Kurzmitteilung/Kasuistik 219

Hausärztliche Perspektiven zum geplanten Darmkrebsfrüherkennungsprogramm – ein Stimmungsbild

Autoren

C. Guethlin, A. Siebenhofer

Institut

Institut für Allgemeinmedizin, Goethe Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main

Schlüsselwörter ▶ Früherkennung ● ▶ Darmkrebs ● ▶ Allgemeinmedizin ●

Zusammenfassung

Abstract

Gruppendiskussionen mit Hausärzten zum geplanten nationalen Darmkrebs-Screening-Programm mit Einladungsverfahren zeigten, dass bei einem Einbezug dieser wichtigen Gruppe Kosten-Nutzen-Bewertungen an zentraler Stelle kommuniziert werden sollten.

Group discussions with family doctors (FD) about the planned nationwide screening programme for colorectal cancer showed that FD would appreciate knowing about the cost-benefit ratio of the programme before taking on a role in it.

Hintergrund

geplanten Verfahren. Die Moderatorin thematisierte eine mögliche Rolle hausärztlicher Praxen (auch im Hinblick auf schwer zu erreichende Bevölkerungsgruppen) und sprach mögliche Barrieren eines solchen Screeningprogramms mit zentralem Einladungsverfahren an. Die Diskussionen wurden auf Video und Audio aufgezeichnet und inhaltsanalytisch (deduktiv und induktiv) ausgewertet. In diesem Kurzbericht soll nun auf die Ergebnisse eingegangen werden, die unmittelbar die Ausgestaltung dieses Programms betrafen.

Key words ▶ screening ● ▶ colorectal cancer ● ▶ family medicine ●





Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1367028 Online-Publikation: 26.3.2014 Gesundheitswesen 2014; 76: 219–220 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0941-3790 Korrespondenzadresse Dr. Corina Guethlin Institute of General Practice Goethe-University Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt guethlin@allgemeinmedizin. uni-frankfurt.de

Im Rahmen des nationalen Krebsplans wurde eine Expertengruppe mit der „Weiterentwicklung der Darmkrebsfrüherkennung“ beauftragt, die die Grundlagen für ein bundesweites bevölkerungsbezogenes Einladungsverfahren schuf [1]. Dieses ist nun vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) hinsichtlich von Altersgrenzen, Häufigkeit, Art und Umfang der jeweiligen Untersuchung und für Gruppen mit stark erhöhtem Risiko auszugestalten. Aufgrund der zentralen Rolle, die die Allgemeinmedizin z. B. in den europäischen Leitlinien zum Darmkrebsscreening [2] spielen, befragten wir Ärzte aus Lehr- und Forschungspraxen des Institutes für Allgemeinmedizin (Frankfurt/Main) in Gruppendiskussionen zu ihrer Haltung gegenüber einer solchen bevölkerungsbasierten Initiative.

Methode



Insgesamt wurden 2 Gruppendiskussionen mit je 7 bzw. 8 Teilnehmern durchgeführt (im Folgenden HÄ/HA). Der Gesprächsleitfaden stellte zunächst die Gesetzesinitiative vor (d. h. erklärte, dass Darmkrebs-Früherkennungs-Untersuchungen als ein bevölkerungsbasiertes Programm sowie ein entsprechendes Einladungsverfahren durch die Krankenkassen geplant ist) und fragte im Anschluss nach der Einschätzung der HÄ zum



Ergebnisse



Zunächst fiel deutlich auf, dass der Tenor in beiden Gruppendiskussionen sehr unterschiedlich war. Neben Äußerungen eines Wortführers, der schon zu Beginn seine volle Unterstützung für ein populationsbasiertes Screening ausdrückte, wenn hier der „Goldstandard Koloskopie“ verwendet würde, zeigten auch andere HÄ der ersten Gruppe eine positive Einstellung gegenüber einem möglichen Reihenscreening. Die andere Gruppe zeigte sich von Anfang an deutlich skeptischer gegenüber dem Nutzen einer solchen Initiative. Im Folgenden finden sich die wichtigsten Ergebnisse beider Gruppen, auch unter Berücksichtigung der erwähnten Unterschiedlichkeit.

Guethlin C, Siebenhofer A. Hausärztliche Perspektiven zum geplanten … Gesundheitswesen 2014; 76: 219–220

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General Practitioners’ Perspectives on the Planned Screening Programme for Colon Cancer – A General Opinion

220 Kurzmitteilung/Kasuistik Haltung(en) zu einem populationsbasierten Screening (Abwägen von Kosten wie tatsächliche Kosten und Ressourcen und einem gedachten Nutzen des Screenings) Evidenz des Screening-Verfahrens

Ideen zum Einladungsverfahren

Die stärkste Äußerung der ersten Gruppe hierzu lautete „Warum soll ich an einem solchen Screening teilnehmen, wenn ich nicht die Koloskopie empfehlen soll…“ (HA1, Gr.1). Viele Äußerungen drehten sich um derzeitige Leitlinieninhalte, z. B. „Koloskopie als Goldstandard“ oder Definition von Altersgrenzen. Die HÄ zeigten sich informiert über die S-3 Leitlinie ‚kolorektales Karzinom‘ und meinten, dass nur die derzeitigen Leitlinieninhalte die Evidenz richtig wiedergeben und daher in einem solchen Programm umgesetzt werden müssten. Auch die eher skeptische Gruppe an Hausärzten thematisierte die Evidenz eines Screenings. Hier hörten sich die Äußerungen jedoch eher wie folgt an: „Was sollen wir mit welchen Screeningverfahren erreichen? (…) Wie viel´ Tote wollen sie verhindern, wie viel Geld wollen sie einsetzen und was ist der Grenznutzen an Prävention?“ (HA5, Gr.2) Diese HÄ beschäftigten sich wiederkehrend mit dem Grenznutzen eines Programms. Hierzu wurde ins Feld geführt, dass man jetzt schon bei einer bestimmten Familienanamnese zur Koloskopie rate, dass also auch fraglich sei, wie viele Neuerkrankte wirklich gefunden werden könnten.

Rolle der Hausärzte

Im Zusammenhang mit der Bestimmung des Grenznutzens wurde ebenfalls thematisiert, dass es derzeit schon schwer sei, einen Termin für eine Koloskopie bei einem Gastroenterologen zu bekommen. Insofern müsse gut überlegt werden, ob ein solches Programms die dann „fehlende Ressource Gastroenterologe“ rechtfertige, d. h. dass ein flächendeckendes Programm das Risiko berge, im Bedarfsfall nicht genügend Gastroenterologen zur Verfügung zu haben. Auch äußerten die Hausärzte die Sorge, dass es sich hier um ein „Gastroenterologen“-Programm handeln könnte, dass also nur diese Gruppe finanziell profitieren könnte, während die HÄ möglicherweise lediglich mehr Arbeit mit Beratung und Krankschreibungen hätten.

Kosten Erkennbar war für die befragten HÄ „Ressourcen-Allokation“ ein wiederkehrendes Thema. Außerdem wurde auch von eher positiv eingestellten HÄ deutlich gemacht, dass eine Aufwandsentschädigung der hausärztlichen Leistungen unverzichtbar sei, sonst fielen Versorgungsaufgaben hinter Screening-Aufgaben zurück. In diesem Zusammenhang müsse man nach Meinung der eher kritisch eingestellten Hausärzte auch untersuchen, was die Defizite des derzeitigen Vorgehens seien und – statt flächendeckender Programme – an diesen ansetzen.

Insgesamt äußerten die HÄ die Überzeugung, dass gerade sie aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses eine zentrale Rolle spielen und z. B. auch Risikopatienten nach einer zentralen Einladung sehr gut ansprechen könnten. Der Hausarzt sei „Informationsquelle No 1“ (Gr.1, HA3). Die Belastung der HÄ spielte auch beim Einladungsverfahren eine zentrale Rolle. Ein HA sagte: „… oder die Krankenkasse mal wieder in den hausärztlichen Bereich die Problematik verschiebt, indem sie den Stein ins Rollen bringt und dem Hausarzt des dann im Rahmen seines Kontaktes dann überlässt (…).“ (HA3, Gr.1) Als günstig bei einem Einladungsverfahren wurde erachtet, dass der Patient sich von sich aus mit dem Thema Darmkrebs auseinandersetzen müsse.

Diskussion



Die Ergebnisse zweier Gruppendiskussionen mit Hausärzten, die zu ihrer Haltung und möglichen Rolle bei einem populationsbasierten Darmkrebs-Screening mit Einladungsverfahren befragt wurden, zeigen im Wesentlichen 2 Punkte auf: 1) Falls HÄ für ein solches Verfahren gewonnen werden sollten, müsste in der Kommunikation die Evidenz des gewählten Screeningverfahrens und der gesamtgesellschaftliche Nutzen erklärt und betont werden. 2) In jedem Fall muss über eine Refinanzierung des hausärztlichen Aufwandes nachgedacht werden. Außerdem wurde die Verfügbarkeit von gastroenterologisch tätigen Ärzten angesprochen, die bei einem solchen Präventionsprogramm unbedingt bedacht werden müsste. Dies ist ein Kurzbericht zweier Gruppendiskussionen und kann nur einen Einblick in hausärztliche Bedürfnisse und Denkweisen geben, um bereits im Vorfeld einer Ausgestaltung dieser Gruppe von Akteuren eine Stimme zu verleihen.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1 Riemann JF, Maar C, Betzler M et al. Darmkrebsfrüherkennung im Nationalen Krebsplan – Aktueller Stand und Empfehlungen für die Weiterentwicklung. Z Gastroenterol 2011; 49: 1428–1431 2 Segnan N, Patnick J, Karsa Lv. European guidelines for quality assurance in colorectal cancer screening and diagnosis. 1. Aufl. Genf: World Health Organization; International Agency for Research on Cancer; (Publications Office of the European Union); 2010

Guethlin C, Siebenhofer A. Hausärztliche Perspektiven zum geplanten … Gesundheitswesen 2014; 76: 219–220

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Sicht auf Fachärzte

Die Rolle der Hausärzte wurde betont, wobei gerade bei der sogenannten „Hard-to-Reach-Population“ die Grenzen hausärztlicher Reichweite gesehen wurden.

[General practitioners' perspectives on the planned screening programme for colon cancer--a general opinion].

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