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Hochkalorische Ernährung bei Radiochemotherapie, nasale Magensonde und parenterale Ernährung kontra PEG (perkutane endoskopisch kontrollierte Gastrostomie) Th. Wiesner, W. Kehrl, M. Bruckner

Zusamm enfassung

Die Vor- und Nachteile verschiedener Verfahren der künstlichcn Ernãhrung werden diskutiert. Bei diesem Vergicich zeigren sich für Patienten, die auf eine langfristige künstliche Ernãhrung angewiesen sind oder die sich einer belastenden Radiochemotherapie im Kopf-HaIs-Bereich unterziehen müssen, folgende VorteiIc der PEG: Diese Methode ermoglicht eine physiologische enterale Ernährung ohne eine Stigmatisierung des Patienten durch eine äuLerlich sichtbare Sonde und oh-

Verschiedene Erkrankungen (neurologische Erkrankungen, Tumoren usw.) (1), aber auch die Nebenwirkungen mancher Therapien führen zu ausgeprãgten Schluckbeschwerden (2), die eine ausreichende orale Ernãhrung unmoglich machen (z. B. die radiogenbedingte enorale und endopharyngeale Mukositis). Anhand dieses Beispiels werden im folgenden die Vor- und Nachteile verschiedener Verfahren der künstlichen Ernährung diskutiert und besonders auf die Vorgehensweise bei der ,,PEG" emgegangen.

Methoden

ne eine zusätziiche Behinderung des bereits eingeschränkten natürlichen Schluckaktes. Urn zur weiteren Verbreitung dieses für viele Patienten sinnvollen Verfah-

rens beizutragen, soil eine detaillierte Darsteliung der pflegerischen Mafnahmen und des Kostaufbaus bei der Uberwindung von Probiemen, die bei der Einführung dieser Methode entstehen können, helfen. High-Calory Nutrition during Radiochemotherapy, Nasogastric Tube Feeding and Parenteral Feeding versus PEG (Percutaneous EndoscopicGastrostomy) The advantages and problems of different

types of artificial feeding are discussed. For patients needing long-term nutritional support, we see the following special advantages of PEG: physiological enteral nutrition with an only small risk of tube dislocation, no

additional handicap of the natural swollowing procedure and without stigmatising the patient by an external visible tube (Tab. 3). To help to spread this method of artificial feeding for the benefit of the patient, this arti-

cle gives some informations on how to cope with the problems that might occur when using PEG (for example: a diet plan for building up the tube food nutrition (Tab.4).

Laiyngo-lthino-Otol. 7 (1991) 445 448 Georg Thiemc Verlag Stuttgart New York

Zunächst bictet sich iur Sicherstellung dur Erniihrung in den oben genannten Fallen eine nasale Magensonde an. Sie ist einfach zu Jegen und ermoglicht eine physiologische enterale Nahrungszufuhr. Als nachteiiig zeigt sich jedoch eine je nach Kooperationsgrad des Patienten haufige Dislokation, die Patienten fühlen sich äuferlich entstellt und gezeichnet. Weiterhin steilt die Sonde selbst eine nicht vollstandig einschätzbare Behinderung des natürlichen Schluckaktes dar.

Die ausgeprägten Nebenwirkungen einer seit einemJahr durchgefuhrten simultanen Radiochemotheeine rapie steliten die bisher durchgeführte Ernährung nasale Magensonde in Frage und erforderten die Ausschaltung aller zushtzlichen, die Mukositis begünstigenden Faktoren: z. B. der andauernde mechanische Reiz des Pharynx (8), der mit einer nasalen Magensonde verbunden ist und der dort zu Druckulzera führen kann.

Alternativ bieten sich zwei Möglichkeiten: 1. die parenterale intravenöse Ernährung (7), die in einer kritischen Situation eine sofortige hohe Kaloricnzufuhr und eine Korrektur entgleister Laborparameter ermoglicht, jedoch auch einu intensive lahorchemische Uberwachung erfordert und bei ungenugenden Kontrollen selbst schnell zu lebensbedrohlichen Stoffwechselverãnderungen fflhren kann. Deshalh sehen wir für diese Ernahrungsform primär nur die Indikation in akuten, em sofortiges Eingreifen erzwingenden Notfallsituationen.

Auszugsweise vorgctragen auf der 73. Jabrestagung der Nordwestdeutscheri Vereinigung dcc Hats-Nasen-Ohren-Arzte am 12. 10. 1990 in Lubeck.

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HNO Universitats-Klinik Hamburg (Direktor: Prof. U. Koch), Abtcilung für chirurgische Endoskopie des UKE (Prof. Sohendra)

Th. Wiesner undMitarb.

446 Laryngo-J3iiino-OtoL 70(1991)

Ais weitere Alternative zur nasalen Magensonde, aber auch zur parenreralen Ernãhrung, bieten sich Sondensysreme an, die durch die Bauchdeeke direkt in den Magen oder das Duodenum plazierr werden. Eine Merho-

'._ \__ -

— -— —-------Abb. 1

te Gastrostomie) (3). Hierzu ist es jedoch notwendig, da6 bei dem Patienten eine flexible Gastroskopie durchführbar ist. Man erhalt em Ernàhrungssystem, das mit einer viel geringeren Dislokationsgefahr (als die nasale Magensonde) behaftet ist, den Patieoten nicht stigmatisiert und trotzdem eine physiologische enterale Ernährung ermdglicht.

Diaphanoskopie.

PEG-Indikation und Anlage

Im Vergleieh der bisher vorgestellten Ernahrungssysteme ergibt sieb die Indikarion zur ,,PEG" bei Patienten mit Malignomen im HNO-Bereich in folgenden Situationen: —

Abb. 2

Nach der Punktion Greiten des Eadens mit der Biopsie-

zange



geplante Radio-Chemotherapie, geplante hyperfraktionierte Bestrahiung und bereits vor-



her ausgeprägt schlectirer Ernährungszustand, Patient im Tumor-Endstadium mit tumorbedingter Behinderung des Schluckaktes.

Bei den Bestrahlungspatienten wird dabei wie folgr vorgegangen: Die PEG £s eine Voraussetzung für die Durchführung der Therapie erfolgt in der ersten Thetapmwoche, da zu diesem Zeitpunkt eine problemlose Passage des Pharynx mit dem Gastroskop noch moglich ist. Aufgruod der geringeren Traumatisierung des Bauchdeekengewebes legen wir eine relariv düone 9-Chr.-Sonde nach der

Fadendurehzugsmethode (6) (Abb. 1), auch wenn durch diese Sonde nicht alle faserreichen Sondennahrungen vetabreicht werden konnen. Die volle Sondenernahrung wird erst verabreicht, wenn eine ausreiehende orate Ernãhrung Schwierigkeiten maeht.

Unbedingt zu beachten sind jedoeh folgende Konrraindikationen (6): —

Abb.3 Betestigen des Katheters am Faden, Ziehen des Katheters in



den Magen und durch die Bauchdecke.

— —

Gerinnungssrdrungen, fehlende Diaphanoskopie Peritonitis ausgeprägte Osophagusvarizen.

Vermeidung von Komplikationen

Abb. 4 Die innere Halteplatte liegt der Magenwand an, Anbringen einer aulteren Halteplatte, Ankleben eines Adapters zum Sondensystem

Zur Vermeidung von bakreriellen Infekrionen der Punknonsstelle (5, 6) sollte vor der PEG eine ausgiebige Mund-, Zahn- und Rachenhygiene durchgefuhrt werden. Auch wird das Absetzen von H2-Blockern und Antaeida wenigstens 24 Srd. vor der PEG empfohlen, um cinen ausreiehenden Sauresehutz im Magen zu erhalten. Generd1 wird direkr vor dem Eingriff eine einmalige ,,Antibiorikaprophylaxe" mit einem Cephalosporin durchgeführt. Naeh dem Eingriff ist für 1 Woche eine tagliche Wundkontrolle und em Verbandsweehsel notwendig.

(modif. Abb. aus (4)).

Sondennabrung/Kostaufbau

Da es sich bei den kommerziell verfügbaren Sondendiaren um relativ konzentrierte Ldsungen handelt, bedarf es eines langsamen Sondenkostaufbaus, so daR sich

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de, die mit einem besonders geringen invasiven Eingriff auskommr, ist die ,,PEG" (perkutane endoskopiseh kontrollier-

Hochkalorische Ernährung bei Kadiochemothera pie

Laryngo-Rhino-Otol. 70 (1991) 447

Tab. 1 Vor- und Nachteile der nasalen Magensonde.

Tab.5 Nahrungsmengen und Zusammensetzung.

Vorteile:

Patienten rn Tumorendstadum 2000—2500 Kal. Patienten unter Radlo-Chemotherapie 3000—4000 Kal.

-

kostengUnstig

Nachtei!e:

— haufige Dislokation

- kosmetisch ungUnstig

Stigmatisierung — zusatzlicher Reiz im Bereich des Pharynx Behinderung des natLirlichen Schluckaktes

-- angsamer Kostaufbau notwendig

z. B.

morgens 500 ml hochkalorische Sondennahrung 750—800 500 ml faserreiche Sondennahrung 500 500 ml hochkalorische Sondennahrung n750—800 500 ml faserreiche oder Standard500 Sondennahrung abends 500 ml faserreiche oder Standard500 Sondennahrung

Kal. Kal. Kal. Kal.

+ Teesonde

Kal.

ca. 3000

Kal.

Tab.2 Vor- und Nachteile der parenteralen Erndhrung. Vorteile: — frt]he und hohe Kalorienzufuhr mdglich — Moglichkeit der Kontrolle und Korrektur von Elektrolyten, Aminosauren u. a.

exakte Volumenbilanzierung mdglich Nachteile: tagliche Laborkontrollen notwendig — bei ungenUgenden Kontrollen lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisungen schnell mdglich — Katheterinfektioneri, Sepsis — lange tagliche lnfusionszeiten

— unphysiologische Volumenbelastung ungUnstige ambulante Handhabung

der Verdauungstrakt des Patienten Schritt für Schritt an die notwendige Volurnen- und Kalorienzufuhr gewohnen kann. Dies rnuI urn so langsamer geschehen, je langer sich der Patient zuvor insuffizient ernährt hat. Bei Patienten, die noch

geringe Nahrungsrnengen oral zu sich nehmen können, die Sonde erst soilte die erste Flüssigkeitszufuhr 12 Std. nach dem F.ingriff vorgenommen werden. Bei Patienten, die keine Nahrung oder Flüssigkeit mehr zu sich nehmen können, geben wir, urn eine parenterale Ernàhrung zu vermeiden (9), bereits am OP-Tag abends Flussigkeit durch die Sonde. Genaueres ist der Tab. 4 zu entnehmen. Neben speziellen Diäten z. B. für Diabetiker

werden von verschiedenen Herstellern eine ganze Reihe von Sondennahrungszubereitungen angeboten. Diese Lassen sich grof in drei Gruppen aufteilen: 1. Die Standarddiãt

Tab.3 Vor- und Nachteile der PEG. Vorteile:

— physiologische enterale Nahrungszufuhr — keine Stigmatinerung geringere Dislokationsgefahr — ambulant gut zu behandeln — natUrliche Schluckfunktion wird nicht zusatzlich behindert — kostengUnstig Nachteile: — invasiver Eingrift zum Legen und Entfernen der PEG-Sonde notwendig (und elne flexible Gastroskopie muB mdglich sein) lnfektionsgefahr an der Punktionsstelle — langsamer Kostaufbau notwendig — die meisten Patienten und Therapeuten erkennen erst rUckwirkend die Vorteile der PEG

mit Ca. 500 Kal./500 rnl, 2. eine ,,hochkalorische" Difit mit 750—800 Kal./500 ml und 3.eine ,,faserreiche" Diät mit ebenfalls Ca. 500 Kal./500 ml. Da bei diskontinuierlicher Sondengabe, die dern Patienten eine mobilere Tagesgestaltung erlaubt, selten rnehr als 5—6 Sondenmahlzeiten vom

Patienten toleriert werden, muf em Teil der Ernhrung durch die ,,hochkalorischen" Diäten erfolgen. Wciterhin soliten zur Anregung und zum Unterhalt der Darmtätigkeit auch ,,faserreiche" Diàten verabreicht werden. Aus diesen Uberlegungen ergibt sich der Ernahrungsplan in Tab. 5.

Diskussion Absch1iefend

Tab.4 Sondennahrungsaufbau.

OP-Tag

1. Tag

2. Tag

3. Tag

I. keine orale Nahrungsautnahme mehr moglich

II. orale Nahrungsaufnahme noch mdglich

abends 500 ml Teesonde + i. v. 2500 ml Glucose 5°/of Ringer im Wechsel 2 x 500 ml Sondennahrung mit Tee + i. v. 2500 ml Glucose 5 %/Ringer im Wechsel 4x500 ml Sondennahrung mit Tee + i. v. 1000 ml Glucose 5°/o/Ringer im Wechsel 4—5x 500 ml Sondennahrung +2 x 500 ml Teesonde

keine Sondennahrung + leichte orale Kost 2 x 250 ml Teesonde

+ leichte orale Kost

2x500 ml Sondennahrung mit Tee + leichte orale Kost

weiter nach Bedarf

_____________

-

sei noch auf die wenigen

Komplikationen, die wit bei insgesamt 50 Patienten im letzten Jahr gesehen haben, hingewiesen: In der ersten Tagen em Druckgefühl klagen viele Patienten vorilbergehend und mäfige Schmerzen im Oberbauch. Hier warten wir zu bei ggf. rnehrfachen tãglichen Kontrollen der Darmgeräu-

sche und des Oberbauch-Palpationsbefundes; ggf. helfen Analgetica oder em langsarner Kostaufbau. Im weiteren einen Verlauf haben manche Patienten hin und wieder Reflux von Snndennahrung und Sodbrennen berichtet. Diese Beschwcrden lassen sich durch eine Hochlagerung des Oberkorpers urn 30 wãhrend und bis 1 Std. nach der Sondengabe (7), ggf. durch einen Wechsel der Sondennahrung auf Düiten ohne Aromastoffe bessern. Nur bei einem Patienten irn Tumorendstadium haben wit eine ausgeprãgte

Wundinfektion gesehen, die eine zeitweilige Unterbrechung der Sondenernahrung sowie eine antibiotische und antirnykotische Therapie erforderte. Bei der Entfernung von PEG-Sonden (z. B. nach Beendigung der Radiochemo-

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— eicht zu egen und einfach zu entfernen — physiologisch enterale Nahrungszufuhr gute ambulante Handhabung

Th. Wiesner und Mitarb.: Hochlzalorische Erndhrung bei Radiochernothera pie

therapie) hat es in keinem Fall Komplikationen gegeben. Die Durchtrittsstelle der Sonde durch die Bauchdecke war

Literatur

in alien Fallen innerhalb weniger Stunden reizlos verschlossen.

Damit wieaeriegeri unsere uneraus positlyen Ertahrungen mit der PEG alie auch bei uns anfanglich vorhandenen skeptischen Uberlegungen ciner neuen invasiyen Methode gegenubcr und rechtfertigen die haufig notwendige Uberzeugungsarbeit bei den Patienten.

2

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Dr. med. 1.W,esner ___________________________

Wissenschafrlicher Ass istent IiniversitSts-HNO-Klinik Hamhurg-Eppendorf Martinisrra1e 52 W-2000 Hamburg 20

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448 Laryngo-Rhino-OtoI. 70 (1991)

[High-caloric nutrition in radiochemotherapy, nasogastric tube and parenteral nutrition versus PEG (percutaneous endoscopic controlled gastrostomy)].

The advantages and problems of different types of artificial feeding are discussed. For patients needing long-term nutritional support, we see the fol...
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