Augenheilkunde up2date
Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde
Herausgeber: Eckart Bertelmann, Berlin Annemarie Buser, Aalen Gerd Geerling, Düsseldorf Christian Jonescu-Cuypers, Berlin Ulrich Kellner, Siegburg Christian Meltendorf, Magdeburg Torsten Schlote, Basel Heimo Steffen, Würzburg
Rubrik: Kinder- und Neuroophthalmologie, Strabismus Rubrikherausgeber: Heimo Steffen, Würzburg
Vom Gesichtsfeldbefund zur Sehbahnläsion F. Beisse Universitätsaugenklinik Heidelberg
Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 211–222 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1358081 · VNR 2760512015147125146 · ISSN 0023-2165
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Augenheilkunde up2date
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Vom Gesichtsfeldbefund zur Sehbahnläsion From Visual Field to Optic Pathway Lesion F. Beisse
Die Perimetrie liefert äußerst wichtige ophthalmologische
eines Gesichtsfeldausfalls kann oft auf die Lage der Läsion
Befunde. Diese können nicht nur das Ausmaß einer Seh-
und manchmal sogar auf deren Natur zurückgeschlossen
beeinträchtigung erfassen, sondern sie besitzen vor allem
werden.
einen hohen diagnostischen Wert. Anhand des Musters
Anatomie der Sehbahn
Die von der temporalen Netzhaut kommenden Nervenfasern ziehen in einem Bogen oben und unten in die Papille hinein, dabei sind Ganglienzellen der temporal-
Die Sehbahn besteht aus 4 Neuronen (Henschen 1926;
oberen Netzhaut auch in ihrem Faserverlauf strikt von
Krainer 1936; Abb. 1):
denen der temporal-unteren Netzhaut durch die sog.
n
Photorezeptoren
n
Bipolarzellen
n
Ganglienzellen
Im Gegensatz zu den temporalen Fasern verlaufen
n
Zellen des Corpus geniculatum laterale (CGL)
diejenigen der nasalen Netzhaut radiär in die Papille,
Die Axone der 3. Neurone (Ganglienzellen) bilden die Nervenfaserschicht der Netzhaut und vereinigen sich in der Sehnervenpapille. Der Verlauf der retinalen Nervenfasern auf der Retina ist in Abb. 2 dargestellt.
Abkürzungen
Raphe getrennt.
vornehmlich im Bereich des temporalen und nasalen Papillenrandes. Hieraus folgt, dass es ein Irrtum wäre anzunehmen, die temporale Papille sei für die temporale Netzhaut zuständig. Vielmehr münden hier auch alle Fasern der nasalen Makula und der zwischen Makula und Papille gelegenen (also nasalen) Netzhaut.
AION
anteriore ischämische Optikusneuropathie
Cave. Der temporale Papillensektor ist nicht aus-
AMD
altersassoziierte Makuladegeneration
schließlich oder hauptsächlich für die temporale
CGL
Corpus geniculatum laterale
Netzhaut zuständig.
ERG
Elektroretinogramm
mfERG
multifokales Elektroretinogramm
Nach Durchtritt durch die Lamina cribrosa werden die
NNO
Neuritis nervi optici
Sehnervenfasern mit einer Myelinscheide versehen
OCT
Optical Coherence Tomography
und ziehen als N. opticus in Richtung Chiasma opticum.
(optische Kohärenztomografie)
Auf dem Weg dorthin sortieren sie sich insofern neu,
Retinitis pigmentosa
als alle von der temporalen Netzhaut kommenden Fa-
STP
Stauungspapille
sern nun wirklich temporal und alle von der nasalen
VEP
visuell evozierte Potenziale
Netzhaut kommenden Nervenfasern nasal zu liegen
RP
kommen.
Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 211 – 222 ŒDOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1358081 ŒVNR 2760512015147125146
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Vom Gesichtsfeldbefund zur Sehbahnläsion
Abb. 2 Schema des Verlaufs der retinalen Nervenfasern am Fundus (rechtes Auge). Schwarz: Die retinalen Nervenfasern der temporalen Netzhaut münden oben und unten in die Papille ein. Blau: Die Fasern der nasalen Netzhaut münden temporal und nasal radiär in die Papille ein.
dig für das kontralaterale Gesichtsfeld. Gleiches gilt auch für die vertikale Orientierung: Hier sind auf der gesamten Strecke von der Netzhaut bis zur Sehrinde die unteren Sehbahnanteile für das obere Gesichtsfeld zuständig und umgekehrt.
Abb. 1 Schema der Sehbahn. a Von oben betrachtet. b Die ersten 3 Neurone haben ihre Zellkörper in der Retina. c Kreuzung der nasalen Fasern im Chiasma.
Nach dem Chiasma bleiben die Sehbahnfasern im jeweiligen Tractus opticus zunächst noch nach ihrem jeweiligen Ursprungsauge geordnet: Die temporalen Fasern des ipsilateralen Auges bilden die temporale
Dann spalten sich die Sehnerven je hälftig auf: Ihre na-
Hälfte eines Tractus opticus, die nasalen Fasern des
salen Anteile kreuzen im Chiasma auf die Gegenseite,
kontralateralen Auges bilden die nasale Hälfte des
die temporalen Fasern bleiben im Chiasma ipsilateral
Tractus.
und vereinigen sich mit den nasalen Fasern des Partnerauges zum jeweiligen Tractus opticus (Abb. 1). Der
Im Verlauf der retrochiasmalen Sehbahn sortieren sich
Tractus opticus endet im Corpus geniculatum laterale
die Fasern jedoch nach und nach neu, hin zu einer bin-
(CGL), dort wird auf das 4. Neuron und damit auf die
okularen Ausrichtung (d. h. Fasern des einen und des
hintere Sehbahn umgeschaltet.
anderen Auges, welche für den gleichen Gesichtsfeldort zuständig sind, finden zueinander). Diese binokulare
Die CGL‑Zellen weisen ebenfalls lange Axone auf, wel-
Paarbildung wird jedoch erst jenseits des CGL, kurz vor
che die Sehstrahlung (Radiatio optica) bilden. Der obere
Erreichen der Sehrinde, vollendet.
Anteil der Sehstrahlung zieht durch den Parietallappen, der untere durch den Temporallappen nach posterior in den Okzipitallappen (Abb. 1). Die Fasern enden dort in der primären Sehrinde (Area striata), wo eine erste bewusste Wahrnehmung des Seheindrucks erfolgt. Durch die Kreuzung der nasalen Fasern im Chiasma ist
Prinzip Merke n
linke retrochiasmale Sehbahn = rechtes Gesichtsfeld
n
obere Sehbahn = unteres Gesichtsfeld
die retrochiasmale Sehbahn einer Seite jeweils zustän-
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Pathophysiologische Auswirkungen von Sehbahnläsionen auf das Gesichtsfeld
Ursachen von Gesichtsfeldausfällen Echte Gesichtsfeldausfälle können nur von Schädigungen der genannten Strukturen herrühren (Schiefer
Schädigungen der Sehbahn entlang der gesamten ge-
2003):
nannten Strecke der 4 Neurone bedingen visuelle Aus-
n
Netzhaut,
fälle, die in der Perimetrie z. T. charakteristische Muster
n
Sehnerv/Sehbahn.
aufweisen. Entsprechend kann von bestimmten Gesichtsfeldausfallsmustern auf die Lage einer Läsion
Hingegen führen Trübungen der optischen Medien
zurückgeschlossen werden.
keit. Es ist wichtig zu wissen, dass pathologische Perimetriebefunde oft auch auf Artefakte zurückzuführen sind.
Perimetrische Topodiagnostik retinaler Sehbahnläsionen
Pathologische Perimetriebefunde sind oft auf
Wir beginnen die topodiagnostischen Überlegungen
Artefakte zurückzuführen.
beim 1. Neuron und enden schließlich, von anterior nach posterior vorgehend, in der Sehrinde.
Abb. 3 Darstellung der Diskrepanz zwischen sehr verschieden großen Gesichtsfeldausfällen bei ophthalmoskopisch scheinbar gleich großen Läsionen. a Umschriebene Läsion der Photorezeptoren aufgrund einer Laserkoagulation bei extrafovealer choroidaler Neovaskularisation (obere Bildhälfte) und der korrespondierende Gesichtsfeldausfall (untere Bildhälfte). Die Läsion befindet sich nasal unterhalb der Fovea, entsprechend liegt das resultierende Skotom temporal oberhalb des Gesichtsfeldzentrums. b Umschriebene Läsion aller Netzhautschichten (einschließlich der retinalen Nervenfasern) durch Toxoplasmosenarbe (obere Bildhälfte) und der resultierende Gesichtsfeldausfall (untere Bildhälfte). Auch hier erzeugt der unterhalb und nasal von der Fovea gelegene Photorezeptordefekt einen seiner Ausdehnung entsprechenden, eher kleinen Ausfall temporal oberhalb des Zentrums. Zusätzlich besteht aber noch ein wesentlich größerer Ausfall des nasal oberen Gesichtsfeldsektors, da die im Läsionsgebiet mitgeschädigten retinalen Nervenfasern die Informationen aus entfernten temporal-unteren Netzhautarealen nicht mehr weiterleiten können.
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allenfalls zu diffusen Depressionen der Empfindlich-
Vom Gesichtsfeldbefund zur Sehbahnläsion
Umschriebene Läsionen der Photorezeptoren führen zu
n
Netzhaut
einem monokularen Gesichtsfeldausfall, der der Raum-
n
Sehnerv/Sehbahn oder
projektion dieser Netzhautstelle entspricht:
n
Artefakten
n
Läsionen unterhalb der Fovea bedingen Gesichts-
infrage kommen.
feldausfälle oberhalb des Fixierpunktes; n
Läsionen temporal der Fovea bedingen Gesichtsfeldausfälle nasal des Fixierpunktes usw.
Konzentrische Einengung
Eine Läsion im Bereich der Netzhaut von derselben flä-
Eine konzentrische Einengung kann im Bereich der
chigen Ausdehnung wie im vorbeschriebenen Beispiel,
Netzhaut durch eine Retinitis pigmentosa (RP) oder
jedoch mit Schädigung der darüber verlaufenden Ner-
eine toxische Nebenwirkung des Antiepileptikums
venfasern, kann weitaus größere Gesichtsfeldausfälle
Vigabatrin hervorgerufen werden. In beiden Fällen
zur Folge haben, da das Sehvermögen nicht nur für die
wären Gesichtsfeldausfälle auf beiden Augen zu erwar-
lokalen Photorezeptoren geschädigt ist, sondern auch
ten. Als Sehnervenläsionen kommen eine chronische
für entferntere Netzhautstellen, welche ihre Signale
Stauungspapille oder ein fortgeschrittenes Glaukom
normalerweise über die betreffenden Nervenfasern
infrage (Abb. 4).
weiterleiten. Diese Diskrepanz zwischen sehr verschieden großen Gesichtsfeldausfällen bei ophthalmosko-
Ansonsten findet man diesen Gesichtsfeldausfall als
pisch scheinbar gleich großen Läsionen ist in Abb. 3
angegebene Einschränkung bei der funktionellen
dargestellt.
(nicht somatischen) Sehstörung.
Eine Fundusläsion kann, je nachdem, welche Netzhautschichten sie einbezieht, sehr unterschiedlich
Nervenfaserverlaufsausfälle
große Ausfälle verursachen. Nervenfaserverlaufsausfälle weisen insbesondere im nasalen Gesichtsfeld wegen der o. g. Raphe oft eine
Typische Gesichtsfeldausfälle und ihre Differenzialdiagnose
scharfe horizontale Begrenzung, den sogenannten
Im Folgenden sollen typische Gesichtsfeldausfallsmus-
Nervenfaserbündelausfälle können im Bereich der
ter dargestellt und ihre Differenzialdiagnose erörtert
Netzhaut durch Toxoplasmose hervorgerufen werden
werden. Dabei wird systematisch beleuchtet, welche
(sie umfasst, wie schon in Abb. 3 dargestellt, typischer-
Ursachen auf dem Niveau von
weise alle Netzhautschichten und damit auch die Ner-
nasalen Sprung auf (beim Glaukom spricht man vom Rönne-Sprung).
venfaserschicht). Im Bereich des Sehnervs kommen insbesondere umschriebene Papillenläsionen infrage, die lokalisiert einen Sektor der Papille betreffen. Typische Erkrankungen hierfür sind: n
das Glaukom,
n
die anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION),
n
die Drusenpapille und
n
die chronische Stauungspapille (Abb. 5). Horizontale Mittellinienbegrenzungen („nasaler Sprung“) sind ein starker Hinweis auf einen okulären Nervenfaserschaden, z. B. einen Papillen-
Netzhaut: RP Vigabatrin
Sehnerv: chronische STP fortgeschrittenes Glaukom
sonstige: funktionelle Sehstörung
schaden.
Abb. 4 Konzentrische Gesichtsfeldeinengung. (RP = Retinitis pigmentosa, STP = Stauungspapille).
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Augenheilkunde up2date
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Zentralskotom horizontale Begrenzung = nasaler Sprung
An Netzhautläsionen kommen die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) oder Makuladystrophien infrage; im Bereich des Sehnervs die Sehnervenentzündung (Neuritis nervi optici, NNO), Tumoren sowie malnutritive oder toxische Läsionen (Abb. 6). Die beiden Letzteren lassen einen beidseitigen Sehnerven-
Ob ein Zentralskotom durch eine Makula- oder eine Sehnervenschädigung verursacht ist, erkennt man oft
Netzhaut: Toxoplasmose
schon funduskopisch. Nicht selten jedoch sind bei Sehnervenläsionen keine Veränderungen der Papille zu erkennen (z. B. bei NNO), und selbst bei Makulafunk-
Sehnerv (Papille): Glaukom AION Drusenpapille chronische STP
tionsstörungen sind nicht immer morphologische Veränderungen erkennbar. In diesen Fällen kann u. a. eine elektrophysiologische Untersuchung Aufschluss bieten:
Abb. 5 Gesichtsfeldausfälle bei Nervenfaserbündeldefekten (AION = anteriore ischämische Optikusneuropathie, STP = Stauungspapille).
Das multifokale Elektroretinogramm (mfERG) wäre beim retinal bedingten Zentralskotom pathologisch (Kretschmann et al. 1998), bei einem sehnervbedingten Zentralskotom hingegen normal. Im Gegensatz dazu kann das visuell evozierte Potenzial (VEP) in den wenigsten Fällen Aufschluss über die Lokalisation geben, denn es wäre in beiden Fällen herabgesetzt. Cave. Das VEP ist nicht nur bei Sehnervenstörungen pathologisch, sondern bei allen visusherabsetzenden Erkrankungen.
Netzhaut (Makula): AMD Dystrophie
Sehnerv: NNO Tumor hereditär toxisch
Zentrozökalskotom Im Bereich der Netzhaut kommen eine Toxoplasmose-
Abb. 6 Zentralskotom und typische Ursachen (AMD = altersabhängige Makuladegeneration, NNO = Neuritis nervi optici).
läsion von Makula und papillomakulärem Bündel infrage. (Eine AMD verursacht nur sehr selten ein Zentrozökalskotom, denn in einem solchen Fall müsste das Degenerationsareal bis zur Papille reichen.) Auf dem Niveau des Sehnervs kommen alle bereits für das Zentralskotom genannten Ursachen infrage (Abb. 7).
Junktionsskotom Das Junktionsskotom ist dadurch charakterisiert, dass ein Auge einen schweren Gesichtsfeldausfall, meistens unter Einschluss des Zentrums, aufweist und
Netzhaut (Makula): Toxoplasmose
das andere Auge einen Ausfall im temporalen oberen Quadranten.
Sehnerv: NNO Tumor hereditär toxisch
Abb. 7 Zentrozökalskotom und typische Ursachen (NNO = Neuritis nervi optici).
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befall erwarten.
Vom Gesichtsfeldbefund zur Sehbahnläsion
Bitemporale Ausfälle Bitemporale Gesichtsfeldausfälle sind ein starker Hinweis auf eine Läsion des Chiasma opticum, insbesondere, wenn die Ausfälle die vertikale Mittellinie respektieren (s. Übersicht).
Übersicht Chiasmasyndrom distaler Sehnerv/Übergang Chiasma Abb. 8 Junktionsskotom und der Ort der verursachenden Läsion.
n
bitemporale Gesichtsfeldausfälle
n
ggf. Verminderung der Sehschärfe ein- oder beidseitig
n
ggf. Optikusatrophie
Chiasmaläsionen können typischerweise durch ein Hypophysenadenom oder ein Kraniopharyngeom verursacht sein (Hollenhorst et al. 1973; Abb. 9). Hypophysenadenome wachsen immer von unten nach oben auf das Chiasma zu, entsprechend sind die bitemporalen Ausfälle zu Beginn vor allem im oberen Gesichtsfeld angesiedelt. Im Gegensatz dazu komprimieren Kraniopharyngeome das Chiasma häufiger von oben, entsprechend sind hier die bitemporalen Ausfälle eher im Chiasma: Hypophysenadenom Kraniopharyngeom
unteren Gesichtsfeldbereich angesiedelt (Abb. 9). Auch bestimmte Artefakte (sog. Refraktionsskotome) können klassische bitemporale Gesichtsfeldausfälle
Abb. 9 Bitemporale Ausfälle und typische Ursachen.
vortäuschen; diese lassen sich jedoch „wegperimetrieren“, wenn man Minusgläser zunehmender Stärke vor-
Ein Junktionsskotom lässt sich durch eine Läsion des
setzt und den scheinbar defekten Gesichtsfeldbereich
distalen Sehnervs am Übergang zum Chiasma erklären,
hiermit noch einmal testet. Die Ursache von Refrakti-
bei dem das hauptsächlich betroffene Auge die Sehner-
onsskotomen sind Staphylome bei hochmyopen Augen.
venläsion aufweist, diese aber auch die vordersten Fasern des Chiasmas betrifft, welche neuroanatomisch
Eine vertikale Mittellinienbegrenzung ist ein star-
diejenigen von der nasal unteren Netzhaut des Part-
ker Hinweis auf einen intrakraniellen Sehbahn-
nerauges sind – entsprechend liegt der Gesichtsfeld-
schaden (ab Chiasma) und in der Regel an beiden
ausfall am Partnerauge temporal oben (Schiefer et al.
Augen nachweisbar.
2004; Abb. 8). Der Gesichtsfeldausfall des Partnerauges wird von den
Homonyme Ausfälle
Patienten oft nicht bemerkt – umso wichtiger ist es, auch von einem solchen symptomlosen Auge eine
Wir befinden uns in Bezug auf die infrage kommenden
Perimetrie zu erstellen (Bruckmann 2010).
Läsionsorte nun distal des Chiasmas. Homonyme hemianope Ausfälle (Abb. 10) betreffen jeweils das linke oder rechte Gesichtsfeld beider Augen und sind ein
Prinzip
starker Hinweis auf eine postchiasmale Läsion: Die
Diagnostik unklarer Sehstörungen
Schädigung kann entweder im Tractus opticus, im CGL,
Grundsätzlich sollten bei unklaren Sehstörungen
in der Sehstrahlung oder der Sehrinde liegen.
Gesichtsfeldbefunde von beiden Augen angestrebt werden – auch vom vermeintlich gesunden Auge.
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Pie-in-the-Sky-Ausfälle Diese spezielle Form des partiellen homonymen Ausfalls betrifft jeweils nur den oberen Bereich und spricht für eine retrochiasmale Läsion der unteren Sehbahn, z. B. Temporallappen- oder untere Okzipitallappenläsion. Denkbar ist auch eine untere Tractus-opticusLäsion (Abb. 11). Hingegen käme eine Parietallappenläsion nicht infrage, da diese die oberen Anteile der
postchiasmale Läsion: Tractus opticus Sehstrahlung Sehrinde
Kongruenz Homonym hemianope Ausfälle können mehr oder weniger kongruent (deckungsgleich) sein. Bei Inkon-
Abb. 10
Homonyme Ausfälle und die möglichen Orte der verursachenden Läsion.
gruenz ist der Ausfall an einem Auge deutlich stärker ausgeprägt als am anderen. Hingegen sind bei vollständiger Kongruenz beide Ausfälle identisch (Abb. 12). Aus dem Grad der Kongruenz lässt sich auf die Lage der retrochiasmalen Läsion in anteroposteriorer Richtung schließen, da, wie zuvor beschrieben, die Fasern beider Augen retrochiasmal zunächst getrennt verlaufen und sich zur Hinterhauptsrinde hin nach und nach binokular anordnen. So schädigt z. B. ein Tumor, der von lateral auf einen Tractus opticus drückt, vor allem dessen temporale, vom ipsilateralen Auge stammende Fasern.
Temporallappen Okzipitallappen (unten) Tractus opticus nicht: Parietallappen
Ein von medial kommender Tumor würde hingegen mehr dessen nasale, vom kontralateralen Auge stammende Fasern komprimieren. Entsprechend ist in dem erstgenannten Fall das ipsilaterale Auge mit einem stärkeren Gesichtsfeldausfall behaftet; im zweit-
Abb. 11
Pie-in-the-Sky-Ausfälle und die möglichen Orte der verursachenden Läsion.
genannten Fall (Kompression von medial) wäre das kontralaterale Auge stärker betroffen. In beiden Fällen wäre die Hemianopie inkongruent (Abb. 12). Im Gegensatz dazu schädigt eine weit posteriore Sehbahnläsion die Gesichtsfelder beider Augen in gleicher Weise, da korrespondierende Neurone dort jeweils unmittelbar beieinander liegen. Mit anderen Worten: Je inkongruenter hemianope Gesichtsfeldausfälle sind, desto weiter vorn ist die verursachende retrochiasmale Läsion zu suchen, je kongruenter, desto weiter hinten. Je inkongruenter, desto weiter vorn.
Prinzip Merke n
inkongruent = weiter vorne
n
kongruent = weiter hinten
Vom Gesichtsfeldbefund zur Sehbahnläsion
Abb. 12 Kongruenz und Inkongruenz: Das Beispiel zeigt eine inkongruente partielle Hemianopie (rechtes Auge stärker betroffen als linkes), was für eine mehr anteriore Lokalisation der retrochiasmalen Läsion spricht, z. B. für eine Läsion des linken Tractus opticus.
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Sehstrahlung beträfe.
Vom Gesichtsfeldbefund zur Sehbahnläsion
Artefakte
– Linksseitige Ausfälle deuten auf eine rechts-
Bei Gesichtsfeldausfällen muss immer daran gedacht
– Ist eine partielle Hemianopie inkongruent, liegt
seitige Läsion hin und umgekehrt. werden, dass diese nicht echt, sondern artifiziell sein
die Läsion weiter vorne (z. B. im Tractus opticus),
können.
ist sie kongruent, liegt sie weiter hinten (z. B. in
n
So können bei Ermüdung oder Bedienungsschwie-
der Sehrinde).
rigkeiten ungenügende Antworten der untersuchn
n
n
n
ten Person Skotome suggerieren.
Auch bei Verfügbarkeit guter bildgebender Verfahren
Bei hoher Ametropie kann der Korrekturglasrand
ist es sehr hilfreich, dass der Augenarzt bereits eine
eine konzentrische Einengung vortäuschen.
räumliche Eingrenzung trifft. Dann kann die Tomogra-
Eine Oberlidptosis führt zu Einschränkungen im
fie mit Fokus auf die verdächtigte Region durchgeführt
oberen Gesichtsfeldbereich.
werden, was das Risiko, kleine Läsionen zu übersehen,
Weiterhin kann eine stark verengte Pupille, z. B.
minimiert. Eine besondere Verantwortung kommt dem
unter Pilocarpin-Therapie, durch den reduzierten
Augenarzt auch bei der Erkennung von Perimetrie-
Lichteinfall zu Empfindlichkeitsminderungen füh-
artefakten zu, da er hierdurch dem Patienten unnötige
ren, die als Skotome imponieren.
Zusatzuntersuchungen ersparen kann.
Und schließlich sollte bedacht werden, dass auch Gesichtsfeldausfälle vorgetäuscht sein können.
Interessenkonflikt: Der Autor bestätigt, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Bei funktioneller Sehstörung werden insbesondere oft konzentrische Einengungen angegeben, z. T. erlebt man auch die Angabe einer monokularen konzentrischen Einengung. Um ein Artefakt auszuschließen, muss die Untersuchung wiederholt werden, bei Vorliegen eines Hindernisses unter Beseitigung desselben (Anheben der Ptosis, Verwenden einer Kontaktlinse anstelle eines starken Korrekturglases, Nachperimetrieren ohne Einwirkung von Pilocarpin usw.). Bei Verdacht auf
Literatur 1 Bruckmann A, Lüke J, Will BE et al. Ein topodiagnostisch wegweisender Gesichtsfeldausfall. Ophthalmologe 2010; 107: 1164 – 1168 2 Henschen SE. Zur Anatomie der Sehbahn und des Sehzentrums. Albrecht von Graefes Archiv für Ophthalmologie 1926; 117: 403 – 418 3 Hollenhorst RW, Younge BR. Ocular Manifestations produced by
Bedienungsschwierigkeiten kann es sinnvoll sein, die
Adenomas of the pituitary Gland: Analysis of 1000 Cases. In:
Gesichtsfeldprüfung mit einer anderen Methode
Kohler PO, Ross GT, eds. Diagnosis and Treatment of pituitary Tu-
(insbesondere kinetischer statt statischer Perimetrie) zu wiederholen. Bei Hinweisen auf eine funktionelle Sehstörung kommen Simulationstests zum Einsatz.
mors. New York: American Elsevier; 1973: 53 – 68 4 Krainer L. Zur Anatomie und Pathologie der Sehbahn und der Sehrinde. Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde 1936; 141: 177 – 190 5 Kretschmann U, Gendo K, Wilhelm H et al. Objektivierung von Gesichtsfelddefekten mit Hilfe der multifokalen Elektroretinographie. Klin Monatsbl Augenheilkd 1998; 212: 40 – 49
Diskussion
6 Schiefer U. Visual field defects. J Neurol 2003; 250: 407 – 411 7 Schiefer U, Isbert M, Mikolaschek E et al. Distribution of scotoma
Zusammengefasst können wir anhand der Muster der Gesichtsfeldausfälle eine gute topodiagnostische Eingrenzung treffen: n
n
n
Monokulare Ausfälle sind durch eine prächiasmale
pattern related to chiasmal lesions with special reference to anterior junction syndrome. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2004; 242: 468 – 477
Korrespondenzadresse
Läsion bedingt.
Dr. Flemming Beisse
Bitemporale Gesichtsfeldausfälle deuten auf eine
Universitätsklinikum Heidelberg
Chiasmaläsion hin.
Universitäts-Augenklinik
Homonym-hemianopen Ausfällen liegt eine retro-
Im Neuenheimer Feld 400
chiasmale Läsion zugrunde, bei welchen oft eine genauere Lageeingrenzung in allen drei Raumrich-
69120 Heidelberg Telefon: 0 62 21-56-6634
tungen möglich ist:
Fax: 0 62 21-56-53 93
– Ausfälle im oberen Bereich weisen auf eine Läsion
E-Mail:
[email protected] im unteren Sehbahnbereich hin und umgekehrt.
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CME‑Fragen
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Die retinalen Nervenfasern …
A
verlaufen bogenförmig um die Papille herum, bevor sie in sie einmünden.
B
der temporalen Netzhaut münden oben und unten in die Papille ein.
C
sind Axone vor allem der Bipolarzellen.
D
haben aufgrund ihrer Myelinschicht eine hohe Leitungsgeschwindigkeit.
E
bilden in der nasalen Netzhauthälfte die sogenannte Raphe.
Wodurch sind die Axone eines
A
Sie werden im Chiasma auf das nächste Neuron umgeschaltet.
Sehnervs gekennzeichnet?
B
Sie entwickeln bei Chiasmaschäden eine Atrophie.
C
Axone eines Sehnervs sind normalerweise nicht myelinisiert.
D
Sie enden nahezu vollständig im ipsilateralen Corpus geniculatum laterale (CGL).
E
Sie enden nahezu vollständig im kontralateralen CGL.
A
verlässt die Augenhöhle durch die Fissura orbitalis superior.
B
führt Axone, deren Zellkörper im Chiasma liegen.
C
repräsentiert das Gesichtsfeld des kontralateralen Auges.
D
repräsentiert das kontralaterale Gesichtsfeld.
E
weist eine binokular orientierte Faseranordnung auf, sodass bei Tractusläsionen typischerweise
2
3 Ein Tractus opticus …
kongruente hemianope Ausfälle entstehen.
4 Durch eine der im Folgenden
A
Katarakt
genannten Erkrankungen können
B
Makuladegeneration
echte Gesichtsfeldausfälle nicht
C
Nervenfaserischämie
bedingt sein. Welche?
D
Papillendrusen
E
Hypophysenadenome
Monokulare Gesichtsfeldausfälle
A
Optikusscheidenmeningeom.
können typischerweise bedingt
B
Chiasmaläsionen.
sein durch …
C
Tractus-opticus-Läsionen.
D
Läsionen der Meyer-Schleife.
E
CGL‑Läsionen.
5
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CME‑Fragen
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6 Einen der folgenden Befunde
A
Einnahme des Antiepileptikums Vigabatrin
umfasst die Differenzialdiagnose
B
Optikusgliom
beim Perimetriebefund der
C
Retinitis pigmentosa
konzentrischen Einengung nicht.
D
chronische Stauungspapille
Welchen?
E
funktionelle Sehstörung
Die Differenzialdiagnose von
A
Drusenpapille.
Nervenfaserverlaufsausfällen
B
Toxoplasmose.
umfasst nicht …
C
anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION).
D
Glaukom.
E
Retinopathia centralis serosa.
Wodurch gelingt eine
A
Funduskopie
Unterscheidung, ob ein
B
Swinging-Flashlight-Test
Zentralskotom durch einen
C
OCT
retinalen oder einen Sehnerven-
D
Multifokales ERG
schaden verursacht ist, in der
E
VEP
Wie bezeichnet man den
A
Verbindungshemianopie
typischen Gesichtsfeldausfall,
B
nasotemporale Asymmetrie
der durch einen Tumor des
C
altitudinalen Ausfall
hinteren Sehnervs mit beginnender
D
Junktionsskotom
Schädigung auch des Chiasmas
E
bitemporale Hemianopie
Perimetrische Artefakte können
A
visuelle Aura bei Migräne.
nicht hervorgerufen werden
B
Konzentrationsprobleme.
durch …
C
Pilocarpin.
D
Oberlidptosis.
E
hohe Ametropie.
7
8
Regel nicht?
9
hervorgerufen wird?
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Vom Gesichtsfeldbefund zur Sehbahnläsion Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 211 – 222
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