Nr. 51, 23. Dezember 1977, 102. jg.

Aktuelle Diagnostik

Helwing, jung: Der Gallensteinileus

Redaktion: Prof. Dr. H. Hornbostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Dtsch, med. Wschr. 102 (1977), 1887-1888

© Georg Thieme Verlag, Stuttgart

E. Helwing und D. Jung Klinik für Allgemeinchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (Direktor: Prof. Dr. H. Heymann)

Der Gallensteinileus gilt allgemein als eine der selteneren Erkrankungen des höheren Alters. Er weist in Sarnmelstatistiken eine sehr hohe Letalität - bis 'zu 25% - auf (1, 6, 7, 8). Pathogenetisch führt ein Dekubitus der chronisch entzündeten Gallenblase bei großen Gallensteinen zu einem Durchbruch in ein benachbartes Hohlorgan, meist das Duodenum. Der große Gallenstein verlegt dann zeitweise das Darmlumen, führt durch Tiefertreten zu einem intermittierenden Ileus (Abbildung 1*), bis es schließlich bei völliger Einklemmung zum Vollbild des Darmverschlusses kommt. Zahlreiche Publikationen der letzten Jahre zu diesem Thema erwecken den Anschein, als trete das Krankheitsbild des Gallensteinileus zunehmend mehr in den Vordergrund. Wir selbst haben inden letzten 3 Jahren sieben Fälle von Gallensteinileus beobachtet. Übereinstimmend wird die hohe Letalität bei dieser Erkrankung auf eine Verzögerung der Diagnostik zurückgeführt (1, 8, 11). In vielen Fällen ergibt sich die Diagnose erst bei der Operation. Die Analyse der eigenen Kranken und der Literaturangaben zeigt allerdings, daß dieses Krankheitsbild offensichtlich erst spät oder gar nicht in die differentialdiagnostischen Erwägungen ein-bezogen wird, obwohl in den meisten Fällen folgende eindeutige Kriterien bestehen: 1. Der Gallensteinileus ist eine Spätkomplikation des Gallensteinleidens. In fast allen Fällen besteht eine langjährige Gallenanamnese. Da meist große Steine zur Perforation führen, findet sich oft ein längeres beschwerdefreies Intervall in der Anamnese. In allen Fällen bestand aber einige Tage bis Wochen vor der Manifestation des Ileus eine schwere Gallenkolik, oder es wird ein entsprechender Schmerzzustand angegeben. Nach vorübergehendem freiem Intervall treten dann die typischen Subileuszustände auf, die beim Tiefertreten des Steines immer wieder Remissionen zeigen, bis es an einer der physiologischen Engen, meist im unteren Ileum, zur endgültigen Steineinklemmung mit dem Vollbild des Ileus kommt (4, 9). 2. In vielen Fällen besteht eine Aerobilie (11). Luft ist aber unter normalen anatomischen Verhältnissen fast niemals in den Gallengängen nachweisbar. Sie tritt nur bei operativ angelegten oder aber spontan entstandenen bilioenteralen Fisteln auf (Abbildung 2). Der Nachweis * Abbildungen 1 und 2 siehe Tafel Seite 1886

von Luft im Bereich des Leberschattens oder gar mit Barium nachweisbarer Kontrastmittelreflux in die Gallenwege ist eines der wichtigsten Kriterien für eine cholezystoenterale Perforation und muß bei entsprechenden intestinalen Störungen den Verdacht auf einen Gallensteinileus lenken. 3. Im Cholezystogramm sind manchmal Veränderungen der meist schon lange bekannten Verhältnisse nachweisbar. Mitunter sind früher nachgewiesene größere Gallensteine nicht mehr im rechten Oberbauch festzustellen. Exakte Nachforschung zeigt dann möglicherweise auf der Abdomenübersicht einen Nachweis der Steinwanderung. Es gibt also eine Reihe einfacher klinischer Kriterien als Hinweis auf diese Erkrankung; sie müßten in vielen Fällen eine schnellere Diagnostik ermöglichen. Von den sieben Fällen, die wir in den letzten 3 Jahren operiert haben, wurde in keinem Fall die korrekte Einweisungsdiagnose gestellt, obwohl in vier Fällen die mitgelieferten Befunde deutliche Hinweise auf eine cholezystoenterale Perforation gaben. So war in sechs Fällen schon auf der Leeraufnahme freie Luft in den Gallenwegen zu erkennen. In einem Fall war eine seit Jahren bekannte, angebliche Porzellangallenblase nicht mehr nachweisbar. In zwei Fällen fand sich auf der Abdomenübersicht ein konkrementverdächtiger Schatten in Projektion auf das untere Ileum. In sechs von sieben Fällen haben wir unter der dringenden Verdachtsdiagnose eines Gallensteinileus gezielt operativ vorgehen können. Das wesentliche Problem scheint also bei diesem Krankheitsbild darin zu liegen, daß die Möglichkeit des Gallensteinileus differentialdiagnostisch zu wenig erwogen wird (1,4,8). Über das therapeutische Vorgehen besteht keine Einigkeit (2,3,5). Wegen der hohen Letalitätsquoten wird allgemein die alleinige Enterolithotomie bevorzugt (3). Die optimale chirurgische Versorgung besteht allerdings in der Steinentfernung durch Enterolithotomie und gleichzeitiger Cholezystektomie mit Beseitigung der Fistel, um weiteren Rezidiven und vor allem der aszendierenden Cholangitis vorzubeugen. Wird dieser Eingriff im Frühstadium der Erkrankung durchgeführt, bevor sich das Vollbild des Ileus ausgebildet hat, müßte sich die derzeit noch hohe Letalitätsquote deutlich senken lassen. Wegen der Möglichkeit eines mehrfachen Steinabganges müssen wir beim Gallensteinileus planmäßig das gesamte

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Der Gallensteinileus

r888 Literatur (1) Armbruster, Ch., K. Gorz: Der Gallensteinileus. Wien. klin, Wschr. 83 (1971), 911. (2) Büttner, D.: Gleichzeitige Gallenwegschirurgie beim Gallensteinileus. Chir. Praxis 18 (1974), 39. (3) Eichen, R., H. von Ackeren: Gallensteinileus. Münch. med. Wschr. 113 (1971), 1226. (4) Flintsch, K., M. Bauer: GallensteinIleus. Diagnostik und Therapie. Münch. med. Wschr. 112 (1970), 2040. (5) Hantschmann, N., j, Voigr, R. Becher: Zur Wahl des Operationsverfahrens beim Gallensteinileus. Arch. klin. Chir. 338 (1975), 55.

(6) ]elinek, R.: Der Gallensteinileus. Wien. klin. Wschr. 84 (1972), 606. (7) ]iminez, C. P.: Die Behandlung der Gallenblasenperforation und des Gallensteinileus. Münch, med. Wschr. 108 (1966), 1323. (8) Maurer, G.: Der Gallensteinileus. Arch. klin. Chir. 308 (1964), 177. (9) Paschold, K.: Spontaneous biliaryenteric fistulas, Zbl. Chir. 83 (1956), 2284. (10) Weber, P.: Die Problematik der Diagnose und der Therapie des Gallensteinileus. Zbl. Chir. 94 (1969), 1045. (11) Weige1, C. j.. Preoperative X-ray diagnosis of gallstone ileus, Amer. ]. Proctol, 14 (1963), 233.

Privatdozent Dr. E. Helwing, Dr. D. Jung Klinik für Allgemeinchirurgie Medizinische Hochschule 3000 Hannover 51, Pasteurallee

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Intestinum untersuchen und alle nachweisbaren Steine durch Enterotomie entfernen. Die Gallensteine fanden sich bei unseren Fällen sechsmal im unteren Dünndarm und einmal im Magen. Einmal war zusätzlich ein großer Gallenstein im Kolon nachweisbar, einmal fanden sich kurz vor der Bauhinsehen Klappe zwei größere Gallensteine. Wir haben in sechs von unseren sieben Fällen gleichzeitig die Gallenblase entfernt und die cholezystoenterale Fistel verschlossen. In zwei Fällen fanden sich dabei in der Gallenblase weitere große Gallensteine, die möglicherweise zu einem Rezidiv des Krankheitsbildes hätten führen können (2, 9). Komplikationen sind durch dieses Vorgehen nicht eingetreten. Sechs Patienten haben den Eingriff problemlos überstanden. In einem Fall haben wir allerdings eine 72jährige Patientin unmittelbar nach der Operation an einer fulminanten Lungenarterienembolie verloren.

Deutsche Medizinische Wochenschrift

Abb. 1. Intermittierender Gallensteinileus.

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Der Gallensteinileus

Abb. 2. Aerobilie, Luftfüllung der Gallenwege.

[Gallstone ileus].

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