46

Originalarbeit

Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen beim Pistentourengehen – eine Pilotstudie

Autoren

G. Ruedl, E. Pocecco, M. Kopp, M. Burtscher

Institut

Institut für Sportwissenschaft Innsbruck, Innsbruck, Österreich

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

Abstract

"

!

!

Hintergrund: Das Skitourengehen auf Skipisten (Pistentourengehen) hat in den letzten Jahren in Österreich enorm an Beliebtheit gewonnen. Der Aufstieg am Rand der Piste und die Abfahrt auf der Piste bergen jedoch auch ein gewisses Verletzungsrisiko. Entsprechend war das Ziel dieser Pilotstudie, Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen sowie potenzielle Risikofaktoren beim Pistentourengehen zu erheben. Methoden: Im März und April 2014 wurden Pistentourengeher an den Talstationen von 4 Österreichischen Skigebieten anhand eines standardisierten Fragebogens interviewt. Die Befragungen fanden sowohl wochentags als auch am Wochenende zwischen 07.30 und 20.45 Uhr statt. Ergebnisse: Insgesamt wurden 451 Personen (60,1 % Männer) mit einem durchschnittlichen Alter von 39,3 ± 14,4 Jahren, die ihre Sportart an durchschnittlich 20,6 ± 16,0 Tagen pro Saison bevorzugt mit einem Partner (48 %) und untertags (51 %) ausüben, befragt. Die Skihelmtragequote lag bei 60 %. Gesamt gaben 57 Personen (12,6 %) an, sich schon einmal so schwer beim Pistentourengehen verletzt zu haben, dass sie ärztlich behandelt werden mussten. Dies entspricht einer Verletzungsrate von rund 6 Verletzungen pro 1000 Pistentouren. Hauptunfallursache ist der Einzelsturz (78 %), gefolgt von der Personenkollision (15 %). Mit 36 % war das Kniegelenk am häufigsten von Verletzungen betroffen. Pistentourengeher, die sich schon einmal verletzt haben, tragen häufiger einen Rückenprotektor, stürzen öfter während der Abfahrt, verzichten weniger oft auf Alkohol und hören häufiger Musik während der Abfahrt. Schlussfolgerung: Basierend auf den Ergebnissen dieser Studie wird empfohlen, auf den Konsum von Alkohol und auf das Musikhören während der Abfahrt zu verzichten, um das Verletzungsrisiko beim Pistentourengehen möglichst gering zu halten.

Introduction: Ski touring along ski slopes (slope touring) increased in recent years on Austrian ski slopes. However, ascending on the border of the slope and skiing downhill on the slope might be associated with a certain injury risk. Thus, the aim of this pilot study was to evaluate frequencies of injuries, causes of accidents and potential risk factors during slope touring. Methods: Slope-tourers were interviewed from March to April 2014 at the bottom of 4 Austrian ski areas. Interviews were conducted during the week and at the weekend from 7.30 a. m. to 8.45 p. m. Results: A total of 451 slope-tourers (60.1 % males) with a mean age of 39.3 ± 14.4 years were interviewed. Interviewed persons reported that they perform about 20.6 ± 16.0 slope tours per season mainly with a partner (48 %) and during the day (51 %). Ski helmet use was 60 %. A total of 57 persons (12.6 %) reported that they suffered at least once from an injury during slope touring needing medical care. This corresponds to a rate of 6 injuries per 1000 slope tours. Main injury causes were a fall (78 %) and a collision with another person (15 %) and the main injured body part was the knee (36 %). Slope-tourers with an injury were wearing more often back protectors, and were falling more often during downhill skiing, and were abstaining less often from alcohol and were listening more often to music during downhill skiing compared to slope-tourers without an injury. Conclusion: Based on the findings of this pilot study we recommend abstaining from alcohol and not listening to music during downhill skiing to reduce the injury risk during slope touring.

● Skitouren ● Skipiste ● Pistentouren ● Skilauf ● Skiverletzung ● Risikofaktoren " " " " "

Key words

● ski touring ● ski slope ● slope touring ● skiing ● ski injury ● risk factors " " " " " "

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1399181 Sportverl Sportschad 2015; 29: 46–50 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0932-0555 Korrespondenzadresse Dr. Gerhard Ruedl, PD Institut für Sportwissenschaft, Universität Innsbruck Fürstenweg 185 6020 Innsbruck Österreich [email protected]

Ruedl G et al. Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen … Sportverl Sportschad 2015; 29: 46–50

Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt.

Frequencies of Injuries and Causes of Accidents During Ski Touring on Ski Slopes – A Pilot Study

Einleitung !

Das Skitourengehen auf Skipisten (Pistentourengehen) hat laut Österreichischem Alpenverein (ÖAV) in den letzten Jahren enorm an Beliebtheit gewonnen [1]. Von den ca. 700 000 Skitourengehern in Österreich ist eine geschätzte Gruppe von 80 000 Tourengehern regelmäßig auf den österreichischen Skipisten unterwegs [1]. Gründe dafür liegen möglicherweise in der zunehmenden Gesundheitsorientierung der Gesellschaft, in guten und sicheren Schneebedingungen auf den Skipisten sowie im geringeren Zeitaufwand im Vergleich zu Touren im Hochgebirge [2 – 4]. Außerdem ist es möglich, auch noch abends nach der Arbeit eine Pistentour zu unternehmen [3]. Entsprechend wurde in einer Online-Befragung von 520 Personen festgestellt, dass bei den Motiven für das Pistentourengehen „Sport und Bewegung“, „Gesundheitsförderung“, „Erholung“ und „nach der Arbeit auspowern“ dominieren [3]. Im Vergleich zu stagnierenden Absatzzahlen bei Alpinski und Snowboards stieg der Absatz an Tourenski in Österreich in den letzten Jahren nicht zuletzt dank der Pistentourengeher kontinuierlich an [5]. Neben allfälligen positiven Aspekten scheint es aber ein gewisses Konfliktpotenzial z. B. mit Skiliftbetreibern zu geben, sodass auch rechtliche Aspekte des Pistentourengehens in jüngerer Zeit mehr in den Fokus rücken [2]. So kann es beim Aufstieg auf der Skipiste an unübersichtlichen oder engen Passagen zu Kollisionen mit Skifahrern kommen oder die durch abendliche Abfahrten gefrorenen Spuren auf der frisch präparierten Piste können am nächsten Tag zu Hindernissen für Skifahrer werden [4]. Ebenso kann die Pistenpräparierung mit einer Seilwinde eine tödliche Gefahr für den bei Nacht abfahrenden Pistentourengeher bedeuten [4]. Für den Großraum Innsbruck wurde daher ein Lösungsmodell erarbeitet, bei dem an jedem Abend unter der Woche ein anderes Skigebiet länger für Tourengeher offen hat, d. h. die Skipisten werden im jeweiligen Skigebiet erst ab 22 Uhr präpariert [4]. Zudem erstellte das Österreichische Kuratorium für Alpine Sicherheit in Zusammenarbeit mit dem Land Tirol, den Seilbahnbetreibern und allen alpinen Institutionen 10 Empfehlungen für das Pistentourengehen, um Unfälle und Konflikte möglichst zu vermeiden [6]. Keine Daten liegen unseres Wissens bisher über Verletzungshäufigkeit, Unfallursachen, Verletzungslokalisationen und potenzielle Risikofaktoren wie z. B. Alkoholkonsum oder Verwendung von Schutzausrüstung beim Pistentourengehen vor. In Anbetracht dessen, dass solche Daten für eine objektive Nutzen-Risiko-Abwägung von großer Bedeutung sind, war das Ziel dieser Pilotstudie, Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen sowie potenzielle Risikofaktoren beim Pistentourengehen zu erheben.

Methodik !

Im März und April 2014 wurden Pistentourengeher an den Talstationen von 4 Skigebieten in der näheren Umgebung von Innsbruck anhand eines standardisierten Fragebogens interviewt. Die Befragungen fanden sowohl wochentags als auch am Wochenende zwischen 07.30 und 20.45 Uhr statt. Dabei wurden Pistentourengeher ab 16 Jahren befragt. Eine Befragung dauerte zwischen 3 und 5 Minuten. Der Fragebogen beinhaltete neben demografischen Fragen (Geschlecht, Alter, Herkunft) u. a. Fragen nach der durchschnittlichen Häufigkeit von Pistentouren pro Woche bzw. pro Saison, nach der bevorzugten Tageszeit (untertags, abends, gleichermaßen) bzw.

dem bevorzugten Wochentag (unter der Woche, am Wochenende, gleichermaßen), nach der üblichen Gruppengröße (alleine, zu zweit, in Gruppen ab 3 Personen, mit dem Hund) und nach möglichen Motiven für das Pistentourengehen. Zudem wurde erfasst, ob beim Aufstieg bzw. bei der Abfahrt Musik gehört wird (immer, meistens, selten, nie). Weitere Fragen befassten sich mit dem Skikönnen (Anfänger, leicht Fortgeschritten, Fortgeschritten, Experte) in Anlehnung an Ruedl et al. [7], dem Fahrverhalten (eher vorsichtig, eher risikofreudig) in Anlehnung an Ruedl et al. [8], der verwendeten Schutzausrüstung (Skihelm, Skibrille, Rückenprotektor, Handgelenksschützer, keine, andere), der Sichtausrüstung beim abendlichen Pistentourengehen (keine, Stirnlampe, Taschenlampe, andere), der durchschnittlichen Anzahl der Stürze pro Abfahrt (nie, 1 ×, > 1 ×) und der Häufigkeit von Alkoholkonsum beim Pistentourengehen (immer, meistens, selten, nie, keine Antwort). Im letzten Teil des Fragebogens wurden die Personen gefragt, ob sie sich beim Pistentourengehen jemals so schwer verletzt haben, dass sie ärztlich behandelt werden mussten? Im Falle einer Verletzung wurde sodann nach der betroffenen Körperregion (Unterschenkel, Knie, Oberschenkel, Becken, Rumpf, Schulter/Rücken, Arm, Kopf, andere) bzw. nach der Unfallursache (Sturz nach Fahrfehler, Sturz aufgrund schlechter Pistenverhältnisse, Sturz aufgrund schlechter Sichtverhältnisse, Personenkollision, Kollision mit einem Gegenstand, andere) gefragt. Die vorliegende Studie wurde in Übereinstimmung mit den ethischen Standards der Deklaration von Helsinki aus dem Jahr 2013 durchgeführt. Zudem gaben die Pistentourengeher ihr schriftliches Einverständnis zur Befragung.

Statistik !

Die Daten sind als Mittelwerte und Standardabweichungen bzw. als absolute und relative Häufigkeiten dargestellt. Die Daten von Personen, die sich beim Pistentourengehen schon einmal verletzt hatten, wurden mit unverletzten Pistentourengehern entsprechend mittels Mann-Withney-U-Tests bzw. Chi-Quadrat-Tests verglichen. Aus der Variable „Alkoholkonsum“ mit 5 Antwortmöglichkeiten (immer, meistens, selten, nie, keine Antwort) wurde zusätzlich eine dichotome Variable „Kein Alkoholkonsum“ (ja, nein) gebildet. P-Werte < 0,05 werden als statistisch signifikant angesehen.

Ergebnisse !

Von gesamt 504 angesprochenen Tourengehern gaben 451 Personen (60,1 % Männer) mit einem durchschnittlichen Alter von 39,3 ± 14,4 Jahren ihr Einverständnis zur Befragung (Compliance: 89,5 %). Die Pistentourengeher dieser Studie üben ihre Sportart an durchschnittlich 20,6 ± 16,0 Tagen (Range: 1 – 135) pro Saison bevorzugt untertags (51 %) und in Gruppen zu zweit (48 %) aus. Insgesamt gaben 57 Personen (12,6 %) an, sich schon einmal so schwer beim Pistentourengehen verletzt zu haben, dass sie ärzt" Tab. 1 ist die Häufigkeitslich behandelt werden mussten. In ● verteilung der Unfallursachen und der verletzten Körperregionen dargestellt. Es zeigt sich, dass der selbstverschuldete Sturz nach einem Fahrfehler mit 38,2 % am häufigsten als Verletzungsursache angegeben wurde und dass das Kniegelenk mit 35,7 % am " Tab. 1). häufigsten von einer Verletzung betroffen war (●

Ruedl G et al. Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen … Sportverl Sportschad 2015; 29: 46–50

47

Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt.

Originalarbeit

Originalarbeit

Tab. 1 Häufigkeitsverteilung der Unfallursachen und verletzten Körperregionen beim Pistentourengehen.

[%] Unfallursachen (n = 55) Sturz nach Fahrfehler

38,2

Sturz aufgrund schlechter Pistenverhältnisse

27,3

Sturz aufgrund schlechter Sichtverhältnisse

12,7

Personenkollision

14,5

Kollision mit einem Gegenstand

5,5

andere

1,8

verletzte Körperregionen (n = 56) Unterschenkel Knie Oberschenkel

8,9 35,7 5,4

Becken

1,8

Rumpf

1,8

Schulter/Rücken

14,3

Arm

16,1

Kopf

14,3

andere

1,8

" Tab. 2 sind demografische Daten von Pistentourengehern In ● mit und ohne Verletzungen dargestellt. Signifikante Unterschiede zeigen sich beim Musikhören während der Abfahrt, beim Tragen eines Rückenprotektors, bei der Sturzhäufigkeit pro Abfahrt " Tab. 2). Unter den sowie beim Alkoholkonsum auf der Hütte (● Pistentourengeher, die sich schon einmal bei dieser Sportart verletzt haben, ist der Anteil an Österreichern (75 vs. 85 %, p = 0,066) sowie der Verzicht auf Alkohol (30 vs. 41 % p = 0,096) tendenziell " Tab. 2). geringer als bei der Vergleichsgruppe (●

Diskussion !

Ziel dieser Pilotstudie war es, erstmalig Daten zu Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen sowie potenzielle Risikofaktoren beim Pistentourengehen zu erheben. Von den rund 450 befragten Pistentourengehern gaben 12,6 % an, sich schon einmal so schwer verletzt zu haben, dass sie ärztlich behandelt werden mussten. Hauptunfallursache mit ca. 78 % war ein Einzelsturz, gefolgt von der Personenkollision mit ca. 15 %. Das Kniegelenk war mit rund 36 % am häufigsten von einer Verletzung betroffen. Pistentourengeher, die sich schon einmal verletzt haben, hören signifikant häufiger Musik bei der Abfahrt, tragen signifikant häufiger einen Rückenprotektor und stürzen signifikant öfter bei der Abfahrt als die Vergleichsgruppe. Zudem sind in der Vergleichsgruppe der Anteil an Österreichern und der Verzicht auf Alkohol tendenziell höher. Rund 60 % der Pistentourengeher in dieser Studie sind männlichen Geschlechts und das durchschnittliche Alter liegt bei 39 Jahren. In Übereinstimmung stellte Pröbstl [3] in einer Online-Befragung fest, dass Pistentourengeher überwiegend männlich sind und der Altersgruppe zwischen 36 und 55 Jahren angehören. In einer Vergleichsstudie von über 5500 Hochtourengehern in Südtirol [9] lag das durchschnittliche Alter mit 44 Jahren etwas höher und der Anteil an männlichen Pistentourengehern war mit ca. 70 % um 10 Prozentpunkte höher als in der vorliegenden Studie. Die Hälfte der Pistentourengeher in dieser Studie ist hauptsächlich mit einem Partner unterwegs. Ebenso berichtet Pröbstl [3], dass bei rund 50 % der Anfänger und Fortgeschrittenen die bevorzugte Ausübung des Sports mit einem Partner erfolgt. Beim Ski-

tourengehen im freien Gelände scheint hingegen die bevorzugte Gruppengröße zwischen 3 und 5 Personen zu liegen [9]. Gesamt haben 57 (12,6 %) der befragten Personen angegeben, sich beim Pistentourengehen schon einmal so schwer verletzt zu haben, dass sie ärztlich behandelt werden mussten. Dies würde bedeuten, dass sich im Durchschnitt 13 von 100 Pistentourengehern verletzen. Da sich Pistentourengeher mit und ohne Verletzung hinsichtlich der durchschnittlichen Anzahl der Pistentouren pro Saison nicht unterscheiden, wurde zusätzlich eine Verletzungsrate pro 1000 Pistentouren berechnet. Die 451 befragten Pistentourengeher in dieser Studie gaben an, in Summe 9131 Pistentouren pro Saison zu gehen. Dies würde eine Verletzungsrate von 6,2 Verletzungen pro 1000 Pistentouren bzw. 1 Verletzung pro 161 Pistentouren bedeuten. Geht man von durch" Tab. 2) pro Saison aus, so würde schnittlich 20 Pistentouren (● sich ein Pistentourengeher in 8 Saisonen einmal so schwer verletzen, dass er ärztlich behandeln werden müsste. Aktuelle Skiunfallstudien aus Österreich weisen den Einzelsturz mit 85 – 87 % und die Personenkollision mit 7 – 8 % als Hauptunfallursachen einer Verletzung auf der Skipiste aus [7, 10]. Auch in dieser Studie war der Einzelsturz mit rund 78 % die Hauptunfallursache. Pistentourengeher, die sich schon einmal eine Verletzung zugezogen haben, gaben an, signifikant öfter ein oder mehrere Male pro Abfahrt zu stürzen. Nicht überraschend scheinen Sturzhäufigkeit und Verletzungsrisiko eng verbunden zu sein. Aktuelle Daten einer Österreichischen Skiunfallstudie [10] und einer Skisturzstudie [11] zeigen, dass das Verletzungsrisiko auf der Skipiste in den letzten 10 Jahren in Österreich in etwa demselben Ausmaß wie die durchschnittliche Sturzhäufigkeit abgenommen hat. Der Anteil der Personenkollisionen beim Pistentourengehen ist in dieser Studie mit rund 15 % allerdings beinahe doppelt so hoch wie beim alpinen Skifahren [7, 11]. Möglicherweise sind schlechtere Sicht- und Pistenbedingungen am späten Nachmittag bzw. am Abend Gründe für die höhere Anzahl an Personenkollisionen beim Pistentourengehen. Allerdings geht aus dieser Befragung nicht hervor, ob es beim Aufstieg oder bei der Abfahrt zur Personenkollision gekommen ist. Ähnlich wie beim Skifahren ist beim Pistentourengehen das Kniegelenk mit rund einem Drittel am häufigsten von Verletzungen betroffen [10]. Rund 14 % der Verletzungen betrafen den Kopf. Fast 60 % der Pistentourengeher führten einen Skihelm mit sich. In Anbetracht des zusätzlichen Gewichtes des Helmes beim Aufstieg erscheint dieser Prozentsatz erfreulich hoch, zumal nachgewiesen ist, dass das Tragen eines Skihelms das Kopfverletzungsrisiko bis zu 60 % reduzieren kann [12]. Im Vergleich dazu liegt die Helmtragequote beim Skifahren in Österreich jedoch bei rund 90 % aller Pistenteilnehmer [10]. Pistentourengeher, die sich schon einmal verletzt haben, trugen signifikant öfter einen Rückenschutz als die Vergleichsgruppe (19 vs. 9 %). Möglicherweise ist das auf die erlittene Verletzung und die damit verbundenen Ängste einer erneuten Verletzung zurückzuführen, da Hasler et al. [13] in einer Studie zeigen konnten, dass nach einem Skiunfall mit Verletzungsfolgen die Tragehäufigkeit von Skihelmen von 41 auf 79 % und von Rückenprotektoren von 14 auf 24 % bei den Verunfallten anstieg. Pistentourengeher mit einer Verletzung hören signifikant häufiger Musik bei der Abfahrt als die Vergleichsgruppe. Möglicherweise werden dadurch Gefahrengeräusche eines sich nähernden Skifahrers oder Warnrufe u. a. auch bei schlechten Sichtbedingungen in der Nacht leichter übersehen bzw. überhört, wodurch das Verletzungsrisiko steigen könnte. Russell et al. [14] zeigten in einer aktuellen Fallkontrollstudie, dass Snowboarder, die beim

Ruedl G et al. Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen … Sportverl Sportschad 2015; 29: 46–50

Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt.

48

Originalarbeit

Pistentourengeher

Pistentourengeher

mit Verletzung

ohne Verletzung

38,8 ± 14,0

39,3 ± 14,5

50,9

61,4

Österreich

75,4

85,0

andere

24,6

15,0

Geschlecht [%] männlich

0,880 0,129

Herkunft [%]

0,066

Pistentouren pro Woche [MW ± SD]

1,4 ± 0,9

1,5 ± 1,1

0,954

Pistentouren pro Saison [MW ± SD]

20,4 ± 12,5

20,6 ± 16,8

0,377

50,9

51,5

bevorzugte Tageszeit [%] untertags

0,818

abends

14,0

16,8

gleichermaßen

35,1

31,7

unter der Woche

21,1

23,4

am Wochenende

35,1

32,0

gleichermaßen

43,9

44,7

allein

31,6

26,1

zu Zweit

42,1

48,2

in Gruppen ab 3 Personen

22,8

23,1

3,5

2,5

3,5

5,1

meistens

12,3

11,4

selten

10,5

14,0

nie

73,7

69,5

7,0

2,3

bevorzugter Wochentag [%]

0,874

bevorzugte Begleitung [%]

mit dem Hund

0,772

Musikhören beim Aufstieg [%] immer

0,840

Musikhören bei der Abfahrt [%] immer meistens

0,045 1,8

2,8

selten

14,0

6,9

nie

77,2

88,1

1,8

4,8

leicht Fortgeschrittenen

29,8

22,8

Fortgeschritten

52,6

57,6

Experte

15,8

14,7

eher vorsichtig

59,6

62,8

eher risikofreudig

40,4

37,2

Skikönnen [%] Anfänger

Tab. 2 Vergleich demografischer Daten von Pistentourengehern mit und ohne Verletzung.

0,506

Fahrverhalten auf der Piste [%]

0,641

Schutzausrüstung [%] Skihelm, ja

64,9

59,1

0,406

Skibrille/Sonnenbrille, ja

96,5

95,7

0,777

Rückenprotektor, ja

19,3

8,9

0,001

0

1,5

0,348

Nie

64,9

85,0



21,1

11,9

>1×

14,0

3,0

1,8

4,8

meistens

10,5

14,5

selten

43,9

36,0

nie

29,8

41,4

keine Antwort

14,0

3,3

kein Alkoholkonsum auf der Hütte [%]

29,8

41,4

Handgelenksschutz, ja Sturz pro Abfahrt [%]

< 0,001

Alkoholkonsum auf der Hütte [%] immer

0,003

Befahren eines Funparks Musik hörten, sich zwar weniger häufig, dafür aber schwerer verletzten als die Vergleichsgruppe, die keine Musik hörte. Der Anteil an Einheimischen ist tendenziell geringer bei Pistentourengehern, die sich schon einmal eine Verletzung zugezogen haben (75 vs. 85 %). In Studien von Corra et al. [15] und Girardi et al. [16]

0,096

zeigte sich, dass sich Wintersporttouristen im Vergleich zu Einheimischen schwerere Verletzungen beim Skifahren und Snowboarden in Südtirol zuzogen. Möglicherweise beginnen Einheimische generell in jüngeren Jahren mit dem Wintersport und führen diesen häufiger während einer Saison aus, wodurch sich einerseits das Können, andererseits die skispezifische Fitness verbessern [16].

Ruedl G et al. Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen … Sportverl Sportschad 2015; 29: 46–50

Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt.

Alter [MW ± SD] (Jahre)

p-Wert

49

Originalarbeit

Hoch signifikante Unterschiede zeigten sich in dieser Studie auch hinsichtlich der angegebenen Häufigkeit des Alkoholkonsums. Da allerdings Pistentourengeher, die sich schon einmal verletzt hatten, rund 4fach öfter keine Antwort auf die Frage nach dem Alkoholkonsum als die Vergleichsgruppe (14 vs. 3 %) gaben, wurde noch eine zusätzliche dichotome Variabel „Kein Alkoholkonsum auf der Hütte“ kreiert. Es zeigte sich, dass der Anteil derer, die nie Alkohol auf der Hütte trinken, bei den Pistentourengehern mit einer Verletzung tendenziell geringer war (30 vs. 41 %, p = 0,096) als in der Vergleichsgruppe. Das würde darauf hinweisen, dass Alkoholkonsum ein möglicher Risikofaktor für eine Verletzung beim Pistentourengehen darstellt. Eine aktuelle Studie [11] zeigt, dass Alkoholkonsum prädiktiv für Stürze beim Snowboarden ist. Alkohol kann zu einer Störung des zentralen Nervensystems und damit auch zu einer Verminderung motorischer und kognitiver Funktionen führen [17]. Die Häufigkeit bzw. Regelmäßigkeit von Alkoholkonsum auf der Hütte sagt jedoch nichts über die Menge an konsumierten Alkohol aus. In Anbetracht dessen, dass viele Pistentourengeher nach Beendigung ihrer Tour wieder mit dem Auto nach Hause fahren, wäre es dringend angeraten, dass sich der Alkoholspiegel im gesetzlichen Rahmen von 0,5 Promille befindet. In weiterführenden Studien wäre es interessant, den Atemalkoholgehalt von Pistentourengehern zu messen. Abgesehen von einem gewissen Sturz- und Verletzungsrisiko, das jede Sportart beinhaltet, darf nicht unerwähnt bleiben, dass Skifahren allgemein und sicherlich auch das Pistentourengehen für viele Wintersportler auch Teil eines aktiven und gesunden Lebensstil ist und durchaus positiv zur Lebensqualität und Lebenserwartung beitragen kann [18]. Zumindest 2 Limitationen sind anzumerken: (1) Durch die örtlich und zeitlich begrenzten Befragungen kann ein Selektionsbias nicht ausgeschlossen werden. (2) Leider können tageszeitabhängige Risikounterschiede nicht beurteilt werden. Dennoch glauben wir aber, dass diese Ergebnisse zumindest erste Hinweise zum Verletzungsrisiko beim Pistentourengehen geben und zu weiteren Untersuchungen anregen.

Schlussfolgerung !

Pistentourengehen erfreut sich in den letzten Jahren einer zunehmenden Beliebtheit. Dennoch besteht auch bei nur einer Abfahrt pro Tour ein gewisses Verletzungsrisiko, welches in dieser Studie mit 6 Verletzungen pro 1000 Pistentouren erstmalig berechnet wurde. Daher gilt es, potenzielle Risikofaktoren zu eruieren, um entsprechende Präventivmaßnahmen zu implementieren. Im Rahmen dieser Pilotstudie zeigte sich, dass Pistentourengeher mit einer Verletzung einerseits häufiger einen Rückenprotektor tragen, andererseits während der Abfahrt häufiger stürzen, weniger oft auf Alkohol verzichten und häufiger beim Abfahren Musik hören. Basierend auf den Ergebnissen dieser Studie wird empfohlen, auf den Konsum von Alkohol sowie auf das Musikhören während der Abfahrt zu verzichten, um das Verletzungsrisiko beim Pistentourengehen möglichst gering zu halten.

Danksagung !

Die Autoren bedanken sich herzlich bei den Studierenden, die die Interviews durchgeführt haben.

Erratum vom 24.03.2015 zum Beitrag G. Ruedl, E. Pocecco, M. Kopp, M. Burtscher. Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen beim Pistentourengehen – eine Pilotstudie. Sportverl Sportschad 205; 29: 46 – 50 Im oben genannten Artikel hat sich in der Tab. 2 ein Fehler eingeschlichen. In der Zeile Sturz pro Abfahrt [%] lautet der richtige pWert < 0,001 und nicht > 0,001. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen. Interessenkonflikt: Nein

Literatur 01 Österreichischer Alpenverein (ÖAV). Skitouren auf Pisten. Im Internet: http://www.alpenverein.at/portal/news/archiv_2012/ 2012_01_19_pistentouren.php Stand: 11.7.2014 02 Jannsen P, Weber K. Touren auf Skipisten in Deutschland – Betretungsrecht und sonstige Aspekte. In: Österreichisches Kuratorium für alpine Sicherheit, Hrsg. Sicherheit im Bergland. Jahrbuch 11. Innsbruck: 2012: 37 – 56 03 Pröbstl U. Skitourengeher auf Pisten – neue Zielgruppe oder Trainingsvariante? Montainmanager 2012; 4: 54 – 55 04 Wadsack C. Im Internet: Pistentouren. http://www.alpenverein.at/ portal/natur-umwelt/bergsport_umwelt/pistentouren.php Stand: 11.7.2014 05 ARGE Skitourengehen. Skitouren-Insider. Herbst 2012, Im Internet: http://www.pistengehen.info/arge/content/dokumente/skitoureninsider.pdf Stand: 11.7.2014 06 Pistentouren – Land Tirol. Im Internet: https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/sport/berg-und-ski/downloads_berg_und_ski/PistentourenSicherFair_Statements.pdf Stand: 11.7.2014 07 Ruedl G, Kopp M, Burtscher M et al. Ursachen und Einflussfaktoren von Personenkollisionen auf der Skipiste. Sportverl Sportschad 2013; 27: 100 – 104 08 Ruedl G, Abart M, Ledochowski L et al. Self reported risk taking and risk compensation in skiers and snowboarders are associated with sensation seeking. Acc Anal Prev 2012; 48: 292 – 296 09 Procter E, Strapazzon G, Dal CapelloT et al. Adherence of backcountry winter recreationists to avalanche prevention and safety practices in northern Italy. Scan J med Sci Sports 2014; 24: 823 – 829 10 Ruedl G, Philippe M, Sommersacher R et al. Aktuelles Unfallgeschehen auf Österreichischen Skipisten. Sportverl Sportschad 2014; 28: 183 – 187 11 Philippe M, Ruedl G, Woldrich T et al. Wie häufig und warum stürzen Skifahrer? Sportverl Sportschad 2014; 28: 188 – 192 12 Russel K, Christie J, Hagel BE. The effects of helmets on the risk of head and neck injuries among skiers and snowboarders: a meta-analysis. CMAJ 2010; 182: 333 – 340 13 Hasler RM, Benz J, Benneker L et al. Do alpine skiers and snowboarders wear protective equipment more often after an accident? Swiss Med Wkly 141: w13283. DOI: 10.4414/smw.2011.13283 14 Russel K, Meeuwisse W, Nettel-Aguirre A et al. Listening to a personal music player is associated with fewer but more serious injuries among snowboarders in a terrain park: a case-control study. Br J Sports Med 2015; 49: 62 – 66 15 Corra S, Conci A, Conforti G et al. Skiing and snowboarding injuries and their impact on the emergency care system in South Tyrol: a retrospective analysis for the winter season 2001–2002. Injury Control and Safety Promotion 2004; 11: 281 – 285 16 Girardi P, Braggion M, Sacco G et al. Factors affecting injury severity among recreational skiers and snowboarders: an epidemiology study. Knee Surg Traumatol Arthrosc 2010; 18: 1804 – 1809 17 Shirreffs SM, Maughan RJ. The effect of alcohol on athletic performance. Curr Sports Med Rep 2006; 5: 192 – 196 18 Burtscher M, Bodner T, Burtscher J et al. Life-style characteristics and cardiovascular risk factors in regular downhill skiers: an oberservational study. BMC Public Health 2013; 13: 788

Ruedl G et al. Verletzungshäufigkeit und Unfallursachen … Sportverl Sportschad 2015; 29: 46–50

Heruntergeladen von: University of Pennsylvania Libraries. Urheberrechtlich geschützt.

50

[Frequencies of injuries and causes of accidents during ski touring on ski slopes - a pilot study].

Ski touring along ski slopes (slope touring) increased in recent years on Austrian ski slopes. However, ascending on the border of the slope and skiin...
99KB Sizes 0 Downloads 9 Views