Prävention und Versorgungsforschung

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Gesundheitsversorgung bei Harninkontinenz im Alter Edgar A. Mueller, Wilhelm Kirch

Hintergrund | Mit zunehmendem Alter tritt Harninkontinenz häufiger auf. Man schätzt, dass derzeit in Deutschland ca. 4 Millionen Menschen leben, die eine behandlungsbedürftige oder ver­ sorgungspflichtige Harninkontinenz haben [1]. Etwa 30 % der über 80‑Jährigen sind betroffen , bei den über 60-Jährigen sind es ca. 11 % [1, 2]. Aber auch jüngere Personen können betroffen sein [3]. Harninkontinenz-Symptome gehen nicht selten mit eingeschränkter Lebensqualität und sozialer Isolation einher (z. B. aus Angst vor Gerüchen). Unkontrollierter Harnverlust ist aber auch ein ­Risikofaktor für verschiedene Krankheiten (z. B. Vaginosen) und kann bei Älteren vermehrt zu Stürzen führen [1, 4]. Harninkontinenz: eine Herausforderung | Schon heute gehört die adäquate Versorgung harnin­ kontinenter älterer Patienten zu den großen ­Herausforderungen der geriatrischen Medizin – eine Situation, die sich durch den demografi­ schen Wandel noch verschärfen wird [5]. Harnin­ kontinenz ist somit ein immer größer werdendes medizinisches und sozioökonomisches Problem [6]. In der ärztlichen Praxis bleiben die Sympto­ me oft unausgesprochen und sind mit Tabus ­behaftet [7]. Dies trägt dazu bei, dass die Inkonti­ nenz-Symptomatik oft unerkannt und unbehan­ delt bleibt, was zu einer unzureichenden Versor­ gung führt [8]. Erst kürzlich wurde in einem ­Positionspapier betont, dass eine verbesserte in­ terdisziplinäre Zusammenarbeit aller in die Ver­ sorgung involvierten Akteure nötig ist, um diesen Therapieauftrag aktuell und zukünftig zu erfül­ len [9]. Aufgrund ihrer Altersabhängigkeit ist die Harninkontinenz auch aus ökonomischer Sicht eine zunehmende Herausforderung für die Betroffenen, die Angehörigen und die Kostenträger im Gesundheitssystem [10, 11].

Dranginkontinenz | Eine Harninkontinenz, also der nicht kontrollier- oder steuerbare Abgang von Urin, tritt im fortgeschrittenen Alter häufig als Dranginkontinenz auf [6]. Meist verspürt der Pa­

tient einen starken, nicht unterdrückbaren Drang zu urinieren mit darauffolgendem unwillkürli­ chem Urinverlust. Ursächlich dafür sind nicht steuerbare Kontraktionen des Blasenmuskels (­Detrusor), die den Druck in der Harnblase er­ höhen und zur aktiven Austreibung des Urins ­führen [12]. Eine erhöhte Miktionsfrequenz am Tag und nächtliches Wasserlassen als Zeichen einer überaktiven Blase („overactive bladder“, OAB) sind oft Begleitsymptome einer Dranginkontinenz.

Belastungsinkontinenz | Demgegenüber steht die Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz): Hier führt erhöhter Druck in der Harnblase zum Urin­ verlust ohne Harndrang - meist synchron zu Hus­ ten, Niesen, Lachen oder körperlicher Aktivität. Bei der Belastungsinkontinenz liegt ein insuffizi­ enter Harnröhrenverschluss vor [12]. Bei Frauen ist die Belastungsinkontinenz die häufigste Form der Harninkontinenz [12], typischerweise nach vaginalen Entbindungen. Mischinkontinenz | Im klinischen Alltag wird auch häufig die Mischinkontinenz beobachtet: eine Kombination von Drang- und Belastungsin­ kontinenz-Symptomen. Der Anteil an Frauen mit einer Mischinkontinenz liegt bei etwa 30 % [12]. Besonders im höheren Alter nimmt diese Form der Harninkontinenz zu [10] und kann zu diag­ nostischen und therapeutischen Fehleinschät­ zungen führen. Bei älteren Männern liegt am häufigsten eine Dranginkontinenz vor, oft in Kombination mit benigner Prostatahyperplasie [13].

Ursachen der Inkontinenz im Alter | Die Harn­ inkontinenz bei Älteren entwickelt sich durch ver­ schiedene altersbedingte physiologische Verände­ rungen, Funktionseinschränkungen und Krank­ heitsbilder. Beim Gesunden werden Informatio­ nen über den Füllungszustand der Harnblase über sensible Afferenzen aus dem Urogenitaltrakt an

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Harninkontinenz ist ein häufiges Problem von geriatrischen Patienten. Die Symptome bleiben oft unerkannt und unbehandelt – eingeschränkte Lebensqualität und soziale Isolation können die Folge sein. Eine verbesserte Gesundheitsversorgung dieses Patientenkollektivs verlangt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Prävention und Versorgungsforschung das pontine Miktionszentrum im Stammhirn wei­ tergegeben. Ab einer bestimmten Blasenfüllmen­ ge werden kortikale Zentren aktiviert – es entsteht ein Harndrang. Die Blasenentleerung wird dann zurückgehalten, bis sich hierfür ein geeigneter Zeitpunkt findet. Bei älteren, multimorbiden Pati­ enten ist dieser Regelkreis oft gestört; es entsteht ein permanenter Harndrang, der nicht mehr kon­ trollierbar ist. Letzteres wird oft durch insuffizien­ te Verschlussmechanismen im Bereich der Urethra und des Beckenbodens begünstigt [7]. Die multikausale Harninkontinenz bei älteren, multimorbiden Patienten schränkt oft die Aktivitäten des täglichen Lebens ein.

Harninkontinenz-Assessment | Vor der Behand­ lung eines geriatrischen Patienten ist aufgrund der häufig bestehenden Multimorbidität eine in­ dividuelle Diagnostik vorzunehmen, bei der ein Assessment einbezogen wird. Da Inkontinenz­ probleme oft verschwiegen werden, sollte ein leicht durchführbares Harninkontinenz-Scree­ ning Teil eines jeden geriatrischen Assessments sein [7]. Dieses Instrument hilft, das Problem wahrzunehmen und zu quantifizieren sowie die Beeinflussung der Lebensqualität zu beurtei­ len. Außerdem können Risikofaktoren, die eine Harninkontinenz begünstigen, entdeckt werden [4]. Definition: geriatrischer Patient (nach [9]) ▶▶ geriatrietypische Multimorbidität: mindestens

3 behandlungsbedürftige Erkrankungen und höheres Lebensalter (meist > 70 Jahre)1 oder ▶▶ Alter ≥ 80 Jahre2 1 Multimorbidität ist vorrangig vor Alter zu sehen 2 aufgrund der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität

Tab. 1  Typische Initialfragen im Rahmen eines KontinenzAssessments bei geriatrischen Patienten (modifiziert nach [9]).

Beim Harninkontinenz-Assessment kommen ver­ schiedene ▶▶ Fragebögen, ▶▶ nichtinvasive Untersuchungsmethoden und ▶▶ funktionelle Tests zum Einsatz. Standardisierte Assessmentabläufe gibt es allerdings nur wenige. Hauptbestandteile eines Harninkontinenz-Assessments sollten sein: ▶▶ eine gezielte Anamnese (inklusive Krankheitsund Medikamentenanamnese) ▶▶ körperliche Untersuchung

1 Verlieren Sie ungewollt Urin? 2 Verlieren Sie Urin, wenn Sie husten, lachen oder sich körperlich betätigen? 3 Verlieren Sie Urin auf dem Weg zur Toilette? 4 Tragen Sie Vorlagen, um Urin aufzufangen? 5 Müssen Sie beim Wasserlassen pressen? 6 Wie sehr beeinflusst der Verlust von Urin Ihren Alltag (auf einer Skala von 1–10)?

▶▶ Urinuntersuchung

▶▶ Restharnbestimmung

▶▶ ggf. Erstellung eines Miktionstagebuchs [7, 14] Je nach Ergebnis dieser Untersuchungen sollten weitere diagnostische Abklärungen erfolgen.

Die Medikamentenanamnese bei geriatrischen Patienten nimmt einen wichtigen Stellenwert ein. Gründe dafür: ▶▶ Häufig besteht eine Polypharmazie. ▶▶ Verschiedene Medikamentengruppen können die Harninkontinenz-Symptome verursachen oder verstärken.

Anamnese | Bereits die geriatrische Anamnese kann kontinenzbezogene Probleme aufdecken. So sollte der Patient direkt zu entsprechenden Symp­ tomen befragt werden. Typische initiale Fragen sind in ▶ Tab. 1 zusammengefasst. Auch sind Be­ obachtungen von Angehörigen und Pflegenden zu berücksichtigen, ebenso wie offensichtliche klini­ sche Zeichen einer Harninkontinenz (z. B. Ge­ ruchsentwicklung) [7]. Unter Berücksichtigung aller erhobenen Befunde kann ein individueller Therapieplan erstellt werden.

Therapeutische Möglichkeiten Erste Schritte | Die Therapie der Harninkonti­ nenz bei Älteren beginnt damit, die Pathologien zu behandeln, die im Rahmen des Assessments festgestellt wurden (z. B. Harnwegsinfekte, lokale Schleimhautdystrophien). Ebenso muss sicher­ gestellt sein, dass Harninkontinenzprodukte (z. B. Windeln, Vorlagen oder Kondomurinale) ausrei­ chend vorhanden sind, da dies schon oft die ­Lebensqualität verbessert [5]. Dann erfolgt die Ausarbeitung eines Gesamtkonzeptes, das an die individuellen Möglichkeiten (Mobilität, Motiva­ tion und kognitiven Fähigkeiten) angepasst sein muss. Wichtig ist auch, dass vorab realistische ­Behandlungsziele vereinbart werden [9]. Nichtmedikamentöse Optionen | Nichtmedika­ mentöse Behandlungsoptionen sollten zuerst An­ wendung finden, bevor eine Arzneimitteltherapie initiiert wird. So stehen bei der Therapie der Harninkontinenz bei Älteren Verhaltensmodifika­ tionen und -interventionen im Vordergrund: Dazu gehören z. B. das Toilettentraining mit fest­ gelegten, zeitlich gestaffelten Toilettengängen oder das Erstellen eines individuellen Toi­ lettenplans auf der Basis von Inkontinenzepiso­ den. Je nach Selbstständigkeit des Patienten soll­ ten Angehörige oder das Pflegepersonal in das ­Toilettentraining involviert werden, um gegebe­ nenfalls Hilfestellung zu geben [5]. Besonders bei der Belastungsinkontinenz kann je nach körper­ lichen und kognitiven Fähigkeiten auch bei älte­ ren Patienten ein Beckenbodentraining indiziert sein. Es wird aber ebenso bei anderen Formen der

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Zu den möglichen Änderungen des persönlichen Lebensstils gehören ▶▶ die Anpassung von Trinkgewohnheiten und ▶▶ die Vermeidung harntreibender Mittel (z. B. Nikotin, Koffein oder scharfe Gewürze). Darüber hinaus ist auf regelmäßigen Stuhlgang zu achten, da eine Obstipation HarninkontinenzSymptome verstärkt [16].

Medikamente | Für die medikamentöse Behand­ lung der Harninkontinenz, bei der die Drangsym­ ptomatik im Vordergrund steht, werden in Deutschland häufig Anticholinergika eingesetzt [9]. Sie verringern bzw. unterdrücken die über Muskarin-Rezeptoren vermittelten unwillkürli­ chen Kontraktionen des Detrusor-Muskels und können die Speicherkapazität der Harnblase er­ höhen [4]. Die zur Verfügung stehenden anticho­ linergen Substanzen unterscheiden sich in ihrer Rezeptorselektivität und der Fähigkeit, die BlutHirn-Schranke zu passieren. In Deutschland er­ hältliche Anticholinergika sind: ▶▶ Darifenacin ▶▶ Fesoterodin ▶▶ Oxybutynin ▶▶ Propiverin ▶▶ Solifenacin ▶▶ Tolterodin ▶▶ Trospiumchlorid Alle sind signifikant wirksam gegen OAB-Sympto­ me und Dranginkontinenz [6]. Bei ihrer Einnahme können unerwünschte Wirkungen auftreten wie ▶▶ Mundtrockenheit, ▶▶ Obstipation, ▶▶ Sehstörungen oder ▶▶ ZNS-Effekte (kognitive Einschränkungen, Schwindel).

fähigkeit in regelmäßigen Abständen kon­trolliert werden; vor Therapiebeginn ist die bestehende Komedikation auf anticholinerge Effekte zu prü­ fen (Bestimmung der anticholinergen Last) [9, 18]. Beispiele für Arzneistoffe mit anticholinergen Wirkungen sind: ▶▶ Furosemid ▶▶ Digoxin ▶▶ Theophyllin ▶▶ Nifedipin ▶▶ Prednisolon ▶▶ Cimetidin [18]. Cave  ▶▶ Bei Verdacht auf Restharnbildung ist besondere

Vorsicht geboten, da die hemmende Wirkung der Anticholinergika auf Muskarin-Rezeptoren mit einer Blasenkontraktionsabschwächung einhergeht. ▶▶ Neben regelmäßigen Restharnkontrollen ist auch auf Harnwegsinfekte zu achten [7, 16].

Beta-3-Mimetikum gegen Dranginkontinenz | Seit Juni 2014 ist in Deutschland mit Mirabegron erstmals ein Beta-3-Mimetikum im Handel. Es ist auch zur Behandlung von Erwachsenen mit Drang­inkontinenz zugelassen. Erste Studien (auch mit älteren Patienten) legen nahe, dass der Wirk­ stoff eine Alternative zu den Anticholinergika ist [19]. Andere Behandlungsoptionen für die Drang­ inkontinenz – wie Botulinumtoxin-Injektionen oder sakrale Nervenstimulation – bedürfen bei geriatrischen Patienten einer sorgfältigen Indika­ tionsstellung [5]. Duloxetin gegen Belastungsinkontinenz | Für die perorale medikamentöse Therapie der Belas­ tungsinkontinenz steht Duloxetin, ein Arzneistoff aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Nor­ adrenalin-Wiederaufnahmehemmer, zur Verfü­ gung. In Deutschland ist es zugelassen zur ­Behandlung von Frauen mit mittelschwerer bis schwerer Belastungsinkontinenz. Aktuell wird der Wirkstoff bei älteren Patienten aber nur ­zurückhaltend eingesetzt, vor allem wenn auf­ grund von Begleiterkrankungen eine Polyphar­ mazie mit der Gefahr von Wechselwirkungen vorliegt [5].

Cave  Werden Anticholinergika verordnet, sollten Substanzen bevorzugt werden, deren Wirksamkeit und Sicherheit gezielt bei älteren Patienten untersucht wurden, mit dem Fokus auf geringere ZNS-Effekte [9].

Vorgehen bei Mischinkontinenz | Bei einer Misch­ inkontinenz bestimmt die prädominante Kompo­ nente das therapeutische Vorgehen. In unklaren Fällen kann eine urodynamische Abklärung auch beim geriatrischen Patienten indiziert sein [5].

Kognitive Leistungsfähigkeit kontrollieren | Gera­ de bei älteren Patienten steht die Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit im Vordergrund [5, 17]. Falls die Behandlung der Harninkontinenz anticholinerg wirksame Medikamente mit ein­ bezieht, sollte daher die kognitive Leistungs­

Wann operieren? | Chirurgische Interventionen (z. B. bei Inkompetenz des Blasensphinkters) sind grundsätzlich dann zu erwägen, wenn bei hohem Leidensdruck konservative Maßnahmen versagt haben und der Patient nicht inoperabel ist; zuneh­ mend stehen auch minimal-invasive Behand­ lungsmöglichkeiten zur Verfügung [5, 6, 20].

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Harninkontinenz eingesetzt und kann die Inkon­ tinenz-Symptomatik verbessern [15]. Der Sinn er­ gänzender Behandlungsmethoden (z. B. Elektrooder Magnetstimulationstherapie) muss im Ein­ zelfall geprüft werden. Bei Adipositas sollte eine Gewichtsreduktion angestrebt werden, wobei hiervon v. a. jüngere Menschen zu profitieren scheinen. Generell sind etwaige Änderungen im persönlichen Lebensstil mit dem Patienten bzw. den Angehörigen zu besprechen.

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Nichtmedikamentöse Behandlungsoptionen haben Vorrang.

Prof. Dr. med. Edgar A. Mueller ist Facharzt für Klinische Pharmakologie. Er hat einen Lehrauftrag am Institut für Klinische Pharmakologie und am Forschungsverbund Public Health Sachsen an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden. [email protected]

Prof. (em.) Dr. med. Dr. dent. Wilhelm Kirch ist Facharzt für Klinische Pharmakologie sowie Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie. [email protected]

Interdisziplinäre Zusammenarbeit | Vorausset­ zung für die optimierte Behandlung und Versor­ gung von älteren Patienten mit HarninkontinenzSymptomen ist eine interdisziplinäre, transsekto­ rale Zusammenarbeit. So sind auch die medizi­ nisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die sich eine bessere Versorgung der Harninkonti­ nenz-Patienten zum Ziel gesetzt haben (wie z. B. die Deutsche Kontinenz-Gesellschaft e. V. oder die International Continence Society), interdiszipli­ när ausgerichtet. Zwar werden auch Urologen oder Gynäkologen direkt kontaktiert, doch die meisten inkontinenten geriatrischen Patienten suchen zuerst Hilfe bei ihrem Hausarzt [9]. So ob­ liegt es diesem, die Symptomatik zu erkennen und die verschiedenen diagnostischen und therapeu­ tischen Maßnahmen durchzuführen bzw. zu überwachen, wenn Spezialisten (z. B. Urologen, Gynäkologen, Geriatriker, Pharmakologen, Fach­ pflegekräfte, Gerontopsychologen, Physiothera­ peuten) involviert werden. Darüber hinaus kennt der Hausarzt das soziale Umfeld des Patienten und kann so abschätzen, welche ambulante bzw. häus­ liche Versorgung möglich ist. Weiterhin kommt dem Hausarzt noch eine Reihe von Koordinations­ aufgaben zu: ▶▶ alle ambulanten und stationären Befunde zu er­ fassen, ▶▶ Medikamentenpläne entsprechend zu aktuali­ sieren oder ▶▶ den Kontakt zu Pflegediensten und Selbsthilfe­ gruppen (falls gewünscht) herzustellen[9]. Konsequenz für Klinik und Praxis ▶▶ Harninkontinenz ist ein häufiges und belasten-

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Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht. DOI 10.1055/s-0041-101240 Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 519–522 © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-0472

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des Problem von geriatrischen Patienten. Häufig bleibt sie unerkannt und es kommt zu einer Unterversorgung der Betroffenen. Da Harninkontinenz-Probleme oft verschwiegen werden, sollte beim älteren Patienten ein entsprechendes Screening durchgeführt werden. Bevor eine medikamentöse Therapie initiiert wird, sollten nichtmedikamentöse Behandlungsoptionen, wie Verhaltensmodifikation, Toilettentraining und Beckenbodengymnastik, ausgeschöpft worden sein. Werden Anticholinergika eingesetzt, sollte die kognitive Leistungsfähigkeit überwacht werden. Eine transparente, interdisziplinäre Zusammenarbeit ist Pflicht.

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[Health care of geriatric patients with urinary incontinence].

Urinary incontinence occurs frequently in geriatric patients. In the doctor's practice, the symptoms are often not mentioned by the patients; this may...
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