464 Gutachten + Recht

Aus der Gutachtenpraxis: Gehörschaden durch Hundegebell? From the Expert’s Office: Noise Induced Hearing Loss by Dog-barking?

Einleitung

körper eines Klassenraums, durch das kraftvolle Zertreten eines leeren Tetrapak-Getränkekartons während des Unterrichts [1], durch einen besonders lauten Schrei mit beleidigendem Inhalt – direkt ins Ohr eines Lehrers, durch das laute Flurtelefon im Gang eines Möbelhauses, durch eine Pausenklingel in einem Schulflur, durch das Knallen einer Peitsche beim sog. Goaßlschnalzen [2], durch das Quicken von Schweinen während der Fütterung [3] usw. Derartige Vorkommnisse werden von den Betroffenen nicht immer als Scherz, sondern in Einzelfällen auch als körperlicher Angriff empfunden. Auch wenn die subjektiv empfundene Lautheit schmerzhaft sein kann, reicht die tatsächliche Lautstärke in keinem Fall aus, einen Innenohrschaden hervorzurufen [4]. Auch das



Im täglichen Leben wirken auf den Menschen immer mal laute Geräusche ein, die oft unerwartet auftreten und als unan­ genehm empfunden werden. In Einzelfällen führen derartige Ereignisse später zu juristischen Auseinandersetzungen. Dies passiert insbesondere dann, wenn die Betreffenden behaupten, einen Gehörschaden erlitten zu haben. Auffälligerweise gibt es derartige Vorwürfe gehäuft im Spannungsverhältnis zwischen Lehrer und Schüler, wie z. B. ein angebliches Knalltrauma mit Hörminderung/Tinnitus und Hyperakusis durch Zu-Boden-Fallen-Lassen eines schweren Buches auf den harten Boden eines Klassenzimmers, durch das heftige Schleudern eines Rollenstuhls gegen den Heiz-

Verläubung dB



Begutachtung für eine Berufsgenossenschaft: Der 33-jährige Versicherte, von Beruf Versicherungsvertreter(!), machte ­ ein linksseitiges Ohrgeräusch als Arbeitsunfall geltend. Der „Arbeitsunfall“ hatte sich als Wegeunfall auf dem Weg nach Hause e ­ reignet. Der Versicherte hatte sein Grundstück schon betreten, aber noch

WEBER ber 500 Hz 1

1,5

2

3

4

6

8

12

normal

0,25

0,5 0,75 1

med

h

0,125 0,25 0,5 0,75

SISI rechts

Frequenz in kHz 0,125 –10

re

1,5 2

3 4

6 8

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kHz

–0 SISI links

10

kHz

20

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0,5 0,751

1,5 2

34

6 8

12

50

Lüscher rechts

60

dB

70

70

80 Lüscher links

90

kHz

100 110

rechtes Ohr

BEOMAT 33 /500

dB

Hörpegel in dB

80

120

3

20 30

kHz

2

10

%

40 60

1,5

–0

30 50

1

Frequenz in kHz

%

normal

0,125 0,25 0,5 0,75

Hörpegel in dB

Fallbericht 1

Verläubung dB

Daten ubertragen

Formular

Hundegebell kann zu einer Lärmbelästigung führen, die zu nachbarschaftlichen Auseinandersetzungen bis zu gerichtlichen Verfahren führen kann. Bei den folgenden beiden Fällen hat es sich nicht nur um eine Belästigung gehandelt, vielmehr hatten die Antragsteller behauptet, einen Gehörschaden erlitten zu haben.

90 100 110 120

linkes Ohr Luftl.

Knochenl.

Abb. 1  Ohrgeräusch durch Hundegebell? Arbeitsunfall? 33-jähriger Versicherungsvertreter wird auf dem Weg nach Hause auf eigenem Grundstück, aber noch vor seiner Haustüre von seinem aufheulenden Hund freudig angesprungen. Seit dieser Zeit klagt er über linksseitige Ohrgeräusche. Wegeunfall? Knalltrauma? Akutes Lärmtrauma? Verantwortlich für diese Rubrik: Prof. Dr. T. Brusis und Dr. A. Wienke

Brusis T, Meister EF. Aus der Gutachtenpraxis: Gehörschaden …  Laryngo-Rhino-Otol 2015; 94: 464–466 ∙ DOI  10.1055/s-0035-1554656

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T. Brusis1, E. F. Meister2

nicht das Wohnhaus. Insofern ­befand er sich noch auf dem Heimweg und es bestand noch Versicherungsschutz. In diesem Moment wurde er von seinem Hund freudig begrüßt, der an ihm hochsprang. Dabei trat der Versicherte versehentlich auf den Hinterlauf des Hundes, der schmerzhaft aufheulte. Dieses Ereignis ­sowie das Bellen des Hundes sollen zu ­einem linksseitigen Tinnitus g ­ eführt haben. Bei der gutachterlichen Untersuchung zeigte sich eine symmetrisch ausgeprägte Hochtonsenke beider Seiten mit einem maximalen Hörverlust von ca. 60 Dezibel ▶  Abb. 1). Außerdem wurde im Hochton­ ( ● bereich des linken Ohres ein Ohrgeräusch angegeben. Das Audiogramm hätte zu ­einem Lärmschaden gepasst. Bei der Begutachtung für eine Berufs­ genossenschaft berichtete der Versicherte, dass er bereits früher bei der HNO-­Ärztin zur Behandlung gewesen sei, die die Unfallmeldung gemacht hatte. Daher lag es nahe, bei der HNO-Ärztin eventuelle Vorbefunde, insbesondere audiometrische Befunde, anzufordern. Das Problem bestand jedoch darin, dass der Sachbearbeiter der Berufsgenossenschaft es nicht für notwendig hielt, dem diesbezüglichen Vorschlag des Gut­ achters zu folgen. Stattdessen wurde der Gutachter mehrfach gemahnt, sein Gutachten abzuschließen. So kreuzten sich die Aufforderungen des Gutachters, die Vorbefunde einzuholen, mit den Mahnungen der Berufsgenossenschaft. Sch­ließlich

konnten die Aufzeichnungen und Untersuchungsbefunde der HNO-Ärztin eingesehen werden. Es handelte sich um eine vorbestehende Hochtonschwerhörigkeit mit einem vorbestehenden Ohr­geräusch aufgrund mehrfacher Knalltraumen infolge der Jagdausübung. Ein „Arbeitsunfall“ durch das Hundegejaule und Hundegebell konnte abgelehnt w ­ erden, die diesbezüglichen Angaben des Versicherten waren unzutreffend bzw. von ­einem Rentenbegehren geprägt.

Fallbericht 2



Begutachtung nach Aktenlage wegen Schadensersatzforderungen (Schmerzensgeld) für eine private Unfallversicherung: Eine 54-jährige Frau hatte nach eigener Schilderung in ihrem Garten nahe einer niedrigen Grenzmauer bzw. einer Hecke gearbeitet, während der Hund des Nachbarn, ein Dackelmischling, ununterbrochen in ihrer Nähe gebellt hatte. Der Nachbar hatte sich um das Gebell nicht gekümmert und den Hund nicht „zurückgerufen“. Nach eigenen Angaben musste sie ihre Arbeit nach ca. 2 Stunden unterbrechen, weil sie plötzlich rechts nichts mehr hörte und stattdessen ein Piepen rechts im Ohr sowie Schmerzen in der rechten Ohrregion empfand. Bei der hno-ärztlichen Erstvorstellung am nächsten Tag diagnostizierte der HNO-Arzt einen akuten Tinnitus rechts

und eine geringgradige kombinierte „Innenohrschallleitungschwerhörigkeit“ beiderseits als Folge eines Lärmtraumas, wahrscheinlich durch Hundebellen. Außerdem stand in dem Bericht: „Zum Zeitpunkt der Messung konnte die Pa­ tientin keinen Tinnitus angeben.“ Die Schmerzen in der rechten Ohr-Halsregion wurden als HWS-Verspannungen durch die Gartenarbeit erklärt. Das Tonaudiogramm von der Erstvorstellung am Tag nach dem Ereignis zeigte ▶  Abb. 2). ­folgenden Befund ( ● Die Klägerin suchte dann einen weiteren HNO-Arzt auf, der einen Tinntitus rechts nach akutem Lärmtrauma ­diagnostizierte, im Bericht an die Versicherung wurde aber lediglich ein „intermittierendes ­Ohrgeräusch“ beschrieben. Eine Tympano­ metrie (Impedanzmessung) ergab bds. flache Kurvenverläufe. Tinnitusanalysen lagen keine vor und waren offensichtlich nicht möglich [5]. Die Problematik im zweiten Fall lag darin, dass der tonaudiometrische Befund in keiner Weise zu einem akuten Lärm­ ­ trauma gepasst hatte. Die leichte Schallleitungskomponente bei flachen Tympano­ metriekurven und deren teilweise Rückbildung nach 4 Wochen sprachen für eine Tubenventilationsstörung bds. Ein „lärmbedingtes“ Ohrgeräusch konnte a ­ udiometrisch nicht wahrsch­ein­ lich gemacht werden.

Vertäubungspegel (dB)

Rechts

Links

LL KL

Hörpegel in dB

0,125 0,25 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 dB

0,50,75 1 1,5 2

3 4

6 8 12 kHz

0,125 0,25 WEBER R M L RINNE +

+



– SISI

kHz dB R Inkr. % kHz dB L Inkr. %

Frequenz in kHz

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 dB

0,5 0,75 1 1,5 2

3 4

6 8 12 kHz

Frequenz in kHz

Abb. 2  Lärmtrauma und Ohrgeräusch durch Hundegebell? Unfall? 1. Tag nach dem Ereignis. 54-jährige Antragstellerin mit Ohr­be­schwerden nach 2-stündigem Gebell eines Dackelmischlings bei Gartenarbeiten.

Brusis T, Meister EF. Aus der Gutachtenpraxis: Gehörschaden …  Laryngo-Rhino-Otol 2015; 94: 464–466 ∙ DOI  10.1055/s-0035-1554656

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Ruhestörungen, die über das Normale hinausgehen, muss man grundsätzlich ­ nicht hinnehmen und kann sich dagegen zur Wehr setzen. Auch Hundegebell kann eine Ruhestörung oder Lärmbelastung darstellen, gegen die man vorgehen kann. Es darf sich jedoch nicht nur um eine unwesentliche Beeinträchtigung han­ deln, unwesentliche Beeinträchtigungen sind grundsätzlich hinzunehmen. Grundsätzlich ist Hundegebell eine Belästi­ gung, die durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden ist. Dieser Grundsatz ist durch die Gerichtsbarkeit immer wieder bestätigt worden: ▶ Mehr als eine halbe Stunde anhaltendes Kläffen täglich bzw. länger als 10 min dauerndes Bellen in den Zeiten von 13 bis 15 Uhr und von 19 bis 8 Uhr ist der Nachbarschaft nicht zuzumuten (OLG Hamm, 22 U 265/87). ▶ In ländlichen Gebieten dürfen Hunde in den Ruhezeiten (22–7 und 13–15 Uhr) die Nachbarn durch Hundegebell nicht belästigen (LG Mainz, 6 S 87/94–04/96). ▶ Aber: Gelegentliches Bellen ist kein Grund, die Erlaubnis zur Tierhaltung zu widerrufen. Das kurze Anschlagen eines Hundes bei Besuch, das längere Verbellen fremder Personen, das heftige Begrüßen naher Angehöriger sind artgerechte Reaktionen eines Tieres, die mit der Zustimmung zur Hundehaltung bereits in Kauf genommen ­worden sind (AG Hamburg-Wandsbek, AZ 716c C 114/90). ▶ Und: Einem Hundehalter kann nicht durch Urteil aufgegeben werden, seinen Hund nur in ganz bestimmten Zeiten bellen zu lassen. Dieses würde

nämlich einem völligen Verbot der Hundehaltung gleichkommen. Gerade ein kurzes Bellen ist nämlich dem Einflussbereich eines Hundehalters entzogen (OLG Düsseldorf, AZ 9 U 111/93). Der hno-ärztliche Gutachter wird aber kaum in derartigen Fällen mit einer ­Begutachtung beauftragt, da es sich „nur“ um eine Lärmbelästigung, aber nicht um einen Innenohrschaden handelt. Eine ­Rarität dürften die 2 referierten Verfahren sein, da in diesen Fällen das Auftreten von Schwerhörigkeit und Ohrgeräuschen durch Hundegebell behauptet wurde. In beiden Fällen war jedoch davon auszu­ gehen, dass die geschilderten Beschwerden nicht durch das angegebene Hundegebell verursacht worden waren, sondern andere Ursachen hatten [7]. Im Übrigen dürfte die Forderung nach ­einer Lärmmessung ins Leere gehen, da sich eine hundespezifische und situa­ tionsgerechte Messung in einem konkreten Fall kaum durchführen oder nachstellen lässt! Andererseits gibt es tatsächlich ein Schweizer Schallgutachten, wonach Hundegebell in einem Abstand von 1 m Spitzenpegel von 100 bis 110 dB (A), je nach Hunderasse, erreichen kann [6].

Literatur

1 Stüttem J, Paulsen R, Brusis T. Aus der Gutachtenpraxis: Knalltrauma durch das ­ Zerplatzen eines Getränkekartons? Laryngo-­ Rhino-Otol 2012; 91: 717–719 2 Waldfahrer F, Leistner P, Brusis T. Aus der Gutachtenpraxis: Kann Goaßlschnalzen ein Knalltrauma auslösen? Laryngo-­Rhino-Otol 2011; 90: 431–433 3 Brusis T, Michel O. Aus der Gutachtenpraxis: Besonderheiten bei der Begutachtung von Landwirten bei Verdacht auf Lärmschwerhörigkeit. Laryngo-Rhino-Otol 2013; 92: 611–613 4 Feldmann H, Brusis T. Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes. 7. Aufl. Thieme Verlag 2012 5 Michel O, Brusis T. Zur Bewertung von Tinnitus in der privaten Unfallversicherung. Laryngo-Rhino-Otol 2007; 86: 27–36 6 Schottke H. Umwelthygienische Probleme bei der Einordnung von Hundezuchtanlagen/Tierheimen. Hrsg. Landesgesundheitsamt Mecklenburg-Vorpommern. Eigen­ verlag 2003 7 Liedtke M. Akute Gehörschäden durch extrem hohe Schalldruckpegel. HNO 2010; 58: 106–109

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Prof. Dr. med. T. Brusis Institut für Begutachtung Dürener Straße 199–203 50931 Köln [email protected]

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Fazit



Es gibt keine Belege dafür, dass Hunde­ gebell geeignet ist, einen Gehörschaden (Knalltrauma bzw. akutes Lärmtrauma) hervorzurufen. Auch wenn Lärm von lautem Hundegebell unangenehm bis ­ schmerzhaft sein kann, reicht die Schal­ lenergie nicht aus, um zu einer dauerhaften Innenohrschädigung zu führen.

E. F. Meister Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde Klinikum St. Georg gGmbH Leipzig Akademisches Lehrkrankenhaus der ­Universität Leipzig

Brusis T, Meister EF. Aus der Gutachtenpraxis: Gehörschaden …  Laryngo-Rhino-Otol 2015; 94: 464–466 ∙ DOI  10.1055/s-0035-1554656

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Beurteilung

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