen-Stadium nach etwa sechs Stunden erreichen. Das 8-Zellen-Stadium wird nach drei Tagen und das frühe Blastozystenstadium nach etwa vie:einhaib Tagen erreicht. Man weiß bis heute noch nicht ganz genau, welches das beste Entwicklungsstadium für
die Einpfianzung in den Uterus ist. Die vier kürzlich eingetretenen Schwangerschaften waren alle im 8- bis 16-
Zellen-Stadium übertragen worden. Die Einpflanzung erfolgt mit einer kleinen Kanüle durch die Cervix in den Uterusfundus, und zwar ohne Anästhesie. Dabei wird sorgfältig darauf geachtet, daß jede unnötige psychische Belastung oder auch Schmerzreaktion bei der Patientin
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Befruchtung im Reagenzglas
Befruchtung im Reagenzglas
vermieden wird. Die günstigste Tageszeit für eine Jbertragung scheint der späte Abend oder die Nacht zu sein. Entstandene Schwangerschaften werden sehr sorgfältig überwacht, insbesondere durch Hormonuntersuchungen, Ultraschall, später auch Amniozentese. Die Vorteile dieses neuen Verfahrens der künstlichen Befruchtung und Einpflanzung liegen auf der' Hand. Es
gibt sehr viele Frauen mit verschlossenen oder doch schwer veränderten Tuben, wie auch solche, deren Eileiter nach Entzündungen oder Extrauteringraviditäten entfernt werden mußten. Sie alle hatten bisher keine Hoffnung auf eine Schwangerschaft. Die Zahl dieser Frauen wird in Westdeutschland auf über loo 000 geschätzt; allerdings besteht nur bei einem Teil Kinderwunsch. Jeder, der sich mit Sterilitätsbehandlung beschäftigt und solche Patientinnen kennt, weiß, wie groß der Wunsch nach einem Kind ist und wie glücklich man solche Patientinnen allein durch die Hoffnung auf eine Schwangerschaft oder gar durch die Erfüllung dieses Wunsches machen kann; dies um so mehr, als die Adop-
tion Neugeborener aufgrund des S 218 und anderer Umstände kaum noch möglich ist. In Norfolk, Virginia, wird Anfang 1980 eine Spezial-
klinik aus Stiftungsgeldern entstehen, in der Steptoe seine Tätigkeit in größerem Rahmen fortsetzen wird, als
das in England möglich war. Für diese Klinik gibt es bereits über 500 Voranmeldungen aus aller Welt. In Deutschland wird bereits seit einiger Zeit an mehreren Frauenkliniken (unter anderem in Kiel und Lübeck) am Problem der extrakorporalen Befruchtung und Implantation gearbeitet, so daß mit konkreten Cbertragungen und Erfolgen in nicht zu ferner Zukunft gerechnet werden kann. Ein deutscher Kongreß über Fragen der extrakorporalen Befruchtung und Implantation fand übrigens
bereits im Februar 1976 in Hannover statt (3). Inzwischen wurde bekannt, daß auch in Deutschland ein »Retortenbaby « heranwächst.
Gibt es bei dem Verfahren Risiken? Im Tierversuch und in der Veterinärmedizin werden solche Untersuchungen und Befruchtungsverfahren ja bereits seit langem durchgeführt, und zwar an Zehntausenden von Mäusen, Kaninchen, Schweinen, Schafen, Rindern und Pferden. Diese Möglichkeit wird in großem Maßstab einge-
setzt, um wertvolle Nutztiere, beispielsweise mit verbesserter Fleischqualität, gesteigertem Milchertrag oder größerer Resistenz gegen Krankheiten, zu züchten. Es kommt in der überwiegenden Mehrzahl zur Austragung und zum normalen Werfen der Früchte. Einige Tausend solcher Versuche und Züchtungen beruhten auf In-vitroBefruchtungen und uteriner Transplantation. Anomalien
oder Fehibildungen der Jungtiere als Folge dieser Behandlung wurden nicht beobachtet. Bei In-vitro-Fertilisationen können Eier gelegentlich von zwei Sperrnatozoen befruchtet werden. Hierdurch können triploide Embryonen mit drei Chromosomensätzen entstehen. Diese gehen jedoch unweigerlich in der frühen Schwangerschaft zugrunde. Da etwa 1,5% der befruchteten Eier auch bei normaler Befruchtung eine Triploidie zeigen, ist es schwierig zu sagen, ob dasAuftreten vonTriploidie alleine auf die In-vitro-Fertilisierung zurückzuführen ist.
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Die Erfolgsrate der In-vitro-Befruchtung beim Menschen ist noch niedrig. Wie bekannt, gehen ja ohnehin
knapp die Hälfte aller befruchteten Eier auch nach natürlicher Konzeption verloren. Es kommt hinzu, daß die meisten Patientinnen, die eine In-vitro-Fertilisierung wünschen, über 30 Jahre alt sind. Die Chance für eine normale Schwangerschaft ist daher ohnehin niedriger zu veranschlagen und das Risiko von Mißbildungen sowieso leicht erhöht. Nach den Erfahrungen in Tierversuchen
muß eine weitere Verlustrate von fast 50% aus rein technischen Gründen angenommen werden. Es ist daher
unwahrscheinlich, daß eine Fertilisation in vitro mit Ubertragung des befruchteten Ejes in den Uterus eine höhere Erfolgsrate als 4: 1 haben könnte. Die Patientin muß wissen, daß die Erfolgschance noch gering ist und daß lange noch nicht alle Probleme gelöst sind. Die Enttäuschung kann sonst sehr groß sein. Die Laparoskopie mit Punktion kann durchaus mehrfach wiederholt werden, ebenso der Versuch der Implantation. Was die Kosten betrifft, so muß man sagen, daß die gesamte Technik relativ einfach ist und keine sehr aufwendige, teure Ausrüstung erfordert. Wenn das Verf ahren jedoch erfolgreich durchgeführt werden soll, so bedarf es in den betreffenden Kliniken oder Instituten doch einer umfangreichen Vorarbeit und eines hohen operativen Geschicks. Siebentägige Bemühungen des Teams rund um die Uhr sind erforderlich. Ferner müssen umfangreiche Kenntnisse über Endokrinologie und Sterilitätsbehandlung' vorhanden sein sowie die Möglichkeit, Kulturen unter den erforderlichen Bedingungen zu betreiben. Ich würde meinen, daß der letzte Punkt dabei am kritischsten und am wichtigsten ist. Insbesondere sind eine gute Mannschaft und eine echte interdisziplinäre Zusammenarbeit von großer Bedeutung. Das Gelingen solcher Fertilisationen und der Ubertragung befruchteter Eier hängt hauptsächlich von der Zusammenarbeit hochqualifizierter Experten ab. Was die moralische Seite angeht, so ist mein persönlicher Standpunkt, daß die Beurteilung der Erlaubtheit solcher Eingriffe von der Motivation auszugehen hat, aus der heraus der Eingriff vorgenommen wird. ist es möglich, Frauen oder Paaren, die sich ein Kind wünschen, mit diesem Verfahren zu helfen und ihnen den Wunsch nach einem eigenen, sehnlich erwünschten Kind zu erfüllen, so meine ich, können hier mehr formalistische moralische Erwägungen nicht anerkannt werden. Ein Mißbrauch solcher Methoden scheint mir keine große Gefahr. Sicherlich wird aber auch einmal die Frage der heterologen Befruchtung mit Spendersamen auftauchen. Theoretisch wäre es auch denkbar, daß fremde Oozyten bei einer Frau eingepflanzt werden, die keine eigenen Oozyten hat. Schließlich wäre es denkbar, daß eine befruchtete Oozyte eingepflanzt wird bei einer Frau, die dieses Kind nicht selber haben und aufziehen will, sondern die Schwangerschaft für eine andere Frau austrägt. Hierfür erscheinen mir aber die bereits bestehenden Normen der ärztlichen Ethik, wie auch die schon
vorhandenen Gesetze des Zivil- und des Strafrechts durchaus ausreichend. Eine Kontrolle ist auch schon dadurch gegeben, daß bei Fertilisierung und Ei-Ubertra-
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gung immer mehrere Experten gemeinsam zusammenarbeiten müssen. Sicherlich wird es dabei auch eines Tages einmal eine mißgebildete Frucht geben. Damit es
handlung, der meines Erachtens durchaus die Verleihung eines Nobeipreises für Medizin an Steptoe und Edwards rechtfertigen könnte.
hier nicht etwa zu Strafprozessen oder zu Regreßansprüchen kommt, müssen die Patientinnen über Mög-
Literatur
der Übertragung der Zygote in den Uterus für einen großen Fortschritt auf dem Gebiete der Sterilitätsbe-
Editorial: Fertilisation in vitro. Brit. med. J. 197911, 362.
Steptoe, I'. C., R. G. Edwards: Birth after the reimplantation of a
(3) Tagung der Deutschen Gesellschaft zum Studium der Fertilität und Sterilität: Extrakorporale Befruchtung und Implantation, Hannover 1976.
human embryo. Lancet 1978/1!, 366.
Prof. Dr. Ch. Lauritzen Universitäts-Frauenklinik 7900 Ulm, Prittwitzstr. 43
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lichkeiten und Risiken der Methode bis ins letzte aufgeklärt werden; eine besonders sorgfältige Dokumentation der Aufklärung und der Einwilligung der Patientin und ihres Partners ist notwendig. Ich halte die Möglichkeit der Fertilisation in vitro und