Thaler: Hepatitis und Zirrhose
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Obersichten
Dtsch. med. Wschr. loo (1975), 1018-1025 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart
Hepatitis und Zirrhose
H. Thaler 4. Medizinische Abteilung des Wilhelininenspitals der Stadt Wien )Vorstand Prof. Dr. H. Thaler)
Ober die Häufigkeit der hepatitischen Zirrhose liegen, je nachdem, ob die Erhebungen auf anamnestischem oder katamnestischem Wege erfolgten, sehr unterschiedliche Angaben vor. Neueste Ergebnisse auf virologischem und immunologischem Gebiet machen diese Diskrepanz ebenso verständlich, wie sie erklären, warum manche Hepatitisfälle einen schweren, nekrotisierenden Verlauf nehmen und andere in ein chronisches Stadium übergehen. Auf Grund des Hepatitis-Bs-Antigen-Nachweises muß angenommen werden, daß in Europa, regional
verschieden, 20-40% der Zirrhosen hepatitischen Ursprungs sind. Diese Zirrhosen hängen weniger mit akuten als mit subklinischen Krankheitsverläufen der Virushepatitis zusammen. Abhängig davon, ob die Zirrhose durch eine akute, nekrotisierende Hepatitis bedingt ist oder im Verlauf einer chronisch-aggressiven Hepatitis von mäßiger oder hoher Aktivität entsteht, resultieren drei verschiedene Zirrhosetypen. Sie unterscheiden sich voneinander nicht nur durch ihre formale Pathogenese und bis zu einem gewissen Grad durch ihre
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Morphologie, sondern vor allem auch durch ihre Prognose und ihre therapeutischen Konsequenzen. Noch vor 30 Jahren wurde die bloße Möglichkeit, daß eine Virushepatitis Zirrhosen verursachen könne, von den meisten Forschern kategorisch abgelehnt. Durch Leberbiopsie oder Laparoskopie waren aber die nötigen Vorbedingungen geschaffen, um Krankheitsfälle von der initialen Hepatitis bis zur Ausbildung einer Zirrhose verfolgen zu können. Nachdem diese Entwicklung in einer Reihe von Fällen unzweifelhaft belegt werden konnte (12, 30, 32), war zwar der grundsätzliche Nachweis erbracht. Drei entscheidende Fragen blieben jedoch offen: Wie oft ist mit diesem Ereignis zu rechnen? Bei welchen Fällen ist es zu befürchten? Wie entwickelt sich die hepatitische Zirrhose? Tab. 1. Anamnestische Erhebungen über die Ätiologie der Leberzirrhose in der Bundesrepublik (in Prozenten), teilweise nach Martini und Bode (20) Autor
Jahr
Fallzahl
Hepatitis
Alkohoi
unbe-
Giggiberger
1959
200
25
34
28
1969
200
22
58
Kühn
1961
600
28,5
18,4
30,4
Martini Creutzfeldt,
1961
114
27
45
21
1966
560
28
33
27
1966
327
24
33
37
kannt
Beck
Piesbergen, J ungermann
1019
Thaler Hepatitis und Zirrhose
1975, 100. Jg.
Cullinan und Mitarbeiter (6) fanden bei der Kontrolle von 1 045 ehemals hepatitiskranken britischen Kriegsteilnehmern keine einzige Zirrhose. In der Bundesrepublik konnten Franken und Mitarbeiter (9) bei der Nachuntersuchung von 144 früheren Hepatitiskranken ebenfalls keine Zirrhosen finden, die mit Sicherheit der Hepatitis anzulasten gewesen wären. Kühn (18) beobachtete eine Zirrhose nach 106 Hepatitiden, während in der gleich großen und hinsichtlich Alter und Geschlecht ähnlich zusammengesetzten Kontrollgruppe keine Zirrhose nachzuweisen war. In einer sehr sorgfältigen Studie über das Schicksal der Hepatitisfälle aus Eisenhüttenstadt, DDR, konnten Krieg und Weigel (16) unter 762 ehemaligen Hepatitiskranken in 7,7% chronische Hepatitiden und in 0,5% Zirrhosen feststellen. Diese Zahl entspricht den seinerzeitigen Schätzungen von Martini (19) und den Berechnungen von Mosley und Kendrick (23). Für die DDR, in der ein fast lückenloses System zur Erfassung akuter Virushepatitiden besteht, würde dies bedeuten, daß man jährlich nur mit einem Zuwachs von 1 200 hepatitischen Zirrhosefällen zu rechnen hätte. Tab. 2. Anamnestische Erhebungen über die Ätiologie der Leberzirrhose in verschiedenen europäischen und überseeischen Ländern (in Prozenten), teilweise nach Martini und Bode (20) Land Australien England Frankreich
Japan
Die Häufigkeit der hepatitischen Zirrhose Wird eine größere Anzahl von Zirrhosepatienten nach der Ätiologie der Erkrankung gesichtet, findet sich im allgemeinen ein beträchtlicher Prozentsatz von Fällen, bei denen eine vorausgegangene Virushepatitis die einzige faßbare Möglichkeit darstellt. In einschlägigen Arbeiten aus der Bundesrepublik (Tabelle 1) wird die Hepatitis mit großer Regelmäßigkeit in rund 25% der Zirrhosekranken als wahrscheinlicher Grund angegeben. Sie rangiert hinter dem Alkohol als nächsthäufige Ursache. Der Anteil der kryptogenen Zirrhosen ist bei allen Untersuchern beträchtlich. Auf die Häufigkeit dieser »leeren« Anamnesen wurde von Kühn (17) besonders hingewiesen. In anderen europäischen und in überseeischen Ländern sind die Schwankungen viel beträchtlicher als in der Bundesrepublik - wohl eine Folge der verschiedenartigen Lebensgewohnheiten (Tabelle 2). Nach allen diesen Untersuchungen jedenfalls wäre die Hepatitis als häufige Zirrhoseursache einzustufen. Einen völlig andersartigen Eindruck gewinnt man aber, wenn man den umgekehrten Weg wählt und Patienten kontrolliert, die einmal an Hepatitis erkrankt waren. Nachuntersuchungen an insgesamt 953 amerikanischen Soldaten des Zweiten Weltkrieges und des Koreakrieges, die während ihrer Dienstzeit eine Virushepatitis durchgemacht hatten, ergaben keine höhere Zirrhosehäufigkeit als in einer Vergleichsgruppe (25, 39).
Österreich Schweden USA
Fallzahl
Hepa- Alko- unbetitis hoi kannt
Autor
Jahr
Chapman Stone et al. Péquinot Yoshida Frank, Leodolter Hällén, Krook
1966
98
5,1
28
54
1968
155
5,8
34
48
1961
SOS
3,6
83
1965
848
21
15
55
1971
271
19,9
35,4
17,4
1963
360
5,8
59
43
Brick,
1964
1000
75
14
10
Palmer
Zur Erklärung dieser offensichtlichen Diskrepanzen wurden verschiedene Argumente vorgebracht: Diejenigen, die eine hepatitische Zirrhose für ein seltenes Ereignis halten, wandten gegen die anamnestischen Untersuchungen mit voller Berechtigung ein, daß ein Ikterus in der Vorgeschichte eines Zirrhosepatienten noch keinen Beweis für eine durchgemachte Virushepatitis darstelle und daß auch bei gesicherter Virushepatitis zumeist der Nachweis ausstehe, daß tatsächlich diese Krankheit die Zirrhose verursacht hätte. Die Befürworter einer größeren Häufigkeit wiederum kritisierten an den katamnestischen Untersuchungen, daß sie vorwiegend an Soldaten durchgeführt worden waren, die, weil jung und gut ernährt, zweifellos eine gute Chance hatten, die Hepatitis ohne Folgen zu überstehen. Gegen die katamnestischen Untersuchungen wäre weiters einzuwenden, daß vielfach nur diejenigen Patienten genauer nachuntersucht wurden, die über entsprechende Beschwerden geklagt hatten, und daß Kontrollbiopsien bzw. Laparoskopien nur in einem sehr kleinen Prozentsatz der Fälle durchgeführt wurden. Von -
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Nr. 18, 2. Mai
Thaler: Hepatitis und Zirrhose
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der hepatitischen Zirrhose ist jedoch bekannt, daß sie häufig und über lange Zeit symptomlos verlaufen kann und ihre Entdeckung deshalb oft nur zufällig erfolgt. Ferner kann die Virushepatitis in prognostischer Hinsicht nicht global beurteilt werden, da die Hepatitis A (Hepatitis epidemica) relativ harmlos ist, während die Hepatitis B (sogenannte Serumhepatitis) eher zu schweren Verläufen neigt und deshalb auch eher bleibende Schäden verursachen kann. Bei den von Krieg und Weigl (16) beschriebenen Fällen soll es sich angeblich um Hepatitis A gehandelt haben. Schließlich ist wohlbekannt, daß es leichte und schwere Hepatitisepidemien gibt. So wurden bei der Stockholmer Epidemie des Jahres 1927 insgesamt 97 Todesfälle verzeichnet (2) und bei der Baseler Epidemie von 1946 endeten von 220 Hepatitisfällen 44 letal (37). Alle diese Einwände sind jedoch eher dazu angetan, das Problem aufzuzeigen als zu lösen. Wenn wir heute auch noch keineswegs behaupten können, die Frage beantwortet zu haben, so sind wir doch durch den enormen Aufschwung, den die Hepatitisforschung in den letzten Jahren genommen hat, der Beantwortung viel näher gerückt. Tab. 3. Vergleich von Krankheitsverlauf und Krankheitsfolgen bei HBs-Antigen-positiven und -negativen Hepatitiden, unter Benutzung der Ergebnisse von Chiaramonte und Mitarbeitern (5) HBs-Antigenpositiv
Patientenzahl fulminante Hepatitis davon gestorben davon postnekrotische Zirrhose chronisch-aggressive Hepatitis
chronisch-persistierende Hepatitis unklassifizierbare chronische Krankheitsverläufe
177
HBs-Antigennegativ 169
6
(3,4%)
I
5
(2,8%)
-
1
(0,6%)
12 6
gend um die relativ harmlose chronisch-persistierende Hepatitis. Die gefährlichere chronisch-aggressive Hepatitis ist zwölfmal seltener als in HBs-Antigen-positiven Fällen. Besonders bemerkenswert ist, daß alle chronischen Fälle der HBs-Antigen-positiven Gruppe über die gesamte Beobachtungszeit Antigen-positiv blieben. Dies steht tri guter Übereinstimmung mit der Beobachtung von Nielsen und Mitarbeitern (26), daß bei Hepatitis B dann ein chronischer Krankheitsverlauf zu erwarten ist, wenn HBs-Antigen 13 Wochen und länger nachgewiesen werden kann. Mit Hilfe des HBs-Antigens ist es heute möglich, zutreffendere Aussagen über den ätiologischen Anteil der Hepatitis an den Zirrhosen zu machen jedenfalls, was die Hepatitis B anlangt. Entsprechende Untersuchungen zeigen (Tabelle 4), daß man in Mitteleuropa, je nach dem untersuchten Krankengut, in 29-45 % der Zirrhosefälle positive Antigenbefunde erheben kann (11, 27). Stellt man in Rechnung, daß sich auch Zirrhosekranke anderer Ätiologie mit Hepatitis-BVirus infizieren können - bei chronischen Alkoholikern beispielsweise ist ein erhöhtes Infektionsrisiko bekannt, und nach Untersuchungen von Kaboth und Mitarbeitern (11) zeigten 22,7% der Patienten mit vermutlich alkoholischer Zirrhose eine schwach positive Komplementbindungsreaktion -, so gelangt man zu dem Ergebnis, daß zwischen 20 und 40% der Zirrhosefälle hepatitischen Ursprungs sind, die anamnestischen Erhebungen also wahrscheinlich mehr oder weniger zufällig - ein zutreffendes Bild lieferten. Dem entspricht auch, daß fast 80% der Zirrhosefälle mit Hepatitisanamnese HBsAntigen-positiv sind und daß in Mitteleuropa mehr als die Hälfte der kryptogenen Zirrhosen als hepatitishedingt angesehen werden müssen (11).
-
-
Tab. 4. Häufigkeit HBs-positiver Antigenbefunde bei chronischen Leberkrankheiten (in Prozenten)
(I2,4%)
4
5
(4,7°/o)
Oai
2
Q)
Untersuchungsmethode
o 0
Q)-
..o
Antigen (HBs-Antigen) bezeichnet, ist es möglich geworden, gesicherte Fälle von Hepatitis B von den iibrigen Hepatitisfällen zu scheiden. Die prospektive Studie von Chiaramonte und Mitarbeitern (5) konnte die bereits erwähnte klinische Erfahrungstatsache, daß die